PRAXIS
Gleich beim ersten Versuch, mit dem iPad auf dem DJ-Stand zu arbeiten zeigte sich, dass die Unterlage (oder wenn man möchte: das Apple-Tablet) ziemlich glatt ist. Grundsätzlich fallen mir zwei Abhilfen ein. Erstens: Man besorgt sich eine iPad-Halterung die im Handel schon ab 20 Euro erhältlich, aber leider oftmals auch denkbar ungeeignet ist, weil bei den typischen Neigungswinkeln von 45-90 Grad nicht wirklich Spaß aufkommt. Wenn die Dinger obendrein aus Plastik gefertigt sind, dann möchte man am liebsten gar nicht erst draufdrücken. Metallene Gerätschaften, die nur wenige Grad abwinkeln und nicht wie eine Wippe anmuten, kosten 60 Euro und mehr, ich habe mich daher für eine Zwei-Euro-Lösung entschieden: den klassischen selbstklebenden Gummifuß in flacher Rechteckform, der in vielen gut sortierten Online-Shops zu bestellen ist. Damit hat das Pad nun auf jeden Fall genug Halt für Schubser und gelegentliche Scratcheinlagen.
Wer normalerweise keine Angst hat, dass ihm bei einem Set sämtliche Nadeln und Ersatznadeln gleichzeitig abrauchen, der Laptop implodiert oder der Midi-Controller seinen Geist aufgibt, der sollte auch bei einer iPad-Session keinen Angstschweiß auf die Stirn bekommen. Eine Akkuladung reicht immerhin für acht Stunden Spielzeit und gegen unvorhersehbare Katastrophen wächst bekanntlich kein Heilmittel. Aber Spaß beiseite: Das iPad könnte durchaus als Ersatz für einen defekten Turntable dienen. Zunächst gilt es jedoch, unseren Plattenspieler in spe mit dem restlichen Equipment zu verbinden. Ein 3,5 Millimeter Klinke auf Stereo-Cinch-Kabel soll als Transportweg herhalten und kann direkt ins Sound-Interface gestöpselt werden. Oder man zieht die Stecker aus dem Plattenspieler und benutzt einen Doppel-Cinch-Adapter.
Je nach verwendeter DJ-Software Software gilt es, den richtigen Timecode „aufzulegen“. Tonetable hat vier Frequenzen im Repertoire: 1 kHz, 1,2 kHz, 1,3 kHz und 2 kHz. Per iKeyboard besteht zusätzlich die Option, das Steuersignal in Semiton-Intervallen zu verschieben. Für Serato wähle ich 1 kHz bei 33 rpm. Ab etwa sieben Skaleneinteilungen iPad-Lautstärke ist der Ton ausreichend stark für den reibungslosen Betrieb. Wenn ein schöner grüner Kreis zu sehen ist, braucht der DJ nur noch auf den Start-Button zu drücken und Scratch-Live spielt das entsprechende Deck ab. Sollte der Song rückwärts laufen, vertauscht man das rote und schwarze Kabelende oder aktiviert der Einfachheit halber in Tonetable die Phasenumkehrung. Es ist davon anzuraten, Scratch Live im relativen Modus zu betreiben, denn ansonsten hat der DJ keine Möglichkeit, adäquat im Track zu navigieren, da die App weder einen physischen Needledrop akzeptiert noch Cuepunkte oder eine Spulfunktion an Bord hat. Ferner merkt sich iOS den Zustand des Programms, so dass nach einem erneuten Aufruf nicht zwangsläufig der Timecode neu geladen wird. Die beste Möglichkeit dies zu umgehen, ist SSL zu veranlassen, neu geladene Songs grundsätzlich und unabhängig von der virtuellen Nadelposition vom Start abzuspielen.
Wie es sich gehört, dreht die Platte weniger schnell, wenn sie an den äußeren Markierungen gestreichelt wird. Anschieben lässt sie sich aber nicht wirklich, weil es bei jedem Aufsetzen zu einem Stillstand kommt. Ein sanftes Mitschleifen oder Spindel-Nachdrehen wie einem Zwölfhunderter ist nicht möglich. Dies ließe sich vielleicht über einen Modifier-Button im Hold- oder Toggle-Modus realisieren, der entweder den Scratch- oder den Nudge-Modus einschaltet. Persönlich tendiere ich eher zum Toggeln, damit die zweite Hand am Mixer bleiben kann. Ferner böte sich auch eine Multi-Gesten Lösung an. Mit einem Finger auf der Oberfläche wird geschubst, zum Scratchen müssen mindestens zwei Finger aufliegen. Backspins werden in ihrer Intensität über den Pickup eingestellt. Befindet sich der Schieber rechts, dreht sich die Platte bei einem Backspin etwa um ein Viertel zurück, befindet er sich links, dann ist es fast eine volle Umdrehung. Das Anlauf- und Bremsverhalten regelt die Power-Down-Option. Sollte es während der Performance zu Aussetzern bei ganz langsamen Bewegungen kommen, empfiehlt es sich, die Lautstärke ein wenig hochzufahren, oder den Input-Multiplikator oder Gain zu erhöhen.
Zur Steuerung von Deckadance bietet es sich an, eine Frequenz in Tonetable zu aktivieren und auf dem Laptop Timecode-Learn einzuschalten. Nach wenigen Sekunden ist das Signal eingemessen und die Software arbeitet korrekt. Auch mit Mixvibes Cross und dem geforderten 1200-Hertz-Ton gibt es keine nennenswerten Aussetzer während des Betriebes. Letztlich steht noch der Funktionstest mit Traktor Scratch Pro bei zwei Kilohertz an. Selbst bei ultralangsamen Bewegungen der virtuellen Schallplatte war es Traktor möglich, eine sehr gute Übersetzung abzuliefern: klasse! Das nachfolgende Video zeigt euch Tonetable im Einsatz.
Das Echtzeitgefühl beim iPad setzt sich zusammen aus der Oberflächenresponse, der CPU-Leistung und der integrierten Audiohardware. Die Verzögerung ist schwammiger als beim Plattenspieler und nicht wirklich für Turntablisten geeignet, ist aber absolut praxistauglich, um zwei Songs ineinander zu drehen. Zudem ist der Spaßfaktor recht hoch, wenn man zwischendurch den Griff zum Laptop nicht scheut. Die Oberfläche des iPads ist natürlich glatter als eine Platte mit eingeschnittenen Rillen. Der Pitch arbeitet exakt und ist zudem oftmals im DJ-Programm verstellbar. Mit den Bend-Tasten ist das Beatmatching nicht nur für geübte Softwarejockeys ein Kinderspiel, denn sie erhöhen die Geschwindigkeit zunächst dezent, um dann rasanter zuzulegen. Richtig interessant wäre Tonetable im Multitask-Betrieb mit einer App wie MIDI-to. Dann könnte der Timecode im Hintergrund laufen und die Kreativabteilungen per WLAN-Anbindung beackert werden. Das ist mit iOS4 aber nicht möglich.