“Für die Gesundheit der Live-Szene ungesund”: Bruce Dickinson kritisiert, dass immer die gleichen Bands Headliner sind

Das Gesicht von Iron Maiden findet es schade, dass immer die gleichen Bands bei großen Festivals als Headliner auftauchen. Dickinson bemängelt dabei die Risikobereitschaft der Veranstalter und Konzerne hinter den Shows.

© Shutterstock / A.RICARDO

Bei der Betrachtung der Line-Up Plakate von Rock am Ring, Glastonbury, Nova Rock und Wacken fällt sofort auf: Die Headliner kannte man schon vor 20 Jahren. Kaum eine Band aus diesem Jahrhundert schafft es ganz oben auf die Plakate. Liegt das nur an dem fehlenden Nachwuchs und Talent? Trauen sich die Veranstalter nicht Bands wie ‘Pinkshift’ oder ‘Ego Kill Talent’ stärker zu vermarkten, anstatt jedes Jahr aufs neue Green Day, Limp Bizkit und Muse zu buchen?

Einer der schon lange im Musikbusiness ist und dessen Band Iron Maiden selber stets ganz oben im Line-Up erscheint, hat dazu seine eigenen Thesen. Bruce Dickinson glaub, dass es vor allem an der wirtschaftlichen Sicherheit bzw. dem Mangel an Risikobereitschaft der großen Konzerne liegt, dass junge Bands nicht an die Spitze kommen. Es ist für neuere Bands kaum möglich in die Sphären der alten Veteranen aufzusteigen, da diese weiterhin klar bevorzugt und gebucht werden.

Die Unterstützung der Basis fehlt

Dem Frontman Dickinson fehlt es hier einfach an Abwechslung. “Man kann die Headliner an den Fingern einer Hand abzählen. Leute, die etwas können – man setzt sie an die Spitze des Programms und die Leute sagen: ‘Oh ja, das werde ich mir ansehen’. Und unglücklicherweise ist der Grund dafür, glaube ich, dass die großen Konzerne alles übernommen haben und daran interessiert sind, Geld zu verdienen, also propagieren sie die großen Headliner, aber sie bringen nicht die Bands, die das Drama schaffen, um die Fanbase zu schaffen, um die Hingabe zu schaffen, es nach oben zu bringen.”

Dass der Weg zum Headliner auch für die heute etablierten Bands nicht einfach war, ist klar. Dennoch wurde früher kleineren Bands schon früher zugetraut, Eventlocations komplett zu füllen. Dabei muss laut Dickinson schon früh damit begonnen werden, die neueren Bands zu unterstützen. “Denn ein Headliner wird man nicht über Nacht. Man wird ein Headliner, indem man viele Gigs an vielen Orten spielt und Fans und Leute einem folgen und plötzlich steht man in der Wembley Arena und denkt: ‘Oh mein Gott, diese Jungs spielen in Arenen.’ Und der nächste Schritt nach den Arenen ist: ‘Oh, sie werden ein Festival headlinen. Oh, ja, toll. Sie sind ein Festival-Headliner.’ Und in diesem Moment machst du einen Schritt in diese Welt”, erklärt Dickinson.

Newcomer in anderen Genres haben es einfacher

Danach zieht der Sänger einen Vergleich zu anderen Musikgenres. Im Pop oder Hip Hop steigen neue Sänger regelmäßig in kurzer Zeit in neue Sphären auf und füllen ganze Arenen. ‘Fred Again’ oder ‘Marshmello’ haben im elektronischen Bereich nur ein paar Jahre gebraucht, um beim Glastonbury Festival bzw. Midtown Festival als Headliner zu erscheinen.

“Glücklicherweise bekommen wir von Live Nation eine riesige Summe Geld, aber sie bringen die Bands nicht auf die gleiche Art und Weise an den Mann”, argumentiert Dickinson. “Man muss sich vergegenwärtigen, dass die Promoter, diese einzelnen Promoter, alle individuelle Risiken eingegangen sind. Sie promoten also eine Show und verlieren ihr letztes Hemd. Und dann promoten sie eine andere Show und sagen: ‘Oh, wir haben diese Woche etwas Geld verdient. Das ist fantastisch.'”

Danach zeigt er Verständnis für die Entscheidungen der großen Veranstalter, die letztlich eben wirtschaftlich arbeiten müssen. “Aber man kann die Versuchung sehen, wenn jemand kommt und sagt: ‘Wir würden gerne Ihr Ding kaufen, das Sie in New York oder Chicago oder wo auch immer machen, und wir werden Ihnen einen Haufen Geld geben. Aber der Deal ist, dass du danach nichts mehr machen kannst. Du wirst ein bisschen für uns arbeiten oder einfach nur Urlaub machen, weil wir von jetzt an die Show leiten werden.’ Und sie haben einfach alles aufgesaugt.”

Verträge verhindern Risiko

Große Veranstaltungsräume haben mittlerweile langfristige Deals mit Live Nation abgeschlossen, durch die eine starke Abhängigkeit zwischen den beiden Parteien entstanden ist. In manchen Arenen dürfen nur noch Musiker auftreten, die ihre Tickets über Live Nation oder dem Tochterunternehmen Ticketmaster anbieten. Durch die Fusionierung der beiden Konzerne gibt es seit langem große Bedenken bezüglich Intransparenz bei der Ticketgestaltung und Vorwürfe wegen einer Monopolstellung. Wir haben die Situation in einem Beitrag analysiert.

Dickinson, der selber auch als Geschäftsmann tätig ist, fehlt bei dem derzeitigen Vorgehen die Förderung von unbekannteren Bands. “Ich meine, sie waren clevere Geschäftsleute. Aber aus künstlerischer Sicht, für die Gesundheit der Live-Szene, denke ich, war das beunruhigend. Vielleicht bin ich ungerecht, aber ich habe den Eindruck, dass die Szene viel lebendiger war, was aufstrebende Bands angeht, die auftauchen und die Leute überraschen konnten.” Es fehlt dem vielseitigen Mann, der nebenbei auch DJ, Pilot, Geschichtslehrer und Drehbuchautor ist, der Überraschungsmoment: ohne große Erwartungen in eine Live-Location gehen und verzaubert werden. “Und das schwächt die Basis der Leute, die rausgehen und sagen: “Oh mein Gott. Ich war neulich bei einem Live-Gig. Wow, das war cool. Es war so viel besser als vor einem Bildschirm zu sitzen.’ … Und man muss einfach die Orte haben, an denen das möglich ist”, resümiert Bruce.

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