Tom Angelripper ist Sänger und Mastermind der Thrash Metal Pioniere Sodom. Seit 1982 ist die Band aktiv, zählt mit ihren harten aggressiven und knüppelharten Songs zu den Wegbereitern des Death Metals. Dieses Jahr wurde das neue Album “Epitome Of Torture” veröffentlicht – man blieb sich treu mit Songs wie “Waterboarding” oder über den russischen Raketenwerfer “Katjuscha”. Laut Tom gibt es in unserer Welt ja leider viel zu viele Inspirationen für böse Texte.
Als echter Ruhrgebietler war er unter Tage – seine Musik und den Wunsch Musiker zu werden, kommentierte seine Familie laut Tom damals mit: “Watt iss datt denn?” Aber es gab für ihn kein Halten und keine Alternative – 30 Jahre später ist er immer noch dabei. Ein extrem interessanter Gesprächspartner für unser Interview, das wir diesmal telefonisch führten.
Bonedo: Wie wurde Musik dein Leben und deine Karriere?
Das geht zurück bis 1981/82. Die Initialzündung war das erste Album von Venom “Welcome to Hell”. Das haben wir damals als erste als Importware aus England gekriegt. Von da an waren wir infiziert! Dann kommt man irgendwann selber auf die Idee Musik zu machen. Es gab damals nur eine Handvoll Bands in unserem Dunst, die so eine Musik gemacht haben.
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B: Hast du von Anfang an gesungen und Bass gespielt?
Ja. Autodidaktisch. Ich hab das nicht gelernt, wir haben uns das selber beigebracht. Wir haben Songs gecovert und rausgehört. Und nach der ersten Show in Frankfurt 1984 haben wir direkt einen Plattenvertrag gekriegt, obwohl wir wirklich grauenhaft waren – unterste Tonne. Aber wir hatten so etwas besonderes, wir hatten einen Charme, dem sich der Plattenboss der da war wohl nicht entziehen konnte. Der hat gesagt, wir versuchen das und hat uns ins eiskalte Wasser geschmissen. Und wir haben bis heute durchgehalten.
B: Das finde ich echt bemerkenswert, muss ich mal sagen. Was würdest du denn machen, wenn du kein Musiker wärst?
Die Frage krieg ich oft gestellt. Ich sag mal, für die freie Wirtschaft bin ich schon zu alt mit fuffzig. Da nimmt mich keiner mehr. Ich bin gelernter Schlosser und war 10 Jahre lang als Bergmann unter Tage.
B: Bis wann hast du im Bergwerk gearbeitet?
Bis 1989. Dann waren wir relativ gut angesagt und es kam das Angebot von der Plattenfirma. Jeden Monat einen kleinen Scheck im Briefkasten. Dann bin ich zuhause geblieben. Natürlich zum Leidwesen aller meiner Freunde und der Familie. Nach der Zeche kannst du mit Fachoberschulreife studieren, oder machst eine Steigerschule (Steiger sind Aufsichtspersonen im Bergbau – Anm. Red). Damit wäre ich jetzt schon Frührentner. Aber ich habe seit 1989 nicht mehr gearbeitet.
B: Wie man´s nimmt.
Nein, Sodom ist natürlich viel Arbeit. Aber wenn man etwas mit Herzblut macht, dann sieht man das nicht so. Es ist viel und wird auch immer mehr, aber ich bin froh, dass es geklappt hat die letzten 10 Jahre.
B: Was ist denn das besondere an deinen beiden Instrumenten, also Bass und Vocals?
Ich hab immer diese Sänger geliebt, die einen Bass in der Hand hatten. Lemmy, oder John Gallagher von Raven, Algy Ward von Tank oder Cronos von Venom. Auch Sting ist gut. Super Bassist! Das hat mich dann dazu verleitet, das selber zu versuchen. Gitarre war nicht mein Instrument. Mit den dünnen Saiten konnte ich mich nie anfreunden.
B: Kannst du dich noch an die ersten Songs erinnern, die du in der Band gesungen hast?
Wir mussten uns erstmal alles anschaffen: Die Gesangsanlage haben wir aus alten Gitarrenboxen und alten Verstärkern zusammengeschraubt. Und dann wurde natürlich zuerst mal gecovert. Wir haben z.B. Status Quo gecovert – was einfach war. Ich hab das sehr leidenschaftlich gemacht. Die erste Gitarre die ich mir gekauft hab, von dem bisschen Geld, dass ich in der Lehre verdient hab, das war schon was ganz Besonderes für mich.
B: Zu der Zeit war aber schon der Bass dein Ding.
Absolut! Ich hab auch am Schlagzeug gesessen eine Zeit, bevor ich den Witchhunter (erster Drummer – Anm. Red.) kennengelernt hab. Und dann haben wir uns das so aufgeteilt. Du spielst Drums, du spielst Gitarre und du spielst Bass. Jeder hatte ein bisschen mehr Talent für das jeweilige Instrument entwickelt – und dann war die Konstellation klar.
B: Und du musstest dann auch noch singen.
Am Anfang hat auch der Frank (Testegen, als “Agressor” Gründungsmitglied von Sodom – Anm. Red.) mitgesungen. Da haben wir uns ein bisschen abgewechselt. Er war aber nur ein Jahr in der Band und dann bin ich als Sänger übergeblieben.
B: Was ist denn für dich die wichtigste Equipment-Erfindung aller Zeiten und warum?
Ohne Boxen geht nix. Ohne Klampfe selbst geht auch nix. Am Anfang war´s bei mir aber der Verzerrer. Das war schon ein magisches Instrument! Meinen Bass-Verstärker konnte man nicht zerren. Ich wollte aber so klingen wie Lemmy oder Kronos und da habe ich mir einen Marshall Shredmaster zwischengeschaltet. Damit hab ich dann auch meinen Sound gefunden. Die Tretmine hab ich immer noch, aber benutz sie nicht mehr. Ich hab da jetzt anderes Zeugs.
Später hab ich dann mein Motorrad verkauft, und dann haben wir auch nagelneue Marshall-Boxen gekauft. Drei Wochen später wurde uns dann der Proberaum aufgebrochen und alles war wieder weg. Ja, wir haben schon was mitgemacht früher…
B: Erinnerst du dich noch an deine erste Studioerfahrung, wie war das für dich?
Ja, das war für die EP “In the Sign of Evil”. Das Label hat uns direkt nach der ersten Show 1984 in Frankfurt ins Studio geschickt. Völlig unvorbereitet. Da sind wir in Berlin gewesen bei Horst Müller, der hatte auch schon Running Wild und Celtic Frost produziert und war für uns eine Lichtgestalt. Aber der konnte mit uns gar nichts anfangen, der hat uns einfach machen lassen, und wir konnten das eigentlich gar nicht. Wir wussten nicht was Mehrspur ist, und dass man einzeln einspielen kann. Das war völliges Neuland für uns – und wir waren völlig überfordert.
B: Wie lange wart ihr für die EP im Studio?
Maximal eine Woche. Ursprünglich wollten wir ein ganzes Album machen. Dann hat zwischendurch jemand von der Plattenfirma reingehört und gesagt “Was ist das denn!?”. Also haben wir nur eine EP gemacht und abgewartet, wie es läuft.
B: Auf welche deiner vielen Aufnahmen seit 1982 bist du denn am stolzesten?
Wir haben zwei Demos gemacht 82/83. Da waren wir schon sehr stolz drauf. Beim ersten haben wir 5 Stücke drauf gehabt, die wir einfach im Proberaum mit 2 Mikrofonen aufgenommen haben. Dafür habe ich auch das Cover und das Sodom-Logo selber entwickelt. Und dann habe ich alle damit belästigt. Meine Eltern – und einmal die Woche kamen Oma und Opa, Tanten und Onkels zu Besuch. Die haben dann gesagt, “der Thomas macht Musik”, da musste ich die Kassette laufen lassen.
B: Und wie fanden die das so?
Die waren natürlich völlig schockiert. Das war ja schon für die Metalszene hart. Meine Mutter, mein Vater und mein Opa waren komplett fertig. Nur meine Oma meinte: “Lass den Jungen mal machen, das hört schon irgendwann wieder auf.” Da war aber auch noch nicht die Rede davon, dass ich irgendwann mal auf der Zeche aufhöre. Das Tape war so grottig, das ist heute noch schockierend für mich.
Aber cool! Wir haben natürlich jede Kassette von Hand kopiert und im Copyshop die Cover gebastelt. Dann haben wir die Kontaktadressen von Hand reingeschrieben und sind damit zur Post gelatscht. Das war Hammer! Und für 10 Mark verkauft, was damals viel Geld war. Das haben uns die Leute aus den Händen gerissen. Später haben wir eine Firma aufgetan, die uns gleich 100 Stück kopieren konnte. Das war nämlich immer lästig mit dem Doppeltapedeck zu Hause. Ein Exemplar hab ich davon noch zu Hause. Dann kamen auch schon die ersten Reviews in Magazinen.
B: Was war deine schönste oder schlimmste Bühnenerfahrung?
Es gab mal eine Geschichte, da haben sie mich an der Grenze zwischen Österreich und Ungarn stehen gelassen. Wir wollten pinkeln am Grenzübergang und ich musste k… . Und dann kam ich 5 oder 10 Minuten später zurück – und der Bus war weg. Da haben sie mich schlicht vergessen! Die dachten, ich sei im Nightliner und schlafe. Am Tag später war in Ungarn die Show, und irgendwie hab ich das dann geschafft da hinzukommen. Ich bin vorm Club aus dem Auto raus in kurzer Hose, Badeschlappen und einem hellen T-Shirt und hab die Band schon spielen hören. Einer von der Vorband Risk hat schon mal “Ausgebombt” gesungen. Ich bin dann, so wie ich war, auf die Bühne und hab den Bass übernommen.
Vor allem gab es damals noch kein Handy und das Drama ging weiter: Ich hatte meinen Reisepass bei einem ungarischen Fahrer im Auto liegen lassen. Den hatte mir der Frank Albrecht an der Grenze entgegengebracht. Bei dem Fahrer, der uns dann zur Halle gebracht hat, hab ich den Pass dann liegenlassen. Mit einem deutschen Reisepass haben die damals richtig Geld machen können. Aber ich kam nicht mehr raus aus dem Land und musste dann in Polen in der Botschaft bleiben, bis die Polizei kam.
B: Was ist denn auf Tour deine Lieblingsbeschäftigung, gibt es irgendwelche Rituale?
Ich bin eigentlich gar nicht so gerne auf Tour. Natürlich muss es sein, dass wir spielen. Aber wenn ich im Bus sitze bei einer längeren Tour, nicht nur so ein Wochenende, fühle ich mich immer wie im Knast!
B: Also, wenn du auf einer “verhassten” Tour bist: Gibt es da irgendetwas, das du immer machst?
Gar nichts Spezielles: Ich versuch immer möglichst meine Ruhe zu finden und viel zu pennen. Beim Soundcheck bin ich dann schon gar nicht mehr dabei. Vielleicht mal aus Langeweile oder so. Ich versuch einfach nur die Zeit totzuschlagen. Die Show selbst ist immer geil, das mach ich immer gern, aber alles drumherum ist entsetzlich.
B: Du bist der erste, der das so offen sagt – das Warten würde mich auch wahnsinnig machen!
Musik ist ja auch nicht immer alles. Ich hab dann Sehnsucht nach meinen Hobbies. Ich bin Jäger nebenbei, sehr naturverbunden und freiheitsliebend. Ich fühl mich in so einem Bus eingeengt. Auch wenn man da mit seinen Kollegen rumhängt: Irgendwann kommt der Tour-Koller und man schreit sich an. Ich finde das grauenhaft. Aber anders geht es nicht.
B: Wie viele Shows spielt ihr denn noch so pro Jahr?
Wie haben dieses Jahr zum neuen Album gar keine Tour geplant, weil wir jedes Wochenende unterwegs sind. In der Regel geht eine Tour bei uns 3-4 Wochen.
Dieses Jahr sind wir z.B. auf dem With Full Force und vielen anderen großen Festivals. Dann spielen wir demnächst in Indien und Südamerika. Wir sind jedes Wochenende unterwegs, da nehmen wir auch gerne mal kleinere Festivals mit.
B: Südamerika ist ein guter Punkt. Woran liegt es, dass Metal in Südamerika so groß ist, wie die Popmusik hier?
Ich glaube, das liegt an der Mentalität von den Leuten: Südamerika ist erstmal gigantisch, wir würden hier niemals so viele Leute ziehen und so eine Resonanz bekommen. Die Südamerikaner leben diese Musik, weil Metal immer noch etwas Besonderes ist. Die sind auch nicht so überlaufen wie hier in Deutschland, wo du jede Band jedes Wochenende irgendwo sehen kannst.
B: Was würdest du denn ändern, wenn du im Musikbusiness das Sagen hättest?
GEMA und GVL. Das sind Themen mit denen man sich mit befassen muss.
B: Wie meinst du das?
Da geht es natürlich um Kohle. Aber wir Musiker wollen ja auch von etwas leben. Von der GVL hat man früher immer ein bisschen “Weihnachtsgeld” gekriegt. Jetzt schüttet die GVL danach aus, wie oft du im öffentlich rechtlichen Radio gespielt wurdest. Das ist natürlich bei Bands wie uns wenig der Fall. Mit dem Effekt, das die letzte Abrechnung 3,80 € war. Das Musikbusiness ist echt hart geworden. Wir können uns da nicht beschweren, wir haben unseren Kultstatus und unseren Namen: Sodom ist eine Band, die sich nie grundlegend geändert hat und eine Fangemeinde hat. Aber eine jüngere Band, die jetzt gerade nach oben kommt, für die ist es sehr schwer geworden!
B: Welchen Rat würdest du denn jungen Musikern geben, die sich heute noch als Profi durchsetzen wollen?
Geht arbeiten! (lacht)
Ich hab immer viele junge Bands um mich. Ich versuch auch immer zu helfen. Die kommen dann immer mit Verträgen oder wollen Support spielen. Da sind auch wirklich gute Musiker dabei. Wenn wir früher so gut gewesen wären, wer weiß! Aber ohne Plattenvertrag spielst du nicht auf den großen Festivals. Und wenn du dazu keine Gelegenheit hast, sieht dich auch keiner.
Wenn man schon versucht Musik zu machen, dann sollte es auf jeden Fall was Besonderes und Eigenständiges sein. So haben wir das geschafft. Sodom klingt nach Sodom, Kreator nach Kreator, Destruction nach Destruction. Man kann sich natürlich inspirieren lassen von anderen Bands, aber man muss auch versuchen was Eigenes daraus zu machen.
B: Also ist Musik nur noch als Hobby zu gebrauchen?
Ich kenn Leute, die haben aufgehört zu studieren oder die Lehre abgebrochen. Auf gar keinen Fall irgendetwas aufgeben! Es kann ja mal eine Zeit lang gut laufen, und du verdienst ein bisschen was. Ein Jahr später ist es dann auch schon wieder vorbei. Früher war das wirklich einfacher.
B: Die Plattenfirmen verkaufen ja auch nichts mehr.
Klar, wenn wir heute zwanzig-, dreißigtausend Platten verkaufen, dann ist das super.
B: Wenn du dann aber auch nicht mehr im Radio gespielt wirst, fehlt dir auch die Einnahme aus der GEMA.
Die GVL fehlt auf jeden Fall. Die GEMA wird ja auch nach Tonträgern abgerechnet. Grundsätzlich kann man aber sagen, das Bands wie wir von den Shows leben. Wenn ich so zurückblicke, haben wir noch nie so viele Shows gespielt wie in den letzten Jahren. Und wir müssen schon ablehnen. Wir könnten jedes Wochenende spielen, wenn wir wollen. Und das bleibt, hoffe ich. Auch wenn man keine Tonträger mehr verkauft – Live gehen die Leute immer noch hin. Das läuft noch. Wenn das mal einbricht, dann wird es problematisch.
B: Schönes Schlusswort! Vielen Dank für das Gespräch!
Mehr Infos zu Sodom: http://www.sodomized.info