Die Country-Szene in Nashville hat sicherlich weltweit einen Sonderstatus. Tag für Tag werden in unglaublich ausgestatteten Studioräumen mit Sessionbands Songs regelrecht am Fließband produziert. Ein Produktionsprozess, der im Rest der Musikwelt nur noch eine romantische Erinnerung an vergangene Tage ist, wird hier nach wie vor gelebt. Einer der gefragtesten Drummer dieser einzigartigen Szene ist Jerry Roe.
Im Herzen ein Rocker, tauchte er schon früh in die Country-Szene ein und spielte auf Hit-Alben von Künstlern wie Keith Urban, Luke Combs, Kane Brown und natürlich auch auf dem Soundtrack der sehenswerten TV-Serie Nashville. Hin und wieder nimmt er auch für deutschsprachige Künstler auf. So trommelte er unter anderem auf dem hierzulande erfolgreichen Sarah Connor Album „Herzkraftwerke“. Wir sprachen mit ihm über seinen Werdegang als Sessiondrummer, wie ein typischer Studiotag in seinem Leben aussieht und bekamen von ihm Einblicke in sein Studiosetup.
Hallo Jerry, du bist einer der gefragtesten Sessiondrummer in Nashville. Erzähl uns mal ein bisschen, wie es dazu kam!
Ich denke, mir wurde das wohl schon in die Wiege gelegt. Mein Vater und mein Großvater waren beide im Musikbusiness tätig, weshalb ich schon sehr früh angefangen habe, Fuß zu fassen. Meinen ersten Gig und auch meine erste Demosession habe ich bereits mit 11 Jahren gespielt. Die ersten paar Jahre meiner Karriere habe ich dann auf Tour mit meinen eigenen Bands verbracht. Irgendwann kam dann die Studioarbeit dazu. Ich bin 2009 für drei Jahre nach Los Angeles gezogen. Als ich danach wieder zurück nach Nashville kam, waren viele meiner gleichaltrigen Freunde mittlerweile im Business etabliert und haben mich dann immer mehr für Sessions gebucht. Von da an ging es Schritt für Schritt weiter.
Bist du nach Los Angeles gezogen, um in der dortigen Studioszene mitzuwirken?
Nicht unbedingt. Ich bin in Nashville geboren, meine Familie lebt hier und ich brauchte einfach mal einen Tapetenwechsel. Mein Herz schlägt für Rockmusik, und das findet in LA einfach mehr statt. Ironischerweise war meine erste Session in LA dann für ein Country-Album, ich konnte dem Ganzen also offenbar nicht wirklich entfliehen. (lacht)
Wie sieht ein normaler Tag im Leben eines Sessiondrummers in Nashville heute aus?
Ich arbeite an fünf Tagen in der Woche in Studios und bin da durch die Musicians Union in Zeiträume eingeteilt, die jeweils drei Stunden gehen. Eine Session am Morgen von 10 bis13 Uhr, dann von 14 bis 17 Uhr und von 18 bis 21 Uhr. Normalerweise arbeite ich aber nur in zwei Sessions, also von 10 bis 17 Uhr. Ich habe zwar auch ein Homestudio, habe das aber mittlerweile etwas runtergefahren, weil ich sonst wirklich nur noch am Aufnehmen wäre und keine Zeit zum Regenerieren und für Privatleben hätte. Mit sehr seltenen Ausnahmen sind die Wochenenden immer frei.
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Finden alle deiner Sessions in demselben Studio statt?
Nein. Das ist immer in verschiedenen, je nach Verfügbarkeit. Mein Drumtech baut dann mein Setup auf, sodass ich sofort spielbereit bin, wenn die Session losgeht. Früher war es häufiger mal so, dass ich für die zweite Session zu einem anderen Studio fahren musste, aber das ist mittlerweile sehr selten. Die Leute buchen meistens einen kompletten Tag, vor allem weil viele Sessions mittlerweile mit Künstlern über Video-Streaming abgewickelt werden und sie gerne viele Songs an einem Tag aufnehmen. Deswegen bin ich meistens den ganzen Tag an einem Ort.
Wie viele Songs nimmst du am Tag auf?
Das kommt ganz darauf an. Viele nehmen mittlerweile nur einen Song innerhalb des dreistündigen Blocks auf. Manchmal sind es auch zwei oder sogar drei, aber so gut wie nie mehr als das. Weil mittlerweile aber die Deadlines so knapp sind, da es durch Streaming weniger Vorlauf für die Veröffentlichungen gibt, versuchen die Produzenten, das Studio mit so viel fertigem Material wie möglich zu verlassen. Deswegen werden viele Instrumente auch nochmal gedoppelt, damit man genug Layer für die Produktion hat.
Werden die Songs immer als Band eingespielt oder gibt es auch Tage, an denen du ausschließlich Drums für Produktionen einspielst?
Das habe ich immer mal in LA gemacht, aber hier wird eigentlich immer mit Band eingespielt. Die Bands sind mittlerweile häufig auch wieder größer, seitdem der Sound der 80er und 90er wieder im Country angekommen ist. Das macht großen Spaß, weil man dann schon das Gefühl hat, dass das Album gerade mit allen Elementen entsteht. Die meisten Sessions finden aber in einem Setup aus E-Gitarre, Akustikgitarre, Keys, Bass und Drums statt. Wir kommen dann ins Studio, kriegen ein Sheet des Songs, hören das Demo und machen Notizen und spielen dann ein. Früher waren die Songs sehr klassisch und wie nach einer Vorlage aufgebaut, weshalb man meistens in ein bis zwei Takes fertig war. Damals hat man manchmal ein ganzes Album an einem Tag eingespielt, heutzutage wollen die Produzenten aber viele Takes, um daraus auswählen zu können. Manchmal spiele ich also sogar 25 Takes ein, einfach damit der Produzent möglichst viel Material hat, mit dem er arbeiten kann.
Welchen Prozess magst du am liebsten?
Ich finde, dass eine sensibel und facettenreich gestaltete Aufnahme das Beste ist. Früher ging es darum, einfach möglichst einen guten Vibe einzufangen, aber davon haben sich die meisten verabschiedet. Es gibt natürlich auch eine gute Mischung, weil man sicher auch zu viel aufnehmen kann und dann auf einmal das Feeling weg ist. Mit guten Sessionmusikern sind drei Stunden aber ein ausreichendes Zeitfenster, um einen Song einzufangen und auch spezielle Parts festzuhalten.
Wie sieht dein Studiosetup zu Hause aus?
Ich habe dort einen länglichen Raum, der eine hohe Decke hat, was für Drumsound natürlich essenziell ist. Der Raum ist nicht wirklich akustisch ausgebaut, aber klingt trotzdem gut, weshalb ich ihn nicht verändert habe. Da hatte ich echt Glück. Ich habe neben meinem Drumset mein Recording-Rack mit Preamps für 16 Kanäle und nehme dort dann zwischen 11 und 17 Uhr auf, damit ich meine Nachbarn nicht nerve. Glücklicherweise ist es hier aber normal, dass jeder in der Nachbarschaft Musiker wohnen hat, sodass die Toleranz sehr groß ist. Lustig ist aber, dass wir mit meiner Band hier aufgenommen haben und nicht die Drums, sondern am Ende die Gitarren zu laut waren.
Welches Equipment nutzt du hauptsächlich für Sessions?
Ich habe verschiedene Setups. Mein großes A-Rig, bestehend aus einem Craviotto Drumset mit 24“ Bassdrum und vier Toms in 12“, 14“, 16“ und 18“, nutze ich mittlerweile gar nicht mehr so häufig, sondern spiele viel mit meinem B-Setup. Das besteht aus eine Art Ringo Setup mit einem Ludwig Drumset von 1966 mit einer 22“ Bassdrum und Toms in 13“ und 16“ oder, wenn es etwas offener und mehr Hi-Fi klingen soll, aus einem 1982er Tama Superstar Set. Das Ludwig Set wollen aber die meisten Produzenten auf ihren Songs hören. Als Snares nutze ich sehr häufig die Craviotto AK 14“ x 8“ Brass Snare oder die 14“ x 8“ Ash Snare mit Baseball Bat Edges. Die stimme ich gerne sehr tief und dämpfe sie mit Tape.
Wechselst du auch dein Beckensetup regelmäßig oder bleibt das gleich?
Früher habe ich häufiger gewechselt. Seitdem Meinl die Foundry Reserve Cymbals herausgebracht hat, nutze ich aber eigentlich nur noch die. Für helleren, rockigeren Sound greife ich hin und wieder mal auf die Byzance zurück, aber in den meisten Songs klingen die Foundry Reserves einfach am besten.
Da im Studio ja möglichst der perfekte Sound für jeden Song gefunden werden soll, spielt doch sicher auch das Thema Felle eine große Rolle. Der Unterschied zwischen klaren und coated Fellen kann ja wirklich immens sein.
Mein altes Ludwig Set ist nicht unkompliziert. In jedem Raum klingen die Obertöne anders und manchmal sind diese alten, teilweise etwas mangelhaft verarbeiteten Kessel echt anstrengend. Das ist natürlich auch Teil des Charmes von alten Drums, dass sie eben nicht perfekt sind, aber wenn man schnell zum Ziel kommen will, muss man sich schon wirklich auskennen. Deswegen habe ich die coated Felle auch immer ein bisschen mit Tape gedämpft und zusätzlich nutze ich auch Stofftücher, um die Toms im Zaum zu halten. Auf dem Tama Set sind Smooth White Emperors aufgezogen, die natürlich deutlich offener klingen.
Auf vielen Country-Alben hört man im finalen Mix sehr viele Layer oder Samples, mit denen die Drums angereichert werden. Kannst du entspannter arbeiten, wenn du eh weißt, dass die Drums im Produktionsprozess nochmal zusätzlich aufgepumpt werden?
Nein, und ich finde auch, dass das mittlerweile deutlich weniger passiert als früher. Damals wurden Recordings teilweise wirklich mit Sound Replacement und Triggern so bearbeitet, dass man die Drums kaum noch erkennen konnte, aber heute gibt es häufig nur Layer auf Kick und Snare, die den Sound fetter machen. Die Toms sind eigentlich immer der natürliche Sound und ich habe das Gefühl, dass generell immer weniger mit Samples gearbeitet wird. Die Drums müssen also in den Overhead- und Raummikrofonen wirklich gut klingen.
Werden Drums grundsätzlich editiert oder quantisiert?
Nicht unbedingt. Natürlich gibt es Produzenten, die viel editieren oder die Drums quantisieren, weil noch zusätzlich Programming dazu läuft. Ich weiß aber, dass bei vielen Produktionen nicht mehr meine Drums editiert werden, sondern die anderen Instrumente lieber auf die Drums geschnitten werden. Am Ende ist das die Gegenbewegung zu dem jahrelangen Trend, alles bis auf die letzte Note gerade zu rücken.
Wo siehst du die Entwicklung von Drumsound und Produktion in den nächsten Jahren hingehen?
Das ist gar nicht so einfach vorauszusagen. Die letzten drei Jahre waren trotz der Pandemie die arbeitsreichste Zeit in meinem Leben. Seit April 2022, damals noch mit Masken, habe ich so ziemlich jeden Werktag im Studio verbracht. Damals habe ich kurz gedacht, dass das Überleben der Studios durch die Pandemie am seidenen Faden hängt, aber das Gegenteil war der Fall. So komisch das klingt – ich bin aktuell sehr optimistisch. Mittlerweile gibt es mehr Arbeit als es Studioraum gibt. Ich bin monatelang im Voraus gebucht, das war noch nie so.
Welche der Alben, auf denen du gespielt hast, sind für dich besonders wichtig?
Oh, das ist auf Anhieb schwer zu beantworten. Die Alben mit meiner Band „Friendship Commander“ liegen mir natürlich besonders am Herzen, weil sie am meisten das widerspiegeln, was ich musikalisch mag. Alle Songs sind ohne Klick und mit großem, offenen Drumsound aufgenommen. Unser neues Album haben wir in fünf Tagen aufgenommen, dort ist mein Craviotto Kit zu hören und es ist das beste Album, das ich je eingespielt habe. Die Band klingt unglaublich.
Als Sessiondrummer ist mir vor allem das Album „The Lonely, The Lonesome & The Gone“ von Lee Ann Womack wichtig. Das Album haben wir als Band in Sugarhill, Houston live auf Tape aufgenommen. Ich habe ein hochgestimmtes 1967er Rogers in den Größen 20“, 12“, 14“ gespielt und mag den Drumsound wirklich sehr. Das Album kann ich immer wieder hören und freue mich darüber. Ich habe dort auch ungewöhnlich leise gespielt, damit meine Drums nicht in alle anderen Mikrofone im Raum einstreuen. Außerdem mag ich „Weight of the World“ vom Emmylou Harris & Rodney Crowell Album „The Traveling Kind“ sehr. Rodney zeigte uns den Song, wir haben das erste Mal dazu gespielt und das war der finale Take.
Ein guter Studiodrummer muss nicht nur sicher im Timing sein, sondern auch Konsistenz in seinem Touch haben, damit die Drumperformance durchgängig gut klingt. Wie hast du diese Fähigkeiten erreicht?
Ich hatte vielleicht einen etwas unfairen Vorteil, weil ich mit anderthalb Jahren angefangen habe und sowohl mein Vater, als auch mein Großvater mir viel mitgegeben haben. Als Autodidakt habe ich eigentlich permanent zu Musik gespielt, die mir gefallen hat. Dabei habe ich mich nicht nur mit dem Groove und Timing beschäftigt, sondern auch mit dem Sound der Drums. Ich denke auch, dass es nicht einen vorbeschrittenen Weg gibt. Viele in Nashville haben völlig unterschiedliche Herangehensweisen an ihr Instrument und werden genau dafür gebucht. Jeder sollte seinen eigenen Weg finden.
Vielen Dank für’s Gespräch!
Jerrys Equipment:
Drums: Craviotto oder Vintage 1966 Ludwig
Bassdrum: 24“x14“ (Craviotto) oder 22“x14“ (Ludwig)
Snare: 14“x8“ Craviotto AK Brass oder 14“x8“ Craviotto Ash
Toms: 12“x8“, 14“x9“, 16“x16“, 18“x16“ (Craviotto) oder 13“x9“, 16“x16“ (Ludwig)
Becken: Meinl
Hi-Hat: 15“ Foundry Reserve
Crash: 18“ Foundry Reserve, 18“ Jazz Thin Crash, 20“ Jazz Thin Crash
Ride: 22“ Byzance Dark Ride, 22“ Foundry Reserve Light Ride, 22“ Byzance Brilliant Medium Ride
China: 18“ Byzance Brilliant China
Hardware: DW
Felle: Remo
Website: https://www.jerryroemusic.com/
Instagram: https://www.instagram.com/jerryroe