Keine Frage: In der Gospelküche brodelt es im Moment am heißesten! Die Bassisten des sogenannten Contemporary Gospel bilden eine Art “neue Speerspitze”, welche die Grenzen unseres geliebten Instruments einmal mehr weiter nach vorne verschiebt. Namen wie Andrew Gouché, Fred Hammond, Sharay Reed, Jermaine Morgan, Daric Bennett, Alan Evans, Justin Raynes, Kaybass etc. sind aufgrund ihres unfassbar groovigen wie auch gleichzeitig virtuosen Spiels derzeit in aller Munde. Gerade auf den üblichen Social-Media-Kanälen kann man nahezu täglich neue Einblicke in die außergewöhnlichen Gospelchops der genannten Bassisten bekommen. Interessanterweise findet diese Grenzverschiebung nicht (wie bisher zumeist üblich) in einem Solokünstler-Kontext à la Victor Wooten statt, sondern für gewöhnlich in der Begleitband eines Gospelchores. Der Bass hat hier sowohl eine rhythmische wie auch eine besondere melodische Funktion inne. Höchste Zeit also, dass wir das Thema “Contemporary Gospel” und seine tieffrequenten Hauptdarsteller einmal näher betrachten.
Gospelchops: Der besondere Reiz an Gospel-Bassspiel
Bevor in den nächsten zwei Workshopfolgen näher auf die besonderen Stilmerkmale etc. eingehen, schauen wir uns heute einmal an, was die Sache eigentlich so interessant macht. Wenn man Contemporary Gospel als eigenen Stil betrachtet, so ist er quasi ein Schmelztiegel aus traditioneller christlicher Musik gepaart mit deutlichen Einflüssen aus dem Funk, Soul, Pop, Rock, Blues und Jazz – es ist also von allem etwas dabei!
Gleiches gilt für unterschiedliche Spieltechniken, die hier zum Einsatz kommen. Es kommt durchaus vor, dass während eines Songs mehrfach zwischen Fingerstyle, Palm Mute und Slapping hin- und hergewechselt gewechselt wird. Deutlich kann man hören, dass moderne Gospelbassisten nicht nur christliche Musik, sondern ebenso Einflüsse wie James Jamerson, Jaco Pastorius, Larry Graham, Rocco Prestia, Stanley Clarke, Victor Wooten, Marcus Miller etc. verinnerlicht haben.
Viele der wichtigsten Protagonisten haben Musik studiert und bringen daher zusätzlich einen entsprechend fundierten Background mit. Das mündet gerne mal in den harmonisch ausgecheckten und wieselflinken Basslicks, für die der moderne Gospel so bekannt ist.
Ein weiterer Aspekt ist, dass in Contemporary Gospel oft moderne 5- oder 6-Saiter verwendet werden, deren Frequenzumfang und klangliche Möglichkeiten inklusive aktiver Elektroniken voll ausgenutzt werden und den Sound dieses Stils prägen – eine wohltuende Erweiterung zu den bekannten Standardsounds. Insgesamt gibt es also eine Menge, was man sich auch als Nicht-Gospel-Bassist von dieser Entwicklung abschauen kann!
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Gospelchops: Entstehung des modernen Gospel-Bassspiels
Die Geburtsstunde des Contemporary Gospel liegt in den 50er- und 60er-Jahren, als sich jüngere Generationen nicht mehr in der traditionellen christlichen Musik wiederfanden und sich etwas mehr “Pep” wünschten. Das führte dazu, dass damals auflebende Rock-, Funk- und Soul-Einflüsse ins Spiel kamen.
Der entscheidende Aspekt ist aber sicherlich, dass das “Backbeat Feeling” Einzug hielt, welches sich durch den starken Puls von der Bassdrum auf den Zählzeiten 1 und 3 (Downbeat) und der Snare auf der 2 und 4 (Backbeat) auszeichnet. Dieser “treibende Motor” verhalf der Gospelmusik zu genau dem Schwung, den sich gerade jüngere Menschen wünschten.
Als wichtiger Meilenstein dieser Entwicklung wird vor allem Aretha Franklin mit ihrem Album “Amazing Grace” genannt, auf dem Soul- und Pop-Grooves mit christlichen Lyrics verschmolzen. Um die Moderne besser zu verstehen, schauen wir uns zunächst ein paar Grooves im Stile von “Amazing Grace” an, welche als Archetypen gelten und die Grundlage für den heutigen Gospel bilden. Zu jedem Beispiel gibt es eine Version ohne Bass für eigene Experimente.
Gospelchops: Gospel-Wechselbass trifft Achtelrock
In diesem Beispiel verschmelzen der gute alte Wechselbass (zumeist mit Grundton auf 1/Quinte auf 3) mit dem typischen Backbeat aus Uptempo-Rock- und Soulgrooves.
Gospelchops: Sonderform Shuffle-Rhythmik
Ein Walking Bass erhält durch eine Shuffle-Rhythmik, wie man sie im Blues und Rock häufig findet, deutlich mehr Zug und Druck:
Gospelchops: Shout Bass – totale Extase?
In einem “Shout Chorus” oder Shourt Vamp” tritt der Solist oder die Solistin in eine Art Frage-Antwort Spiel mit dem Chor. Darunter liegt zumeist ein Uptempo-Groove mit einer sehr schnellen Walking-Bass-Begleitung.
Das harmonische Gerüst besteht hingegen häufig nur aus einem oder oder zwei Akkorden (in der Regel die erste und die vierte Stufe). Mitunter gesellt sich auch noch ein Turnaround mit weiteren Stufen dazu, um wieder die nächste Runde einzuläuten, in der entweder die Intensität beibehalten oder eine weitere Steigerung angestrebt wird.
Meist ist das Tempo relativ flott und auf der 2 und 4 hört man die typischen Handclaps. Vor allem Vertreter wie Andrew Gouché sind bekannt für ihre ausgesprochen coolen Walking-Basslines, die je nach musikalischem Kontext entweder staccato oder legato interpretiert werden. Ich habe davon jeweils zwei Durchgänge aufgenommen, um die unterschiedliche Wirkung zu demonstrieren:
Gospelchops: 6/8 Ballad – ganz gefühlvoll
Um besonders viel Gefühl zu transportieren, ist eine Ballade im 6/8-Takt immer eine gute Wahl. Dies kann man vor allem in Soul hören – und natürlich macht sich auch der Gospel diesen Effekt gern zunutze:
Soweit erst einmal für heute! Im zweiten Teil dieser Bass-Workshopreihe widmen wir uns näher den Themen Sound, Spieltechniken und Grooves des heutigen Gospels. Teil 3 gehört dann ganz den atemberaubenden wieselflinken Licks und Fills der bedeutendsten Bassisten dieses Genres.
Bis dahin, euer Thomas Meinlschmidt