Gear-Chat: Stimming

Martin Stimming, Wahl-Hamburger, steht für ausgeklügelte, liebevoll designte Sounds und organische Grooves. Von Anfang an eng verbunden mit dem sehr erfolgreichen House-Label “Diynamic”, ist Stimming seit Jahren eine einflussreiche Instanz der elektronischen Musik. Als Studio-Musiker produzierte er mittlerweile vier Alben, für das aktuelle Werk “Alpe Lusia” zog er sich für einem Monat in eine gleichnamige Alpenhütte zurück, ein bewusster Schritt zur forcierten Weiterentwicklung.

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Auch als Live-Act ist Stimming die Entwicklung wichtig, stetige Reduktion und Sinnhaftigkeit der Elemente stehen hier vor Equipment-Protz und Effekthascherei. Viele Gründe also, um ihn in seinem Hamburger Studio zu besuchen und bei Maoam und Mate mehr über seine Ansichten zu erfahren.

Stimmings Live Equipment:

– Elektron Analog Rytm
– Elektron Octratrack
– Eventide Space
– Arturia Minibrute

Wie spielst du live mit deinem Equipment?

Stimming: Der Elektron Octatrack ist das Zentrum meines Setups, quasi die Mutti. Er hat von all meinen Stücken einen Stem, welcher horizontal in fünf Parts unterteilt ist. Bei der Benennung der Track-Dateien gebe ich die Tonart immer gleich mit an, das kann ich mir sonst nicht merken. Separat dazu kommen die Drums aus dem Elektron Analog Rytm, die ich on-top spiele. Da der Octatrack auch Sampling beherrscht, spielt er die Drums der originalen Stücke, deren Kicks nicht aus dem Analog Rytm kommen. Ich springe dann in meinem Set durch die Trackliste, so wie es passt und ich gerade Lust habe. Denn wenn alle Spuren einfach nur nacheinander abgespielt werden, ist für mich ja kaum noch ein Eingriff möglich. Natürlich gibt es Reihenfolgen die so gut miteinander funktionieren, dass sie immer so gespielt werden. Aber generell nutze ich einen rohen „Print“ meiner Stücke und mache den Rest dazu live. Beispielsweise kann ich live mit dem Minibrute darüber spielen, der Octatrack loopt das dann so lange bis ich irgendetwas weiteres mache. Für den nächsten Part kann ich dann einen Trigger auf Standby legen. Sobald ich den drücke, spielt der Sampler den nächsten Teil im Takt ab.

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Wie hast du dich von einem auf einen Rechner basierenden Live-Setup zu deinem jetzigen entwickelt?

Stimming: Ich habe vorher ein reines Ableton-Set gespielt plus OP1 von Teenage Engineering und einen Moog Voyager on top. Im Prinzip kam dabei alles aus Ableton heraus. Die Stücke waren in drei Busse horizontal unterteilt. Die Idee war beispielsweise., dass ich die Drums eines Tracks mit dem Instrumental eines anderen zusammen spiele. Allerdings nicht so, dass Max for Live automatisch zu bestimmten Parts springen kann. Das waren einfach nur die rudimentärsten Ableton-Funktionen. In den zwei bis drei Jahren in denen ich dieses Live-Set gespielt habe, hat mich das letzte Jahr davon immer mehr genervt, da es so wahnsinnig unflexibel war. Ich konnte zwar mit dem Moog darüber spielen, allerdings ist Ableton unter ferner liefen was MIDI-Mikro-Timing angeht. Ich könnte jetzt auch gerade 16tel quantisieren, aber das ist in meiner Musik ein No-Go, das ist irgendwie Kraftwerk, da ist kein Groove drin. Ich bin bei Grooves immer eher für ein Mittelding von beispielsweise. 58-61% Swing-Anteil. Problem davon ist dann, dass ich den Moog nicht so richtig ausreizen konnte.
Ich musste dann den OP1 intern spielen, weil diese berühmt-berüchtigte Ableton-MIDI-Clock so schlecht war, dass der OP1 ungefähr nach drei Minuten aus der Synchronisation gelaufen ist. Ich musste also nach drei Minuten DJ spielen und den OP1 abbremsen, um ihn wieder auf Time zu kriegen. Das waren zwei Faktoren für den Umstieg, manchmal lief es aber auch damit richtig gut. Das schöne an Ableton ist, dass es so leicht zu handhaben ist, dass man da sich eigentlich keine Gedanken drüber machen muss. Trotzdem musste ich das dann anders angehen, und da gibt es nur eine Kiste die das kann, was Ableton kann: der Octatrack. Durch die Abkehr von Ableton und den Einsatz von Loops kann ich außerdem auch besser reagieren, zum Beispiel auf DJs die vor mir spielen.

Wie wirst du dich und dein Liveset weiterentwickeln?

Stimming: Der Korg Volca Sample, den ich vor drei Wochen noch in meinem Set drin hatte, ist beispielsweise aus Gewichtsgründen raus, er wiegt mit Batterie 750 Gramm. Das ist ein Dreiviertel-Kilo, das ist schon viel. Ich werde das Setup so anpassen, dass mein Handgepäck um die 10 Kilo herum wiegt, denn meine momentanen 12,5 Kilo sind nicht ganz optimal wenn man von so einer Airline-Tante gewogen wird, dann gibt es Stress. Der Minibrute und mein Eventide Space werden zugunsten eines Nord Lead 4 Keyboard Version rausfliegen. Und höchstwahrscheinlich wird es darauf hinauslaufen, dass der Analog Rytm rausfliegt und dass ich mit zwei Octatracks spielen werde.
Generell versuche ich, mein Studio-Equipment und mein Liveset immer weiter zu reduzieren. Die Tage an denen man etwas richtig tolles im Studio gemacht hat, wo man voller Liebe diesen Raum abschließt und diese Geräte am liebsten streicheln wollte, weil sie so gut zu einem waren. Das sind eigentlich die Momente wo ein Setup richtig cool ist. Da ist mir aufgefallen: Ich brauche lange nicht so viel wie ich bis dato hatte. Man braucht nur relativ wenig.

Arturia Minibrute, Eventide Space und Elektron Octratrack im Live-Einsatz
Arturia Minibrute, Eventide Space und Elektron Octratrack im Live-Einsatz

Was war dein erstes Equipment zum Produzieren?

Stimming: Das war der gute Korg ER1, der rote Electribe – ein ein geiles Teil. Das Schöne war, dass er eine Synthese-Maschine ist, ich habe dann gleich eine Idee von Synthese bekommen, das war ein guter Einstieg. Er hatte auch diesen seltsamen Pseudo-EQ, der nur noch gekotzt hat, wenn er ganz links war. Auch das Delay war krass, das war richtig toll.

Was ist deine Geheimwaffe beim Produzieren?

Stimming: Oah, das ist ganz schwierig. Es wäre schön wenn es so etwas geben würde. Also der API 2500 Bus Compressor, der ist vielleicht so. Es ist eigentlich egal wie man ihn einstellt – das Signal kommt immer besser raus.

Wie würde in deinen Augen ein perfektes Instrument aussehen?

Stimming: Wie ein Octatrack, mit einem 8x so schnellen Prozessor. Diese Prozessorleistung sollte dann dafür beansprucht werden, dass die Effekte nochmal besser klingen als es momentan der Fall ist. Wobei beim Octatrack tatsächlich nur der Hall schlecht klingt. Auch wäre es krass, wenn der Time-Stretch-Algorithmus einfach nochmal besser wird. Es wäre richtig cool, wenn man eines Tages nicht mehr hört, dass Audio damit bearbeitet wurde.

Ich glaube auch, dass eines Tages ein Musiker nur noch denken muss. Irgendeine Software schneidet das dann mit und setzt es musikalisch um. Da die Software das natürlich nicht so gut kann, wird dann die Frage sein: Ist derjenige Musiker, der versteht wie der Algorithmus die Gedanken umsetzt, ein guter Musiker? Ich denke, dass das so schon kommen wird. Ich glaube aber auch, dass die Hände immer noch der entscheidende Faktor sind, sie sind irgendwie das Ding dazwischen. Deshalb ist es mir bspw. auch wichtig, dass ich hier eine Klaviatur vor mir habe.

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Für dein aktuelles Album “Alpe Lusia” hast du dich ja einen Monat in eine einsame Alpen-Hütte zurückgezogen. Provozierst du mit solchen Aktionen bewusst Umbrüche?

Stimming: Eigentlich habe ich einfach Bock auf solche Aktionen. Dass in Konsequenz daraus sich etwas an meinem Setup ändert, da sage ich nicht nein, denn dadurch werde ich natürlich auch nochmal reifer. Man lernt zum Beispiel, dass man, um wirklich gute Musik zu machen nur sehr wenig Equipment braucht, diese Sachen müssen dann aber schon sehr ausgewählt sein. Sie müssen dann auch wirklich verstanden sein oder wirklich außergewöhnlich gut für das stehen, was man machen möchte. Dann braucht man wirklich nicht viele Geräte. Gute Wandler, vielleicht zwei Synthesizer. Wenn man Bock auf Plug-Ins hat, dann umso besser, dann spart man sich die zwei Synthesizer. Und die Wandler.

Wovor bist du noch nervös?

Stimming: Ich hatte beim Umstieg von Ableton auf mein jetziges Live-Set große Angst, da ich das damals groß angekündigt habe. Da habe ich befürchtet, dass ich mich jetzt voll aus dem Fenster gelehnt habe und dann plötzlich diesen Octatrack nicht verstehe. Das war auch dann ein paar Monate ganz schön kritisch, hui. Ich habe mich dabei selbst unter Druck gesetzt, es hätte ja auch schief gehen können. Auch bin ich vor jedem Gig nach wie vor sehr nervös, das gehört aber einfach dazu und ist auch cool.

Wird dein Liveset im Club wahr- und angenommen?

Stimming: Wir sind hier im Nachtleben-Dance-Bereich, der hat diese Eigenart näher an der Gastro zu sein, als zum Beispiel ein Rockkonzert. Ich spreche in diesen Rahmen aber schon eher die Leute an, die so ein ganz bisschen über das nachdenken und auch raffen, was da auf der Bühne passiert. Das wird auch honoriert, Sätze wie „Oh krass, du hast ja überhaupt keinen Rechner und was ist denn das für ein Sequencer”, die höre ich schon häufig. Das hängt aber auch von der Uhrzeit und von der Menge an Substanzen ab, die die Leute schon im Kopf haben. Ich spiele aber auch früher am Abend, zwar immer noch so bis drei Uhr, aber eben nicht bis morgens um acht. Zu so einer Uhrzeit versteht dann wirklich niemand mehr etwas.

Wie beginnst du einen neuen Track?

Stimming: Da entwickle ich mittlerweile eher eine Idee am Klavier, ganz klassisch drei Akkorde, die mir gefallen. Dann kommt die Bassdrum ins Spiel. Ein Klavier ist eigentlich schon ziemlich geil, weil dort Töne so unmittelbar herauskommen.

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Dein Album Alpe Lusia beinhaltet einige Field-Recordings, nutzt du solche persönlichen und sehr individuellen Aufnahmen um deinen Stücken eine Message mitzugeben?

Stimming: Ich benutze Recordings nicht der Geschichte wegen. Ich nehme eher etwas auf und gucke dann, ob es vom Sound her passt. Man kann Messages in Tracks per Fieldrecording platzieren, muss man aber nicht. Ich finde, Musik zu machen, ist schon subversiv genug. Ich hatte ein Stück auf dem aktuellen Album, in dem ich eine sehr harte politische Message unterbringen wollte, ähnlich dem Track “Die Mächtigen” vom letzten Album (Stimming). Der hatte einen brachialen Text, hatte aber 114 BPM und konnte deshalb nicht gespielt werden. Ich dachte dieses Mal, dass ich das auch mache, hatte dann aber mit Isolée eine gute Diskussion darüber, ob das wirklich sein muss, ob man so eine Brachial-Punk-wir-wollen-die-Welt-verändern-Ästhetik braucht. Oder ob nicht das was wir tun an sich schon weltveränderisch genug ist.
Musikmachen geschieht ja aus Freiheit und einem gewissen Nichtsnutz heraus und bringt niemandem so wirklich etwas. Ich tue der Gesamtgesellschaft damit nicht so einen riesigen Gefallen, außer denjenigen denen Kunst wichtig ist. Das ist so etwas komisch kleines, was man gar nicht messen kann, und was auch nicht gemessen werden soll, weswegen ich Facebook bspw. auch so für diese Likes hasse. Sie kommen plötzlich bei so einem Thema wie Kunst mit Messungen an, das hat da doch überhaupt nichts verloren. Ist nicht das Beschäftigen mit etwas vermeintlich Unsinnigen, und dem dann trotzdem einen Sinn abzuringen nicht das subversive daran? Ich muss mich auch nicht hinstellen und sagen dass die Welt schlecht ist, um das zu wissen, müssen wir nur einmal Spiegel Online aufmachen.

Was ist denn deine Motivation zu Musizieren?

Stimming: Mir geht der Mainstream, der sich natürlich ums reine Geldverdienen dreht, gegen den Strich. Es gibt schon wirklich viele Musik, da geht es einfach nur darum damit viel Geld zu machen. Klar müssen wir auch alle unsere Miete zahlen, aber ich mache die Musik nicht um jetzt reich zu werden, sondern einfach um sie zu machen. Dass der Nebeneffekt davon ist, dass ich damit so ein bisschen erfolgreich bin, dass mich Leute kennen, dass es Leute schätzen. Das ist viel mehr als ich jemals mir hätte erträumen lassen. Vor allem auch, dass ich mir diesen ganzen geilen Equipment-Scheiß leisten kann. Aber auch das ist nicht die Motivation. Die Motivation ist das Machen an sich, das ist das Allerwichtigste. Das ist das, was mich wirklich befriedigt. Ein neuer Synthesizer ist zwar schön, aber der steht auch erstmal zwei Monate in der Ecke, bevor ich mich da irgendwie rantraue.

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Wie sieht dein Arbeitspensum aus?

Stimming: Musikmachen ist ein Fulltime-Job, ich kann aber nicht genau sagen wie genau das bei mir aussieht. Momentan mit meiner Album-Release-Tour spiele ich halt viel, ich brauche danach dann ein paar Tage, um mein Hirn wieder klar zu kriegen. Da ich ziemlich abstinent lebe, geht das auch relativ schnell, man ist aber trotzdem erstmal völlig Balla-Balla wenn man fünf Tage hintereinander spielt. Wie jetzt letztes Wochenende, das Hirn wird dann zu… Käse. Man rafft überhaupt nichts mehr, man weiß nicht mehr wo man ist und es rauscht alles so vorbei. Um das wieder in die Mitte zu kriegen, da brauche ich relativ viel Zeit in der ich keine Musik machen kann, das kostet zu viel Energie.
Ganz wichtig: Musikmachen an sich, und auch sich mit Equipment auseinandersetzen, kostet Energie. Das kann man nicht lange am Stück machen. Nach einer Stunde oder so ist es völlig normal, dass man sich völlig ausgelaugt fühlt, obwohl man da eigentlich nur mit den Geräten saß. Das ist nicht komisch sondern ganz normal. Es ist zwar keine körperliche Betätigung, diese Kopfarbeit darf man aber auf keinen Fall unterschätzen und sich dabei auch nicht unter Druck setzen. Ich brauchte Jahre bis ich das gerafft habe. Was hilft? Nüsse. Nüsse und viel Trinken.

Verspürst du denn Druck bei deinen Produktionen?

Stimming: Nö, nicht bei der eigenen Musik. Vor Gigs und Auftritten verspüre ich Druck, denn da geht es auch um Geld. Da heißt es, dass ich abliefern muss, denn man zahlt mir einen Betrag, damit ich die Leute gut unterhalte. Das ist vielleicht auch ein Grund, das bewusst ein bisschen klein zu halten und nicht sukzessive werden zu lassen, der Druck wird einfach auch immer größer. Wenn dich jemand für 5000 Leute bucht, und die 10 € Eintritt zahlen, hat der Veranstalter 50.000 €, davon muss er dir, wenn du der Hauptact bist, ein Drittel geben. Und wenn dir jemand für einen Auftritt so viel Geld zahlt, was das ein Druck ist, das weiß ich noch nicht, ob ich da so Bock drauf habe. 

Was sind deine Pläne für die Zukunft?

Stimming: Mein Live-Set. Das werde ich jetzt perfektionieren, soweit es geht. Das Schöne ist ja, dass ich da so offen bin, ich kann das was ich hier spiele ewig machen. Da gibt es lebenslange Möglichkeiten.

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