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Interview mit Schiller: Ambient trifft Klassik

Seit nunmehr 15 Jahren ist Christopher von Deylen mit seinem Projekt SCHILLER eine feste Größe in den Charts. Der atmosphärische, elektronische Schiller-Sound hebt sich deutlich von den typischen Hitparaden-Klischees ab und trifft dennoch mitten ins Schwarze: Die bislang sieben Schiller-Alben wurden in 26 Ländern veröffentlicht und erreichten fünfmal Gold und zweimal Platin. Zahlreiche prominente Gastmusiker (darunter Peter Heppner, Xavier Naidoo, Sarah Brightman und der Graf von Unheilig) steuerten ihre Stimmen bei. Am 30. August – nur gut ein Jahr nach „Sonne“ – erscheint das neue Schiller-Album OPUS.

Christopher von Deylen ist SCHILLER (Foto: Philip Glaser / zur Verfügung gestellt von Universal Music)
Christopher von Deylen ist SCHILLER (Foto: Philip Glaser / zur Verfügung gestellt von Universal Music)


Darauf beschreitet Christopher von Deylen neue Wege: Erstmals werden Themen aus der klassischen Musik mit dem typischen Schiller-Sound verwoben. Neben bekannten Werken von Erik Satie, Modest Mussorgski und Edvard Grieg sind darunter auch einige weniger geläufige Stücke. Zu Gast im Studio waren namhafte Künstler aus der Klassik-Szene, allen voran die Star-Sopranistin Anna Netrebko und die Pianistin Hélène Grimaud. bonedo sprach mit Christopher von Deylen über die Entstehung von OPUS und den Schiller-Sound.

bonedo: Auf dem neuen Album OPUS, das am 30. August erscheint, hast du Melodien aus der Klassik mit dem Schiller-Sound kombiniert. Wie hast du die klassischen Werke ausgewählt, die als Grundlage dienen?
Christopher von Deylen: Zum Teil besteht das Album aus sehr bekannten Melodien, die eine große emotionale Tiefe besitzen und den Test der Zeit bestanden haben. Sie konnten ihre emotionale Wirkung schon sehr lange entfalten und werden das vermutlich auch noch lange tun. Das ist die eine Seite von OPUS. Die andere Seite sind klassische Vorlagen, die vielleicht nicht ganz so vertraut und geläufig sind. Sie haben auch eine sehr große Wirkung, aber man hört ihnen vielleicht nicht sofort an, dass sie aus der Klassik kommen, weil sie nicht so „gelernt“ sind. Das zu kombinieren war sehr spannend. Ich fand es etwas zu einfach, ausschließlich Melodien zu verwenden und mir „auszuleihen“, die jeder kennt. Ich wollte es etwas kniffliger und „eckiger“ machen und habe mir deshalb auch weniger bekannte Melodien ausgesucht.
bonedo: Wie beginnt eine Komposition oder ein Arrangement bei dir? Ist es eher eine Improvisation, aus der sich dann etwas entwickelt, oder hast du schon zu Beginn eine klare Vision von einem Stück?
Christopher von Deylen: Wenn ich selbst etwas komponiere, ist es eigentlich immer eine Improvisation. Darin steckt für mich das Wort „probieren“, denn es ist ein Ausprobieren von verschiedenen Möglichkeiten. Das verläuft jedes Mal anders – man weiß nie was passiert und ob man einen glücklichen Moment hat oder nicht. Bei den klassischen Werken auf OPUS gab es die Kompositionen natürlich schon. Also ging es dieses Mal eher darum, sehr konzentriert zu arrangieren, vielleicht auch gewissen Zierrat wegzulassen, um auf diese Weise die Emotionalität einer Melodie noch deutlicher und noch plakativer zu gestalten.  

Fotostrecke: 2 Bilder Christopher von Deylen alias SCHILLER (Foto: Philip Glaser / zur Verfügung gestellt von Universal Music)

bonedo: Wann und wodurch wurde dein Interesse an elektronischer Musik geweckt?
Christopher von Deylen: Das begann schon sehr früh. Als ich zwölf war, habe ich zum ersten Mal die Musik von Tangerine Dream gehört. Seitdem bin ich mit dem Virus der elektronischen Musik infiziert. Für mich bietet das Genre immer noch sehr viele Möglichkeiten und ist noch lange nicht auserzählt. Natürlich gibt es mittlerweile gewisse Klischees und Sub-Stilistiken, aber es ist immer noch „Luft“.
bonedo: Was war denn dein erster Synthesizer?
Christopher von Deylen: Ein Yamaha DX21, den ich mir damals mit einem Ferienjob zusammen gespart habe – für einen DX7 hat es leider nicht gereicht… Also habe ich mir am DX21 die Finger wund programmiert, mit prinzipbedingt eher bescheidenen Ergebnissen. Der zweite Synthesizer hatte dann den Schiller-Sound von heute fast schon ein bisschen mit drin, das war der Roland D-50. Der hat zwar extrem gerauscht, wenn man den Chorus angemacht hat, aber er hatte damals schon diese typische Roland-Wärme.
bonedo: Womit arbeitest du heute?
Christopher von Deylen: Heute arbeite ich mit vielen verschiedenen Klangerzeugern. Was die Software angeht, habe ich mit Cubase angefangen und bin dann bald zu Logic gewechselt, das ich bestimmt 16, 17 Jahre benutzt habe. Vor anderthalb Jahren habe ich mich dann mit Ableton Live beschäftigt und arbeite jetzt fast nur noch damit, was das Sequencing und die Pattern-Kreation angeht. Gerade für OPUS war das eine tolle Software, ohne die ich das Album wahrscheinlich so gar nicht hätte machen können. Man kann ganz schnell probieren, in welchem Rhythmus-Kontext die Melodien funktionieren. Das ist in Ableton sehr einfach und effizient.
bonedo: Arbeitest du viel mit Software-Instrumenten, oder eher mit Hardware?
Christopher von Deylen: Sowohl als auch. Das letzte Album „Sonne“ habe ich überwiegend mit Hardware-Synthesizern gemacht. OPUS entstand nicht in meinem Studio in Berlin, sondern im Ausland, sodass ich das alles gar nicht mitnehmen konnte. Eigentlich hatte ich vor, mit den Software-Synths Ideen zu sammeln und es nachher „richtig“ aufzunehmen. Dann haben sich viele Dinge aber schon so gut ergeben, dass ich dabei geblieben bin. Allerdings habe ich ein tolles Effekt-Plugin entdeckt: Valhalla! Das ist ein Hall, der nicht wie ein Faltungshall bloß einen Raum nachbildet, sondern richtige, amtliche Hallfahnen erzeugt, wie ein „Gaußscher Weichzeichner“ für Sounds. Das Plugin ist sehr prägend für den Klang von OPUS.
bonedo: Beim ersten Hören des neuen Albums ist mir gleich der fantastische Pianosound bei „Gymnopédie“ aufgefallen. Wie ist dieser Sound entstanden?
Christopher von Deylen: In einem Aufnahmestudio in New York. Der Toningenieur hat den Flügel auf eine Art mikrofoniert, die ich so noch nie gesehen hatte. Es wurden vier Mikrofone verwendet, einmal etwas näher, einmal etwas weiter und das dann jeweils noch über die Oktaven verteilt, damit man ein schönes Stereobild hat. Außerdem wurde es analog aufgenommen. Manchmal kann ich diesen etwas leiser gewordenen aber immer noch schwelenden „Kampf“ zwischen analog und digital nicht ganz nachvollziehen. In diesem Fall war es aber sicherlich richtig, das Piano analog aufzunehmen.
bonedo: Du bist sehr produktiv, seit dem letzten Album ist gerade mal ein Jahr vergangen. Wo findest du immer wieder Inspiration?
Christopher von Deylen: Die Frage nach der Inspiration kann ich leider nicht beantworten – das ist ja genau das Geheimnis, das man nie ergründen wird. Es gibt kein Patentrezept, um sich inspirieren zu lassen. Wenn man sich leer fühlt, dann ist man eben auch gerade leer. Dann muss man einfach Geduld haben und warten. Geduld und ein bisschen Fleiß und Disziplin sind sehr wichtig, aber das letzte Quäntchen Inspiration hält sich oft versteckt. Man weiß nicht, wo und wann es sich zeigt. Das macht den Reiz aus!
bonedo: Bei der Musik von Schiller entstehen fast automatisch Bilder im Kopf und du verwendest bei deinen Konzerten extrem aufwändige visuelle Effekte. Denkst du auch schon in Bildern, während du an der Musik arbeitest?
Christopher von Deylen: Nein, gar nicht, dafür ist zu dem Zeitpunkt gar kein Platz im Kopf. Das kommt meistens hinterher. Es ist nicht so, dass die Musik aus Bildern herausfließt oder dass sofort Bilder entstehen, sondern es kommt erstmal der reine Audio-Eindruck. Wenn das in sich stimmig ist, wende ich mich einer eventuellen Visualisierung zu. Bei OPUS habe ich das bewusst etwas offen gelassen. Es gibt keine wirklich konkreten Bilder sondern dieses „Image“ eines Bergpanoramas, das für Weite steht und für eine gewisse Ewigkeit, denn diese Melodien haben ja ihren „Ewigkeitstest“ bestanden. Ich habe selbst das Gefühl gehabt, dass viele Stücke auf OPUS beim Hören eine große visuelle Präsenz haben, sodass ich nicht unbedingt Bilder vorgeben wollte.

Fotostrecke: 2 Bilder Christopher von Deylen mit Anna Netrebko (Foto: Philip Glaser / zur Verfügung gestellt von Universal Music)

bonedo: Auf allen Schiller-Alben hast du mit Gastmusikern und -Sängern zusammengearbeitet. Die Tracks mit Peter Heppner zählen zu deinen größten Hits, und auch auf dem neuen Album sind wieder namhafte Gäste wie zum Beispiel die Sopranistin Anna Netrebko und die Pianistin Hélène Grimaud zu hören. Wie kann man sich die Zusammenarbeit vorstellen? Ist die Musik schon fertig, wenn die Gäste ins Studio kommen, oder ist es ein gemeinsamer, kreativer Prozess?
Christopher von Deylen: Das ist zum Teil wirklich sehr kreativ. Die Aufnahmen mit Hélène Grimaud sind von Null an gemeinsam entstanden, es gab also kein Playback, auf das sie dann gespielt hat. Wir haben zusammen Musik gemacht und aufeinander reagiert. Mit Anna Netrebko lief es etwas anders. Es war ja das erste Mal überhaupt, dass sie ihr klassisches Terrain verlassen hat, in dem sie sehr verankert ist. Sie hat den Mut gehabt, die Grenzen zu überschreiten, was mich natürlich sehr freut. Ich habe dann einen Vorschlag gemacht, wie man das gestalten könnte – vielleicht auch, um sie auf den Geschmack zu bringen. Und es hat gut funktioniert! (lacht)
bonedo: Hast du einen „Wunsch-Gast“, mit dem du gern einmal zusammen arbeiten würdest?
Christopher von Deylen: Ja! Seit Jahr und Tag ist das Neil Tennant von den Pet Shop Boys. Normalerweise frage ich ihn bei jedem Album aufs Neue. Bei OPUS habe ich ihn nicht gefragt, weil es mir selbst bei starker Dehnung meiner Fantasie nicht gelungen ist, ihn in diesem Kontext zu verorten. Wenn es vielleicht eines Tages wieder ein Pop-Album von Schiller gibt, werde ich ihn sicherlich wieder fragen…
bonedo: Wie erklärst du dir den Chart-Erfolg von Schiller? Die Musik ist ja ganz überwiegend kein typischer Radio-Pop und trotzdem kommerziell sehr erfolgreich – alle Alben seit „Weltreise“ konnten sich lange in den Top 10 halten.
Christopher von Deylen: Vielleicht gerade deswegen. Ich mache mir keine Gedanken darüber, was ich tun müsste, um erfolgreich zu sein. Es überrascht mich jedes Mal und ich bin immer noch etwas ungläubig, aber ich denke, ich muss es auch gar nicht verstehen. Ich mache das, was mir Spaß macht. Wenn etwas mal keinen Erfolg hat – was ja durchaus denkbar wäre – gibt es auch keine Stellschrauben, an denen ich drehen könnte, denn es ist nicht kalkuliert. Es ist keine Spekulation auf Erfolg – die Musik von Schiller widersetzt sich ja eben sogar in weiten Teilen den gängigen Schemata und Strömungen, weil ich scheinbar einen gewissen musikalischen Trotz in mir trage. Vielleicht ist das etwas, was der Hörer als Alternative wertschätzt. Viele Schiller-Hörer hören ja nicht nur Schiller, sondern auch andere Musik, die zu Recht auch kommerziell erfolgreich ist. Vielleicht ist Schiller eine Art akustischer Alternativvorschlag.
bonedo: Gibt es schon Pläne für das nächste Schiller-Album?
Christopher von Deylen: Nein, die gibt es noch nicht. Wir gehen ab September erstmal auf Tour. Es wird auch wieder einige Konzerte im Ausland geben, wir spielen zum Beispiel in Moskau und St. Petersburg, worauf ich mich sehr freue. Danach gibt es noch keine Pläne, wobei ich das vor einem Jahr bei der Veröffentlichung von „Sonne“ auch gesagt habe. Das kann sich also schnell ändern… Es gibt nichts, außer man tut es! (lacht) 

OPUS erscheint am 30.08.2013.

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