Heiser ein Konzert singen – geht das?

Heiser ein Konzert singen zu wollen oder zu müssen ist wie Schwimmen ohne Arme und Beine. Es kann gehen, birgt aber auch Risiken. Absagen und auskurieren sollte immer die erste Wahl sein. Wenn das nicht geht, heißt es sofort ab zum Stimmarzt. Es gibt medizinische Möglichkeiten die Stimme für einen Moment wieder bedingt fit zu machen.

(Bild: © Steffen Schindler)
(Bild: © Steffen Schindler)


Was aber nicht bedeutet, dass ihr dann wie immer singen könnt. Improvisation im Programm und eine gehörige Portion Aufmerksamkeit der eigenen Stimme gegenüber sind gefordert, damit ihr euch beim Singen nicht verletzt. Vor kurzem war ich zum ersten Mal in dieser üblen Lage. Welch mentalen Ritt das Aushalten der Situation bedeutet hat, wie es beim Stimmarzt gelaufen ist und was ich aus dem Tag gelernt habe, möchte ich mit euch teilen.

7.30 Uhr – Apocalypse now

Es ist Donnerstagmorgen. Die Stimme ist weg. Was sich die letzten zwei Tage schon angekündigt hat, ist über Nacht nicht besser, sondern viel schlimmer geworden. Der Infekt hat sich genau auf meine Stimme gesetzt. Heute Abend ist ein Konzert, mein Paniklevel steigt. Absagen? Durchhalten? F***. Erstmal durchatmen, nachdenken und schließlich bei meiner Stimmärztin anrufen! Die Praxis ist ab acht Uhr geöffnet.

8 Uhr – Ab zum Stimmarzt

“Guten Morgen. Ich bin Sängerin, heiser und habe heute Abend ein Konzert. Kann ich vorbeikommen?” Ja, kann ich. Ich soll Zeit mitbringen. Natürlich. Ich fahre sofort los und fühle mich schon etwas aufgehobener, als ich im Wartezimmer Platz nehme. Leider verschlechtert sich der Zustand meiner Stimme zusehends. Als ich ein “Guten Morgen” erwidern will, kommt erst einmal gar kein Ton. Mir wird heiß und kalt. Ich checke leise meine Stimme. Für einen Moment geht es, im nächsten sind alle Töne verschwunden. Das kann ja heiter werden.

9 Uhr – Untersuchung

Im Behandlungszimmer fragt mich meine Ärztin nach dem Verlauf meiner Heiserkeit und nach der Art des Konzerts, das ich abends singen möchte. Danach filmt sie meine Stimmbänder mit einem langen Metallstab, den sie mir vorsichtig an den Rachen legt. Dazu soll ich ein “Hi” auf verschiedenen hohen Tönen singen. Was ich gerne würde. Es geht aber nicht. Ich sehe meine Stimmbänder auf dem Computerbildschirm. Sie sind durch den Infekt geschwollen, aber ansonsten laut Ärztin völlig in Ordnung. Ich habe ihr medizinisches GO für den Abend. Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten meine Heiserkeit medikamentös abklingen zu lassen. Die sanftere ist Diclophenac. Das Mittel wirkt entzündungshemmend und abschwellend. Ich bekomme sofort eine Tablette mit einer Depotwirkung. Sie wird den Wirkstoff gleichbleibend über den Tag verteilt ausschütten. Eine bis anderthalb Stunden vor dem Konzert soll ich dann noch eine normale Diclophenac Tablette zusätzlich nehmen. Als Alternative stünde eine Cortisongabe im Raum, was aber (erstmal) von der Ärztin verworfen wird. Wenn ich Fragen habe, soll ich mich wieder melden. Jetzt heißt es abwarten und möglichst wenig sprechen.

12 Uhr – Erste Singversuche

Ich habe mich gedehnt, lautlos, rein über die Vorstellung, eingesungen und versuche erste sanfte Stimmübungen auf ng. Meine Stimme ist etwas besser geworden, aber noch weit davon weg, abends singen zu können. Das Paradoxe an der Situation ist, dass ich mich vollkommen fit fühle, Lust habe aufzutreten und im Kopf völlig klar bin. Allein das Organ, was die Töne macht, ist blockiert. Ein fieses Gefühl. Ich fühle mich wie eine Läuferin, die plötzlich ihre Beine nicht mehr bewegen kann und vorsichtig laufen üben muss. Ich hoffe weiter und halte weiter den Mund.

14 Uhr – Krise, zweiter Teil

Meine Stimme ist noch instabil. Die Zeit rennt. Muss ich doch absagen? Ich fühle mich hilflos. Nehme mir ein Herz und melde mich erneut bei meiner Ärztin, um zu fragen, ob es noch früh genug ist, die Cortison-Option zu ziehen, da meine Stimme immer noch nicht fit genug ist. Ich habe den Infekt so richtig abbekommen. Es ist noch früh genug für die Cortisonbehandlung und ich schöpfe neue Hoffnung.

15.30 Uhr – Harte Geschütze

Ich hole mir also die Tabletten in der Apotheke ab und nehme die erste, während die Band und ich das Equipment laden. Ich habe keine Ahnung, was passieren wird. Mir ist wohl bewusst, dass ich harte Geschütze auffahre, doch wie viel das an stimmlicher Besserung bedeutet, weiß ich nicht.

17.30 Uhr – Warten gegen die Zeit

Aufbau im Club. Der Zustand meiner Stimme bessert sich nur minimal. Ich google, wie lange es dauert, bis das Cortison wirkt und die Stimmbänder weiter abschwellen. Spreche so wenig wie möglich und versuche mit buddhistischer Gelassenheit auf die Wirkung der mir unbekannten Medizin zu vertrauen.

19 Uhr – Soundcheck

Meine Stimme kommt zurück! Ich bin zwar eingeschränkt, aber ich kann singen, ohne das Gefühl zu haben, jeder Ton könnte der letzte sein. Hurra. Ich taste mich Stück für Stück an die Songs heran und gebe die hohen Refrainparts an meine Chorsängerin ab. Welch Erleichterung.

21.30 – Show

Ich bin ein Albtraum für meinen Soundmann, da ich mich unbedingt brettlaut auf den Monitoren hören muss, um überhaupt keinen Druck auf meine Stimme zu geben. Ich arbeite mit Sound und folge demütig den Tönen, die da kommen. Es gelingt mir, mich auf die Situation einzulassen und ich merke, dass ich die Songs trotzdem gestalten kann. Die unbekannte Situation macht mich hellwach, was die Intensität meines Vortrags, ohne dass ich bewusst etwas dafür tue, nach außen verstärkt. Das Konzert läuft immens gut. Die Leute sind hin und weg. Ich bin perplex und überrascht, so eine gute Leistung ganz ohne Egoschiene und stimmliche Möglichkeiten hinbekommen zu haben. Das Paradoxon, das sich mir auftut, ist wie folgt: Normalerweise, also mit funktionierender Stimme, will ich immer zu viel und behindere mich selbst dabei. Heute bei Stimmausfall und Heiserkeit scheint es ganz einfach zu laufen. Ich gehe glücklich aus dem Abend mit dem Gefühl, aus der Katastrophe etwas Positives mitgenommen zu haben.

Fazit

Medizin ist Chemie, hat Auswirkungen auf unseren Körper und sollte mit Respekt eingenommen werden. Gerade Cortison ist ein mächtiges Hormon, welches das ganze System beeinflusst, schnelle Ergebnisse erzielt, aber auch immense Nebenwirkungen haben kann. Tabletten allgemein sollten nicht zur Beruhigung der gestressten Sängerpsyche dienen, sondern als Ausnahme in wirklich wichtigen Situationen helfen und nicht ohne ärztliche Rücksprache eingenommen werden.
Diclophenac und Cortison helfen zwar die Stimmbänder so abzuschwellen, dass sie wieder zu schwingen beginnen, sind aber keine Allheilmittel, welche die Stimme in ihren Normalzustand zurückversetzen! Was ihr bekommen könnt, ist stimmliche Stabilität im eingeschränkten Rahmen und mit klaren Grenzen.
Meine Stimme war an diesem Tag ein krasser Fall und nur in einem ziemlich schmalen Umfang (kleines g – f’) rund um meine Sprechstimmlage benutzbar. Kopfstimmtöne waren nicht mal im Ansatz möglich. Höhere Lagen wären nur mit immensem Druck auf die Stimmbänder machbar gewesen, was die Gefahr einer Überlastung und Verletzung der Stimmbänder sehr wahrscheinlich gemacht hätte und deswegen keine Option ist.
Ob ein Konzert auf Medikamenten möglich ist, hängt auch von der Art des geforderten Gesangs ab. Eine Rockshow mit Shoutparts hätte ich an diesem Abend definitiv nicht singen können!
UNBEDINGT IN DEN EIGENEN GRENZEN BLEIBEN

  • Ich hatte Glück, dass meine aktuellen Songs tief und ruhig sind und meinem stimmlichen Zustand entgegenkamen.
  • Die Instrumentierung der Songs ist sparsam und meine Band nicht sehr laut auf der Bühne.
  • Alle hohen Refrains habe ich an meine Backingsängerin abgegeben und die Melodien tief gedoppelt.
  • Meine goldene Regel ist, in solchen Fällen NIE meine Grenzen zu überschreiten, sondern aus dem Bisschen, das mir bleibt, das Meiste zu machen. Um das zu können, muss ich gewillt sein, die Dinge anders als normal zu gestalten.
  • Ich habe versucht, 1000 Farben von Leise zu singen und ansonsten meine Stimme einfach machen lassen. Vergesst alle Pläne, alles Wollen. Nicht ihr singt, sondern es singt euch und ihr folgt. Findet den Weg, den euch eure Stimme in dieser außergewöhnlichen Situation zeigt.

DEN INFEKT GUT AUSKURIEREN
Ist die Challenge überstanden, heißt es natürlich erstmal halblang machen. Genug schlafen, trinken, wenig reden: gesund werden. Damit ihr auch in Zukunft richtig fit seid.

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(Bild: © Steffen Schindler)

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Ronny Funk sagt:

#1 - 11.04.2019 um 12:03 Uhr

0

Beim Lesen der Überschrift musste ich an Bonnie Tyler, Suzi Quatro und Smokie denken.

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