PRAXIS
Zur Bezeichnung des Golden Age Projects muss ich einfach eine kleine Assoziation loswerden, die ich sofort hatte, als ich das erste Mal von dem Vorgänger, dem Pre-73 Version 1 gehört habe. “Pre-Fuse 73” ist nämlich das A.K.A. von Progressive-Hip-Hopper Guillermo Scott Herren aus Atlanta, seine Platte “Vocal Studies and Uprock Narratives” von 2001 sei hier mal besonders empfohlen. So, das wäre erledigt, weiter zum eigentlichen Test:
Zunächst wäre da die Bedienung, die man getrost als “odd” bezeichnen kann – so ist das bei Neve-Style und so muss es auch sein. Angenehm ist, dass mit Version zwei auch ein Gainregler im standesgemäßen Design Einzug gefunden hat. Neve-Feeling für so wenig Geld bekommt man sonst nirgendwo. Und generell hat man nicht das Gefühl, dass hier zu viel gespart wurde, die Regler schalten satt und auch das Gehäuse passt ins Bild. Der Pre-73 ist wirklich kein “Billo”-Nachbau, allerdings muss man sich mit dem etwas gewöhnungsbedürftigen Design arrangieren. Mit dem winzigen runden Netzstecker der externen PSU kann man nicht sonderlich glücklich sein, doch wer sich wirklich darüber aufregt, kann als Mantra zur Beruhigung schlicht und einfach ein paarmal hintereinander den Preis des Geräts aufsagen – damit sollte das Thema dann im Grunde erledigt sein.
Die ersten Versuche habe ich mit meinem eigenen Gesang gemacht, bevor die Sängerin für die Audiofiles das Studio betrat – schließlich will ich das Gerät ja schon kennengelernt haben, bevor ich damit präsentables Material für euch erstelle. Es wird in der ersten Minute klar, dass sich dieser Vorverstärker deutlich über dem positioniert, was in die meisten Audio-Interfaces eingebaut ist. Das ist natürlich keine Überraschung. Ebenfalls eindeutig ist, dass er sich von den meisten Kleinformat-Pres abhebt. Wieso gibt es den 73 eigentlich nicht im API-500-Format? Damit hätte sich ja dann auch die Netzteilproblematik gelöst. Könnte der Preis von 300 Euro gehalten werden, sähe sich der kleine rote Klon kaum Konkurrenz ausgesetzt. Doch was charakterisiert den Vorverstärker des Goldenen Zeitalters eigentlich, und wichtiger, wie nah ist er am Vorbild aus Cool Britannia?
Besonders bei Vocals – dem traditionellen Hauptaufgabengebiet eines 1073ers – ist zu bemerken, dass auch der Pre-73 MKII dem Signal eine angenehme Präsenz verschafft. Diese Deutlichkeit bringt das Signal nach vorne. Gepaart mit der leichten Verdichtung, die er generiert, und der sanften Bildung von Harmonischen, die beide auffallend früh einsetzen, ergibt sich ein Klang, wie man ihn in vielen “U-Musik”-Produktionen haben will und woher man ihn auch kennt. Logisch: Wer Klarheit, Authentizität und Nüchternheit sucht, der liest gerade den falschen Testbericht. Wie beim Original sind die Präsenzen jedoch nicht hart, sondern (ein beherzter Griff in die Kiste klangbeschreibender Adjektive) “schmeichelnd”.
Der Neve-Geist umwabert das Gerät also spürbar. Allerdings fehlen dem Spuk zur Vollendung recht deutlich einige Attribute des Originals: Diese zartschmelzende Seidigkeit, das verhaltene Samtvorhang-Halbmatt-Glimmen oder das edle Finish in den Höhen kann ich nicht ausmachen. Sicher, ich kann es mir hinzudenken, weil es den Neve-Sound in seiner Gesamtheit ausmacht und er von vielen Produktionen bekannt ist, doch wirklich hören kann ich das hier nicht. Die leichte Kolorierung der Höhen im Audiobeispiel ist im Wesentlichen auf das FET-Mikrofon zurückzuführen. Besonders deutlich werden diese Zusammenhänge bei den Becken, denn diese klingen mit dem Pre-73 etwas lebloser und liebloser, als es mit einem echten 1073 oder auch einigen anderen High-Class-Pres möglich wäre. Man sollte aber nicht nur die Kirche, sondern bitte auch Rathaus und Bibliothek im Dorf lassen. Wenn ich euch hier erzählen wollte, dass ein so preiswertes Gerät locker in der absoluten Champions League mitspielen kann, würdet ihr mir als kritische Leser ohnehin nicht glauben. Also: Der GA ist hervorragend, wenn man seine Preisklasse bedenkt.
Mit verschiedenen Großmembran-Kondensern verträgt er sich blendend, besonders wenn in den Höhen ganz leicht belegte und färbende Mikrofone genutzt werden, wie in den Beispielen. Überpräsente Mikros wie ein Equitek E200 mkI waren in Kombination zu viel des Guten. Die enormen Gainreserven übrigens sind nicht nur technisch vorhanden, sondern wirklich auch nutzbar, da das Rauschverhalten des 73 absolut vorbildlich ist. Es ist daher auch davon auszugehen, dass – gerade wegen der Höhen – hochwertige Bändchen à la Royer, Coles oder AEA sehr gut mit ihm harmonieren. Das kann man von Kleinmembranern nicht behaupten. Aber auch original Neve und übliche Kleinmembraner sind für mich wie Öl und Wasser. Guten Tauchspulenmikrofonen tut eine Verstärkung mit dem Golden Age Project allerdings wirklich gut, wenn man die Mitten etwas im Auge behält und bei Bedarf mit einer kleinen EQ-Badewanne versieht. Was sich übrigens lohnt, ist ein wenig Färbung durch Line-Signale zu erhalten oder die Direct Injection zu verwenden. Vor allem Bässe profitieren von dieser Prozedur.
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Richtige Biester sind Neves auch dann nicht, wenn man sie komplett von der Leine lässt. Natürlich fängt auch der Pre-73 ordentlich an zu zerren, wenn man ihn heiß genug fährt, doch braucht es einen enormen Pegel, um fieses Kratzen zu produzieren. Ab einem gewissen Grad kippt er allerdings etwas zu sehr in die Höhen und verliert dabei an Fundament. Wirklich spitzenmäßig ist übrigens die Schaltbarkeit der Impedanz. Das ist ein echter Gewinn!
Florian Anwander sagt:
#1 - 16.11.2011 um 21:55 Uhr
Hallo,Danke für den Bericht. Das ist sicher nicht der Preamp den man sich als einziges Stück anschaffen sollte, aber wenn man mehrere Geräte zur Auswahl haben will, dann ist diese Kiste sicher interessant.Zum Theme externes Netzteil: externe Netzteile werden von Zulieferern eingekauft, die für diese Netzteile die sündteure EMV-Prüfung gemacht haben. Würde ein Kleinhersteller wie GA das Netzteil in sein Gerät einbauen, dann müsste er die gleiche technischen Prüfungen finanzieren und sie auf den Preis der entsprechend kleine Auflage umlegen. Ich nehme an, das Ding würde dann gleich mal 200 Euro mehr kosten.
Die Steckernetzteile hingegen werden in Millionenstückzahlen produziert; da fällt der Anteil der EMV-Prüfungskosten am Stückpreis kaum auf.Gruss, Florian Anwander
pimpifax sagt:
#2 - 28.12.2011 um 21:12 Uhr
Beim Vergleich mit dem Solidstate und dem Tube ist letzterer leider im Pegel unverhältnismäßig lauter, als die ersten beiden. Ansonsten fällt mir ebenso bei jenem eindeutig eine überbetonung der Zischlaute auf.
pimpifax sagt:
#3 - 28.12.2011 um 21:13 Uhr
...und selbstverständlich vielen Dank für den ausfürlichen, aufschlussreichen Testbericht. ;-)