Neben Bahngleisen, einem Delikatessenhandel und der bekannten Münchner Konzert-Location Schlachthof, entwickelt Vertigo Sound seit 2007 feinstes Studio-Gear in der hauseigenen Produktionsstätte. Mit viel Liebe zum Detail, Handarbeit und ordentlich Know-How konnte sich der Hersteller in der Pro-Audio-Szene einen Namen machen.
Als ich die Werkstatt betrete, schnürt Vertigo-Geschäftsführer Andy gerade ein Paket mit Studio-Gear für eine japanische Fernsehstation zusammen, das jedem Tontechnikbegeisterten das Wasser im Munde zusammenlaufen lassen würde. Hier packt der Chef noch mit an, und das mit viel Herzblut und Körpereinsatz. In unserem Gespräch gab mir Andy einen Einblick in die Produktion und erzählte mir unter anderem, welche Anstrengungen unternommen werden müssen, um analoges Studio-Gear digital zu reproduzieren
bonedo: Wie kam es dazu, dass du angefangen hast, Studiohardware zu bauen?
Andy: Bis zur Schließung von Union Studios im Jahr 2000 hab ich dort in München als Tontechniker gearbeitet. Damals kaufte ich bis auf das Mischpult das komplette Equipment auf, um selbst ein Tonstudio aufzubauen. Leider scheiterte dieses Vorhaben aus verschiedenen Gründen. So war es unter anderem schwierig, eine geeignete Immobilie zu finden. Nach und nach haben mein Team und ich dann die angesammelte Studiotechnik verkauft und gleichzeitig das Equipment anderer Studios aufgekauft und anschließend überholt und repariert. Somit konnten wir auf die Geräte eine Garantie und Gewährleistung geben und uns gleichzeitig das notwendige Know-How aneignen, um eigene Studiohardware herstellen zu können.
bonedo: Welche Erfahrungen aus dieser Zeit stellten sich im Nachhinein als besonders wichtig heraus?
Andy: Wir haben damals ziemlich viele Geräte von innen gesehen. Nahezu jeder Kompressor wurde von mir und meinem Team auseinandergeschraubt und repariert. Dadurch konnten wir sehen, welchen Reparaturbedarf es bei manchen Gerätschaften gab. Um das Jahr 2006 hatte ich jedoch keine Lust mehr, Geräte zu reparieren. In der Zwischenzeit haben wir uns dann auch um Kunden gekümmert, die beispielsweise defektes Studio-Equipment auf Ebay ersteigert haben. Teilweise überstiegen die Reparaturkosten jedoch die Erwartungen der Käufer, da die Geräte oft viel zu teuer eingekauft wurden. Wir beschlossen dann, uns aus dem Servicebereich zurückzuziehen und begannen damit den VSC-2 zu entwickeln. Unser Ziel war es, die Dinge zu integrieren, die wir auch bei anderen Geräten toll fanden, und gleichzeitig negative Eigenschaften auszumerzen. Ein großer Vorteil war, dass wir in der Branche durch unsere Reparaturarbeiten gut vernetzt waren. Somit konnten wir die Geräte auch an den Mann bringen. Der VSC-2 ist so gut angekommen, dass wir mit dem VSC-3 mittlerweile ein Nachfolgemodell anbieten.
bonedo: Wie lange dauert es beispielsweise den Vertigo VSE-2 herzustellen?
Andy: Das hab ich nie ganz genau gestoppt und wir produzieren die Geräte auch nicht nacheinander. So werden beispielsweise in einer Serie von zehn bis zwanzig Stück alle Netzteile bestückt und so weiter. Unsere Geräte sind übrigens modular aufgebaut. Das erleichtert auch den Service. Wir haben das absichtlich so einfach gehalten. So kann jeder Kunde, der einen Kreuzschlitzschraubenzieher besitzt, Dinge wie das Netzteil selbst tauschen. Ich vermute, dass es, wenn eine einzelne Person ein Gerät zusammenbauen würde, sicher anderthalb Wochen in Anspruch nehmen würde.
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bonedo: Kommen wir zu den Materialien. Welche Dinge sind besonders wichtig, um gut klingende Studiohardware bauen zu können?
Andy: Mittlerweile habe ich sehr viel Erfahrung, was Materialien angeht. Meiner Meinung nach wird in diesem Bereich jedoch teilweise ein bisschen übertrieben. Das kommt vor allem aus der Hi-Fi-Ecke. Es gibt auch Hersteller, die beispielsweise behaupten, dass die SMD-Fertigung (das maschinelle Bestücken von Mikrobauteilen durch Roboter, Anm. d. Redaktion) schlechter klingt, als das Verarbeiten der Bauteile in Handarbeit. Wir verwenden zum Teil solche SMD-Bauteile und klanglich konnte ich hier noch keinen Unterschied feststellen. Trotzdem legen wir natürlich einen großen Wert auf Qualität.
bonedo: Zuerst habt ihr, was die digitale Reproduktion eurer Geräte angeht, mit Plugin-Alliance zusammengearbeitet. Der VSE-2 war das erste Produkt, dass ihr komplett in Eigenregie als Plugin auf den Markt gebracht habt. Warum habt ihr euch zu diesem Schritt entschieden?
Andy: Wie du bereits erwähnt hast, haben wir uns vor ein paar Jahren dazu entschieden, unsere Produkte in Zusammenarbeit mit Plugin-Alliance auch als digitale Reproduktionen rauszubringen, um uns so ein weiteres Standbein für die Zukunft aufzubauen. Mittlerweile hat sich in diesem Bereich viel getan und ich habe beschlossen, das künftig selbst in die Hand zu nehmen. Ich habe mit Softwareprogrammierung nichts am Hut, aber mit der Münchner Firma Impulse Audio Lab einen geeigneten Partner an der Hand.
bonedo: Du kommst ja eher aus dem Analogbereich. Wie geht ihr vor, wenn ihr von euch entwickelte Hardware digital reproduziert?
Andy: Ein großer Vorteil an der Zusammenarbeit mit Impulse Audio Lab ist, dass sie direkt bei uns in der Nähe sitzen – sogar in derselben Straße. Ich kann dem Chefentwickler einfach meine Messtechnik geben und er kann das jeweilige Gerät unter den gleichen Voraussetzungen messen, wie ich das mache. Außerdem stelle ich ihnen noch unsere Schaltpläne zur Verfügung. Sie entwickeln dann eine komponentenbasierte, digitale Simulation des Geräts. Das funktioniert auch sehr detailgetreu. Bei einem unserer Geräte kam es beim Umschalten eines Filters ab und an zu einem Knackgeräusch, das dann auch im Plugin zu hören war. Das Knacken kam übrigens durch den Aufladevorgang des Kondensators zustande. Obwohl wir komponentenbasiert arbeiten, lassen wir bestimmte Bauteile außen vor, da sie sich nicht auf den Klang auswirken. Wir fragen uns anfangs immer, wieso das Gerät so klingt, wie es klingt, und welche Bauteile dafür verantwortlich sind. Es ist beispielweise nicht so, dass Trafos den Klang so beeinflussen, dass es sich lohnen würde, diese auch digital mit einzubeziehen. Nehmen wir beispielsweise den VSE-2, dort sind Bauteile wie der diskrete Gyrator viel wichtiger und die eigentlich soundbildenden Komponenten.
bonedo: Sind die Plugins zu hundert Prozent mit den analogen Geräten vergleichbar?
Andy: Nein, nicht zu einhundert Prozent. Wir versuchen aber so nah wie möglich ranzukommen. Ich finde es auch manchmal etwas schwierig, Plugins mit Hardware zu vergleichen – Stichwort Aussteuerung. Außerdem können wir bei digitalen Reproduktionen auch Features integrieren, die bei der Hardware nicht verfügbar sind. Ich glaube, es ist nicht einfach, das Plugin und die Hardware auseinander zu halten. Außerdem muss man natürlich auch bedenken, dass der Preis des Plugins nur fünf Prozent des analogen Produktes ausmachen – und man bekommt dafür 90 Prozent der Performance.
bonedo: Wo sind die größten Schwierigkeiten im Modeling und in welchen Bereichen ist die Hardware nicht zu ersetzen?
Andy: Eine Abbildung der Verzerrungen ist mit am schwierigsten, da sich hier die Obertöne um ein Vielfaches nach oben kopieren. Wir haben mit ziemlich starkem Oversampling versucht das hinzubekommen. Große Probleme hatten wir jedoch nicht. Natürlich war es bei dem Kompressor eine Herausforderung, Algorithmen für die auftretenden Nichtlinearitäten zu finden – zum Beispiel, dass der Detektor je nach Ratio anders reagiert und das in Abhängigkeit von der Höhe der Gain-Reduction.
bonedo: Verkauft ihr weniger analoge Gerätschaften seit ihr Plugins anbietet – oder vielleicht sogar mehr?
Andy: Nein, wir verkaufen dadurch nicht weniger Geräte. Es gibt immer Kunden, die lieber mit einer analogen Kette arbeiten. Es gibt auch Nutzer, die die 14-tägige Demo nutzen, um sich ein Bild zu machen, und dann die Hardware kaufen. Andererseits gibt es viele, die hobbymäßig Musik machen, und für die ist das Plugin auf jeden Fall eine gute Alternative.
bonedo: Was kann man in Zukunft von euch erwarten? Kommt mehr Hardware oder fokussiert ihr euch künftig auf Plugins?
Andy: Mittlerweile haben wir fast jedes Hardwareprodukt aus unserem Haus als Plugin auf den Markt gebracht. Als nächstes möchten wir ein Plugin entwickeln, das es so nicht als Hardware gibt. Das macht den Prozess insgesamt auch etwas schwieriger und theoretischer. Ich habe noch ein paar Prototypen aus der Zeit vor Vertigo, einmalige Sonderanfertigungen, die ich sehr interessant finde. Diese werden wir sozusagen als Zutaten für das Plugin verwenden.
bonedo: Kann man schon sagen, um was für ein Plugin es sich handeln wird?
Andy: Ja, wir werden an einem Verzerrer arbeiten und in die Richtung Vertigo VSM gehen – diesen aber nicht neu auflegen. Ich möchte lieber etwas Neues umsetzen.