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Interview: Trilok Gurtu – Grenzenlos

Trilok Gurtu kennt man als einen der größten Tablavirtuosen unserer Zeit, aber sein musikalischer Horizont ist wesentlich weiter: Auch Drumset und perkussive Klangerzeugung sämtlicher Couleur bilden das Zentrum seiner kreativen Arbeit und verschmelzen zu einer einzigen musikalischen Persönlichkeit. Seit rund 50 Jahren hat der gebürtige Inder seinen Fußabdruck vor allem in der internationalen Musikszene hinterlassen, ob in der Zusammenarbeit mit dem norwegischen Saxofonisten Jan Garbarek, mit dem er erst kürzlich hierzulande wieder live zu erleben war, dem Gitarristen John McLaughlin, im Duo mit Keyboarder Joe Zawinul, klassischen Streichorchestern, Electro-Musikern, seinen Soloprojekten und, und, und. Grenzen kennt Gurtus musikalische Vision nicht. 

Trilok Gurtu auf der Bühne. Sein sehr individuelles Set-up ist seit vielen Jahren eine Mischung aus Drumset und Percussion. (Alle Fotos: Ingo Baron)
Trilok Gurtu auf der Bühne. Sein sehr individuelles Set-up ist seit vielen Jahren eine Mischung aus Drumset und Percussion. (Alle Fotos: Ingo Baron)

Hat sich die Szene für die sogenannte Weltmusik in den letzten Jahren deiner Meinung nach verändert, nicht zuletzt durch die Verbreitungs- und Austauschmöglichkeiten durch Social Media und dergleichen? 

Ich kümmere mich, ehrlich gesagt, nicht sonderlich um solche Dinge, denn sie nehmen viel Zeit in Anspruch. Ich mache lieber Musik, komponiere und versuche, möglichst viel zu spielen. Wenn meine Freunde Unterstützung für ein Projekt brauchen, dann geht’s meist ohnehin „one to one“. Plattformen wie YouTube oder Instagram verbreiten meiner Meinung nach auch oft „half knowledge“ – in Wirklichkeit eben kein Wissen, und es wird derart viel an vermeintlichem Wissen geteilt, dass man es gar nicht mehr verdauen kann. In dieser Szene möchte ich mich eigentlich nicht bewegen. Überhaupt bewege ich mich in gar keiner Szene mehr so wirklich. Ich denke, Musiker brauchen auch keine – das Musikbusiness schon. Es ist vielmehr so, dass du an dich glauben musst und das Business dich als Musiker brauchen soll. Ich vertrete da wohl ein bisschen eine andere Meinung als andere. 

Spielt ein Begriff wie Weltmusik für dich überhaupt eine Rolle? 

Nein, für niemanden eigentlich. In erster Linie ist es ja ein Begriff aus dem Marketing. Dabei geht’s wesentlich ums Verkaufen und nicht darum, dass irgend etwas neu wäre. Seit ich Musik mache, habe ich viel ‚Weltmusik‘ gemacht, aber kaum jemand hat sich darum gekümmert oder sie verstanden. Die meisten Leute glauben nach wie vor, ich sei Jazzmusiker. Das Problem ist folgendes: Die Jazzmusiker schimpfen, warum ich denn dieses und jenes mache, und die anderen schimpfen, warum ich Jazz mache. So ist’s leider. An solchen Diskussionen möchte ich mich nicht beteiligen, denn sie rauben wie gesagt viel Zeit, und die Musik bleibt im Hintergrund.


“Meine Musik gehört einfach in keine Schublade. Ich bin sozusagen heimatlos [lacht].”

Die Beziehung zu Indien und Afrika zum Beispiel ist vor allem in Deutschland nicht sonderlich entwickelt. In Frankreich und England sieht es schon anders aus, nicht zuletzt wegen der Kolonialgeschichte – auch in Italien, wo ich oft unterwegs bin, und in Amerika sowieso. Die glauben ja mittlerweile, sie wissen alles, selbst wenn sie keine Ahnung haben [lacht]. Wir wiederum akzeptieren nahezu alles, was aus Amerika kommt, und das ist problematisch. Vieles von dem, was sie uns sagen, ist jedoch „borrowed knowledge“. In Deutschland versteht und akzeptiert man vieles von meiner Musik nicht – immer noch nicht, obwohl ich ja schon so lange hier lebe.

Die Tabla ist Gurtus Hauptinstrument, Basis für die Musik jedoch immer die Stimme.
Die Tabla ist Gurtus Hauptinstrument, Basis für die Musik jedoch immer die Stimme.

Ist die Akzeptanz für Ansätze wie deinen, in dem du Percussion, Drumset und vieles mehr verschmilzt, nicht in den letzten Jahren größer geworden?

Kann schon sein. Ich freue mich schlicht, dass ich meinen eigenen Sound verwirklichen und spielen kann, was und wie ich es will. Durch Klicks im Internet verkaufe ich nicht mehr CDs, es kommen nicht mehr Leute zum Konzert, und die Musik wird durch die Anzahl von Klicks auch nicht besser oder schlechter. Da geht es um etwas anderes. Die Musik selber leidet natürlich nicht – das tut sie ja nie –, aber wir selbst leiden manchmal unter unserer eigenen Ignoranz. Ich habe kein großes Ego und bin von Kleinkind an einfach jemand, der Musik liebt. Für meine Familie war sie immer etwas Spirituelles. Hierzulande ist das anders, und vieles wird gleich als Esoterik abgestempelt. Deswegen sage ich zu alledem eigentlich nie sonderlich viel – weil manche es einfach nicht verstehen können oder wollen. 

Zu deinen Hauptprojekten gehört seit Jahrzehnten die Arbeit mit dem Saxofonisten Jan Garbarek. Wie hat sich diese im Laufe der Zeit entwickelt oder auch verändert? 

Ich kenne Jan schon seit den Achtzigerjahren. In der Zeit ist natürlich vieles passiert und hat sich entwickelt – aber auch außerhalb dieses Projektes, zum Beispiel mit meinen eigenen Gruppen oder der Zusammenarbeit mit John McLaughlin. In solchen Zeiträumen habe ich natürlich mit Jan nicht mehr so viel gemacht. Jetzt im Moment ist es eher umgekehrt, denn ich muss beispielsweise manche meiner eigenen Projekte absagen oder verschieben, weil ich mit Jan unterwegs bin. Andererseits ist das auch nicht schlecht für mich, denn vor allem in Deutschland bekommen die Leute so mit, dass ich immer noch spiele – mit meinen eigenen Projekten bin ich hier ja weniger präsent.


“Für mich gibt es keinerlei Grenzen oder Dinge, die man nicht machen darf.”

Komplette Solokonzerte, die ich im Ausland oft gemacht habe, sind hier wesentlich schwieriger, und Deutschland hängt in solchen Dingen immer etwas zurück. Ein Gitarrist oder ein Pianist kann problemlos Solokonzerte geben, aber ein Percussionist oder Drummer? Das Vertrauen in unsere Instrumentengruppe ist Deutschland immer noch fremd. Das Mindset prägt immer noch die Frage „Wie, mit Schlagzeugspielen kann man Geld verdienen?“. Den Leuten fehlt auch der Zugang zu Konnakol und solchen Dingen, mit denen sie sich teilweise nicht wirklich beschäftigen wollen. 

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Umgekehrt habe ich mich ja auch bewusst mit Mozart, Beethoven, Bach und vielen anderen Komponisten auseinandergesetzt und ein Verständnis für sie entwickelt. Ich denke, manche Leute stecken sich mit ihrer Einstellung unnötige Grenzen, und die deutsche Kultur ist manchmal so etwas wie ein amerikanisches Gefängnis. Das ist schade, denn wir haben hier schließlich sehr, sehr gute Musiker. Wenn eine Band aber nur aus Deutschland oder, sagen wir, aus Europa besetzt ist, dann ist sie merklich schwerer zu vermitteln. Da fehlt Deutschland immer noch der Teil der Kultur, der durch den Krieg weggeschnitten wurde. Politisch wird das jedoch immer noch nicht ausreichend gesehen. Da müssen gerade die Veranstalter meiner Meinung nach etwas mehr wagen.

Überhaupt ist das Verhältnis zu den Veranstaltern oft sogar wichtiger als das zum Publikum: Du kannst so oft du willst ein volles Haus haben, wenn einem Veranstalter deine Musik nicht gefällt oder du keine gute Beziehung zu ihm hast, dann kommst du eben auch nicht wieder ins Programm. Das ist zumindest meine Erfahrung. Ich habe für mich entschieden, dann halt woanders zu spielen. 

In Deutschland muss ich insgesamt eher kleine Brötchen backen, denn hier ist, wenn überhaupt, alles Jazz. Zudem richten wir uns hier meistens nach anderen: Norwegen, Schweden und natürlich Amerika. „Too much mind“ eben. Gute Musiker bekommen hier oft keine Chance – außer zu unterrichten. Aber das kann es ja nicht sein. 

„Soloalben sind immer die Chance für etwas Neues“, sagt Gurtu.
„Soloalben sind immer die Chance für etwas Neues“, sagt Gurtu.

Du hast gerade ein neues Album in der Vorbereitung? 

Ja, solche Aufnahmen mache ich immer wieder gerne, obwohl sie sich  meist nicht sonderlich gut verkaufen und kaum von einer breiteren Masse wahrgenommen werden. Wenn ich Mainstream-Jazz machen würde, sähen die Verkaufszahlen vielleicht anders aus. Große Erwartungen wie bei „African Fantasy“ [2000] oder „Kathak“ [1998], die ziemlich erfolgreich waren, habe ich jetzt nicht. Für mich sind Soloalben immer die Chance für etwas Neues, das ich bislang so nicht gemacht habe, und Sammlung meiner Ideen, damit sie nicht verlorengehen. Meine neue CD ist wieder mit dem Arkè-Streichquartett entstanden – mit Kompositionen, die bislang auf keinem meiner Alben zu hören waren. Die Labels und Manager waren von ihnen seinerzeit nicht sonderlich begeistert und haben mir alles Mögliche dazu erzählt – nur die Musik lügt niemals.


“Die Stimme ist das zentrale Element. Alle Instrumente, selbst die Tabla, kommen später.”

Mir haben die aktuellen Aufnahmen im italienischen Mantua, wo ich seit vielen Jahren mit meinen Co-Produzenten Carlo Cantini und Joachim Becker aufnehme, wieder sehr viel Spaß gemacht. Das ist das Wichtigste für mich – guten Wein und gutes Essen gibt’s schließlich auch. Projekte wie meine fristen eben ein Nischendasein. Das wird sich wohl nicht ändern, schätze ich, aber meine Musik gehört einfach in keine Schublade. Ich bin sozusagen heimatlos [lacht].

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Wie hast du für das Album komponiert? 

Mit Stimme, Klavier, Percussion, Elektronik und allem, woran ich Spaß habe. Wenn Bach, Beethoven und Mozart Elektronik zur Verfügung gehabt hätten, dann hätten sie sie auch genutzt. Sie wären top darin! Für mich gibt es keinerlei Grenzen oder Dinge, die man nicht machen darf. Ich komponiere sehr viel zu Hause, weil ich es einfach gerne mache. Anschließend arbeite ich mit Carlo oder meiner Band an diesen Kompositionen weiter, bis sie für die Aufnahmen fertig sind. 

„Ich spiele, wozu ich Lust habe und was mir gefällt“, umreißt Gurtu seine musikalische Zukunft.
„Ich spiele, wozu ich Lust habe und was mir gefällt“, umreißt Gurtu seine musikalische Zukunft.

Welche Rolle spielt bei dir die Stimme allgemein? 

Sie ist das zentrale Element. Alle Instrumente, selbst die Tabla, kommen später. Andere Tablaspieler machen das vielleicht anders, aber bei mir geht’s erst einmal über die Stimme – Melodie, Rhythmus, Bass und alles andere. Ich muss als Erstes alles singen, dann kann ich es auch spielen. Die Stimme ist für mich das Natürlichste, der Rest ist dem untergeordnet. 


“Wenn Bach, Beethoven und Mozart Elektronik zur Verfügung gehabt hätten, dann hätten sie sie auch genutzt. Sie wären top darin!”

Welche Rolle spielt Konnakol? 

Schon eine zentrale. Im Grunde ist es ja ganz einfach, Musik dadurch zu verstehen – erst wissenschaftlich wird das Ganze dann manchmal ziemlich hochgepusht. Konnakol ist für mich und meine Band schlicht eine Möglichkeit, die Ideen schneller zu verstehen und umsetzen zu können. So kann ich manche Dinge besser erklären. 

Wie sieht’s in der Zukunft für dich aus? 

Ich spiele, wozu ich Lust habe und was mir gefällt und habe auch keine Angst, zu einem Projekt mal Nein zu sagen. Mit Jan werde ich, soweit ich die Zeit dazu habe, natürlich weiterhin spielen. Er hat ein unglaubliches Verständnis für mich und meine Musik, was mir sehr viel Freiraum gibt. Ich komme materiell im Leben mit sehr wenig aus, habe bislang alles gemacht, was ich wollte, und werde das auch weiterhin so handhaben. Erfolg spielt für mich eine untergeordnete Rolle. Die Musik ist mein Leben, denn sie verbindet uns. Darum geht es doch – und um gegenseitigen Respekt.    

Biografie: 

Trilok Gurtu, geb. 1951 in Mumbai, gehört zu den weltweit angesehensten Percussionisten, Tablavirtuosen und Schlagzeugern. Er spielte mit John McLaughlin, Joe Zawinul, Jan Garbarek, Don Cherry, Bill Evans, Pharoah Sanders, Dave Holland, zahlreichen indischen Musikern wie seiner Mutter Shobha Gurtu, Zakir Hussain, L. Shankar, Shankar Mahadevan, Hariprasad Chaurasia, The Misra Brothers, Sultan Khan und vielen, vielen mehr. Dafür gewann er unter anderem mehrfach den renommierten „Downbeat Critics Poll“ als „Percussionist des Jahres“.  

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Diskografie (seit 2000): 

African Fantasy (2000), The Beat of Love (2001), Remembrance (2002), Izzat (2003), Broken Rhythms (2004), Farakala (2006), Arkeology (2006), Twenty Years of Talking Tabla (2007), Massical (2009), 21 Spices (2011), Spellbound (2013), God Is A Drummer (2019), One Thought Away (2023), (tba) (2025)

Equipment Trilok Gurtu

Das Setup von Trilok Gurtu.
  • Drums (verschiedene Hersteller): 
  • 18“ x 16“ oder 20“ x 16“ Bassdrum
  • 6“, 8“, 10“ Tomtoms (Custom)
  • 12“, 14“ Tomtoms (Custom)
  • 14“/12“ und 10“ Snaredrums
  • Becken: Zildjian
  • 20“ oder 22“ „K“-Ride oder Flatride
  • 16“ „Thin“-Crash
  • 14“ Hi-Hat 
  • 6“, 8“ und 10“ Splashes
  • „Spiral Stacker“
  • Felle: Remo
  • Tabla (aus Mumbai)
  • Djembe 
  • Udu
  • diverse Kleinpercussion 
  • Sticks: Zildjian (Signature-Modell)

Website: https://www.trilokgurtu.com

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