Praxis
Liest man die User-Kommentare zur Gitarre auf der Thomann-Website, dann scheint es wohl in der Serie ein gewisses Gefälle zu geben, was die Verarbeitung und werkseitige Einstellung anbetrifft. Aber bei meinem Testmodell kann ich in der Richtung nichts dramatisches feststellen. Natürlich darf man bei dieser Preisgestaltung nicht die handwerkliche Arbeit einer hochpreisigen Gretsch oder Gibson Custom Shop erwarten. So sind die Potiknöpfe bei unserer Testkandidatin etwas schief befestigt und laufen nicht ganz rund, was der Funktionalität aber keinen Abbruch tut, weil es nur ein optischer Makel ist. Das Tremolo zeigt sich stimmstabil, der Hebel lässt sich aber etwas schwerer zur Seite bewegen. Da sind die Original-Bigsby-Systeme auf meinen Gitarren leichtgängiger, wobei eines davon fast so viel kostet wie die komplette Big-Tone-Gitarre. Was die werkseitige Voreinstellung betrifft, ist alles in Ordnung, die Bünde sind für ein Instrument in dieser Preisklasse gut poliert und benötigen keine weitere Nachbehandlung für angenehme Bendings und Fingervibratos. Die Gitarre ist ab Werk mit einem 011-052 Satz bestückt und die Saitenlage ist etwas luftiger eingestellt, sodass bei härterer Betätigung der Saiten nichts schnarrt. Das Instrument hat natürlich aufgrund der Hollowbody-Bauweise schon einen lauteren Naturklang mit einem etwas brillanteren Ton und guter Ansprache.
Jetzt geht es an den Amp und für die Cleansounds steht ein Fender Twin zur Verfügung, der an ein Universal Audio OX angeschlossen ist, das die Cab-Simulation übernimmt. Auch für die weiteren Amps ist der OX im Einsatz, immer mit passenden Lautsprechertypen zum jeweiligen Amp.
Was die Ausgangsleistung anbelangt, liegen die Tonabnehmer eher im unteren Bereich von Humbucker Pickups, sind also keine Gain-Keulen. Der Steg-Pickup klingt etwas dünner und entwickelt mit dem Twin zusammen einen leicht glockigen Ton. Was hier allerdings schon beim Spielen auffällt, ist ihre schwache Klangübertragung. Da geht schon mal der eine oder andere Ton im Akkord unter, obwohl er ordentlich angeschlagen wurde. Das Spielgefühl ist in dieser Hinsicht nicht besonders gut.
Beim ersten Beispiel hört ihr alle drei Pickup-Kombinationen mit Akkord-Picking und im zweiten Beispiel ein Funk-Groove mit abwechselnd tiefen und hohen Saiten. Hier wird auch nochmal akustisch deutlich, dass die tiefen Saiten überhaupt keinen Punch haben, bei einer bestimmten Anschlagstärke macht der Tonabnehmer in den tiefen Frequenzen dicht. Für etwas dumpfer angelegte Cleansounds mit dem Hals-Pickup ist die Big Tone Trem wiederum recht zu gebrauchen (Bsp. 3)
Für dich ausgesucht
Wir kommen nun zu den etwas schmutzigeren Sounds und dort setzt sich diese Schwäche leider fort bzw. kommt noch mehr ans Tageslicht. Die Steuerung des Zerrgrades über den Anschlag an der Gitarre und über das Volume-Poti funktionieren, aber der Sound ist schon recht pappig und flach. Verglichen mit einer Gretsch Electromatic hat die Big Tone wesentlich weniger Höhen im Angebot, bei Amp und Overdrive-Pedalen musste ich die Höhen weit aufdrehen, um auf einen Ton mit einer entsprechenden Brillanz zu kommen, der sich auch im Mix oder Bandgefüge durchsetzen kann. Der typische und bissige Twang-Ton, den man zum Beispiel für einen kernigen Rockabilly-Sound benötig, fehlt hier leider auch. Ein weiteres Problem mit den Pickups ist das mikrofonische Verhalten, das beim Steg-Pickup extrem auffällt. Dämpft man die Saiten mit dem Handballen für Palm-Mute-Sounds ab, dann befindet sich die Anschlaghand naturgemäß in der Höhe des Steg-Pickups, was in der Regel auch einen knackigen Ton erzeugen sollte. Dabei kann es auch passieren, dass man mit dem Pick den Tonabnehmer berührt (mir zumindest passiert das …). Das Klackern, das ihr manchmal bei einigen Beispielen mit dem Steg-Pickup hören könnt, entsteht beim Berühren des Tonabnehmers mit dem Pick. Bei höheren Zerrgraden und Lautstärken fängt der Tonabnehmer an zu pfeifen – möchte man die Gitarre in Bühnenlautstärke spielen, ist auf jeden Fall ein zünftiges Wachsbad angesagt. Das leichte Pfeifen im letzten Beispiel ist der mikrofonische Steg-Pickup in gemäßigter Studiolautstärke. Solche Mängel gehören zu den Problemen, die Gitarren im niedrigen Preissegment unter Umständen haben, hier gibt es nicht unbedingt alles auf gleichem Niveau. Was die Basis der Gitarre anbelangt, vom Holz angefangen über die Machart bis zur generellen Einstellung ist alles brauchbar. Wer sich eher im unverzerrten Bereich bewegt und nicht in einer lauten Band spielt, der wird mit dem Instrument nicht so schnell an die Grenzen stoßen. Wer einen günstigen Gretsch-Ersatz sucht, gerne auch mal mit etwas Verzerrung spielt und den Grad der Verzerrung auch über den Anschlag und die Einstellung des Volume-Potis einstellt, wird mit diesen Pickups nicht glücklich werden. In diesem Fall sollte man auch noch das Budget für ein paar neue Pickups einplanen. Dann kann ich mir durchaus vorstellen, dass die dicke weiße Lady auch ordentlich rocken kann.
Gioi Geniale sagt:
#1 - 08.02.2021 um 12:13 Uhr
Ja, ich gebe zu, ich habe kaum je eine Gretsch in den Händen gehabt.
Ich spiele seit mehr als einem Jahr die Big Tone an jedem Gig.
Schon das Instrument in den Händen zu haben ist ein grossartiges Gefühlt. Dann der wuchtige, sehr akustisch geprägte Sound über meinen Fender Excelsior ist ein Erlebnis für sich.
Über die Optik sind wir uns einig. Die ist 1A. Verarbeitung, Einstellung, Tremolo und was alles dazu kommt, ebenso 1A.
Aber die Gesamtbewertung 3/5 finde ich nun doch recht hart.
Durch die halbakustische Bauweise beginnt sie rasch rückzukoppeln, was mir ausserordentlich Spass macht.
Ich meine, bis du eine Solid Body zum rückkoppeln bringst, sind schon alle Scheiben geborsten. Die Big Tone kann schon bei Pub Gigs rückkoppeln.
Sicher kann man die PUs ersetzen. Vielleicht werde ich das einmal tun.
Aber ganz grundsätzlich finde ich diese Gitarre legt eine Wucht an den Tag, dass die Wände wackeln.
Aber ja, ich gebe zu, ich habe kaum je eine Gretsch in den Händen gehabt.
Gioi Geniale sagt:
#1.1 - 01.11.2021 um 00:04 Uhr
Ich habe mir für die Big Tone ein Paar Filtertrons Pickups geleistet. Der Umbau war recht kniffelig, da sich die gesamte Verkabelung im Korpus befindet. Die Mühe hat sich mehr als gelohnt: An einem Gig konnte ich auf den Filtertrons qausi fliegen. Der Sound trug immer, egal in welcher PU Einstellung. Brilliant und hell obendruch, und unten durch voll und kräftig. Was wünscht man sich mehr.
Antwort auf #1 von Gioi Geniale
Melden Empfehlen Empfehlung entfernenRonny Guittar sagt:
#1.1.1 - 07.01.2022 um 09:01 Uhr
Klingt ja vielversprechend :) Ich lasse meine so. Inzwischen verwende ich einen Fender Rivera USA Amp und da geht voll die Post ab. Meine Frau hat mir eine schöne Rose auf den Headstock gemalt, weil der Harley Benton Schriftzug einfach optisch nicht zu der Big Tone passen will. Sie wird oft mit Gretsch verglichen, aber die Gesamterscheinung erinnert eher an die Guild De Armond, die ich früher hatte und die meine EX hat erfolgreich verschwinden lassen ...
Antwort auf #1.1 von Gioi Geniale
Melden Empfehlen Empfehlung entfernenGioi Geniale sagt:
#1.1.1.1 - 07.01.2022 um 09:15 Uhr
Ich habe den Headstock optimiert. In Gretsch Buchstaben
"KITSCH". So wie ich Harley Benton Gitarren im Fender Schriftzug umgewandelt habe in "FLUNDER".
Kaum bemerkt das.
Antwort auf #1.1.1 von Ronny Guittar
Melden Empfehlen Empfehlung entfernenRonny Engels sagt:
#2 - 12.04.2021 um 16:15 Uhr
Ich verwende sie im Rockabilly und Countrybilly, auch bei GiGs. Die Werkssaiten klangen pampig und flach. Mir 10er D´Addarios round wound kam schon Twang mehr aus meinem Crate (ich benutze auch einen Fender Frontman, beide eigentlich ganz OK). Seit ich 10er round wound Ernie Balls drauf habe, die Brücke eingeleimt und verschraubt und die PUs mit X Versuchen eingestellt habe, kommt aus dem Amp, was ich brauche, was ich mir vorstelle und wie es für meinen Geschmack klingen sollte. Anfangs dachte ich über nen PU-Wechsel nach, aber eigentlich gefällt sie mir so wie sie ist. Klar klingt ne Gretsch anders, aber nach einigem Antesten diverser Gretsches finde ich, daß die Big Tone ausreicht. Saiten und Amp reden da ja auch immer noch ein Wörtschen mit. Ich finde die Big Tone obendrein noch weitaus besser, als das was ich vor 50 Jahren so in die Finger bekommen hatte und damals waren wirklich gute Markengitarren dabei. Fazit. Für mich reicht sie aus, besonders für ihren Einsatzbereich. Von 5 möglichen Sternen gebei ich 4, weil die PUs wirklich ein bisschen schwach sind.
Ronny Guittar sagt:
#3 - 07.01.2022 um 09:05 Uhr
Zum Tremolo-Hebel: sehr gut, daß er seitlich schwer geht. Habe die Schraube sogar noch fester angezogen und mit Locktite gesichert. Somit befindet sich der Hebel immer in der selben Position und meine Hand findet ihn bei Bedarf blind. Nichts ist schlimmer für mich als wenn der Tremhebel lose herumschlabbert oder ständig in einer anderen Position zu finden ist, zumal ich das Tremolo recht exzessiv einsetze.
Ronny Guittar sagt:
#4 - 01.06.2023 um 22:10 Uhr
Jetzt nach 2 Jahren sieht meine Meinung ganz anders aus. Sie PUs sind mir nicht mehr. Immer wenn ich Soli spiele, verhaspele ich mich auf dieser Gitarre. Nachdem ich nun eine Gretsch Electromatic und eine sehr baugleiche Gretsch Kopie an meinem neuen Amp, Hughes und Kettner, angespielt habe und ich mich auf diesen 2 Gitarren nicht mehr verhaspele, wird die Big Tone gegen eine andere ausgetauscht. Sie ist übrigens nicht wirklich mit einer Gretsch zu vergleichen, sondern eher an eine Guild X-175 angelehnt. Aber diese beiden Gitarren miteinander vergleichen, wäre Äpfel mit Birnen vergleichen. Hätte die Big Tone eine 62,8er Mensur, einen geringfügig dickeren Hals, ein geringfügig breiteres Fretboard und anständige Roswell oder Artec Filtertrons drinnen, wäre sie unschlagbar konkurrenzlos. Aber so habe ich mich letztlich entschieden, sie für eine bessere und teurere gehen zu lassen.