Mitte Juli veröffentlichen Deep Purple mit „=1“ ein brandneues Studioalbum und sind aktuell auch wieder auf Tour. Wenn man bedenkt, dass „Whoosh“ vor vier Jahren als letztes Studiostatement der Briten zumindest angedacht war, mag das überraschen. Durch das zwischenzeitlich erschienene Coveralbum „Turning To Crime“, das in der Corona-Zeit in einer für Deep Purple bislang einzigartigen Art und Weise entstanden ist, ist offenkundig einiges in Bewegung geraten, das jetzt in dem neuen Album kondensiert. Zudem hat die Band seit rund zwei Jahren mit Simon McBride einen neuen Leadgitarristen. In Sachen Rückblick ist „Machine Head“, das dank „Smoke On The Water“ wohl bekannteste Album der Band, vor kurzem schlanke 50 Jahre alt geworden. Themen gibt’s also genug für ein Gespräch mit Mr. Ian Paice, seit der Bandgründung 1968 Drummer von Deep Purple.
Ian, wie war der Schreibprozess für das neue Album?
Im Grunde so, wie er auch in den letzten 50 Jahren war. Es ist so, als gingest du zur Arbeit mit einem weißen Blatt Papier in der Hand. Dann fängst du an, Sachen aufzuschreiben, und am Ende des Tages hast du etwas zum Lesen. Wenn wir ins ‚Schreibstudio‘ gehen, dann haben wir nichts in der Hand – na ja, das stimmt so auch nicht, denn zwei, drei kleine Ideen gibt’s schon. Normalerweise ist es so, dass jemand zu spielen anfängt. Das kann ich mit einem Groove, Roger [Glover] mit einem Bassriff, Don [Airey] mit ein paar Akkorden oder Simon [McBride] mit einer Gitarrenfigur sein.
Der Punkt ist folgender: Wenn die Idee interessant ist, dann machen die anderen automatisch mit. Aus diesen Jams, die vielleicht 15 Minuten dauern und sicher nicht komplett gut sind, kommen am Ende unter Umständen anderthalb Minuten heraus, die einen Sinn haben. Diese anderthalb Minuten gehen in unsere Liste von Möglichkeiten.
Nehmt ihr alles auf?
Ja, alles. Wenn auch nur ganz grob. Nach zwei Wochen haben wir so 15, 16 Ideen zusammen, die sich nach und nach entfalten und ganz basale Musikstücke bilden. Daraus können dann eventuell Songs werden. Bei uns basiert alles auf Zusammenarbeit: Jeder bringt seine Ideen ein und dann schauen wir, welche funktionieren. Das Problem ist nur, dass du ja quasi jeden Tag etwas Neues machst, voll und ganz überzeugt und daher auch der Meinung bist, dass es das Beste sei, was du jemals gemacht hast – am nächsten Tag hörst du dir dann die Aufnahmen an, und dann ist diese Meinung unter Umständen auch ganz schnell wieder weg [lacht].
So hat man jedenfalls rasch die wirklich guten Ideen raus – und die, die eben nur in dem einen Moment funktioniert haben. So sieben wir nach und nach aus. Danach gehen wir auseinander und leben mit diesen Ideen, die in unseren Köpfen herumschwirren. So wird man einfach kritischer, weil die Sachen sozusagen abkühlen können.
Für dich ausgesucht
Wie geht’s weiter?
Dann kommt die für uns sehr wichtige zweite Session, bei der es darum geht, die wirklich guten Sachen herauszufiltern. Vielleicht bleiben acht oder neun übrig. Die werden weiterentwickelt. Zudem haben sich in der Zwischenzeit vielleicht hier und da noch Ideen entwickelt, die einen Zusammenhang mit den anderen haben. Die werden dann wieder zu den 14, 15 aufgestockt, und so haben wir meist genug Material, um ein neues Album aufzunehmen. Nach dieser zweiten Session kommt Bob Ezrin als Produzent ins Spiel – und fügt seine Kritik zu allem, was wir gemacht haben, hinzu.
Das Problem ist nämlich, dass du, wenn du in einer Sache zu tief drinsteckst, die Wirklichkeit nicht mehr sehen kannst. Du siehst nur, was du sehen willst. Bob ist nun jemand mit einem großen musikalischen Wissen und der Gabe, die Sachen so auszudrücken, dass sie für uns als Band einen Sinn haben. Er sagt uns ganz genau, welche Ideen für ihn funktionieren, welche vielleicht durcheinander sind oder welche einfach besser sein könnten – und warum das für ihn so ist. Natürlich sind wir nicht immer einer Meinung, aber oft hat er recht, und wir stellen manches um. Er sieht und hört die Sachen eben erst, wenn sie ‚kalt‘ sind.
Seine Meinung ist uns deswegen sehr wichtig. Dazu kommen natürlich auch solche Aspekte wie die Länge oder Kürze von gewissen Sections oder die Abfolge von Akkorden. So widmen wir uns der Feinarbeit, bevor’s an die Vorproduktion geht. Die eigentlichen Aufnahmen für das Album machen wir dann immer so schnell wie möglich.
Wieso nehmt ihr so zügig auf?
Ich persönlich mag keine Alben, die beim Aufnehmen viel Zeit beanspruchen, denn normalerweise heißt das, dass das Album nicht gut ist. Es bedeutet, dass du kämpfen musst, um etwas zu erreichen. Es ist oft nicht nur der Song, sondern auch die Performance. Irgendetwas im kompletten Prozess stimmt nicht und funktioniert deswegen auch nicht. Wenn die Entscheidung einmal steht, welchen Song wir aufnehmen wollen, dann geht es darum, das Ganze also möglichst schnell über die Bühne zu bringen. Es sind eigentlich immer die ersten drei, vier Takes, von denen das Master kommt. Take 20 scheidet meistens aus [lacht], denn er wird oft nur ‚perfekter‘ und damit langweiliger. Wenn du dir dann wieder die ersten Takes anhörst, dann mögen sie vielleicht nicht fehlerfrei, aber allemal besser als dieser ominöse Take 20 sein.
Manchmal machen wir mit Bob sogar einen kompletten Backing-Track in einem Take. Ein andermal sind es zwei, drei Takes, und mit dem „genius of digital recording“ fügst du sie aneinander. Das beschleunigt den Prozess noch weiter. In den alten Zeiten musstest du alles komplett nochmal neu machen und deswegen jeden einzelnen Schritt sehr gut durchdenken. Jetzt nimmst du einfach die Section, die du brauchst und reparierst unter Umständen etwas. Das ist sehr effizient – macht aber wenig Spaß.
“Viele der verrückten Drumfills, die ich und auch andere Drummer damals spielen konnten, sind nur deswegen entstanden, weil wir frei waren, mit der Time zu arbeiten …”
Weshalb?
Früher musstest du es einfach für den Backing-Track richtig hinbekommen. Das Höchste, was du tun konntest, war es, zwei Takes zusammenzuschneiden – wenn sie denn vom Tempo her nah genug aneinander waren. Clicktracks und so was gab’s ja damals nicht. Also Schere und Kleber raus [lacht]. Es blieb uns oft nichts anderes übrig, als den Backing-Track in einem Durchgang zu spielen. Das vermisse ich heute, zumindest ein wenig. Andererseits verstehe ich natürlich den Sinn eines Clicktracks, denn schlussendlich sind wir ja mittlerweile alle so gehirngewaschen, dass Musik fast maschinenmäßig klingen muss. Aber wenn du dir all die großen Aufnahmen aus der Vergangenheit anhörst, dann sind sie einfach anders. Es gab immer Bewegung: Die Strophe wird vielleicht tempomäßig ein wenig zurückhaltender gespielt, in den ‚middle eight‘ geht’s ein wenig nach vorne, dann kommt wieder eine Strophe. Ein Clicktrack erlaubt dir so was nicht, und genau diese Freiheit fehlt mir.
Viele der verrückten Drumfills, die ich und auch andere Drummer damals spielen konnten, sind nur deswegen entstanden, weil wir frei waren, mit der Time zu arbeiten – es ging natürlich nicht darum, ‚out of time‘ zu spielen, sondern sich in der Time zu bewegen, und das eben frei. Du kannst heute jedenfalls ziemlich schnell sagen, ob jemand, der es vielleicht nicht so gut kann, zu einem Click spielt, weil alles irgendwie quadratisch klingt [singt vor]. Es ist einfach keine Menschlichkeit darin. Auf der anderen Seite gibt dir der Click die Möglichkeit, Aufnahmen miteinander zu verbinden, weil sie eben exakt das gleiche Tempo haben.
Wer es beim Schlagzeugsolo donnern lassen will wie Ian Paice, ist hier gut aufgehoben. Checkt unseren Workshop über Ian Paice.
Warum habt ihr das Album in Kanada aufgenommen?
Das Studio, in dem wir zum Beispiel „Whoosh“ [2020], „Infinite“ [2017] und „Now What?!“ [2013] aufgenommen haben, ein großer, wunderbar klingender Raum in Nashville, wurde mittlerweile geschlossen. Bob musste aus familiären Gründen in Nordamerika bleiben und deswegen wollten wir dort in der Nähe etwas finden. Also haben wir dieses Studio in Toronto ausgewählt, was okay war, wo wir aber wahrscheinlich nicht wieder hingehen werden. Es war definitiv nicht so gut wie das in Nashville – falsch war es natürlich auch wieder nicht, aber Nashville war einfach superb. Es ist so, als würdest du andere Studios mit Abbey Road Number 2 vergleichen: Es ist schlicht und ergreifend ein „magic room“. Das ist einfach so. Wenn wir noch mal ein Album machen, kehren wir sicher wieder in ein anderes Studio nach Nashville zurück.
Ein weiteres Album ist also nicht ausgeschlossen?
Nein, warum denn auch? Wir haben jetzt erst einmal die große Tour bis zum Ende des Jahres und danach machen wir wohl eine Pause. Die muss einfach sein – für uns und auch fürs Publikum. Wenn die Leute dich eine Zeitlang nicht gesehen haben, ist das auch ganz gut. Für zwei, drei Wochen ins Studio zu gehen und ein neues Album zu machen, ist nicht schwierig – wenn denn die Ideen vorhanden sind. Wenn man Vorstellungen hat, schöne, neue Musik zu machen, warum soll man es dann nicht tun?
Wer entscheidet letztendlich, ob es ein neues Album geben wird?
Wie alles bei uns ist das eine gemeinsame Entscheidung. Wir sind fünf, und wenn drei der Meinung sind, dass wir ein neues Album machen sollten, dann tun wir es – wenn drei Nein sagen, dann lassen wir es. Ganz einfach [lacht]. Diese Regel haben wir vor langer Zeit aufgestellt und es muss einfach eine Mehrheitsentscheidung sein, irgendetwas zu tun oder zu lassen. Du magst einen Kampf verlieren, aber dafür gewinnst du einen anderen. Man muss einfach verstehen, dass man nicht immer gewinnen kann. So simpel ist das.
Jetzt wieder gemeinsam im Studio zu stehen, muss nach der pandemiebedingten Remote-Recording-Erfahrung von „Turning To Crime“ ziemlich befreiend gewesen sein.
Das war das erste und wohl auch einzige Mal in der Geschichte der Band [lacht], dass wir so aufgenommen haben. Wir saßen während der Pandemie alle in unseren kleinen persönlichen Gefängnissen und konnten nicht raus. Die Entscheidung war: Tun wir etwas oder tun wir nichts? Es erschien uns eine nette Idee, Songs von Künstlern, die wir mögen, zusammenzustellen und aufzunehmen. Wir waren auch davon überzeugt, dass wir gut genug sein würden, eine Remote-Recording-Geschichte zu machen, die nicht wie eine solche klingt.
Davon abgesehen hat es uns riesigen Spaß gemacht, die Musik von anderen zu spielen. Wir haben von den Originalen ein paar Dinge geändert, aber vieles habe zum Beispiel ich selbst auch so gelassen: Den Cream-Song [„White Room“] habe ich nicht verändert, weil die Performance von Ginger [Baker] einfach wundervoll war und ist. Besser kann man’s nicht machen. Andere Sachen haben wir leicht verändert. Und was soll ich sagen, ich mag diese Platte wirklich sehr [lacht]. Es ist selbstverständlich keine Standard-Deep-Purple-Platte, klar, aber schlussendlich war sie es wert, gemacht zu werden. Vielen Leuten gefällt sie.
Bei „A Bit On The Side“ auf dem neuen Album spielst du Double Bassdrum. Das dürfte nach „Fireball“ das zweite Mal in der Geschichte von Deep Purple sein.
Richtig. Ich hatte einfach die Idee, diesen besonderen Puls durch die Strophen durchzuziehen. Der Song begann damit, dass ich mit einem Double-Bassdrum-Pattern herumspielte. Ich weiß nicht mehr ganz genau, was es war, aber die Jungs setzten ein und am Ende hatten wir etwas Schönes, wie ich finde. Wir würden den Song auch gerne live spielen, auch wenn er sicher keine Single werden wird. Live funktioniert er aber sehr gut. Außerdem liegt „Fireball“ [1971] ja auch schon ein paar Jahre zurück. Es gibt natürlich viele Jungs da draußen, die verdammt gut mit zwei Bassdrums umgehen können, weil sie das Schlagzeugspielen mit zwei Bassdrums gelernt haben.
Ich habe mit einer Bassdrum gelernt, und da komme ich natürlich auch nicht so ohne Weiteres heraus. Was ich kann, ist sehr, sehr einfach [singt vor] – und selbst darüber muss ich nachdenken. Vieles dreht sich auf einmal um. Ich habe so lange mit einer Bassdrum gespielt, dass ich jetzt nicht einfach umstellen kann. Außerdem bin ich der Meinung, dass man so was nicht überstrapazieren darf. Es ist als Überraschungsmoment sehr effektiv und aufregend, aber wenn du es fünfmal hintereinander hörst, dann ist es einfach nicht mehr spannend, sondern wird zum Geräusch. Wenn du aber das passende Vehikel für solche Dinge findest, dann ist es toll. Nur weil du eine weitere Bassdrum hast, musst du sie jedenfalls nicht die ganze Zeit spielen – das Gleiche gilt ja auch für eine 10“ große Tom [lacht].
Mit welchem Fuß führst du als Linkshänder?
Mit meinem Hi-Hat-Fuß. Die reguläre Bassdrum macht die Offbeats. Andere machen’s anders, aber das verwirrt mich schon so mehr als genug [lacht].
Ein weiterer auffälliger Track auf dem Album ist das verspielte „Bleeding Obvious“.
Wir hatten zwei, drei Ideen, die auf einem gleichen Tempo basierten. Diese haben wir als verschiedene Teile mit verschiedenen Metren im Studio bearbeitet und Bob hat sie zusammengebaut. In der letzten Probenwoche mussten wir natürlich versuchen, das Ganze am Stück zu spielen. Von einem 7/4 oder was auch immer in einen 4/4 zu wechseln, mag simpel klingen, ist es aber ganz und gar nicht, denn das Ganze muss natürlich weiterrollen. Du möchtest ja keinen harten Sprung produzieren. Es hat Spaß gemacht, sich damit auseinanderzusetzen. Hättest du das gleiche Stück in den Siebzigern gehört, hätte es dich nicht sonderlich überrascht, denn damals machten viele Bands solche längeren, verspielten Songs. Heute macht so was kaum jemand. Also fällt’s mehr auf.
Mit Simon McBride habt ihr nach vielen Jahren mit Steve Morse einen neuen Gitarristen. Wie ist das Spielen und Komponieren mit ihm?
Selbstverständlich anders. Simon ist ein verlässlicher Profi: Er versteht die Art Dinge, die wir von ihm erwarten, weiß aber auf der anderen Seite, dass er Simon sein und seine persönliche Note einbringen darf. Er soll nicht Steve und auch nicht Ritchie [Blackmore] werden. Simon hat ein Gespür für die „historic pieces“, bei denen ein Solo eben nicht mehr nur ein Solo ist, sondern Teil der Komposition – vielleicht nicht das ganze Solo, aber zumindest der Anfang und das Ende. Das weiß Simon, ohne dass wir ihn darum hätten bitten müssen. Außerdem hat er eine andere Dimension in die Band gebracht: Seine kulturellen Wurzeln und alles, was er auf der Gitarre macht, sind eher europäisch. Er kommt eher von Gitarristen wie Eric Clapton, Jeff Beck, Jimi Hendrix und natürlich auch Ritchie Blackmore, den Jungs also, die das moderne Rock-’n’-Roll-Gitarrespielen zusammen mit anderen erfunden haben.
Steves Einflüsse waren als Amerikaner anders – wir sprechen zwar eine ähnliche, aber eben nicht die gleiche Sprache [lacht]. Es geht nicht um ‚besser‘ oder ‚schlechter‘, sondern ist einfach anders. Steve hatte also sein Genie in die Band gebracht, das von jenseits des Atlantiks kam. Manchmal fand ich seine Ideen brillant, manchmal habe ich sie nicht wirklich verstanden, obwohl wir sie zum Funktionieren gebracht haben. Simon bringt nun Ideen ein, die ein wenig mehr „down home“ für uns sind. Außerdem spielt er sehr viel rifforientierter. Jedes Riff, ob gut oder nur mittelmäßig, führt dazu, dass die Dinge etwas „heavier“ wirken.
Das liegt in der Natur der Sache und diese Form von perkussiver Härte, die mich wiederum dazu verleitet, auch etwas aggressiver zu spielen, zeigt sich meiner Meinung nach auf dem Album, das dadurch frisch klingt. Jede Abwechslung, die dich zu einer neuen Herangehensweise führt, macht die Sache spannend. Dadurch hat „=1“ eine vielleicht etwas engere Beziehung zu dem, was wir in den Siebzigerjahren gemacht haben, als andere Platten. Musikalisch geht’s, finde ich, eher in diese Richtung.
Apropos Siebziger, „Smoke On The Water“ ist unlängst 50 Jahre alt geworden. Wie stehst du zu einem solchen Übersong?
Ich fühle vor allem eine große Dankbarkeit. Wenn du einen Hit schreibst, ist das toll – wenn du einen Hit schreibst, der zu einer Hymne wird, dann sag einfach: Dankeschön. Dieser Song sorgt schließlich für dich und deine Familie auf eine sehr angenehme Art und Weise. Dafür kann man nur dankbar sein. Davon abgesehen ist „Smoke On The Water“ einfach ein guter Song, und einen guten Song zu spielen, ist immer okay. Natürlich kann man innerhalb des Songs kaum noch etwas verändern, aber kleine Freiheiten erlaube ich mir schon: mal ein anderes Fill, mal ein anderer Akzent hier und da. So bleibe ich bei der Sache. Es verändert den Song nicht, macht ihn aber für diese Show, für dieses Publikum jeweils einzigartig.
Abgesehen von dem Spaß, den es macht, den Song zu spielen, kommt nämlich der meiste Spaß davon, die Reaktionen des Publikums zu erleben: Sie sind diejenigen, die Spaß haben. Schließlich haben sie ihr Geld für die Tickets ja auch bezahlt, um diesen Song zu hören. Das muss man verstehen, und wenn man ihre Reaktionen auf die ersten Töne erlebt, dann weiß man, dass dem so ist. Das ist immer wieder wunderbar.
Hörst du noch die alten Alben?
Nicht wirklich. Wenn mal zufällig im Autoradio etwas von uns läuft, dann mache ich schon mal lauter [lacht]. Nein, im Ernst: Wenn ein Album fertig ist, dann tendiere ich dazu, das Interesse zu verlieren. Du bist schließlich so konzentriert und damit beschäftigt, für eine bestimmte Zeit das Beste zu liefern, das du kannst, dass du dich auch wieder entfernen möchtest. Wenn du die Songs live auf der Bühne spielst, ist das eine andere Sache. Manche Songs spielst du aber auch nur soundso viele Male, sodass du kaum eine Beziehung dazu aufbauen kannst – aber du hast sie unsterblich gemacht, indem du sie für ein Album aufgenommen hast. Der Spaß liegt eigentlich darin, dass man in den aufgenommenen Songs live andere Dinge entdeckt, mit denen man Spaß haben kann. Das ist eine tolle Sache und besser, als die Platten wieder und wieder anzuhören.
Welche Songs genießt du auf der Bühne mehr?
Das hängt davon ab. Es gibt Tage, da geht’s dir gut, und Tage, da ist es vielleicht nicht so toll. Wenn du unter Dampf stehst, dann machen die schnelleren, herausfordernden Nummern mehr Spaß. An gedämpfteren Tagen reizen die Groovesachen vielleicht mehr. Da ist keine feste Regel. Es gibt auch Gigs, da wartet man förmlich auf die Ballade, weil gerade diese deine Gemütslage am besten widerspiegelt. Am nächsten Tag kannst du es kaum erwarten, bei „Speed King“ mal fünf Minuten lang auszurasten. Diese Wechsel gibt’s täglich, denn du bist nicht jeden Tag gleich.
Du hast gerade eines deiner Drumkits für eine lokale Schule versteigert und gleich einen Platz direkt neben dir bei einem Deep-Purple-Konzert draufgepackt?
Ja. Ich hatte halt dieses Kit, das über 20 Jahre in meiner Garage stand, und wusste nicht so recht, wohin damit. Dann gab’s da diese wunderbare Schule für jüngere Kinder in der Nähe, die irgendwie Geldsorgen hatte. Also fragte man erst einmal die Eltern um finanzielle Unterstützung – eine staatliche Schule wohlgemerkt, keine private. Als wir etwas davon mitbekommen haben, haben wir den Schulleiter eingeladen und ihm von unserer Idee erzählt, dieses Drumkit zu versteigern. Er war natürlich begeistert. Um das Ganze noch ein wenig interessanter zu machen, habe ich angeboten, dass derjenige, der das Kit ersteigert, in Begleitung bei einer Show direkt neben mir auf der Bühne sitzen und all die Fehler, die ich mache, aus der Nähe erleben kann [lacht].
So haben wir einen fünfstelligen Betrag zusammenbekommen. Das war eine tolle Sache. Ich habe das Kit persönlich übergeben und sehe den Mann wahrscheinlich beim Konzert in der O2-Arena. Manchmal kann man mit wenigen Mitteln sehr, sehr viel erreichen. So etwas, bei dem jeder anschließend lächelt, mache ich natürlich sehr gerne.
“Ich sitze nicht so wahnsinnig gerne im Proberaum, denn das, was du dort machst, ist nicht das, was auf der Bühne passiert.“
Machst du noch mit deinen „Drumtribe“-Videos weiter?
Ja, das werde ich machen, wenn ich die Zeit dazu habe. Abgesehen von der Arbeit mit der Band gibt es immer wieder Dinge, die Geld – Verzeihung, Zeit auffressen [lacht]. Ein Freud’scher Versprecher [lacht]. Ausbesserungsarbeiten am Haus und alles mögliche brauchen einfach Zeit, wenn man denn mal zu Hause ist.
Aber ich werde auf jeden Fall auf der kommenden Tour einiges filmen, das nicht unbedingt auf der Bühne stattfinden muss. Es geht ja um Dinge, die die Leute gerne sehen möchten, aber normalerweise nie eine Chance dazu bekommen.
Abgesehen von Deep Purple bist du nach wie vor gerne mit Tribute-Bands und auch mal mit der Buddy Rich Big Band zu erleben?
Mit der Buddy Rich Big Band bin ich hier und da mal aktiv. Cathy Rich [Tochter von Buddy Rich] und Gregg Porter [Drummer in der Buddy Rich Big Band] sind gute Freunde. Die besten Auftritte mit der Band waren die im Ronnie Scott’s [Jazzclub] in London – eine ganze Woche lang. Das war für den Club gut, denn er war jeden Abend ausverkauft, und half auch der Band, denn manche Besucher wären vielleicht nicht gekommen, wenn ich nicht gespielt hätte. Mit Purpendicular [Deep-Purple-Tribute-Band] zu spielen, macht einfach unglaublich Spaß. Das tue ich, wenn ich mal längere Zeit mit Deep Purple nicht unterwegs bin.
Ich bin davon überzeugt, dass man nicht drei, vier Monate abseits der Bühne verbringen kann, ohne dass es Auswirkungen auf dich und dein Spiel hat. Diese Möglichkeit ist also perfekt: Es macht Spaß, hilft der Band, deren Mitglieder mittlerweile alle zu Freunden geworden sind, und den Clubs, die dadurch mehr Publikum ziehen.
Schlussendlich hilft es aber auch mir, weil ich einfach weiterspiele, und zwar auf der Bühne. Ich sitze nicht so wahnsinnig gerne im Proberaum, denn das, was du dort machst, ist nicht das, was auf der Bühne passiert. Das ist eine ganz andere Disziplin, eine ganz andere Power und verlangt ganz andere Konzentration. Mit 20 kannst du leicht ein ganzes Jahr nichts machen, aber etwas später im Leben [lacht] machen die Muskeln einfach nicht mehr dasselbe, wenn du sie längere Zeit nicht benutzt. Würde ich also nach fünf Monaten meinen Händen ein Signal senden, dann würden sie es nicht so leicht umsetzen. Wenn du gar nicht erst aufhörst, dann hast du dieses Problem nicht, und ich bin fit, wenn’s mit Purple wieder „on the road“ geht. So brauche ich keine vier, fünf Shows, um wieder in Form zu kommen.
Was sind die nächsten Pläne?
Dieses Jahr wird wie gesagt ganz im Zeichen der Welttournee stehen, und danach haben wir sicher für einige Monate genug voneinander [lacht]. Wir sprechen aber derzeit zumindest locker darüber, Songs zu schreiben und ein neues Album zu machen. Es wäre auch schön, mal wieder dort Konzerte zu spielen, wo wir lange nicht mehr gewesen sind – solange natürlich alle es weiterhin wollen und fit bleiben. Übers Aufhören denken wir derzeit jedenfalls nicht nach.
Biografie:
Ian Paice, geboren 1948 in Nottingham, spielte zunächst Geige, schwenkte aber mit 15 Jahren zum Schlagzeug um. Mitte der 1960er-Jahre begann er, professionell Musik zu machen und in diversen Bands zu spielen. 1968 lernte Paice einen Gitarristen namens Ritchie Blackmore kennen, der ihn in seine Band holte. Aus dieser Band wurde Deep Purple – der Rest ist Geschichte. Mit seinem swingenden Rockdrumming wurde der Brite Vorbild für zahllose trommelnde Kollegen. Paice ist das einzige Bandmitglied, das in sämtlichen Deep-Purple-Besetzungen aktiv war, und in seiner Karriere trommelte er neben seiner Haus- und Hofband ebenfalls für Whitesnake, Gary Moore, George Harrison, Paul McCartney sowie die Buddy Rich Big Band oder die Deep-Purple-Tribute-Band Purpendicular.
Diskografie (Deep Purple, Studioalben)
Shades of Deep Purple (1968), The Book of Taliesyn (1968), Deep Purple (1969), Deep Purple in Rock (1970), Fireball (1971), Machine Head (1972), Who Do We Think We Are (1973), Burn (1974), Stormbringer (1974), Come Taste the Band (1975), Perfect Strangers (1984), The House of Blue Light (1987), Slaves and Masters (1990), The Battle Rages On (1993), Purpendicular (1996), Abandon (1998), Bananas (2003), Rapture of the Deep (2005), Now What?! (2013), Infinite (2017), Whoosh! (2020), Turning to Crime (2021), =1 (2024)
Equipment Ian Paice
- Drums: Pearl „Masters“ (live)
- 26“ x 14“ Bassdrum
- 10“ x 8“, 12“ x 8“, 13“ x 9“, 14“ x 10“, 15“ x 10“ Racktoms
- 16“ x 16“, 18“ x 16“ Floortoms
- 14“ x 6,5“ Ian-Paice-Signature-Snaredrum
- Cymbals: Paiste „2002“
- 22“ China
- 24“ und 22“ Crashes
- 22“ Ride
- 8“ Splash
- 15“ »Sound Edge«-Hihat
- Sticks: Promark (Signature-Modell)
- Hardware: Pearl
- Felle: Remo
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