Vector heißt das mittlerweile fünfte Studioalbum der aus London stammenden Progressive-Metal-Band Haken, das im Oktober letzten Jahres das Licht der Welt erblickte. Produziert wurde das neueste Werk von Adam “Nolly” Getgood, der bis 2017 auch den Bass bei Periphery bediente, inzwischen aber verstärkt als Musikproduzent in Erscheinung tritt. In bester Prog-Manier bietet Vector eine Menge vertrackter Grooves kombiniert mit harten Gitarrenriffs.
Aktuell ist Haken auf Tournee quer durch Europa. Das stetige Touren und Aufnehmen zahlt sich offensichtlich aus. So gelten die Briten inzwischen als ein echtes Schwergewicht in der Prog-Szene. Wir trafen Charles Griffiths und Richard Henshall zum Gear-Chat vor der Show im Columbia Theater in Berlin, um etwas mehr über die Arbeitsweise der beiden Gitarristen zu erfahren.
Interview
Erst einmal herzlichen Glückwunsch zum neuen Album. Im Vergleich zu den Vorgängern ist “Vector” das kürzeste Album eurer bisherigen Schaffensphase geworden. Wie lief der Produktionsprozess beim neuen Album ab? Habt ihr diesmal etwas anders gemacht oder Lust gehabt, Dinge im Arbeitsprozess umzustellen?
Charles Griffiths: Was den Arbeitsprozess angeht, sind wir eigentlich wie immer vorgegangen. Es gab eine Schreib- und Demo-Phase, an der alle Bandmitglieder beteiligt waren. Da wir etwas weiter voneinander entfernt wohnen, arbeiten wir viel über das Internet und schicken uns gegenseitig Audiofiles per Email zu.
Klassisches Home-Recording, also.
CG: Ja, genau. Alle unsere bisherigen Alben sind eigentlich zu Hause entstanden. In ein richtiges Studio gehen wir nur, um das Schlagzeug und den Gesang aufzunehmen. Alle anderen Spuren nehmen wir eigentlich daheim auf. Dabei arbeiten alle Mitglieder mit Logic. Die aufgenommen Gitarren reampen wir dann später.
In der Vergangenheit lief der Reamping Prozess auch über die “Remote-Schiene”. Für die ersten beiden Alben saß unser Mixing Engineer in Deutschland, bei den nächsten beiden Alben kam der Engineer wiederum aus Schweden. Für “Vector” haben wir mit Adam “Nolly” Getgood zusammengearbeitet, der bei uns in England lebt. Also konnten Rich und ich zu ihm gehen und die Gitarren reampen. Die Arbeit gestaltete sich dabei natürlich viel persönlicher. Wir konnten so konkreter formulieren, welchen Gitarrensound wir uns vorstellen.
Was hattet ihr da für einen Sound im Hinterkopf?
CG: Wir wollten einen modernen und sehr präsenten Sound, der heavy und tight ist. Adam hat eine große Auswahl an Amps in seinem Studio. Ich glaube, zehn verschiedene Modelle, von Peavey über Diezel bis hin zu gemoddeten Marshall-Heads, also alles, was man sich in puncto Metal-Amps wünscht. Wir haben dann das neue Instrumental “Nil by Mouth”, das wahrscheinlich den härtesten Song darstellt, den wir jemals geschrieben haben, als Vorlage genommen, und die Gitarren durch jeden verfügbaren Amp geschickt. Anschließend haben wir die Gitarren im Mix im Blindvergleich abgehört, um uns nicht durch etwaige Vorurteile beeinflussen zu lassen.
Für dich ausgesucht
Interessant. Hat sich nach diesem Prozess ein “Main-Amp” herauskristallisiert?
CG: Die Wahl fiel auf einen Peavey 5150 in der “Block Letter”-Version. Der Sound erinnerte uns an die Band Carcass und ihr Album “Heartwork”, das ich in den 90er Jahren sehr viel gehört habe und sehr mag. Was für ein unglaublicher Metalsound! Ehrlich gesagt habe ich mir auch die ganze Zeit vorgestellt, dass mein Klangideal vom Peavey 5150 bedient werden würde.
Hast Du Dich auch für den 5150 entschieden, Richard?
Richard Henshall: Ja, für den ganzen Heavy-Kram wurden meine Signale auch durch den 5150 geschickt.
Aber es gibt noch eine Menge anderer Gitarrensounds auf der Platte, die wir daheim in unseren Studios mit dem AXE FX realisiert haben. Live nutzen wir ja beide das AXE 8 Pedal, das einfach sehr transportabel ist und in ein Laptop-Case passt. Daheim haben wir aber auch AXE FX Studio-Rack-Modelle.
Für die Ambient-Gitarrensounds, die Cleansounds und auch die Crunch-Gitarren sind wir ebenfalls durch das AXE FX gegangen.
Ich hab am Ende von “Nil by Mouth” wirklich schöne, Reverb-lastige Ambient-Gitarren gehört.
RH: Ja, für diese Sounds habe ich damit experimentiert, die Effekte vor den Amps im Signalweg des AXE FX zu platzieren. Dabei habe ich große Hallräume verwendet. Das Resultat sind sehr coole Ambient-Gitarren, die in Richtung Radiohead tendieren.
In diesem Zusammenhang haben mir auch sehr gut die Flügelhorn-Sounds gefallen.
RH: Das ist ein Studienfreund unseres Drummers Ray. Ray hat Tuba an der Guild Hall School in London studiert. Ich glaube, sie haben auch mal zusammen in einer Band gespielt.
Er spielt wirklich toll!
RH: Oh ja, ich denke, er hat diesen Song-Abschnitten wirklich Leben eingehaucht.
Habt ihr eigentlich sonst noch irgendwelche zusätzlichen Effektpedale auf den Aufnahmen benutzt?
CG: Mal einen Tubescreamer vor dem Peavey. Aber mehr auch nicht …
RH: … mit dem AXE FX II kann man eigentlich alles kreieren, die Möglichkeiten sind da fast unendlich. Eigentlich wollte ich immer mal in ein richtiges Pedalboard investieren, aber live hat sich dann die Möglichkeit, mit dem AXE 8 zu arbeiten, als sehr praktikabel erwiesen, da unsere Sounds sofort abrufbar sind.
CG: Ich arbeite eigentlich meist mit einem sehr trockenen Sound. Für die harten Gitarrenparts kommt bei mir normalerweise kein Reverb zum Einsatz …
RH: … vielleicht ein bisschen Chorus …
CG: … ja, wenn es um Cleansounds geht, dann ein wenig Chorus und Delay. Ansonsten halte ich es aber simpel. Da passiert genug, wie haben ja auch noch einen Keyboarder in der Band, der ja auch eine Menge Sound-Design veranstaltet.
Wie sieht’s bei euch in puncto Gitarren aus?
CG: Ich spiele ausschließlich meine 8-saitige Kiesel.
Bei euch geht’s ja wirklich einfach zu …
RH: …(lacht) ja, ich spiele meine Strandberg Boden Guitar, die ich auch schon auf den letzten drei Alben eingesetzt habe.
CG: Wir versuchen, auf den Aufnahmen klanglich auch schon in etwa so zu arbeiten, als stünden wir auf der Bühne. Die Gitarren sind beispielsweise auf der Platte genauso gepannt, wie du uns live erlebst. Der linke Kanal ist dabei mein Part und der rechte Kanal ist Richards Part.
RH: Ich glaube, das machen wir wirklich schon seit dem ersten Album so. Wir versuchen eigentlich, einen “Crimsonesken” Sound zu kreieren, bei dem die Gitarren jeweils einen rhythmischen Part übernehmen. Zusammen entsteht dann dieser coole Sound.
CG: Wir wollen einfach beide Gitarren in der Band effektiv nutzen. Oft fragen wir uns: “Was würde wohl King Crimson tun?”
Ich würde gern etwas mehr über den rhythmischen Ansatz eurer Songs erfahren. Ungerade Takte, Akzentverschiebungen und polyrhythmische Konzepte spielen da ja eine wichtige Rolle. Für mich klingt das auf euren Aufnahmen alles sehr natürlich und organisch. Wie läuft das beim Schreiben ab? Entstehen solche Riffs ganz natürlich im kreativen Prozess oder gibt es auch den “mathematischen” Ansatz, beispielsweise ein einfaches 4/4 Riff abzuändern, um es in verschiedenen ungeraden Versionen auszuprobieren?
CG: Nein, eher gar nicht. Ich hab mich in der Vergangenheit sehr intensiv mit ungeraden Takten auseinandergesetzt. Irgendwann bist du dann an einem Punkt, wo es sich sehr natürlich anfühlt, auch ungerades Zeug zu spielen. Wenn es dann also ans Songwriting geht, denke ich über solche Parameter gar nicht mehr nach. Ich meine, am Ende ist da einfach nur der Downbeat und du kannst alle Akzente spielen, die Du in dem Moment fühlst. (Charles klopft mit seinem Fuß und spielt verschiedene Akzente mit der Hand auf seinem Oberschenkel)
RH: Charlie und ich leben nur zehn Minuten voneinander entfernt. Daher haben wir uns, wie auch bei anderen Alben, zum Jammen getroffen. Ray kam dann auch vorbei und so haben wir auch zu dritt an den Ideen gearbeitet, die beim Jammen auf ganz natürliche Weise entstanden sind. Wenn man manche Drumparts herunterbrechen würde, wären sie auch in der Gesamtstruktur eher simpel, nur die Gitarren sind eben sehr synkopiert. Bands wie Gentle Giant oder, wie schon erwähnt, King Crimson haben da einen großen Einfluss auf uns gehabt.
Manche Parts sind dann aber später in den Proben wahrscheinlich doch recht arbeitsintensiv, oder?
RH: Ja, manchmal schon. Wir schreiben ja viel online und schicken uns das Material immer wieder hin und her. Es ist dann schon spannend, die fertigen Ideen mit in den Probenraum zu nehmen, um sie zum ersten Mal richtig live zu hören.
Und auf den Demos arbeitet ihr zunächst mit programmierten Drums?
RH: Genau. Da gibt’s ja jetzt wirklich schon tolle Drumsamples. Der Kollege, der unser Album gemischt hat, benutzt GetGood Drums. Das klingt wirklich gut.
Wie lange habt ihr am Album gearbeitet?
RH: Oh, dieses Mal ging es bedeutend schneller. Vom Beginn der Songwriting-Phase bis zu dem Moment, an dem wir das Master hatten, hat es gerade einmal fünf Monate gedauert. Ich glaube, so schnell waren wir noch nie. Wir waren alle sehr dabei und haben versucht, das Projekt so hart zu pushen wie nur möglich.
CG: Es sind auch noch Ideen aus den Sessions übrig geblieben, an denen wir später noch arbeiten können.
Das heißt, auf dem nächsten Album könnte auch noch Material der letzten Sessions landen?
RH: Ja, das könnte sein. Wir versuchen auf jeden Fall, auch dieses Jahr effektiv zu nutzen, um weitere Songs für ein neues Album zu schreiben.