Bonedo: 50 Jahre sind eine lange Karriere. Hatte Ihr ursprünglicher Berufswunsch schon etwas mit Musik zu tun?
Nein, ursprünglich wollte ich Jurist werden. Damals war Musik für mich die wichtigste Nebensache der Welt, so wie für andere Fußball. Aber durch das Erlebnis 1945, was Musik aus mir gemacht hatte, wurde sie immer interessanter und war schließlich die Hauptsache in meinem Leben. Der Anwalt war Nebensache.
B: Ein wichtiges Ereignis in Ihrem Leben war ja der Anruf von Horst Lippmann, als er Ihnen anbot, sein Geschäftspartner zu werden. Falls dieser Anruf nicht gekommen wäre, wäre es dann möglich gewesen, dass Sie bis zur Rente Anwalt geblieben wären?
Bis zu diesem Anruf war der weitere Weg eigentlich als Anwalt vorgegeben, obwohl ich zugeben muss, dass ich das Studium schon teilweise vernachlässigt habe. Ich war ja bei Lippmann zunächst der „Kofferträger“ für viele Tourneen gewesen und habe mich entsprechend engagiert in dem Job. Deshalb ging es auch in Richtung Musik weiter. Aber ich bin auch sehr froh, dass ich meine Examina als Anwalt noch gemacht habe. Ohne diese Abschlüsse hätte mir, einem Vermögenslosen, Horst Lippmann dieses Angebot niemals gemacht.
B: Als der Anruf kam, waren da nicht zumindest leise Zweifel, dass der Anwaltsberuf etwas mehr Sicherheit bieten könnte?
Für dich ausgesucht
Nein! Als der Anruf kam, war klar, dass ich dieses Angebot annehme.
B: In Ihrer Lesung zeigen Sie ja auch Fotos aus Ihrer langen Karriere. Eines davon zeigt Sie, versteckt hinter einem Kontrabass. Auf der Bühne haben Sie sich damals offensichtlich nicht so wohl gefühlt …
Mein Platz war backstage. Trotzdem bedauere ich, dass ich das Bassspielen nicht weiter betrieben habe, denn ich behaupte, jeder Mensch sollte ein Instrument spielen können. Mein Sohn spielt sehr schön Gitarre und meine beiden Münchner Mädels (Anmerkung: die Enkelinnen) mit zwölf und 14 Jahren spielen Geige und Klavier im Schulorchester.
B: Und Sie spielen gar kein Instrument mehr?
Nein, ich bin kein Bäcker, kein Konditor. Ich kann keine Torten backen, aber ich weiß, welche am Besten schmeckt (schmunzelt). Manchmal sind aktive Musiker als Veranstalter gar nicht so sehr geeignet, weil ihnen einfach ein Stück Objektivität fehlt.
B: Das angesprochene Foto belegt ja eine gewisse Scheu vor der Bühne. Wenn man aber heute eine Lesung von Ihnen besucht, dann sitzt da der geborene Entertainer, der es absolut versteht, die Publikum zu unterhalten und auf die Leute zuzugehen.
Ja, das hat sich im Laufe der Zeit entwickelt. Wichtig ist, dass man das, was man macht, auch wirklich machen will und keine Zeit und Energie auf etwas verschwendet, das man gar nicht will. Man kann für einen Beruf nicht durch dick und dünn gehen, wenn man merkt, dass es einem keinen Spaß macht. Auch wenn es vielleicht der ursprüngliche Berufswunsch war. Heute habe ich sogar eine Professur, bin ausgebildeter Anwalt und ausgebildeter Konzertproduzent. Man kann unendlich arbeiten, aber man muss das halt altersadäquat tun. Ich hätte nicht mehr die Energie und die Kraft, Konzerte oder gar Open Airs zu organisieren. Aber für die Vorträge reicht es. Ich gebe mir dafür sehr viel Mühe. Und durch die Musik und die Dias wird das alles sehr lebendig. Wenn ich zwei Stunden nur reden würde, wäre es vielleicht auch nicht schlecht, aber so wird es zu Infotainment. Und ich denke, man spürt das Herzblut, das ich da investiere.
B: Was mir gefallen hat, ist die schonungslose, selbstkritische Offenheit am Anfang Ihres Vortrages, wo Sie sagten, dass Sie Hitlerjunge waren und damals die Welt auch gar nicht anders sehen wollten oder konnten. Ohne Wenn und Aber. Viele flüchten sich in halbgare Erklärungen.
Ich denke, da muss man offen sein. Das wollen die jungen Leute hören: Ehrlichkeit. Und wenn sie sagen, dass sie mit der Hitlerzeit nichts zu tun haben, dann sage ich: richtig, ihr nicht, aber eure Großeltern. Ich halte ja zusammen mit Emil Mangelsdorff Vorträge unter dem Titel „“Jazz im Dritten Reich – Der Hotclub Frankfurt und die Hitlerjugend“. Wir sprechen beide über unsere Erfahrungen und sind viel an Schulen und Hochschulen. Und die jungen Leute sind begeistert, weil wir einfach ehrlich sind und nicht beschönigen.
B: Wie wichtig war diese Fähigkeit zur Selbstkritik später für den Job als Konzertpromoter?
Sehr wichtig. Jeder Künstler ist eine Insel. Du kannst nicht sagen, jetzt weiß ich, wie man Tourneen macht und dann die Künstler 08/15 abfertigen. Eine Hendrixtournee war etwas ganz anderes als eine Maffaytournee. Also musst du beide ehrlich erfassen. Ich war damals auch für vier, fünf Tage in England, um Jimi Hendrix vor unserer Tournee kennenzulernen. Ich gehe sehr auf die Künstler ein und mag aber auch nur Künstler, die mich überzeugen.
B: Gab es stilistische Kriterien, nach denen Sie die Künstler ausgesucht haben, mit denen Sie gearbeitet haben?
Nein. Aber es mussten Könner und Malocher sein. Und die Absicht, dass sie ihr Bestes geben wollen, musste erkennbar sein. Und sie mussten ihr Publikum lieben. Dann war ich der Richtige. Ich habe zum Beispiel sehr gut mit Peter Alexander zusammengearbeitet.
B: Sie haben 2004 Ihre letzten Konzerte veranstaltet …
… damals war ich auch schon 74 Jahre alt …
B: … während der langen Jahren Ihrer Karriere haben Sie ja einen gewaltigen Wandel in der Konzertszene mitgemacht. Im Vortrag fiel der Satz „früher war zuerst der Blues, dann das Geschäft“. Ist es heute genau umgekehrt?
Nicht bei allen. Es gibt immer noch ein paar sogar sehr erfolgreiche Musiker, bei denen der Blues an erster Stelle kommt. Ich hatte ja das Glück, in einer Aufbruchszeit in dieses Geschäft gekommen zu sein. Vieles ist natürlich nicht leichter geworden. Ich kann aber nur jedem sagen, hängt nicht den großen Namen nach, sondern baut selbst Gruppen auf. So habe ich das damals auch gemacht. Bei der ersten Maffaytour haben wir nie vor mehr als 500 Leuten gespielt, bei Queen war es ähnlich. Später spielten sie in Stadien.
B: Sie haben schon gesagt, dass das Geschäft nicht leichter geworden ist. Andererseits boomt der Konzertsektor, weil die stark rückläufigen CD-Verkäufe von den Künstlern mit Tourneen und Auftritten aufgefangen werden.
Damals haben wir für die Stones zwölf und für Hendrix zehn Mark Eintritt verlangt. Das waren reine Promotion-Veranstaltungen für neue Veröffentlichungen. Damals kostete eine Schallplatte bereits 18 Mark, damit haben die Künstler ihr Geld verdient. Mit unseren Konzerte wurden wir zwar nicht reich, aber natürlich haben wir damit etwas verdient. Wir waren aber ein Dienstleister, keine kapitalistischen Unternehmer. Heute ist das anders – heute wird fast alles mit Konzerten verdient. Deshalb geht ja sogar eine Tina Turner wieder auf Tournee. Für diese Konzerte wird inzwischen Geld aufgerufen, das ich nicht für gerechtfertig halte, andererseits aber verstehen kann! Mit einer Einschränkung: solange das Publikum bereit ist, soviel dafür zu zahlen. Alle Macht geht vom Volk aus.
B: Wie beurteilen Sie die Lage: War es früher, als Pionier, einfacher, in diesem Geschäft anzufangen, oder ist es heute leichter, mit dem entsprechenden Hallenangebot, der gewachsenen Professionalität auf allen Seiten, der vorhandenen Infrastruktur …
Heute kann man dieses Geschäft lernen – man braucht nur mein Buch zu lesen (lacht). Oder man studiert Kulturmanagement. Früher mussten wir alles selbst herausfinden. Dafür ist heute alles verkrusteter geworden. Früher habe ich die Tourneen direkt mit Mick Jagger ausgehandelt und ab einer bestimmten Zeit waren halt die Vermarkter da und die Musiker kümmerten sich „nur“ noch um die Musik. Ein Vermarkter bietet den großen Bands einen dreistelligen Millionenbetrag und verdient das Geld dann auf der Tour.
B: Ging mit dem Einzug von solch Riesensummen nicht auch der Spaß an der Arbeit etwas verloren?
Klar war der persönliche Kontakt schöner. Ich fühle mich auch nicht als Geldjongleur. Für mich ist das Geld wichtig als Kraftstoff, aber niemals die Hauptsache.
B: Gab es Momente, wo Sie auch mal kalte Füße bekamen, als solche riesige Summen aufgerufen wurden?
Dadurch haben wir ja 1992 die Rolling Stones verloren. Eigentlich hatten wir ja schon den Zuschlag, da wir sie immer gemacht haben. Und dann hat jemand soviel Geld für zehn Open Airs geboten, dass ich nachgerechnet habe und mir klar wurde, dass der Eintritt bei über 100 Mark liegen müsste. Ich war lediglich bereit bis zu 80 Mark zu gehen. Die Stones sagten zu ihrem Vermarkter, dass sie mit mir die Tour machen wollten, da aber diese Summe bereits angeboten war, hätte ich mitbieten müssten. Das wollte ich nicht. Die Eintrittspreise gingen dann bis zu 130 Mark – und die Shows waren in einer Woche ausverkauft.
B: Manchmal sieht es ja so aus, als ob es bei den Ticketpreisen nach oben keine Grenze gibt …
… doch! Die Rolling Stones hatten auf ihrer letzten Tournee das Waldstadion nur halb voll. Das war eine Niederlage.
B: Jeder hat bestimmte Vorstellungen, aber keiner weiß es genau: Wo sind die Hauptaufgaben eines Konzertpromoters?
Da brauchen wir die ganze Nacht …
B: … und in Stichpunkten?
Zuerst solltest du dich mit den Künstlern beschäftigen, mit ihren Einstellungen, ihrer Musik. Ist er der Richtige? „Deutschland sucht den Superstar“ ist ein Krampf! Dann musst du schauen, was für eine Tournee du machst. Wenn du einen Künstler hast, der 500 Leute zieht, und du gehst in eine 2000er Halle, ist das ein teuerer Flop. Gehst du in eine 800er Halle ist es o.k. Zieht er 2000, darfst du nicht in eine 10.000er Halle und wenn er 10.000 Leute zieht, nicht Open Air gehen. Das ist die wichtigste Einschätzung. Natürlich gibt es dafür Hilfsmittel, auch wenn man sich auf den Plattenverkauf heutzutage nicht mehr so verlassen kann. Man muss sich einfach mit dem Künstler beschäftigen. Das Nächste ist dann: Wie viel Eintritt kann ich nehmen? Dann gehts ans Buchen. Du brauchst die Verträge mit den Managern, machst den Tourneeplan und arbeitest mit Plattenfirmen und Sponsoren zusammen. Du erfasst die Produktionskosten und kontrollierst sie. Und das alles musst du kalkulieren, um den Break-even herauszufinden.
B: Gab es auch eine Tour, die so richtig in die Hose ging?
Ja, klar. Aber da hat mich der Herrgott beschenkt: Das habe ich vergessen (schmunzelt).
B: 1982 spielte Peter Maffay das Vorprogramm der Rolling Stones und wurde nicht nur ausgepfiffen, sondern auch mit Gegenständen beworfen. War es rückwirkend gesehen ein Fehler, Maffay vor den Stones spielen zu lassen?
Nein, es war kein Fehler. Aber es war die Hölle für ihn! Ich bin damals in Köln auf die Bühne und habe das Publikum angebrüllt, weil mit Obst geworfen wurde. Der Punkt war, dass du Peter Maffay nicht nach der J. Geils Band auftreten lassen kannst. Er hätte wie geplant anfangen sollen, aber das wollte er nicht. Trotzdem – auf der nächsten Tournee hatten wir 34 Prozent mehr Zuschauer in den Maffaykonzerten! Es haben also durch diese Stones-Konzerte Leute Peter Maffay erst entdeckt. Und so hat es seiner Entwicklung genützt. Aber noch mal: Für ihn war es die Hölle!
B: Bei den musikalischen Bluesbeiträgen während der Lesung sind Sie so richtig mitgegangen. Ist das die Musik, die Sie immer noch am meisten begeistert?
Blues berührt mich sehr! Auch Johann Sebastian Bach, Ella Fitzgerald, Duke Ellington – das ist die hohe Schule der Unterhaltung.
B: Also ist auch der Jazz wichtig …
Wenn ein Unterhaltungsmusiker sich mit Jazz befasst hat, dann ist er besser! Peter Alexander ist Jazzer, Udo Jürgens ist Jazzer. Als Jazzer können sie auch Schlager machen, denn dann swingt es.
B: Vor nicht allzu langer Zeit erzählte Jürgen Zeltinger in einem Rockmagazin, dass die Boomtown Rats in Deutschland keine Tournee mehr gemacht haben, nachdem einer ihrer Roadies in böser Absicht an der Anlage von Zeltinger rumgeschraubt hatte und Sie das mitbekommen hatten …
… die Boomtown Rats haben hier keine Tournee mehr gemacht, weil sie keinen Erfolg hatten. Bob Geldof würde ohne sein Afrika-Engagement kein Mensch mehr kennen. Ich habe sie ja auf Tour geschickt – und damit genügend Geld verloren, obwohl sie damals sogar mir „I don’t like Mondays“ einen Hit hatten und auch als Band gar nicht schlecht waren.
B: „50 Jahre Backstage“ ist sehr interessant zu lesen und voller Anekdoten. Gibt es noch mehr davon – ist irgendwann einmal ein zweiter Teil geplant?
Nein, in diesem Buch steht eigentlich alles drin!