Nicht jeder spielt virtuos Klavier und hat geniale Ideen am laufenden Band. Gut also, dass es heute Plugins gibt, die weit über die klassische Piano Library mit den bekannten Konzertflügeln hinausgehen. Solche “Advanced Instruments” bringen meist kompositorisch und auch klanglich einen ordentlich, kreativen Schub für das Musikproduzieren. Instant-Composing sozusagen, Piano-Librarys mit MIDI-Phrasen und Sounddesign-Tools! Wer sich also mit Harmonielehre nur am Rande beschäftigen möchte, bekommt passende Akkorde, rhythmische Begleitungen sowie innovative Sounds und Effekte mit wenigen Mausklicks komplett wie genre-übergreifend geliefert!
Klaviere spielen lassen und klanglich verfremden: Schon lange vor der Digitalisierung ermöglicht das Pianola, ein Player Piano mit Lochstreifen aus Papier, dass anspruchsvolle Klavierliteratur wie von Geisterhand auf dem Tasteninstrument abgespielt wird. Die ersten selbstspielenden Pianos kamen vor über 100 Jahren auf.
Das Klavier mit beliebigen Gegenständen wie Radiergummi oder Nagel zwischen oder an den Saiten zu modifizieren, ist eine von John Cage eingeführte und etablierte Technik. Seit ein paar Jahren liegt das „Felt Piano“ bei Neoklassik, Soundtracks oder auch LoFi-Musik im Trend. Diese stark gedämpften und intimen Klänge entstehen durch den Filzdämpfer. Einige Sample Libraries widmen sich diesem ästhetischen Pianoklang.
Virtuelle Pianisten ohne Frack und Allüren
Unsere folgende Produktübersicht schaut auf den aktuellen Mainstream und nennt VST-Player, die Phrasen auf MIDI-Basis oder neuartige Sounds integrieren, sowie Software-Instrumente, die das Prädikat „Piano 2.0“ verdienen. Den Anfang macht einer der Vorreiter der „Phrasen-Instrumente“, Toontrack EZKeys.
- Ein Klassiker aus Schweden: Toontrack EZ Keys
- Effektvoll und aufstrebend: UJAM Virtual Pianist
- Natürlich auf dem Punkt: e-Instruments Session Keys Acoustic Bundle
- Cinematischer Player: Heavyocity Ascend Modern Grand
- Farbenspiel mit Niveau: Native Instruments Piano Colors
- Soloporträt für Minimalismus: Spitfire Audio Olafur Arnalds Stratus
- Kreativ und kongenial: Spectrasonics Keyscape
- Modellierte Wirklichkeit: Modartt Pianoteq
- XL-Library inklusive Sounddesign: IK Multimedia Pianoverse
- Piano-Library mit neuen Sphären: UVI Aurora
- Fazit
Ein Klassiker aus Schweden: Toontrack EZ Keys
Neben EZDrummer und EZBass ist Toontrack EZkeys seit vielen Jahren ein zuverlässiger Lieferant für akkordische Backings. Im Ganzen ist es ein Spartenkanal aus über 16 einzelnen Instrumenten, die sich jeweils einem speziellen Thema (Cinematic, Harp, Strings, Electronic, Pads etc.) widmen. Nachrüsten lassen sich auch zahlreiche Packs mit MIDI-Phrasen.
Für dich ausgesucht
In der Praxis nutzt man EZkeys hauptsächlich fürs traditionelle Songwriting, wobei Begleitmuster aus der großen MIDI-Library geladen, harmonisiert und später ins Arrangierfenster der DAW gezogen werden. Die überwiegend guten Klänge und internen Effekte lassen sich ansatzweise abändern. Für den Einstieg empfiehlt sich das EZkeys Bundle, bei dem man gleich drei Instrumente seiner Wahl erwerben kann.
Herstellerseite Thomann-Webshop Bonedo-Test Preis: 229,– EUR (EZkeys Bundle mit drei Instrumenten nach Wahl)
Effektvoll und aufstrebend: UJAM Virtual Pianist
Von UJAM gibt es den Virtual Pianist mit dem Starter-Programm „Vogue“, das zeitlose Pophymnen mit Klavierbegleitungen füllt. Anders als bei Toontrack wird man eher live in Art einer „Begleitautomatik“ die Phrasen über eine MIDI-Tastatur rocken.
An der Basis gibt es zwar nur einen Konzertflügel, der aber dank einer tollen Effektsektion schnell zum Schweben animiert werden kann. Gerade die effektvollen sphärischen Parts liegen dem Virtual Pianist. Während für verwandte Produkte (Drummer, Guitarist, Bassist etc.) von UJAM schon einige Erweiterungen verfügbar sind, steht der virtuelle Pianist noch am Anfang seiner größeren Karriere. Das Angebot an Sounds und Phrasen sollte durch zusätzliche Packs künftig vielfältiger sein.
Herstellerseite Bonedo-Test Preis: 149,– EUR
Natürlich auf dem Punkt: e-Instruments Session Keys Acoustic Bundle
Die Instrumente des Session Keys Acoustic Bundles von e-instruments lassen sich ähnlich intuitiv performen wie bei UJAMs Virtual Pianist. Es sind zwar konzeptionelle Ähnlichkeiten vorhanden, doch klingen die Sounds bei e-instruments grundsätzlich etwas natürlicher. Zudem hat man bei diesen Instrumenten für NI Kontakt mehr Eingriffsmöglichkeiten auf den Klang sowie auf das Effektsystem und die Phrasen selbst.
Die Funktionen „Animator“ und „Smart Chord“ unterstützen Nicht-Pianisten musikalisch. Das Bundle besteht aus insgesamt drei Produkten, die sich hauptsächlich durch verschiedene Instrumente (Steinway Flügel, Yamaha Flügel und Klavier) unterscheiden. Unentschlossene können erst einmal mit dem Session Keys Grand S beginnen, der bei unseren Demos zu hören ist.
Herstellerseite Preis: 229,– EUR (Bundle), 99,– EUR (einzelnes Instrument)
Cinematischer Player: Heavyocity Ascend Modern Grand
Für den aktuellen cineastischen Soundkonsum ist Heavyocity einer der führenden Anbieter. Die Instrumente erlauben viele Gestaltungsmöglichkeiten und sprechen klanglich ihre eigene Sprache. So auch das Ascend Modern Grand für NI Kontakt, das auf einem umfangreichen Steinway Multisamples basiert.
Groove-bezogenes Sounddesign ist möglich, wofür Modulator, LFO und natürlich der Arpeggiator dienen. Dabei schafft Heavyocity bei den über 100 Presets einen schönen Spagat zwischen konzertantem Piano und hybrider Effektkreation. Im Vergleich zu anderen Produkten von Heavyocity ist das Preis-Leistungs-Verhältnis durchaus attraktiv. Für sphärische elektronische Tracks und vor allem erst für Filmmusik ist Heavyocity Ascend Modern Grand wahrlich beflügelnd.
Herstellerseite Bonedo-Test Preis: 149,– USD
Farbenspiel mit Niveau: Native Instruments Piano Colors
NI Piano Colors ist vom Galaxy Instruments Team entwickelt worden – und die haben schon mit Noire und anderen Bibliotheken fasziniert. Diese 56 GB schwere Library bietet aber noch viel mehr Zündstoff für bunte und atmosphärische Soundkulissen, die bis zu vier Layer (Layer 1 und 2, Noises, Particles) und einen raffinierten Arpeggiator nutzen.
Die zahlreichen Presets sind bereits sehr anregend, es lassen sich aber auch relativ einfach eigene Klangbilder erschaffen, die über den konventionellen Piano-Kosmos hinausgehen. Intuitiv Ausdruck verleihen kann man per Expression Knob. Wer keinen traditionellen Konzertflügel sucht, sondern Inspiration für moderne Arrangements mit einem Hauch von Elektronik, sollte jedenfalls NI Piano Colors installieren.
Bonedo-Test Herstellerseite Preis: 199,– EUR
Soloporträt für Minimalismus: Spitfire Audio Olafur Arnalds Stratus
Im Portfolio von Spitfire Audio findet sich eine außergewöhnliche Library. Es ist Olafur Arnalds Stratus. Konzipiert hat sie der isländische Multiinstrumentalist Ólafur Arnalds. Er bewegt sich stilistisch zwischen Neoklassik und Elektronik und favorisiert ruhige, organische Klänge.
Neben dem Piano mit dunklem Timbre mischt Arnalds diese Library mit den beiden analogen Synthesizern Korg PS-3100 und einem Roland Juno-60 auf. Im Fokus stehen meist sanft repetierende Klaviernoten und elektronische Loops. Man sollte einen ambienten Minimalismus nordischer Herkunft schon besonders mögen, um den höheren Preis für dieses Kontakt-Instrument zu zahlen. Ein gefälliger Allrounder wie NI Piano Colors ist Olafur Arnalds Stratus keinesfalls.
Herstellerseite Bonedo-Test Preis: 299,– EUR
Kreativ und kongenial: Spectrasonics Keyscape
Spectrasonics Keyscape ist eine gewaltige Sammlung mit den besten Klängen etablierter Tasteninstrumente (Yamaha Flügel, Fender Rhodes, Clavinet etc.). In Verbindung mit der aktuellen Version von Spectrasonics Omnisphere wird dieses Instrument zu einem starken Anwärter für den Piano 2.0 Award.
Eric Persing und Team haben über 1.200 Patches erstellt, die das große Kreativpotenzial von Omnisphere bei installiertem Keyscape ausschöpfen. Diese ungewöhnlichen Soundkreationen sind als Library „Keyscape Creative“ verfügbar und haben öfter ihren eigenen Charakter, der kaum noch an Klaviere erinnert. Zugegeben, das Bundle aus Spectrasonics Keyscape und Omnisphere ist zwar kein Schnäppchen, bietet aber dauerhaft einen riesigen und klanglich absolut hochwertigen Fundus für die Musikproduktion.
Herstellerseite Bonedo-Test Preis: 349,– EUR
Modellierte Wirklichkeit: Modartt Pianoteq
Die Firma Modartt aus Frankreich nutzt intensiv das Physical Modeling zur Rekonstruktion historischer und moderner Klaviere, Konzertflügel, E-Pianos, Mallets und verwandte Klänge. Anstelle von Unmengen an Samples gibt es bei Modartt Pianoteq instrumentenspezifische Parameter. Weitreichende Gestaltung bietet insbesondere die Version Pianoteq Pro.
Hervorzuheben ist neben dem Morphing zwischen zwei Klängen das Feature „Note-per-Note-Edit“: Pro Klaviertaste lassen sich sämtliche physikalische Parameter und auch das Obertonverhalten individuell bearbeiten. Pianoteq Pro ist damit ein seriöses Werkzeug für Spezialisten. Wer experimentell arbeitet oder ungewöhnliche Klaviere für Filmmusik designen möchte, bekommt ein tolles Plugin. Für die Rhythmik darf man übrigens mangels Arpeggiator oder Step-Sequencer selber sorgen.
Herstellerseite Bonedo-Test Preis: 369,– EUR (Pianoteq Pro Version)
XL-Library inklusive Sounddesign: IK Multimedia Pianoverse
Der italienische Anbieter IK Multimedia läutet den Herbst 2023 mit einer umfangreichen Library ein. Pianoverse gibt es optional auch als monatliches Abo-Modell, was die Library nur attraktiver macht.
Anders als bei Modartt Pianoteq setzt das Physicial Modeling hier eher marginal an. Im Wesentlichen setzt Pianoverse auf üppigen Sample Content für acht und mehr Piano-Modelle.
Vertreten sind die etablierten Konzertflügel von Steinway und Yamaha, aber auch einige Klaviere. Bei IK Multimedia haben diese Pianos einen präsenten mechanischen Klang, den man dann noch verformen kann. Allein der Tone-Shift-Regler verändert den Charakter vom Basisklang bereits ziemlich.
Hinzu kommt das „Space“-Feature, das das Instrument in eine räumliche Umgebung (Studio, Konzertsaal, Wald, Meeresgrund, etc.) versetzt. Eine Reihe von speziellen Effekten und Mixer gibt es außerdem – Filmmusiker können damit individuelle Ambient-Pianos für cineastische Musik designen.
IK Multimedia Pianoverse präsentiert großartige Konzertflügel und Klaviere in einer Library. Mit einigen Sounddesign-Features gibt sich das Plugin durchaus innovativ – für alle, die mögen auch im Abo.
Piano-Library mit neuen Sphären: UVI Aurora
UVI aus Paris leistet mit Aurora einen tollen Beitrag. Diese über vier GigaByte schwere Library baut auf die kostenfreien UVI Workstation oder auf Falcon. Sie basiert auf einem Konzertflügel, der um Texturen und Atmosphären eindrucksvoll erweitert worden ist. UVI Aurora bietet also eine Engine aus drei einzelnen Layern (Piano, Texture, Atmosphere), die sich im Detail programmieren lassen. Hinzu kommt eine ziemlich kreativ nutzbare Effeksektion.
Schon beim ersten Anspielen der über 200 Presets fühlt man sich klanglich und per Arpeggiator auch musikalisch inspiriert. Es entstehen schöne atmosphärische Klangfarben, die sich auf Wunsch noch einfach abwandeln lassen. Wer von leichten Variationen akustischer Flügel genug hat, kann man mit dieser bunten Sammlung in eine andere Welt abdriften. Klarer Tipp!
Fazit
Braucht man diese Spezialisten? Nicht immer und sofort. Man kann Klaviere für elektronische oder cinematische Musik auch selber produzieren. Mit den richtigen MIDI-Effekt-Plugins und rhythmischen Kreativ-Effekten lassen sich vor allem futuristische Pianos relativ einfach konstruieren. Aber: Mit den einschlägigen Produkten ist man deutlich schneller und auch entspannter am Ziel. Dabei ist es letztlich eine wahre Kunst, das virtuelle Klavier perfekt ins Arrangement einzubetten. Solo klingen die wenigsten Phrasen wirklich überzeugend.
Für jeden Geschmack ist ein kreativ verwendbares Software-Piano zu bekommen: Wer Phrasen konstruieren und viele Sound-Erweiterungen haben möchte, ist bei Toontrack richtig. Klavierphrasen bei UJAM und e-Instruments lassen sich auch angenehm über eine Tastatur anspielen. Spitfire Audio hat einen Spezialisten für ambienten Minimalismus, Heavyocity bleibt auch bei Ascend Modern Grand bewusst cinematisch.
Pianoteq kommt zwar ohne Phrasen-Generator, ist aber für den virtuellen Klavierbau und speziell für experimentelle Klänge empfehlenswert. Zusammen mit Spectrasonics Omnisphere ist Keyscape eine sehr vielseitige Plattform für kreative Pianosounds. Einen ansprechenden Beitrag zum Thema Piano 2.0 liefer schließlich das Kontakt-Instrument Piano Colors und UVI Aurora.