Im Interview mit Toto-Keyboarder, Produzent und Songwriter David Paich erfahren wir viel über seine musikalischen Seiten und über sein erstes Album „Forgotten Toys“.
Mit 68 Jahren veröffentlicht der Toto-Keyboarder, Produzent und Songwriter David Paich sein erstes Solo-Album: „Forgotten Toys“ zeigt den einstigen Session-Star und Produzenten von verschiedenen musikalischen Seiten. Wir trafen den sympathischen Musiker zum Zoom-Interview.
David Paich ist pünktlich auf die Minute. Und – auch das konnte man sich vorher denken – man hat es mit einem sympathischen, erstaunlich uneitlen und freundlichen Zeitgenossen zu tun. Nach all seinen Erfolgen, die er mit seiner Band Toto oder als Songwriter und Produzent (u. a. für Boz Scaggs) und für seine Arbeiten für Megastars wie Michael Jackson und Barbra Streisand einfuhr, könnte sich der heute 68-jähriger Musiker ein paar Allüren durchaus leisten. Zumindest ein ausgeprägtes Ego. Von beidem aber ist im Verlauf des rund 30-minütigen Gesprächs keine Spur.
Im Gegenteil. Irgendwie kamen wir in dem Talk auf den großartigen, leider längst verstorbenen ersten Toto-Drummer Jeff Porcaro zu sprechen. Und David Paich hätte mühelos in der halben Stunde ein Loblied auf seinen ehemaligen Drummer und Freund gesungen. Auch über seinen Vater, den Filmkomponisten und Jazzmusiker Marty Paich, hat er sich ausführlich ausgelassen. Man spürte: Er braucht nicht unbedingt das Spotlight. Selbst dann nicht, wenn er eigentlich im Interview sein erstes Solo-Album „Forgotten Toys“ promoten sollte.
Hallo David, schön Dich zu hören und zu sehen. Zum Einstieg würde ich gerne eine Frage stellen, die mir schon seit vielen Jahren unter den Nägeln brennt: als ihr mit Toto euer erstes Album aufgenommen habt, seid ihr alle noch verdammt jung gewesen. Trotzdem klingt die Musik so, als ob sie von alten Hasen eingespielt worden wäre: Cool, abgeklärt und technisch auf sehr hohem Niveau. Wie habt ihr das damals so hinbekommen?
Für dich ausgesucht
Danke, das freut mich zu hören. Es stimmt, wir waren damals alle noch sehr jung, so um die 23, 24 Jahre alt. Ich kann mich noch gut an die Sessions erinnern. Wir wollten alle das beste Album machen, zu dem wir in der Lage waren. Und wir hatten keinen Zeitdruck, das hat die Sache für uns leichter gemacht. Toto „1“ wird für mich immer etwas ganz Besonderes bleiben.
Nehmen wir nur mal den Song „Georgy Porgy“, den Du geschrieben hast. Der Titel ist längst fester Bestandteil der Jazz-Pop-Literatur. Es ist schon sehr beeindruckend, mit welcher Abgebrühtheit ihr da alle gespielt habt – vor allem, wie ich finde, Euer erster Drummer, Jeff Porcaro.
Jeff ist nach wie vor der beste Drummer von allen Schlagzeugern, mit denen ich jemals gespielt habe. Und ich habe wirklich mit sehr vielen richtig guten gespielt. Es war da was in seiner Spielweise. Sie war nicht klinisch. Im Gegenteil, er spielte mit totaler Hingabe und er spielte immer für die Musik – wie ein Songwriter. Als ob er den Song selbst geschrieben hätte. Das hat ihn ausgezeichnet. Abgeschaut hat er sich das übrigens von dem großen Studio-Drummer Hal Blaine. Hal und Jim Keltner, mit den beiden hat er seine erste Session gespielt. Das erstaunliche an Jeff war außerdem, dass er schon mit 14 Jahren so geklungen hat. Er war einfach fantastisch.
Von der Vergangenheit zur Gegenwart: Du hast mit „Forgotten Toys“ jetzt Dein erstes Solo-Album aufgenommen. Mit 68 Jahren ist es reichlich spät für ein Debüt oder?
Das höre ich momentan gerade öfters. Aber ich denke mir: lieber spät als nie. Was soll ich sagen: Jetzt waren die Voraussetzungen dafür einfach sehr gut! Ich habe in meinem Haus ein Studio, da kann ich arbeiten, wann immer ich möchte. Außerdem hatte ich – genau wie beim ersten Toto-Album – keinerlei Zeitdruck oder Terminvorgaben. Und, ich bin niemandem Rechenschaft schuldig, weil ich das Album selbst finanziere. Eine komfortable Situation.
Der Albumtitel „Forgotten Toys“ klingt nach Songideen, die irgendwie in Vergessenheit geraten sind.
So ist es auch. Alle Titel habe ich in den letzten zwei bis sieben Jahren geschrieben. Teilweise alleine, teilweise mit anderen zusammen. Irgendwie haben es aber diese Songs nie auf irgendein Album geschafft. Beim Durchstöbern meiner Songideen habe ich mir gedacht, dass es eine gute Idee wäre, sie jetzt zu veröffentlichen.
Ehrlich gesagt, bin ich fast ein bisschen überrascht. Ich dachte, dass manche Songs viel früher komponiert worden wären. Zum Beispiel „willibelongtoyou“ – das klingt doch sehr nach Toto während der „Hydra“- oder „Turn Back“-Phase in den 1980ern.
Das ist lustig und ich liebe es, dass du das sagst. Ja, der Track hat etwas Nostalgisches. Er hat den Sound unserer alten Toto-Tage. Das liegt aber vor allem daran, dass mein Co-Autor Joseph Williams (der Toto-Sänger, Anmerk. der Red.) und ich nicht gerade altersgemäß komponieren. Wir mögen schon alte Knaben sein, aber wir schreiben immer noch Songs, als ob wir Teenager wären. Im Herzen sind wir jung geblieben.
Auffällig ist der Opener „Forward“. Nur 30 Sekunden lang, aber vielsagend. Das klassische Stück mit Violinen und Orchester hat etwas Soundtrackartiges. Dein Vater Marty Paich war ja ein gefeierter Jazz-Pianist und erfolgreicher Soundtrack-Komponist. Mir kommt es so vor, als ob Du mit diesem kurzen Intro klarmachen wolltest, dass Du in seine Fußstapfen hättest treten können … wenn Du gewollt hättest.
Du hast den Nagel ziemlich genau auf den Kopf getroffen. Ja, stimmt. Ich mag diese Art von Musik, auch diese Art des Komponierens. Aber es braucht einfach so unglaublich viel Zeit und so viel Training. Du musst wirklich eine wahnsinnige Arbeitsmoral an den Tag legen, wenn du in diesem Bereich erfolgreich sein willst: Jeden Tag von sechs Uhr morgens bis sechs Uhr abends, sieben Tage die Woche. Ich weiß das von James Newton Howard, meinem besten Freund. Er hat gerade in diesem Rhythmus zweieinhalb Monate lang für den „Dumblemore“-Soundtrack gearbeitet. Zehn Wochen Arbeit ohne einen einzigen Tag Pause dazwischen. Das muss man können – aber auch wollen. Aber nochmal: es stimmt. Ich hätte vielleicht auch diese künstlerische Richtung einschlagen können. Die Option war schon da.
Dein Vater war Pianist, Arrangeur und Produzent. Er hat mit allen Größen des Jazz gearbeitet. Angefangen bei Frank Sinatra über Ella Fitzgerald bis hin zu Stan Getz. Wie sehr hat Dich das beeinflusst?
Sehr muss ich sagen. Aber Klavier war nicht meine erste Wahl. Mit fünf Jahren habe ich erstmal mit Schlagzeug begonnen. Ich wollte Jazz-Drummer werden, wie Shelly Mann. Er hat bei den Aufnahmen meines Vaters sehr häufig gespielt, da bin ich als Knirps immer neben seinem Drum-Set gesessen. Das hat mich fasziniert. Irgendwann, so mit neun oder zehn Jahren, kam ich dann doch noch auf die Idee, Pianist zu werden. Natürlich Jazz-Pianist. Mein Vater sagte mir, dass das ein guter Plan sei. Um den aber umsetzen zu können, müsse ich jeden Tag stundenlang üben. Tja, und dann entdeckte ich die Musik von Elton John und von Leon Russel, das hat schlagartig meine Prioritäten verändert.
Inwiefern?
Mir wurde klar, dass ich nicht die Disziplin für einen Jazz-Pianisten mitbringe. Es ist ein hartes Brot. Du musst jeden Tag in einem Club spielen und üben, üben, üben. Die Luft auf diesem hohen Level ist sehr dünn. Wenn du da mithalten möchtest, musst du alles dafür geben. Dazu war ich dann doch nicht bereit.
Anstatt Jazz-Pianist zu werden hast Du die Rockband Toto gegründet. Vorher aber hast Du schon als Produzent gearbeitet …
Ja genau. Zusammen mit meinem Vater. Wir haben gemeinsam das Album der Jazz-Sängerin Sarah Vaughan „Songs Of The Beatles“ produziert. Ein großartiges Album, bei dem auch ein paar spätere Totos mitgewirkt haben, zum Beispiel Bassist David Hungate und auch Jeff war am Schlagzeug dabei. Gleich darauf haben wir, Dad und ich, den Cheryl Lynn-Song „Got To Be Real“ produziert. Den Track habe ich gemeinsam mit David Foster geschrieben und er wurde ein großer Hit. Da wir parallel dazu schon unser erstes Toto-Album aufnahmen, hat Cheryl bei „Georgy Porgy“ im Background mitgesungen. Das hat sich so ergeben. Und wenn ich das heute höre, muss ich sagen: klingt immer noch toll.
Neben Toto habt ihr alle weiter viele Sessions gespielt. Schauen wir uns mal nur Deine Referenzen an. Da findet sich auch ein gewisser Michael Jackson.
Oh ja, ganz klar ein Highlight in meiner Karriere. Michael war der lustigste und sensibelste Perfektionist der Welt. Unglaublich talentiert! Gleichzeitig war er sehr respektvoll den Musikern gegenüber, er ließ dir enorm viele Freiheiten. Die Arbeit mit ihm hat großen Spaß gemacht, weil das Niveau von Michael so extrem hoch war. Aber natürlich auch, weil Quincy Jones als Produzent mit dabei war. Er war und ist der Meister!
Quincy Jones gilt ebenfalls als Perfektionist. Die Arbeit mit ihm stelle ich mir auch schon sehr anspruchsvoll vor.
Klar, das ist sie auch. Aber ich kenne Quincy seit meinem 14. Lebensjahr. Mein Dad hat ja auch mit ihm gearbeitet. Da fängt man also nicht bei null an. Aber unabhängig davon, dass ich ihn seit langen Jahren kenne und schätze – er ist wirklich, neben George Martin, der beste Produzent. Er kennt einfach jeden Aspekt einer Produktion und er weiß, wie man Künstlern eine Vision gibt. Und er schafft es durch seine unnachahmliche Art, das Beste aus seiner Kundschaft herauszuholen. „Thriller“ klingt nicht umsonst auch heute noch unübertroffen.
Lass uns wieder über Dein Album sprechen. „Forgotten Toys“ hält gleich eine ganze Reihe von Stilrichtungen bereit: Blues, Rock, Jazz und Toto-typisches Material. Wie kommt das?
Das muss daran liegen, dass ich einfach viele verschiedene Stilrichtungen höre und auch mag. Da wollte und konnte ich mich nicht auf einen Sound festlegen. Die Herausforderung bestand für mich darin, Melodien und Stücke zu finden, die ich auch singen kann. Im Studio ging das zwar, aber live wird es schon eng. Da überlasse ich das Mikro dann doch lieber Leuten wie Joseph Williams. Oder Steve Lukather oder früher unserem Bobby Kimball.
Der Titel „First Time“ fällt irgendwie aus dem Rahmen. Er klingt, als ob Du ihn für jemanden anders geschrieben hättest.
Damit liegst Du richtig: Ich habe den Titel für meine Tochter geschrieben. Es ist ein Coming-of-Age-Song, da geht es um das Erwachsenwerden. Es ist ein sehr persönlicher Text, in dem ich davon erzähle, wie meine Tochter erwachsen wird und jetzt nach der wahren Liebe sucht und so weiter. Die Gedanken eines Vaters. Als mich dann meine Tochter in meinem Studio überraschte, hat sie etwas sehr Bewegendes über den Song gesagt. So kam ihr Cameo-Auftritt zustande. Ich liebe den Song, er ist sehr emotional und persönlich und bedeutet mir sehr viel.
Ganz andere Töne schlägst Du bei „Queen Charade“ an. Der Song klingt, als ob Du ihn wieder mal für Boz Scaggs geschrieben hättest. Sehr rau und bluesig.
Oh, Danke, das höre ich gerne. Ja, das ist meine andere musikalische Seite, die von den Rolling Stones und Small Faces geprägt ist. Der Titel hat auch etwas von dieser unerschrockenen Art, die auch so gut zu Boz Scaggs passt. Du bist der erste, dem das übrigens aufgefallen ist.
Dann haben wir mit „Lucy“ noch einen lupenreinen Jazz-Song …
Den habe ich mal für ein Jazz-Projekt geschrieben, das aber nie zustande kam. Aber mir gefiel der Track, also habe ich ihn jetzt auf das Album gepackt.
Toto hatte auch gelegentlich einen Jazz-Song auf den Alben. Darunter „Don´t Stop Me Now“, ein Instrumental auf dem „Fahrenheit“-Album, bei dem kein Geringerer als Miles Davis Trompete spielte. Wie habt ihr denn das hinbekommen? Miles spielte doch sonst für so gut wie niemanden.
Das kann man sagen. Der hat das sonst nie gemacht. Das lief damals so ab: Miles sah im Studio eine Kohlezeichnung, die unser Drummer Jeff Porcaro gemacht hat. Die wollte er unbedingt haben. Also hat Jeff gesagt: Du bekommst das Bild, wenn Du bei einem unserer Songs ein Solo spielst. Auf den Deal hat er sich eingelassen. Wir konnten es selbst kaum glauben, was da passierte: Der große Miles Davis spielt auf einem unserer Songs! Das war schon ein sehr besonderer Moment.
Ganz easy stelle ich mir die Zusammenarbeit mit ihm nicht vor. Er stand ja nicht im Ruf, ein umgänglicher Mann zu sein …
Das ist richtig. Er hat uns auch erst ganz schön auflaufen lassen. Luke (Steve Lukather, Anmerkung d.R.) und ich sind zu ihm in sein Haus gekommen und das erste was er zu uns sagte, war: Setzt euch da drüben hin. Wir wie die kleinen Buben: „Ja, Mister Davis.“ Ganz brav und eingeschüchtert. Er hatte zwei Klaviere und wir wollten ihm den Track vorspielen. Ich die Akkorde, Luke die Melodie. Er mochte das nicht, meinte, wie sollen uns gemeinsam an ein Klavier setzen. Dann hat er irgendwie herumgenölt, viele „Fuckings“ waren zu hören. Für ihn waren wir nur irgendwelche „white cats“. Aber wir ließen uns nicht beirren. Schlussendlich mochte er den Track, er hat ihn ja auch später mehrfach live gespielt. Das war dann schon ein großes Kompliment an uns.
Du bist schon lange dabei. Das Musikbusiness hat sich während dieser Zeit sehr verändert. Bleibst Du da am Ball, bist Du fit beispielsweise fit in Social Media?
Ich bin immerhin auf Instagram. Meine Tochter lag mir damit lange in den Ohren, schließlich habe ich nachgegeben. Ich versuche aber relevant zu bleiben in einer nicht relevanten Zeit. Die Computer und das digitale Zeitalter sind für die Musik nicht nur ein Segen. Deshalb liebe ich es, Bands wie die Rolling Stones live zu sehen. Das ist eben noch der gute, alte Rock ´n´ Roll.
Was hältst Du von Spotify? Für den Konsumenten ist es ja klasse, für Musiker weniger. Sie werden für ihre Kunst nicht mehr adäquat bezahlt.
Ja, stimmt. Die Musik wurde dadurch kostenlos. Niemand kauft mehr CDs. Aber was soll ich jammern? Das bringt nichts. Man muss mit der Zeit gehen und mit der Technologie Schritt halten. Alles andere macht keinen Sinn. Man kann ja nicht in der Vergangenheit leben.
Letzte Frage: Derzeit ist Toto auf Tournee, aber ohne Dich. Bist Du jetzt aus der Band ausgestiegen?
Nein, gar nicht. Ich bin sogar so etwas wie der Musical Director und spiele auch immer wieder Shows mit. Doch nur noch ausgewählte. Ich bin bei den Proben dabei und ich spreche bei der Setlist ein Wörtchen mit. Das jetzige Line-up macht mich übrigens richtig stolz. Die Jungs sind richtig heiß und sie begegnen den Toto-Songs mit einer großen Portion Respekt –bringen aber auch neue Töne mit ins Spiel. Es klingt immer noch nach Toto. Vielleicht sogar mehr denn je.