Nachdem Joe Clegg im Jahr 2009 einen akustischen Demosong von Ellie Goulding online gehört hatte, war er sofort Feuer und Flamme. Kurzerhand schrieb er sie direkt an, spielte vor, wurde ihr Tourdrummer und gleichzeitig auch der musikalischer Leiter der Liveshows. Parallel dazu unterschrieb die britische Sängerin einen Major-Deal und avancierte zum absoluten Weltstar. Als Musical Director hatte Joe die einmalige Gelegenheit, an der Entwicklung ihrer Bühnenshow mitzuwirken, die von Clubs bis hin zu ihrer von den Kritikern gefeierten „Delirium World Arena Tour“ im Jahr 2016 reichte.
Mittlerweile greifen auch Bands und Künstler wie Mumford & Sons, Aurora, Sigrid oder Clean Bandit auf seine Expertise zurück, die er mit einem Partner zusammen mit seiner Firma Artclub Live betreut. Dabei unterstützt er die Künstler auf dem Weg, ihre Liveshows auf allen Ebenen zu erstellen und zu entwickeln. Doch nicht nur auf den größten Bühnen dieser Welt begeistert Joe mit seinem kreativen Input, er spielte auch im Studio auf Gouldings Doppel-Platin-Debüt “Lights”, “Bright Lights” und dem dreifachen Platin-Zweitalbum “Halcyon”. Mittlerweile betreibt er auch ein Studio in England und produzierte dort in Eigenregie seine Masterclass „You’re So Hybrid“. Darin erklärt er seine Herangehensweise an die Umsetzung von modernen Produktionssounds am Drumset und die damit einhergehende Integration von Ableton Live im Drumsetup. Wir sprachen mit ihm über seine Herangehensweise an modernen Livesound und seine Arbeit als Musical Director.
Hallo Joe, du hast kürzlich mit der Masterclass „You’re So Hybrid“ umfassendes Lehrmaterial zum Thema Hybrid-Drumming und die Integration von Ableton Live veröffentlicht. Was hat dich dazu veranlasst?
Der Grund, warum ich die Masterclass kreiert habe, war folgender: Seit über zehn Jahren nutze ich Ableton Live als Technologie, um den Produktionssound von Ellie Gouldings Alben auf die Bühne zu bekommen. Als musikalischer Leiter habe ich mich natürlich nicht ausschließlich auf Drums fokussiert, sondern mich auch intensiv mit Key- und Basssounds auseinandergesetzt. Mir ist es sehr wichtig, dass bei einer Pop-Show nicht nur eine Wand aus Backingtracks vom Rechner läuft und Musiker einfach ein bisschen dazu spielen. Im Gegenteil – ich möchte dafür sorgen, dass die Musiker auf der Bühne mithilfe von Ableton Live in der Lage sind, alles live zu spielen und Backingtracks nur eine untergeordnete Rolle spielen. Der Produktionssound eines Künstlers oder einer Band war noch nie so gut umzusetzen wie in der heutigen Zeit. Bei Ellie ist Ableton mittlerweile wie ein Bandmitglied anzusehen. Durch Automationen entstehen so viele facettenreiche Details, die die Liveshow zu etwas Besonderem machen. Natürlich ist mir klar, dass das nicht jedermanns Sache ist und Zeit und Arbeit bedeutet, aber mit dem Wissen, was technologisch möglich ist, ergeben sich völlig neue Möglichkeiten bei der Umsetzung eines Konzerts. Ich bin ein sehr passionierter Drummer und habe so ziemlich jedes spannende Drumvideo und Konzept ausgecheckt, um mein Wissen und Spiel weiterzuentwickeln. Es gibt großartiges Lehrmaterial über Technik oder verschiedene Stilistiken, aber mir ist über die Jahre aufgefallen, dass sich niemand wirklich der Integration von Technik wie Ableton Live am Drumset gewidmet hat. Als ich über Instagram kleine Videos veröffentlicht habe, bekam ich immer wieder dieselben Fragen, beispielsweise wie die Pads ihre Sounds während des Spiels ändern oder Fragen zu typischen Problemen, die sehr leicht zu lösen sind. Also beschloss ich, das Ganze zu einer Videoserie zusammenzufassen, in der ich meine Herangehensweise und mein Setup erkläre. Ich denke, dass das heutzutage wirklich ein wichtiges Thema ist, und ich glaube, dass viele Leute Fragen zum Konzept und der technischen und kreativen Umsetzung von „Hybrid-Drumming“ haben. Mir geht es auch darum, dass Ableton für Drummer etwas entmystifiziert wird und nicht hauptsächlich technisch, sondern auch musikalisch betrachtet wird.
Muss man sich für deine Videos bereits mit Ableton auskennen?
Im ersten Kapitel erläutere ich, warum und wofür ich Ableton nutze und demonstriere am Laptop mit einem Roland SPDS-X und einem kleinen MIDI-Controller, wie ich Ableton mit Pads steuere und damit live spielen kann. Mithilfe des MIDI-Controllers zeige ich, wie ich durch Plug-ins, wie beispielsweise Soundtoys Little Plate oder den Decapitator, Drumsounds in Echtzeit verhallen oder verzerren kann. Auf einmal wird das alles viel musikalischer, weil man wie in einer Albumproduktion die Sounds manipulieren und dadurch gestalten kann. Als nächstes zeige ich, wie sich die in Ableton aufgenommenen Sounds mit den Plug-ins und einer Automation innerhalb von acht Takten ändern lassen und anschließend, wie ich die Pads live spiele und Ableton nur die klangliche Veränderung während des Spiels steuert. Gewissermaßen ist das also ein Produktionsworkshop für Live-Drummer. Es ist sicher ganz gut, wenn man sich schon ein bisschen mit der DAW auskennt, aber ich denke, dass in den Videos das Tempo, mit dem ich voranschreite und die Erklärungen auch für Neulinge nachvollziehbar sind. Ableton ist ein sehr facettenreiches und komplexes Tool. Ich kümmere mich aber ausschließlich darum, wie man das Programm für Liveshows nutzt. Grundsätzlich kann die DAW viel, viel mehr. In der Videoserie geht es um Drumsamples, darum, wie man MIDI in Ableton nutzt und wie ein Instrument- bzw Drum-Rack funktioniert. Von da aus kümmere ich mich um Chain-Selector und wie man damit im Laufe eines Songs Sounds entwickeln kann. Ich zeige, wie man es möglich macht, dass sich der Sound der Pads während eines Songs ändert und wie Filterfahrten oder grundsätzliche Automationen erstellt werden. Konkret demonstriere ich das an einem meiner Songs, in dem verschieden gestimmte 808 Bassdrums und Claps mit verschiedenen Reverbs gespielt werden sollen. Außerdem zeige ich, wie sich in einem Abschnitt von 16 Takten ein Low Pass Filter auf der kompletten Drumsumme öffnet und damit den Drumsound massiv beeinflusst.
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Klingt nach einem sehr praxisorientierten Ansatz.
Richtig. Es geht auch wirklich ausschließlich um die Techniken, die ich als Drummer und Musical Director nutze. Ich zeige beispielsweise auch, wie ich eine fertige Studioproduktion für Live-Konzerte aufarbeite, indem ich mit Stems und Einzeltracks arbeite, die ich von einem fertigen Albumsong vom Mix-Engineer bekommen habe. Ich erläutere dann Stück für Stück meinen Workflow, wie ich den Song mithilfe von Samples und Automationen spiele und damit einen modernen Hybrid-Sound erzeuge.
Wie würdest du deine Herangehensweise an einen modernen Popsong beschreiben? Samplest du grundsätzlich alle Sounds aus der Produktion oder geht es dir nur um spezielle Sachen?
Das kommt natürlich sehr auf den Künstler und die Musik an. Mein Anspruch ist es aber, so nah wie möglich an der Produktion zu sein. Immerhin haben sich Künstler, Produzent und Mixer dabei ja etwas gedacht. Es geht mir darum, dass das Publikum eine Verbindung zu den Songs bekommt, die es kennt und sich von da aus der Livesound entwickeln kann. Bei Ellie Goulding verwende ich beispielsweise viele Sounds aus der Produktion, die ich mit sehr viel Automationsverläufen spiele. Diese Detailverliebtheit ist gleichzeitig auch mein Anspruch. Das kann aber natürlich auch bedeuten, dass manche Arrangements gar keine Pads und Samples brauchen und nur akustisch gespielt werden und manche nur an Pads umgesetzt werden können. Meistens ist das Verhältnis 50/50. Da ist die Zusammenarbeit mit dem Tonmann natürlich sehr wichtig, damit sich die Sounds aus der elektronischen und akustischen Welt gut mischen können.
Ein Manko an Backingtracks ist häufig, dass man in den Arrangements festgelegt ist. Ist es möglich, mit Ableton konkrete Abläufe, sagen wir einen Chorus, zu verlängern oder zu wiederholen?
Ja, das ist definitiv möglich und auch gar nicht schwer. Ich nutze das allerdings eher selten, weil in den Liveshows nicht nur die Musik im Arrangement von Ableton abhängt, sondern auch die Lichtshow und Videoanimationen. Auf Ellies „Delirium World Tour“ hatten wir aber beispielsweise eine Loop Section, in der Ellie zum Kostümwechsel hinter die Bühne ging und Tänzer die Show übernommen haben. Dort hatte ich dann einen viertaktigen Loop, den ich über ein Pad gesteuert habe, und anschließend konnte ich die Band mit einem Count-In zurückholen.
Nutzt jedes Bandmitglied bei Ellie Goulding Ableton auf der Bühne?
Ja. Ich bin sehr froh, dass ich mit so unglaublich guten Musikern bei Ellie zusammenarbeiten kann. Die Bandmitglieder sind auch Produzenten, kennen sich mit Ableton und MIDI aus und sind deshalb eine echte Bereicherung. Alle Keyboards sind über Ableton gesteuerte Soft-Synths, die natürlich auch jeweils mit Automationen versehen sind. Grundsätzlich sind die Themen, über die ich in meiner Videoserie spreche, natürlich auch auf jedes Instrument anwendbar.
Wie sieht das Ableton Setup bei Ellie Goulding aus?
Ich habe ein Ableton-System mit zwei Macbook-Rechnern, die gesynct sind und gleichzeitig laufen. Ein automatischer Switcher schaltet im Ernstfall sofort auf den anderen Rechner um. Auf dem System laufen Backingtrack, Click und ein paar Loops und gleichzeitig spiele ich auch darüber alle meine Drumsounds. Ich habe in der Vorproduktion alles so optimiert, dass das System seit fünf Jahren absolut fehlerfrei läuft. Von einem separaten System kommen alle Keyboardsounds, wieder auf zwei Mac Pro Rechnern. Alle Rechner sind miteinander verbunden und starten am selben Punkt. Dafür nutze ich das SPDS-X als Master Transport Controller.
Wie stabil ist das System im Live-Alltag?
Grundsätzlich sind meine Sessions sehr organisiert. Das heißt, es gibt maximal 25 bis 30 Songs in einer Session und dort auch nur die Spuren, die wir wirklich brauchen. Beispielsweise ein Backingvocal Part oder ein Sub Bass, den wir in dem jeweiligen Song vielleicht auf der Bühne nicht spielen können, weil wir mit anderen Parts beschäftigt sind. Das sind also keine großen Datenmengen. Drumsamples sind oft nur kleine Files bis maximal 2 Megabyte. Das heißt, dass der Rechner eigentlich nie über 10 Prozent Auslastung des CPUs hat. An der Keyboard-Position ist das natürlich etwas anderes. Die Soft-Synth-Libraries brauchen wesentlich mehr CPU, weshalb diese auch ausgelagert sind und auf einem eigenen, gesyncten System laufen. Auch da nutzen wir nur die Sachen, die wir wirklich brauchen und haben nie große Libraries parallel laufen. Deshalb hatten wir eigentlich bis auf ein paar kleine Sachen nie große Probleme.
Du bist mittlerweile auch Musical Director in Bands, in denen du nicht am Schlagzeug sitzt. Wie kam das zustande?
Das hat sich so entwickelt. Vor ziemlich genau zehn Jahren habe ich Ellie auf einem Blog entdeckt und dann ihren Kontakt herausgefunden. In derselben Woche hat sie einen großen Deal bei Universal unterschrieben. Ich habe dann bei ihr vorgespielt und mir vorher von ihrem Produzenten Spuren schicken lassen, damit ich ihr mein Konzept der Live-Umsetzung vorstellen konnte. Sie und ihr Team mochten meine Herangehensweise. Einen Monat später sollte ich Musical Director werden und wusste eigentlich gar nicht, was das genau bedeutet. Ich hatte aber Ideen, kannte mich bereits mit Ableton und Logic aus und wusste deshalb, wie ich Sounds von Alben samplen konnte. So startete das alles, und so sammelte ich in den letzten zehn Jahren viel Erfahrung. Ein Musical Director ist eigentlich ein Produzent und ein Mix-Engineer, der sich neben der musikalischen Umsetzung auch darum kümmern muss, wie die Signale in einem Live-Stream oder einer Radioshow klingen und wie man alles technisch umsetzen kann. 2015 kamen dann die ersten Anrufe, ob ich bei der Konzeption von Liveshows mithelfen könne. Ich wusste damals noch gar nicht, ob ich meine Ideen überhaupt gut kommuniziert und umgesetzt bekomme, weshalb der Druck ziemlich hoch war. Das hat dann doch ganz gut geklappt, und so habe ich an den neuen Engagements gearbeitet, während ich immer noch mit Ellie auf Tour war. So konnte ich auch mit Clean Bandit, Aurora, Sigrid und Mumford & Sons arbeiten. Ich genieße es sehr, an so vielen Projekten zu arbeiten und von den Erfahrungen der Tourneen mit Ellie zu zehren. All diese Künstler haben großartige Songs geschrieben und brauchen weniger jemanden, der ihnen sagt, welchen Chord sie spielen müssen, sondern wie man den Sound des Albums auf der Bühne umsetzt, wie man sich die Technologie zunutze macht und wie man die Musik mit Lightshow und Videoanimationen kombiniert. Livemusik ist mittlerweile zu einer sehr professionellen Industrie geworden. Es ist nicht Rock & Roll wie im Film, sondern Shows mit absoluten Spezialisten, die rund um den Globus agieren.
Was wird heutzutage von einem Drummer in der Profiliga erwartet?
Wenn ich als musikalischer Leiter gemeinsam mit den Künstlern Drummer zu Auditions einlade, weiß ich meistens schon über Instagram oder YouTube wie sie klingen und dass sie auf einem hohen Level spielen. Ich suche dann eher nach den Drummern, die auch mit den Technologien vertraut sind, die für eine große Pop-Show unabdingbar sind. Es ist wichtig, dass ein Drummer ein Roland SPDS-X bedienen und selber Sounds samplen kann. Das nimmt mir oder jedem anderen Musical Director nämlich sehr viel Arbeit ab und spart Zeit für andere Dinge. Es ist also ein Skillset, das in Kombination mit gutem Timing und sicherem Spiel mit dem Click einfach notwendig ist.
Lass uns zum Abschluss über deine Pläne in der Zukunft reden. Gibt es demnächst neue Projekte von dir?
Gerade ist ja mit „You’re So Hybrid“ meine erste Videoserie herausgekommen, und ich freue mich über viele positive Resonanzen. Bald veröffentliche ich meine erste eigene Instrumental EP als Produzent. Da freue ich mich sehr drauf. Ich werde damit nicht unbedingt auf Tour gehen, aber ich hatte einfach das Bedürfnis, Musik als Produzent zu machen, und aus den Songs ist nun eine EP entstanden. Ich habe ein eigenes Studio und möchte zukünftig dort auch mehr als Produzent mit Künstlern und Bands arbeiten. Gleichzeitig werde ich natürlich weiter viel auf Tour und als Musical Director beschäftigt sein. Mir wird also so schnell nicht langweilig.
Vielen Dank für’s Gespräch!
- Drums: Gretsch Broadkaster in Vintage White Marine Pearl
- Bassdrum: 22“ x 14“
- Toms: 12“ x 8“, 16“ x 16“
- Snares: 14“ x 5“ Gretsch Aluminium Snare Drum, 14“ x 6.5“ Gretsch Broadkaster Snare Drum
- Becken: Zildjian
- 1960’s 15” A Hi-Hat
- 19” K Special Dry Trash Crash
- 19” K Constantinople Crash/Ride
- 22” K Light Ride
- 20” K Special Dry Crash
- 20” Crash of Doom
- Electronics: Roland
- 4 x PD8 Pads
- 1 x KT10 Kick Pedal
- 2 x RT-30H Trigger
- 1 x RT-30K Trigger
- Hardware: DW
- Sticks: Vic Firth
- Felle: Remo
- Dämpfer: Big Fat Snare Drum
Joes Instagram: https://www.instagram.com/cleggdrums
Viele weitere Interviews findet ihr hier:
AbletonDrummer sagt:
#1 - 21.10.2019 um 12:38 Uhr
Eine weitere sehr gute Resource für alles was Ableton Live und Drums betrifft ist hier zu finden: http://www.abletondrummer.com