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Gitarrenübungen für den Alltag – ohne Gitarre!

Gitarre üben ohne Gitarre? Jeder Musiker kennt das Problem: Man möchte gerne üben und hätte auch die Zeit dazu, aber die Umstände erlauben es nicht, weil man entweder in Zug, Bus oder Flugzeug sitzt, im Wartezimmer auf den Termin hofft, niemanden stören will oder schlichtweg sein Instrument nicht zur Hand hat. Häufig ärgert man sich über die verschwendete Zeit, die man offensichtlich nicht effektiv nutzen kann, doch dem ist bei weitem nicht so. Es gibt für jeden Musiker unzählige Übungen aus diversen Themengebieten, die man sehr gut auch gänzlich ohne Instrument durchexerzieren kann und dazu möchte ich euch ein paar Tipps an die Hand geben.

(Bild: © shutterstock / Von: Ollyy)
(Bild: © shutterstock / Von: Ollyy)

Zu Beginn erstmal ein kleiner Exkurs zum Thema “mentales Üben”:
Unter mentalem Üben versteht man im Prinzip das Visualisieren des Übens bzw. “Performens” ausschließlich in Gedanken. Das heißt, ich stelle mir vor, wie ich eine bestimmte Übung spiele, allerdings auch die klingenden Töne, die Bewegungen, die von linker und rechter Hand ausgeführt werden und auch das Gefühl, das in den Händen und im ganzen Körper dabei entstehen würde. Je vollständiger das Bild in der Vorstellung wird, desto effektiver die Übung.
Auch wenn das Ganze ein wenig esoterisch klingt, so gibt es doch, primär im Sport, aber auch in der Musik sehr umfangreiche Analysen und Fallstudien zu diesem Thema. Untersuchungen mit vier Probandengruppen, die eine Etüde gleich häufig, aber entweder nur am Instrument, instrumental und mental, nur mental und schließlich auch noch überhaupt nicht übten, ergaben, dass die Gruppe mit dem kombinierten Ansatz den größten Fortschritt erzielte. Eine weitere Untersuchung zeigte, dass eine Gruppe, die zwei Stunden am Tag eine Fingersequenz rein mental an einem imaginären Klavier übte, die gleichen neurologischen Veränderungen und Fehlerreduktion aufzeigte wie die Gruppe am Echt-Klavier. Das führt zwangsläufig zu der Vermutung, dass mentales Üben die gleichen Hirnregionen aktiviert wie das Üben am Instrument und damit tatsächlich einen signifikanten Unterschied ausmachen kann.
Vielleicht kennt ihr sogar den Effekt, wenn ihr an einem Tag intensiv geübt habt und die ersten paar Minuten vor dem Einschlafen kreisen um die Übungen, die ihr nochmal vor dem geistigen Auge ablaufen lasst? Im Prinzip übt und verarbeitet ihr hier bereits mental!
Am Anfang wird euch das mentale Üben viel Konzentration abverlangen und es kann etwas dauern, bis ihr die innere Ruhe dazu findet, doch grundsätzlich könnt ihr alles, was ihr mit Instrument übt, auch ohne exerzieren. Hier findet ihr ein paar Übungen, die sich sehr gut mental umsetzen lassen.

1. Skalen- und Griffbilder visualisieren

Da die Gitarre ein sehr optisches Instrument ist, kann man natürlich sehr gut Tonleiter- und Akkorddiagramme visualisieren. Nehmt euch z.B. eine bestimmte Tonleiter und spielt diese mental durch alle Pattern. Versucht dabei, die Töne, wenn auch nicht absolut, aber doch zumindest relativ zu hören. Das heißt, die korrekte Tonart spielt keine Rolle, aber die Intervalle sollten stimmen.
Auch Akkordbilder und deren Umkehrungen kann man sich hervorragend ohne Gitarre auf dem Griffbrett vorstellen. Nehmt euch alle möglichen Drei-, Vierklänge oder Jazzakkorde und spielt diese imaginär in allen Lagen oder Tonarten!

2. Skalensequenzen

Auch technische Übungen wie Skalensequenzen in Vierer- und Dreiergruppen, Terzen oder Quarten usw. lassen sich sehr gut mental üben. Auch wenn diese Übung etwas schwieriger ist als die erste, so hilft sie doch, statische Griffbilder aufzubrechen und ihr könnt euch beim Gedankentraining ja ohnehin alle Zeit der Welt lassen.

3. Komplexe Stücke bzw. Passagen lernen

Letztendlich zeigt die Tatsache, ob ich ein Stück oder eine schwierige Passage auch ohne Instrument nur im Kopf durchspielen kann, ob ich es wirklich beherrsche oder nur im motorischen Gedächtnis habe. Das ist durchaus sinnvoll, denn in einer Drucksituation kann es sehr gut vorkommen, dass uns das motorische Gedächtnis um die Ohren fliegt und man sich wundert, warum Dinge, die zu Hause noch geklappt haben, auf einmal in die Hose gehen. Erst wenn ich das Spielen jeder einzelnen Note langsam visualisieren kann, darf ich mit Sicherheit davon ausgehen, die Passage “durchdrungen” und auch live Zugriff darauf zu haben.

4. Motorische Abläufe

Nicht nur Skalenbilder, auch rein technische und motorische Abläufe und “Speed”-Übungen, die sowohl die Pick/Zupfhand als auch die Greifhand betreffen, kann man in das mentale Übeprogramm aufnehmen.
Der Forscher Guang Yue (Cleveland Clinic Foundation in Ohio) fand laut Interview im “New Scientist” in Untersuchungen bei Sportlern heraus, dass alleine durch Mentaltraining das Muskelwachstum angeregt werden kann. In seiner Fallstudie zeigten die Probanden bereits nach vierzehn Tagen einen Zuwachs der Muskelmasse um 13,5% gegenüber der nicht-übenden Gruppe. “Das legt nahe, dass man die Muskelstärke auch erhöhen kann, indem man bloß vom Gehirn ein stärkeres Signal an die motorischen Neuronen übermittelt”, so Guang Yue.

5. Gehörbildung – Intervalle und Rhythmen

Alles rund um das Thema Gehörbildung benötigt nicht zwangsläufig ein Instrument und manchmal nicht einmal einen Stift oder Zettel! Stellt euch einfach eure Lieblingssongs oder einfache Kindermelodien vor! Wie würdet ihr diese notieren?
Welche Rhythmik hat das Gitarrenriff, welches ihr gerade hört? Auf welchem Intervall, bezogen auf den Grundton, beginnt die Gesangsmelodie des Stückes?

6. Aktives Musikhören

Ein Musikstück kann und sollte man natürlich primär aus reiner Konsumentenperspektive hören und bloß nicht dazu übergehen, immer alles überanalysieren zu müssen. Dennoch gehört es zum Musikerdasein dazu, auch die Fähigkeit des analytischen Hörens zu kultivieren, denn dadurch lernt man sehr viel, und das auch noch am Beispiel der großen Vorbilder.
Hört euch Songs an, die für euch etwas Besonderes sind oder euch einfach nur gut gefallen und stellt euch die Fragen: Welche Taktart hat das Stück? Wie ist die Form (Intro, Refrain, Strophe, Bridge …)? Wie viele Takte hat jeder Formteil? Moduliert das Stück? Bin ich in Dur oder Moll?

7. Musikvideos anschauen

Musiker benötigen natürlich auch Inspiration durch andere Kollegen, und wenn wir mal ehrlich sind: Zuhause nimmt man sich selten die Zeit, mal einen kompletten Konzertmitschnitt von vorne bis hinten anzuschauen. Im Zug oder Flugzeug hat man jedoch alle Zeit dazu und dank Kopfhörern stört uns niemand dabei. Bedenkt immer: Kultur findet nicht im Vakuum statt und sich gegenseitig mit Ideen und Anregungen zu befruchten ist mindesten genauso wichtig wie das Üben des Instruments!
In diesem Sinne wünsche ich Euch gutes Gelingen!

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(Bild: © shutterstock / Von: Ollyy)

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