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Heritage Audio Britstrip Console Channel Strip Test

Praxis

Neve-Bedienung

Der Heritage Audio Britstrip ist kein Kanalzug, den man nach dem Auspacken sofort „blind„ bedienen kann. Weil die Bedienung eines Neve 1073 Preamps oder EQs von gängigen Pfaden abweicht, haben wir diesem Thema auf bondeo schon ein ganzes Tutorial gewidmet! Dass Heritage Audio konsequent an den verkehrt herum ausgerichteten Potis festhält, ist ebenso charmant wie nervig. Zwar wird es echt schwierig, den EQ abzulesen, wenn der Britstrip weiter unten im Rack eingebaut wird, aber andererseits: Ein Neve-Clone ohne diese spezielle Neve-Marotte? Also mir würde was fehlen! Je nach dem, wie euer Studio ausgeleuchtet ist, lässt sich die Beschriftung des Heritage Britstrip insgesamt schlecht ablesen, vor allem die Schrift in Dunkelorange. Ich habe mich während des Tests mit einer Pultlampe behelfen müssen. Insgesamt fühlt sich das Bedienen des Britstrip ein bisschen wie Autofahren in England an, also wie Fahren auf der „falschen“ Seite!

Fotostrecke: 3 Bilder Von oben betrachtet, lu00e4sst sich der EQ schwer ablesen. Deshalb sollte man den Britstrip besser oben im Rack einschrauben.

Neve-Blut in den Adern!

Der Heritage Audio Britstrip macht ab der ersten Sekunde klar, wer der Chef im Ring ist: Da ist noch kein EQ aktiviert und noch kein Kompressor am Arbeiten – doch und schon steht das Signal zwischen den Boxen, als wäre es da hin genagelt.

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Stahlsaiten-Gitarre, DADGAD-Tuning

OK, ich gebe es zu: Seit den Anfängen meiner Tonstudio-Karriere bin ich großer Fan des Neve-Sounds! Deshalb getraue ich mir zu sagen: Alles, was man über den Britstrip aufnimmt oder was man durch ihn durchschickt, besitzt diesen ureigenen Neve-Klang, der mit Worten wie „griffig“, „warm“ und „seidig“ bezeichnet oder ganz pragmatisch als „musikalisch“. Das klingt, als wären diese Aussagen dem Hirn eines Werbetexters entsprungen, aber es stimmt: Signale, die Neve-Blut – oder in unserem Fall: Britstrip-Blut – in den Adern haben, haben eine schöne dreidimensionale Qualität, lassen sich einfach in den Mix integrieren und müssen meist nicht groß nachbearbeitet werden – sie sind der King im Mix.Dezent geht der Britstrip dabei nicht zu Werke, dass muss man mögen und – zugegeben – nicht immer passt dieser „larger than life“-Sound zum Signal oder zur Produktion. Aber meist haben wir DAW-Studio-Leute ja genug neutral klingende Preamps im Audio-Interface, da bietet der Britstrip eine sehr gute Erweiterung des Klangarsenals am anderen Ende des Charakter-Spektrums.
Eine kleine Drum/Bass/E-Gitarren-Spielerei verdeutlicht all das. Aufbauend auf einem Drumloop des Berliner Schlagzeugers Leonardo von Papp, habe ich einen E-Bass direkt über den Britstrip aufgenommen und ein E-Gitarre über einen A15Mk2 Madamp eingespielt, wobei eine 1×12-Box mit einem SM57 abgenommen wurde. Die Drums habe ich durch den EQ gejagt, unten bei 100 Hz angeschoben, zusätzlich oben bei 12 kHz „aufgemacht“, deutlich zu hören bei Kickdrum und Shaker. Am Ende habe ich einen Mixdown dieser drei Spuren gemacht, wobei ich außer der Lautstärke und ein klein wenig Panning für Gitarre und Bass nichts weiter bearbeitet habe.

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Drums, original Drums mir Britstrip-EQ Bass, DI E-Gitarrenamp mit SM57 Mix aller drei Spuren

Einladung zum Experimentieren!

Da der Heritage Audio Britstrip einen Eingangstrafo hat, kann man etwas machen, was in der digitalen Welt absolut verpönt ist: Übersteuern! Man kann den Transformator „in die Sättigung treiben“, wie die Toningenieure gerne sagen. Schickt man nämlich zu viel Pegel in die Kupfer-Wicklung, fängt der Trafo nach und nach an zu komprimieren und zu verzerren. Das habe ich zur Verdeutlichung mal mit meinem Jazz-Bass gemacht (und für das Audio-Beispiel etwas übertrieben).

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Bass mit Trafo-Overload

Bei aller Liebe zum Neve-Sound: Das Highlight des Heritage Audio Britstrip ist für mich der Successor-Kompressor. Besonders die Side-Chain-Sektion hat es mir dabei angetan, durch die der Successor zu einem extrem flexiblen Werkzeug wird. Zur Verdeutlichung, was das Filter im Side-Chain kann, habe ich den Drumloop erstmal mit einer Ratio von 10:1 komprimiert, bis die Snare richtig lange ausklingt. Schön hört sich das nicht an – bis man das HP-Filter aktiviert und die tiefen Frequenzen aus dem Trigger-Signal des Kompressors herausnimmt! Lediglich den Zugriff auf die Attack-Zeiten vermisse ich, aber man kann nicht alles haben.

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Drums, ohne HP-Filter Drums, HP-Filter@100Hz

Und weil das Rumexperimentieren so viel Spaß macht, habe ich die eben gehörte E-Bass-Aufnahme aus der DAW heraus und in den Side-Chain des Britstrip geschickt, um dann mit dem Jazz-Bass die Kompression des Drumloops auszulösen. Analoges Outboard-Equipment wie der Britstrip laden halt dazu ein, einfach mal rumzudrehen zu hören was passiert.

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Drums, Bass als Side-Chain-Signal Bass und Bass-komprimierte Drums

Wer noch mehr im Heritage Audio/Neve-Sound schwelgen möchte, der findet weitere Audio-Beispiele im Test des Heritage Audio HA81a-EQ-Kanalzug des Kollegen Jan Hendrik Schmidt, dessen 1073-Preamp mit dem des Britstrip identisch sein dürfte. Oder im Test des Heritage Audio Successor-Stereo-Kompressors von unserem Recording-Redakteur Nick Mavridis. Beide Tester ziehen übrigens ein äußerst positives Fazit zu den Heritage Audio Produkten!

Kleines Kritikpünktchen zum Schluss

Das Highpassfilter ist beim Heritage Audio Britstrip in die EQ-Sektion integriert. Und zwar nicht nur bezüglich der Position auf der Frontplatte, auch schaltungstechnisch. Möchte man das Eingangssignal von tieffrequentem Gerumpel befreien, muss zwingend die komplette EQ-Schaltung aktiviert werden. Aus meinem Recording-Workflow und Tonstudio-Verständnis heraus sehe ich das HP-Filter dagegen als Teil der Preamp-Sektion: Ich will nicht jedes Mal den kompletten EQ in den Signalweg haben, wenn ich nur den Trittschall wegfiltern möchte. Man kann die einzelnen EQ-Bänder zwar deaktivieren (Off-Stellung des Frequenz-Auswahlschalters), aber das erfordert wieder ein aktives Erinnern und bindet Aufmerksamkeit, die ich in stressigen Recording-Situationen woanders benötige.

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