Praxis / Sound
Man mag es kaum glauben, aber ich habe die Gitarre aus dem Koffer geholt und sie war nicht nur perfekt verarbeitet und eingestellt, sondern sogar schon gestimmt! Großes Lob an dieser Stelle! Natürlich ist dies das Instrument eines Solisten und alles an dieser Gitarre ist dafür ausgelegt. Der breite, flache Hals macht sämtliche Spielformen möglich, dazu eine Saitenlage, die nicht zu flach, aber tief genug ist, um Licks im wahrsten Sinne des Wortes mit Links abzufeuern. In jedem Detail zeigt sich, dass Steve Vai eine sehr genaue Vorstellung davon hat, was er braucht. Ich möchte nur kurz anmerken, dass bis auf die Pickups und die kosmetischen Variationen schon die erste JEM (1988) sämtliche Details mitbrachte.
Geschultert macht sich das moderate Gewicht von 3,6 kg bemerkbar. Stundenlanges Spielen im Stehen sollte daher überhaupt kein Problem sein.
Trocken angespielt offenbart sich ein lauter, ausgewogener Grundklang ohne besondere Auffälligkeiten. Die Bespielbarkeit ist superb und daher gehts jetzt auch direkt in den Amp. Zuerst hören wir die JEM über einen Fender Deluxe Reverb, abgenommen mit einem Shure SM57. Ich spiele immer dieselbe Progression, wechsele aber bei jedem Durchgang die Position, beginnend mit dem Hals-Pickup.
Der Hals PU tönt angenehm warm mit einer gesunden Portion Höhen, ohne dabei zu viel Bass aufzutragen. Die nächste Position, also Humbucker-Innenspule plus Single Coil, kommt recht dünn daher, für meinen Geschmack etwas zu dünn. Der Single Coil in der Mittelposition ist auch allein gespielt ein eher kühler Kollege und lässt für meinen Geschmack etwas an Wärme vermissen. Dasselbe gilt auch für die Kombination Single Coil plus Steg-Humbucker-Innenspule. Der Steg-Pickup allein klingt natürlich so, wie Humbucker am cleanen Amp nun mal klingen – mumpfig. Wer jedoch mit Steve Vais Musik ein wenig vertraut ist, der weiß, dass Cleansounds nicht unbedingt den Großteil seiner Darbietungen bestimmen. Und wenn, dann ist genau dieser Sound auch angesagt. Wer einen klassischen Sound sucht, sollte zumindest hier auch zu den Klassikern greifen, diese Gitarre ist Steve Vai auf den Leib gezimmert, also muss sie bitteschön auch genau so klingen, wie der Meister es will – fair enough.
Im nächsten Klangbeispiel hören wir wieder die Hals-/Mittel-Position, wieder am Deluxe Amp, diesmal jedoch mit einer anderen Spielart.
Auch hier zeigt sich ein eher kühles Klangerlebnis, das aber in gewissen Musikrichtungen erwünscht ist. Die Gitarre reagiert sehr direkt und hochauflösend, genaues Spiel ist also Voraussetzung.
Jetzt lege ich ein wenig Zerre auf den Sound und greife zum Plexi Marshall.
Die 2×12“ Box wird auch hier mit dem SM57 abgenommen.
Dabei habe ich ebenfalls die Hals-Mittel-Position verwendet, um den Unterschied zwischen den Amps und der Interaktion der JEM zu verdeutlichen.
Eines lässt sich auf jeden Fall feststellen: Mit dem Marshall versteht sie sich definitiv besser. Der Sound gewinnt an Wärme, und auch wenn er nicht mehr so clean ist, lässt er sich wunderbar mit dem Anschlag regulieren.
Kommen wir zur Königsdisziplin der Jem77 FP2, dem zerrenden Amp! Hierzu habe ich meinen alten JCM 800 Marshall angeworfen und das klingt so:
In Verbindung mit dem Steg-Humbucker kommt da tatsächlich ein ordentliches Brett angerauscht. Der Amp selbst ist im Übrigen nicht sonderlich hoch verzerrt, das erledigt die Gitarre schon. Sie bietet ein dickes, breites Klangbild, gerade in den unteren Mitten verschafft sie sich Platz. Gepaart mit angenehmen Höhen fühlt sie sich in diesem Metier pudelwohl.
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Als Nächstes muss ein voll aufgerissener Soldano herhalten.
Hier ist sie kaum zu bändigen und prescht direkt nach vorne. Trotzdem behält sie ihr ausgewogenes Klangbild und zeigt unmissverständlich, dass sie ein Solisteninstrument ist. Nicht, dass ich falsch verstanden werde, aber wer Steve Vais Spiel kennt, der weiß, dass er zwischen Rhythmus und Solo keinen Unterschied macht. Heftigstes Metal-Gewitter wechselt sich schlagartig ab mit filigranen Single-Note-Linien, um dann in wahnwitzige Tapping- oder Arpeggio-Soli überzugehen. Das bedarf einer Gitarre, die allzeit bereit ist, und genau das Gefühl vermittelt sie mir auch.
Zum Abschluss – quasi als Beweise der aufgestellten Thesen – noch ein kompletter Song, mit allem was dazu gehört!