Praxis
Die AJ bietet eine saubere Intonation auf der ganzen Länge, auch wenn die Stegeinlage noch keine „Nase“ für die B-Saite zeigt. Der Abstand zwischen Saite und Bundkrone beträgt 2 mm am Sattel und 5 mm am 12. Bund. Drückt man die dicke E-Saite im ersten und zwanzigsten Bund gleichzeitig hinunter, bleibt gerade noch ein kleiner Luftraum zwischen der Bundkrone und der E-Saite, der der Höheneinheit einer Briefmarke entspricht. Trotzdem kann man dem Instrument auf der ganzen Länge einen schnarrfreien Klang entlocken.
Dank einer guten Saitenlage lässt sich auch der Raum in den oberen Lagen problemlos ausnutzen. Der Single-Line Spieler sollte sich jedoch mit artistischen Einlagen vornehm zurücknehalten. Bendings und Vibratos fühlen sich bisweilen kratzig an. Katapultiert ins 21. Jahrhundert, möchte die AJ mit modernen filigranen Techniken nicht überfordert werden. Aber wer sollte es ihr auch übelnehmen? Ihre kongenialen Zeitgenossen mussten das Single-Line-Spiel nämlich erst entwickeln. Kurzum, die AJ ist nicht die erste Wahl für den Single-Line-Spieler. Mit der Werksbespannung (12er Satz) kommt die Gitarre ohnehin mehr dem Picker und dem Strummer entgegen und die dickeren Saiten machen dabei den „Kohl“ erst richtig fett.
Obwohl der Korpus der AJ ein ähnlich großes Volumen einbringt wie die HD-28, bietet unsere Rundschulter nicht den Schub im Bass, den man bei einer Dreadnought vorfindet. Über fehlende Bassfrequenzen braucht man sich aber trotzdem nicht zu beklagen. Ein direkter Vergleich zwischen Eck- und Rundschulter zeigt, dass die HD-28 von Martin generell durch eine hervorragende Transparenz, eine druckvolle Wiedergabe im Bass und ein langes Sustain besticht, während unsere Rundschulter mit einem glockigen Ton mit seidig-schimmernden Höhenanteilen und knackigen trockenen Bässen sowie einer klaren Ausgewogenheit in allen Frequenzen punktet.
Die folgenden Aufnahmen wurden mit zwei Neumann Mikrofonen gemacht (TLM 103). Der Abstand zum Schallloch betrug ca. 1,50 bis 2,00 Meter in einer Höhe von ca. 1,50 – 2,00 m. Der Kompressor wurde sehr diskret (nur zum Spitzenschneiden) eingesetzt. Nur der dynamische gespielte Morone-Blues (Beispiel 1) verlangte „aggressivere“ Komprimierung. Beim Abmischen mussten die Bässe abgesenkt werden.
Und hier ist sie, unsere Gibson Advanced Jumbo VS2: Der Fingerstyle Blues im „Morone“-Stil ist ihr auf den Korpus geschrieben.
Auch auf hohem Niveau kann man zusammen mit der AJ Solospielstücke zelebrieren und auch filigrane Techniker können sich mit ihr anfreunden. Hier eine kleine Sequenz mit Flamenco-Koloratur.
Die AJ bietet einen schönen transparenten Sound, der Lust darauf macht, mehr zu erfahren. Deshalb hier noch ein Ausflug in die Popmusik, der sie ebenfalls aufgeschlossen gegenübersteht. Die Begleitung habe ich mit dem Handballen gemutet (palm mute). Hier bringt die AJ ihren schönen Glockenklang rüber.
Auch getragene Solospielstücke kommen eben … schön getragen.
Für dich ausgesucht
Energetische Rhythmen überfordern die AJ nicht. Die Sitkafichtendecke kommt auch mit einem harten Plektrumanschlag ausgesprochen gut klar. Selbstverständlich bleiben die Saiten auch bei harten Anschlägen in den Kerben und schnarren nicht.