Praxis
Nach dem Auspacken kommt das handliche Kraftwerk zuerst einmal im Wohnzimmer zum Einsatz, um mir einen ersten Eindruck zu verschaffen. Obwohl man in den heimischen vier Wänden den Master nicht über die 0,5 Marke drehen kann, klingt der Amp auch bei Zimmerlautstärke erstaunlich gut, was für einen ausgewachsenen 50 Watt Röhrenverstärker keine Selbstverständlichkeit ist. Die meisten Amps in dieser Leistungsklasse brauchen einen gewissen Minimalpegel, um ihren Klang entfalten zu können. Im Proberaum und später im Studio konnte ich natürlich Gas geben. Ich habe mich bei einem Sweetspot um die Halbgas-Masterlautstärke eingeschossen, wobei der Amp hier schon eine enorme Brachialität an den Tag legt. So weit wird man den Verstärker in den meisten Situationen nicht aufreißen können, weil es einfach zu laut ist. Diese Leistungsreserven sind aber wichtig für einen stabilen und durchsetzungsfähigen Sound auch bei geringen Lautstärken. Genau das ist die Stärke des Retro Tube 50, denn er bietet einen durchweg klar definierten Sound, der sich perfekt auf den persönlichen Geschmack einstellen lässt. Das Schöne dabei ist, dass der Ton nie verwaschen, mulmig, oder überbraten wirkt. Die Saitentrennung ist in allen Einstellungen hervorragend. Aber fangen wir bei den cleanen Sounds an.
Man kann den Amp auch bei hohen Lautstärken sehr clean fahren, ohne einen sterilen Klang zu erhalten. Der Ton hat einen fetten Unterbau, so wie ich es vom Fender Dual Showman und dem Twin Reverb her kennen und die Höhen werden griffig abgebildet, ohne eierschneidermäßig zu wirken. Schaut man sich die Frequenzen einmal am Analyzer an, so fällt auf, dass der Bassbereich, der hier einen stabilen und mächtigen Schub liefert, nicht zu stark gefeatured ist, wie man es oft von modernen Amps kennt. Der Sound ist perfekt ausbalanciert. Den Gain habe ich hier etwa auf Halbgas gedreht, um die Vorstufe ganz leicht in die Sättigung zu fahren. So hat der Ton eine dezente glockige Kompression, die den Singlecoils zusätzliche Stabilität gibt.
In diesem Soundbeispiel habe ich die Einstellung beibehalten, lediglich den Gainregler auf Position 7 gestellt. Der Ton wird jetzt schon wesentlich rauer und bietet eine seidige Anzerre im Stil von Keith Richards und einigen Nashville Style Gitarristen wie Brad Paisley oder Johnny Hiland. Auch soundlich geht es hier in eine amerikanische Fender-Richtung, allerdings mit einem Schuss Marshall. Diese Einstellung hat eine höhere Kompression, als das im ersten Soundbeispiel der Fall war, wobei die Saitentrennung und der Twäng meiner Strat noch sehr gut erhalten sind.
Mit dem aktivierten Gain Boost erhält der erste Kanal einen tüchtigen Mittenschub und zusätzliches Gain. Resultat ist ein sehr amtlicher Classic-Rocksound, der zwar in Richtung JCM 800 geht, insgesamt aber eine Spur weicher und polierter daherkommt. Mit dieser Einstellung dürften Blueser schon einen wässrigen Mund bekommen, aber es geht noch weiter.
Der zweite Kanal knüpft da an, wo der erste aufhört. Das äußert sich nicht nur im Verzerrungsgrad, sondern auch in der Zerrstruktur, die mir hier wesentlich dichter erscheint. Angeschlossen ist meine SG und gewählt ist der Halspickup, und ich spiele eine Bottlenecklinie, wobei ich die Saiten relativ leicht anschlage. Der Amp reagiert auf jede noch so kleine Spielnuance und bringt einen erstklassigen und völlig authentischen Bluesrock-Sound. Auch hier ist die Saitentrennung vorbildlich.
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Bei Bedarf liefert der zweite Kanal jede Menge Gain, geht aber nie in einen gleichmachenden Metalsound über. Mit der Les Paul klingt der Retro Tube 50 hier tatsächlich wieder sehr klassisch und geht in Richtung Joe Bonamassa oder Gary Moore. Man muss im Studio gar nicht viel drehen, bis es gut klingt. Der Amp reagiert perfekt auf den Spieler und die jeweilig verwendete Gitarre. Egal, wie man den Amp auch einstellt, unbrauchbare Sounds gibt es keine.