Der Multiinstrumentalist und Singer/Songwriter Sebel schrieb zur aktuellen Corona-Situation einen Song, der quasi über Nacht zum Erfolg wurde. Dass das Video (im positiven Sinne) viral ging, war weder Absicht noch planbar. Niedergeschlagen von einer abgebrochenen Tour zurückkommend, schrieb der in Recklinghausen ansässige Musiker und Produzent den Song „Zusammenstehen“ und veröffentlichte ihn kurzerhand mit Video über YouTube und sein eigenes Label.
Sowohl die Ausmaße der zur Pandemie werdenden Epidemie, als auch die Reichweite des Songs waren für Sebel in dieser Frühphase Anfang März noch nicht absehbar. In seinem ersten Video rief er befreundete Musiker dazu auf, an dem Song mitzuarbeiten und Teil weiterer Videos zu werden. Nach kurzer Zeit gab es schon eine internationale Version des millionenfach geklickten Songs, und mittlerweile wirken über einhundert Musiker an dem Song mit. Alle Einnahmen des Songs spendet der Musiker aus dem Ruhrgebiet an die Deutsche Orchester-Stiftung, die einen Hilfsfond für existenzbedrohte Musiker eingerichtet hat. Wir sprachen mit ihm über die Entstehung und Entwicklung seines Songs.
Hallo Sebel, wie ist die Idee zum Song, dem Video und dem Konzept des Zusammenspiels mit Musikern aus aller Welt entstanden?
Ich glaube, ich war einer der ersten Musiker in Deutschland, die zu dem Virus und der daraus entstandenen Situation einen Song geschrieben haben. Ich kam damals von einer Tour mit Stoppok zurück, die abgebrochen werden musste. Am Anfang der Tour haben wir noch unsere Witzchen über Hamsterkäufe von Klopapier und Nudeln gemacht, aber die Stimmung ist dann recht schnell gekippt, als die ersten Veranstaltungen mit mehr als 1000 Leuten abgesagt wurden. Wir haben uns dann natürlich im Tourbus mit Band und Crew immer ausgetauscht und gefragt, wie es eigentlich weitergehen wird. Ich weiß noch, dass unser Backliner eines Abends da saß, nachdem ihm im Zuge der ganzen Absagen auch eine große Tour mit Santiano gecancelt wurde, und meinte, dass er seine Miete in zwei Monaten nicht mehr zahlen kann, wenn das so weiter geht. Am 13.3. sollten wir dann in München spielen, wo uns aber vor Ort das Konzert abgesagt wurde. Damit war klar, dass jetzt die gesamte Tour vorbei ist und es damit also schlagartig auch für uns ernst wurde. Da war noch nicht beschlossen, dass auch Kindergärten und Schulen schließen werden.
Als ich dann am 15. März zuhause angekommen bin, habe ich einfach meinen Koffer unausgepackt in die Ecke geknallt, mich ans Klavier gesetzt und den Song geschrieben. Ich habe gespürt, dass hier etwas Außergewöhnliches und Einschneidendes für die gesamte Gesellschaft passiert, was mir wirklich richtig nah ging. Keiner wusste ja so richtig, was da wirklich auf uns zukommt. Ich hatte dann einfach den Impuls, einen Song zu schreiben. Das sollte kein „Corona-Hit“ werden oder so, sondern ich wollte aus der Situation heraus einen Song schreiben und damit verarbeiten, dass ich unsicher war und nicht so richtig wusste, wohin mit den Gefühlen. Der Song war relativ schnell geschrieben und kam irgendwie ganz tief aus dem Unterbewusstsein. Innerhalb von zwei bis drei Stunden hatte ich den Text fertig und habe dann am nächsten Tag noch etwas an der Musik weitergearbeitet. Als ich den Song fertig hatte und ihn final gehört habe, bin ich in Tränen ausgebrochen. Ich habe irgendwie gespürt, dass in dem Song etwas drin ist. Dann habe ich ihn einfach veröffentlicht. Das macht man ja als Künstler so. Als ich das fertige Video gesehen habe, habe ich gemerkt, dass ich ganz schön verlassen und alleine am Klavier sitze. Das spiegelt genau das Gefühl wider, das ich in der Situation nach der abgebrochenen Tour hatte, als ich hier zuhause ankam. Dann war mir schnell klar, dass es auch wahnsinnig vielen anderen Musikern so gehen muss, die jetzt alleine zuhause sitzen. Also kam mir die Idee, dass man aus dem kleinen Klavierstück zusammen mit anderen Leuten etwas Größeres machen kann. Ich habe dann das Video zusammen mit dem Aufruf veröffentlicht, dass Musiker aus der ganzen Republik an dem Song mitarbeiten und zu den Spuren, die ich bereitstelle, etwas in ihren Homestudios aufnehmen können und ich das dann am Ende zu einem Song zusammenbaue.
Das erste Video zum Song entstand Mitte März und ist mittlerweile millionenfach bei YouTube geklickt worden.
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Mehr InformationenWie war die erste Resonanz auf das Video?
Als ich am nächsten Morgen aufgestanden bin, habe ich bemerkt, dass das Video über Nacht quasi „viral“ gegangen ist. Schon am nächsten Tag hatte das Video 500.000 Klicks. So hat sich das dann weiterentwickelt, und der Song, der irgendwie zur richtigen Zeit und mit der richtigen Message kam, hatte nach fünf Tagen über 1,4 Millionen Aufrufe. Das Video kam fast genau zu dem Zeitpunkt, als die ersten Schulen, Kindergärten und Geschäfte schließen mussten. Ich dachte eigentlich, dass mir nur ein paar Kollegen zurückschreiben und ein paar Spuren schicken würden, aber das Postfach quoll am nächsten Tag schon über. Damit ging die Arbeit eigentlich erst los. Ich habe dann von Tag zu Tag an dem Projekt weitergearbeitet. Nach fünf Tagen waren schon 70 Musiker an Bord, die was zum Song beigetragen haben. Irgendwann verließ das Video auch den deutschsprachigen Raum. In den Kommentaren schrieb zum Beispiel jemand, dass er kein Wort verstehen, aber genau spüren kann, was ich mit dem Song sagen will. Das ist natürlich eigentlich ein Ritterschlag für jemanden, der Songs schreibt, wenn die Botschaft bei Leuten ankommt, obwohl sie gar nicht deine Sprache sprechen.
Es kam dann weiterer Input von Leuten aus Österreich und der Schweiz, und dann erreichten mich die ersten Nachfragen nach einer Übersetzung in andere Sprachen und einer internationalen Version des Songs. Mir schrieb dann ein italienischer Sänger, der in Deutschland lebt. Wir haben über Skype sehr lange an dem Text gearbeitet, weil mir wichtig war, dass der Text auch in einer anderen Sprache auf den Punkt gebracht wird. Eine Woche später, ungefähr am 22. März, hatten wir dann die italienische Version fertig. Auch in diesem Video sieht man schon viele verschiedene Musiker, die ihren Teil zum Song beitragen. Die Sängerin, die dort mitgesungen hat, wohnt in Norditalien und hat das Video dort in Quarantäne aufgenommen. Das Video wurde innerhalb von fünf Stunden in Italien im Fernsehen gezeigt, und auf einmal fingen Radiosender in Italien an, den Song zu spielen. Das ist unfassbar. Mittlerweile wird auch an einer holländischen, einer französischen und einer spanischen Version gearbeitet. Dazu gibt es noch verschiedenste Coverversionen und Videos von Musikern, die den Song einfach auf der Straße spielen. Unglaublich, wie schnell das in gut zwei Wochen ging, und täglich entwickelt sich etwas Neues.
Mit Mattia Bella De Iovita und Riccardo Doppio erarbeitete er „Insieme“, eine italienischsprachige Version.
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Mehr InformationenWie entwickelt sich das Projekt nun weiter?
Man kann sich ja vielleicht vorstellen, was für eine Gänsehaut ich täglich bekomme, wenn ich die ganzen Einsendungen in meinem Postfach aufmache und höre, was die ganzen Musiker dazu beitragen. Ich hätte nie gedacht, dass dieses kleine Pianostück, das ich in meinem Studio geschrieben habe, so wächst und so viele Musiker dynamisch daran arbeiten, kreativ sind, zusammenstehen, an etwas Gutem arbeiten und ihre Zeit vernünftig nutzen. Das ist schon unglaublich. Das Ziel ist jetzt eine große orchestrale Version, an der ich gerade arbeite. Ich denke, dass ich bei 200-250 Musikern Schluss machen werde. Aktuell bin ich schon bei 160 Leuten, die Instrumente und Stimmen eingeschickt haben. Ich habe jedem, der etwas zu dem Song beigetragen hat, versprochen, dass er oder sie Teil des Songs sein wird. Natürlich kommen jetzt auch die ersten prominenteren Leute und wollen mitmachen, aber ich finde, dass jeder stattfinden sollte, egal wie professionell er oder sie ist. Es ist nachher die Kunst, das im Studio so zusammenzubauen und jedem einen kleinen Part im Song zu geben. Ich schmeiße keinen raus, nur weil es ein bisschen schief klingt, sondern mir geht es darum, dass Leute, die mit Herzblut Musik machen, Teil des Songs sein können.
Alle Einnahmen des Songs gehen an einen guten Zweck. Warum hast du dafür gerade die Deutsche Orchester-Stiftung ausgewählt?
Die Deutsche Orchester-Stiftung war die erste Gesellschaft, die zur Zeit der Veröffentlichung des ersten Videos mit einem Fond Hilfe für freischaffende Musiker angeboten hat. Erst dachte ich, dass das nur für klassische Musiker gilt, aber nach Rücksprache habe ich erfahren, dass die Stiftung Musiker aller Genres unterstützt, egal ob Jazz, Klassik, Rock oder Pop. Damals war noch gar keine Hilfe von Ländern oder dem Bund in Sicht. Mit Streaming auf Plattformen oder YouTube kommen natürlich keine großen Summen zusammen, aber trotzdem möchte ich das Geld damit teilweise denen zurückgeben, die hier ihre Aufnahmen schicken. Ich hatte also nach der Veröffentlichung schon recht schnell den Impuls, dass ich mich nicht bereichern, sondern das Geld spenden will. Viele freischaffende Künstler sind ja durch die vielen Ausfälle teilweise in ihrer Existenz bedroht. Ich schreibe Songs und veröffentliche sie selber, so habe ich das auch mit diesem Song gemacht. Ich habe drei Major-Deals gehabt, bei denen ich immer wieder rausgeschmissen wurde, wenn kein Hit dabei war. Ich habe den ganzen Scheiß hinter mir. Es gibt weder ein Management, noch einen Verlag, weshalb 100 Prozent der Einnahmen bei mir ankommen, die ich dann an die Orchester-Stiftung weiter gebe.
„We Can Make A Change“ mit den Sängern Christina Lux und Jan Loechel ist eine weitere internationale Version auf dem Weg zu einem großen, orchestralen Song mit hunderten Musikern.
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Mehr InformationenVielen Dank für’s Gespräch!
Tipp: Auf dieser Seite haben wir alle Artikel zur Corona-Krise zusammengefasst:
https://www.bonedo.de/artikel/einzelansicht/tipps-und-tricks-fuer-musiker-waehrend-der-corona-krise.html