Praxis
In der etwas rudimentär geratenen Bedienungsanleitung findet sich ein kurzer Text darüber, dass die Entwickler des Fredenstein F660 viel Wert auf Klangtreue gelegt haben, so wird als positiv hervorgehoben, dass der Fredenstein im Gegensatz zum echten Fairchild das Eingangssignal so gut wie nicht beeinträchtigt oder gar verzerrt. Das wird durch eine digitale Steuerung des Arbeitspunktes der Röhren erreicht sowie durch einen ziemlich großen Übertrager aus eigener Herstellung. Die verwendeten Röhren sind originalgetreue slowakische Reproduktionen der im Vorbild verwendeten Röhren.
Aus technischer Sicht ist es eine beeindruckende Leistung, den Fairchild in puncto Neutralität zu übertreffen und der Praxistest bestätigt das. Auf Übersteuerung reagiert der Kompressor nur zaghaft mit Obertönen, lediglich wenn man es wirklich übertreibt, kommt ein eher unappetitliches Kratzen hinzu. Die Messung zeigt, dass sich ab einem angezeigten Ausgangspegel von +10 dBu die zweite und dritte Harmonische schüchtern zu Wort melden, bevor dann schon bei etwa 12 dB ein bunter Strauß an weiteren Obertönen aufblüht.
Die Kompression klingt recht sauber, der F660 kann Transienten herausheben und tut den Höhen nichts zuleide, was schon mal ein gutes Merkmal für einen Kompressor ist. Ich habe mich spontan bei der Parallelkompression einer Drumgruppe wohl gefühlt.
Mit einem Bass gefüttert, reagiert der Fredenstein ein klein wenig verschnupft, statt wie ältere Vari-Mu-Kompressoren den Bassbereich dreidimensional zu öffnen, scheint er das Gegenteil zu tun. Man möchte ihm die Nase putzen. Dieser Effekt ist jedoch minimal, folgende Beispiele sollen einen Eindruck vermitteln:
Bass
Das Haupteinsatzgebiet eines Röhrenkompressors ist natürlich der Gesang. Er soll die Stimme harmonisch verdichten und dabei die Dynamik so begrenzen, dass die Manipulation der Lautstärke möglichst wenig auffällt. Den F660 verlassen sowohl Frauenstimmen als auch Männerstimmen klanglich in etwa so, wie sie reingekommen sind, abgesehen von ein paar Artefakten der Regelung und einem leichten Substanzverlust im Kern, der schwer zu orten, aber spürbar ist.
Female Vocal
Piano
Wie gesagt ist der originale Fairchild auch ein eher unauffällig arbeitendes Gerät. Deswegen und auch weil sich für die meisten Käufer vermutlich nicht die Frage stellt, ob man sich stattdessen das Original kauft, verzichte ich allerdings gern auf den direkten Vergleich und gehe lieber von einer allgemeinen Erwartung aus, die an Röhrenschaltungen heutzutage gestellt wird: Sie sollen erstens einen reproduzierbaren Klang bieten. Das tut der Fredenstein zweifellos. Zweitens erwarte ich von einem Röhrengerät, ob es sich um eine Vintage-Einheit wie einen BA6A oder STA Level oder um modernes Equipment wie etwa einen Culture Vulture handelt, dass es den Klang hörbar veredelt. Das kann sich in einer als greifbarer empfundenen Ortung im Bassbereich oder auch als unaufdringliche Präsenz in den Höhen manifestieren. Je nach Ausgangsmaterial und Röhrenschaltung geschehen diese Dinge in unterschiedlicher Wahrnehmbarkeit. Ich bewerte den F660 nach umfangreichen Tests mit verschiedenen Signalen als hochwertig, aber sehr unauffällig, vergleichbar beispielsweise mit Plugins, die Röhrenartefakte simulieren. Nun ist eine klangliche Beurteilung immer subjektiv. Ich entscheide mich daher, den in meinen Ohren etwas farblosen Klangcharakter zwar zu erwähnen, aber nicht in die Bewertung einfließen zu lassen.
Für dich ausgesucht
Kombiniert man die schnellste Attack-Zeit mit der schnellsten oder zweitschnellsten Release-Zeit (oder die zweitschnellste Attack-Zeit mit dem schnellsten Release) kann es zu recht hässlichen Knacksereien kommen. Das ist der Physik geschuldet: Wenn die Lautstärke schneller geregelt wird als eine Halbwelle des Audiomaterials lang ist, entstehen naturgemäß Glitches. Außerdem entspricht das nach meiner Kenntnis durchaus dem Verhalten eines originalen Fairchild, was wohl der Grund sein mag, dass im Original derart kurze Regelzeiten gar nicht erst anwählbar sind. Ich erwähne es, weil ich zahlreiche Beispiele für Kompressoren und Limiter kenne, die außerordentlich schnell regeln und diesen Nebeneffekt nicht zeigen. Es stellt sich also die Frage, inwieweit eine solche Erweiterung der Parameter sinnvoll ist. Zumindest werte ich es als Hinweis auf ein etwas unelegantes Regelverhalten.
Außerdem gesellt sich ab einer Gain Reduction von -10 dB eine spröde und etwas kratzige Verzerrung zum Signal, was sich laut Hersteller bei einer Vari-Mu-Schaltung generell nicht vermeiden lässt. Dies sei also nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Das Handbuch empfiehlt ausdrücklich, den F660 nur im Bereich bis 5 dB Gain Reduction zu verwenden.
Ich habe hier als Klangbeispiel einen Drumloop mit allen technisch möglichen Einstellungen bearbeitet und möchte noch einmal darauf hinweisen, dass nicht jede dieser Einstellungen musikalisch sinnvoll ist. Der Vollständigkeit halber erschien es mir aber angeraten, einen umfassenden Überblick zu bieten.
Drum Loop
Der Sidechain kommt ohne eigenes Hochpass-Filter aus, es handelt sich lediglich um einen Anschluss, der das Einschleifen eines externen Filters ermöglicht.
Die Beantwortung der Frage, für welche Arbeitsumgebung der Fredenstein F660 wohl hauptsächlich gedacht ist, fiel mir überraschend schwer. Gegen den Einsatz in kleinen Projektstudios spricht der hohe Preis. In großen Studio-Setups stört es ein wenig, dass man das Gerät niemals über einen Hauptschalter ausschalten sollte, weil es seinen Zustand nur dann speichert, wenn man es per Menü eigens herunterfährt. Tut man das nicht, wacht es am nächsten Tag mit einem ganz anderen Setup wieder auf.
Gegen den Gebrauch in einer Mastering-Regie spricht, dass der eingebaute Lüfter des F660 ein deutlich vernehmbares Eigengeräusch produziert, weshalb man versucht ist, ihn in den Serverraum zu verbannen. Da zeigt sich, dass die digitale Steuerung nicht zu Ende gedacht ist, denn mit einem USB-Anschluss hätte man sicherlich nichts falsch gemacht.