Jas Kayser gehört zu den Shooting-Stars der englischen Jazzszene. Nicht nur mit ihrer eigenen Band, sondern auch als Drummerin von Jorja Smith oder Alpha Mist macht sie auf sich aufmerksam. Und: Im Video zum Lenny-Kravitz-Song „Low“ ist sie ebenfalls zu sehen – als weibliches Pendant zum gleichzeitig Schlagzeug spielenden Kravitz. Es passiert also gerade so einiges im Leben der Berklee-Absolventin, das Stoff für ein ausführliches Gespräch liefert.
Wie sieht dein musikalischer Hintergrund aus?
Ich habe mit neun Jahren mit dem Schlagzeugspielen angefangen, in der Schule. Da gab’s einen Typen, der Percussionworkshops gegeben hat. So hat alles begonnen. Mein Schlagzeuglehrer danach war eher ein Rocker, also haben wir viel Red Hot Chili Peppers, Green Day und solche Sachen gespielt. Anschließend bin ich an eine Musikschule gegangen, an der es Prüfungen gab. Dafür habe ich angefangen, mich mit Jazz zu beschäftigen – eigentlich eher mit Fusion à la Dave Weckl. Gleichzeitig hatte ich ein wenig mit Klavierspielen angefangen, was ich allerdings zunächst ziemlich gehasst habe [lacht]. Eine Klavierlehrerin hat mich jedoch an Charlie Parker, Charles Mingus und Duke Ellington herangeführt – Leute, von denen ich zuvor noch nie etwas gehört hatte. Das war dann wirklich cool. Wir haben in den Klavierstunden viel Musik gehört. Mit etwa 16 ging ich dann zur Julian-Joseph-Jazz-Academy.
Ein weiterer wichtiger Schritt war der „Hit Like A Girl“-Wettbewerb.
Ja. Das erste Mal habe ich während meiner Collegezeit teilgenommen. Ich glaube, ich bin damals Vierte geworden – was mich total überrascht hat. Es war und ist für mich einfach eine tolle Plattform, andere Mädels am Schlagzeug kennenzulernen. Solche Dinge sind enorm wichtig, um sich bestätigt zu fühlen.
Wie bist du schlussendlich ans Berklee-College gekommen?
Ich habe für die fünfwöchige „Summer School“ vorgespielt und hatte dafür ein Stipendium. Mir war gar nicht klar, dass man während dieser „Summer School“ auch für den regulären Studienplatz vorspielen konnte. Das kam also mehr oder weniger zufällig. Am Ende der fünf Wochen bekam ich jedenfalls ein vollwertiges Scholarship und bin vier Jahre in Berklee geblieben. Wahnsinn! Als ein realistisches Ziel war mir so etwas bis dato absolut nicht vorgekommen. Danach bin ich für ein Jahr nach Panama gegangen und habe unterrichtet [lacht].
Natürlich ist als „Frau am Drumset“ der Name Terri Lyne Carrington untrennbar mit Berklee verbunden. Wie war es, mit ihr zu arbeiten?
Das war ein wahr gewordener Traum. Sie ist schließlich eines meiner Idole, das ich bis dahin nur von Online-Videos kannte. Sie hatte mich über „Hit Like A Girl“ wahrgenommen und wusste, dass ich in Berklee war. Eines Tages kam eine Mail von ihr. Ich hatte sie so lange gesucht, und jetzt kam sie zu mir! Schlussendlich haben wir uns erstmalig in einem Café getroffen und einfach nur gequatscht. Dann empfahl sie mir irgendwann, das „Gobal Jazz Institute“ am Berklee College zu durchlaufen.
Für dich ausgesucht
Was denkst du über das „Frauen im Jazz“-Label, das ja eigentlich gerade in unserer Zeit völlig überflüssig sein sollte?
Solche Labels sind eigentlich ganz hilfreich. Es mag eine Art Bewegung sein, aber für mich ganz persönlich gilt das natürlich nicht – ich bin schließlich ich. Ich denke aber, es ist toll, dass es diese ganzen Plattformen gibt – Plattformen, die Frauen in der Musik Gehör verschaffen. In London zum Beispiel gibt’s die „Women in Jazz“-Organisation, die unter diesem Banner Gigs in verschiedenen Jazzclubs und Hotels organisiert. Eigentlich sollte das alles natürlich ganz selbstverständlich und gleichberechtigt sein. Ich jedenfalls möchte mir nicht sagen oder sagen lassen, „für ein Mädchen“ ganz gut am Drumset zu sein. Das ist das schlimmste Kompliment der Welt [lacht]! Bei einer All-Female-Band weißt du aber letztlich nie so ganz genau, ob du nun als Frau oder als Musikerin allgemein gebucht worden bist. Da gibt es schon eine gewisse Diskrepanz, selbst wenn sie überhaupt nicht gewollt ist. Dennoch finde ich All-Female-Bands und -Programme wichtig, denn sie unterstützen das, was wir tun. Je mehr Frauen sich in der Szene etablieren, desto mehr junge Mädchen werden etwas Ähnliches machen. Und das kann nur gut sein.
Spielt das Geschlecht eine Rolle, wenn du für eine Band oder ein Projekt vorspielst?
Ja, manchmal. Ich habe zwar eigentlich immer ganz gute Erfahrungen gemacht, aber zwei-, dreimal war’s schon auch schwieriger. Eine Handvoll Leute hat’s immer noch nicht kapiert und manche denken immer noch, bewusst oder unbewusst, dass eine Frau am Instrument einfach nicht so gut sein kann wie ein Mann: Von der einen Seite gibt’s vielleicht weniger Erwartungen, von der anderen setzt man sich selbst mitunter stärker unter Druck. Jede Musikerin, mit der ich spreche, hat in dieser Hinsicht ihre eigenen Erfahrungen gemacht – die eine mehr, die andere weniger. Grundsätzlich ist aber noch einiges an Arbeit zu tun, bevor wir alle tatsächlich gleichberechtigt sind. Ich habe zum Beispiel vor vier, fünf Jahren mal einen Gig gespielt, bei dem außer mir und der Pianistin alle anderen Musiker männlich waren – und wir beide haben, wie ich nachher festgestellt habe, fast nur die Hälfte von dem Geld bekommen, das die anderen bekamen [lacht]. Das ist zwar schon einige Zeit her, aber so war’s und ist’s wahrscheinlich manchmal immer noch.
“Je mehr Frauen sich in der Szene etablieren, desto mehr junge Mädchen werden etwas Ähnliches machen. Und das kann nur gut sein.”
Du lebst in London. Wie ist dort die Jazzszene?
Mir gefällt es besonders, dass gerade in London so viele Leute ihre eigene Musik spielen. Ich unterrichte an der World Heartbeat Academy und lerne dort sehr viele Menschen kennen, die in dieser Szene aufgewachsen sind. Jeder spielt recht viel, und so entstehen immer wieder neue Projekte. Es gibt vielleicht nicht mehr so viele Clubs für Straight-Ahead-Jazz, wie das einmal der Fall war, aber dafür entsteht viel Grooveorientiertes und Hip-hoppy-Afrobeat-Stuff. Das ist genau mein Ding, obwohl ich auch gerne Swing und solche Dinge spiele.
Wie würdest du dich selbst als Drummerin charakterisieren?
Oh. Ich bin da nicht sicher und fühle mich eher so, als hätte ich die ganze Zeit eine Identitätskrise [lacht]. Was das Musikgenre angeht, fühle ich mich am meisten zu Afrobeat à la Fela Kuti und Tony Allen hingezogen. Wenn ich eigene Musik schreibe, dann kommt sie eigentlich fast immer daher.
Woher stammt dieser starke Afrobeat-Einfluss?
Das kam aus dem Nichts. Richtig angefangen hatte ja alles mit Jazz, aber ich hatte immer Schwierigkeiten, mich in den Swing einzufinden. Wenn man sich intellektuell damit beschäftigt, dann wird’s schnell kopflastig. Um das zu vermeiden, muss man sich intensiver mit den Wurzeln auseinandersetzen. So landete ich neben Afrobeat auch schnell bei Latin-Music. Zudem liegen meine Wurzeln auf Barbados und mein Großvater zum Beispiel hat viel Reggae gehört. Als ich dann Fela Kuti und Tony Allen entdeckt habe, gab’s eine direkte Verbindung.
Was sind deine derzeitigen Projekte?
Da gibt’s zum einen die Band von Jorja Smith, mit der ich die letzten Jahre viel unterwegs war. Im Moment pausiert sie allerdings. Dann habe ich mit Alpha Mist weltweit eine große Tour gespielt. Das war ziemlich cool. Zudem gibt es natürlich meine eigene Band, wobei das Line-up immer recht schwierig ist, da die meisten von uns gut unterwegs sind. Aber es gibt eine prinzipiell feste Besetzung, mit der ich spiele und aufnehme.
Wie schreibst du deine eigene Musik?
Bislang habe ich meist am Klavier komponiert, aber jetzt habe ich bewusst mit dem Schlagzeug angefangen, weil mir das am meisten Spaß macht. Am Klavier habe ich so meine Limits, die oft zu einer Art Blockade führen. Ich finde es sehr hilfreich, mit Produzenten und Co-Writern zu arbeiten. Früher habe ich immer gedacht, alles alleine machen zu müssen, aber eine Kollaboration fühlt sich einfach viel besser an. Man lernt voneinander und kommt auf andere Ideen. Das neue Album habe ich unter anderem mit Alpha Mist geschrieben. Ich hoffe, dass das Album, das bis auf ein paar Kleinigkeiten fertig ist, in diesem Jahr noch erscheinen kann.
“Drei Tage nach Lennys Anruf saß ich von Boston aus im Flieger nach Paris zum Videodreh.“
Du durftest im Video zu „Low“ an der Seite von Lenny Kravitz Schlagzeug spielen. Wie kam’s dazu?
Das passierte in meinem letzten Jahr in Berklee, wo ich ohnehin in meinen Entscheidungen sehr offen war und nicht so genau wusste, wo’s hingehen soll. Lenny hat einen Patensohn, der ebenfalls in Berklee war, und hatte dieses Konzept von einem männlichen und einem weiblichen Drummer, die gemeinsam performen und immer wieder ineinander übergeblendet werden, im Kopf. Lennys Patensohn hatte mich empfohlen und die Sache kam dann relativ schnell zustande. Drei Tage nach Lennys Anruf saß ich von Boston aus im Flieger nach Paris zum Videodreh.
Lenny hat dich selber angerufen?
Ja, genau. Ziemlich surreal. Ich habe natürlich direkt gesagt, dass ich leider zu beschäftigt bin [lacht]. Das Großartige an der ganzen Aktion war Lennys Unterstützung, und zwar nicht nur beim Videodreh selber, sondern ganz allgemein. Lenny war zu dieser Zeit auf Tour und hat mich ein paar Tage im Tourbus mitgenommen. Ich durfte mir die Shows und Soundchecks ansehen und wir haben uns natürlich viel unterhalten, vor allem auch über Tony Allen. Lenny hat dafür gesorgt, dass ich Allen sogar persönlich kennenlernen konnte – Lenny ist einfach ein cooler Typ!
Was passierte denn nach diesem Video?
Nichts – für eine ganze Zeit. Das Video wurde bei den MTV Video Music Awards nominiert, und deswegen hat Lenny mich erneut angerufen. Leider haben wir nicht gewonnen, aber so blieben wir in Kontakt.
Gab’s nie Überlegungen, auch live mit ihm zu spielen?
Doch, er hat’s hier und da in den vergangenen Jahren mal erwähnt, aber es ist bislang nie dazu gekommen [lacht]. Ich wäre jedenfalls bereit. Man weiß ja nie, was noch so passiert.
Wie geht’s bei dir jetzt weiter?
Ich bereite die Veröffentlichung meines neuen Albums vor und hoffe, dass ich viele schöne Gigs spielen kann. Ich habe immer so viel komponiert, dass ich noch viele Aufnahmen machen kann. Ich glaube, dass es nicht sonderlich sinnvoll ist, Musik zu schreiben und dann nicht aufzunehmen. Insofern geht’s da immer weiter.
Danke fürs Gespräch!
Biografie Jas Kayser:
Jas Kayser ist eine britische Jazzschlagzeugerin. Sie lebt aktuell in London und Panama City. Nach privatem und schulischem Schlagzeugunterricht wechselte sie im Alter von 16 Jahren auf die Purcell School of Music in London, zudem besuchte sie die Jazzakademie von Julian Joseph und erhielt ein Stipendium am Berklee College of Music in Boston. Dort studierte sie bei Terri Lyne Carrington, Danilo Pérez, Ralph Peterson und Neal Smith und schloss zunächst mit dem Bachelor, dann dem Master ab. Kayser wurde bei den Parliamentary Jazz Awards 2021 als „Newcomer des Jahres“ ausgezeichnet. Heute spielt sie mit Jorja Smith, Alpha Mist sowie zahlreichen weiteren Projekten und leitet ihre eigene Band.
Diskografie (Auswahl):
- Unforced Rhythm of Grace EP
- Jas5ive
- Jorja Smith: Falling Or Flying
- Alpha Mist: Variables
Equipment:
- Drums: Yamaha „Absolute Hybrid Maple“ in „Classic Walnut“
- 20“ x 16“ Bassdrum
- 10“ x 7“, 12“ x 8“ Toms
- 14“ x 13“, 16“ x 15“ Floortoms
- 14“ x 6“ „Hybrid Maple“-Snare
- Hardware: Yamaha
- Cymbals: Paiste
- 14“ „Masters Dark“-Hihat
- 16“ „PST X Swiss Thin“-Crash
- 10“ „PST X Swiss“-Splash
- 19“ „Masters Extra Thin“-Crash
- 22“ „Masters Dark“-Ride
Website: https://jaskayserdrums.com
Instagram: https://instagram.com/jaskayser