Reiner „Kallas“ Hubert zählt zu den wenigen Schlagzeugern, die sich noch als echte Studiomusiker bezeichnen können. So bewusst er sich aus dem Kosmos des World Wide Web raushält, so erfolgreich gestaltet er seit Jahren die Popmusikszene mit, konnte er sich doch bisher auf über 3.000 Songs, von denen viele zu Hits wurden, verewigen und ist quasi täglich im Radio zu hören. Doch nicht nur für namhafte Produzenten ist der gebürtige Bremer die allererste Wahl, wenn es um geschmackvolles und farbenreiches Schlagzeugspiel geht. Neben den vielen Studiosessions steht er ununterbrochen mit Künstlern wie Mark Forster, Pohlmann, Cäthe und neuerdings auch Michael Patrick Kelly auf der Bühne, wo man ihn als den energetischen Banddrummer erlebt, der er schon damals bei Bands wie „Pornomat“ oder „Kungfu“ war. Seine Leidenschaft für Musik scheint unendlich zu sein und wirkt wahrlich ansteckend auf Bandkollegen und Zuschauer gleichermaßen. So schreibt Kallas auf der Website von Yamaha: „Ich bin dankbar und sauglücklich, dass ich mit so vielen tollen Musikern und Verrückten immer wieder Lärm machen darf! Trommeln ist traumhaft!“
Ich treffe den sympathischen Wahlhamburger zum Interview an einem sonnigen Tag in seiner gemütlichen Wohnung. Nach einer gründlichen Inspektion seines eigenhändig restaurierten Couchtischs folgt fernab vom Trubel des Touralltags ein rund vierstündiges Gespräch voller interessanter Weisheiten und Anekdoten aus seinem Leben als vielbeschäftigter Studio- und Liveschlagzeuger. Viel Spaß!
Hallo Kallas! Was hat dich damals dazu bewegt, Schlagzeuger zu werden?
Wir haben früher in der Schulclique wahnsinnig viel Musik gehört, und einige von meinen Freunden haben dann irgendwann angefangen, Instrumente zu spielen. Für mich war total klar, dass ich da mitziehen musste. Es gab damals so verschiedene AG’s an unserer Schule, unter anderem auch eine Musik-AG, bei der ich aber leider nicht mitmachen durfte, da ich zu der Zeit noch kein Instrument gespielt habe. Ich wollte dann eigentlich in die Fallschirm-AG, aber dafür musste man mindestens 17 sein, und letztendlich bin ich in der Aquarium-AG gelandet! (lacht) Wir mussten da zum Beispiel Welse züchten und die Aquarien sauber machen, unterm Strich also eine relativ traurige Sache, zumal die Musik-AG zeitgleich gegenüber von unserem Raum stattfand. Da konnte ich dann immer beobachten, wie die Instrumente aufgebaut und gestimmt wurden, und mir ist dabei vor allem der Typ aufgefallen, der das Schlagzeug anschleppte, aufbaute und spielte. Das hatte damals eine faszinierende Wirkung auf mich. Ich habe meine Eltern lange bearbeitet und dann ein Pearl-Schlagzeug mit Tigerfinish bekommen, das ich damals allerdings ziemlich hässlich fand. Ich habe mich dann mit diesem Set erstmal ordentlich ausgetobt und einfach das gespielt, was ich mir unter Schlagzeugspielen vorstellte. Das hat mir tierisch Spaß gemacht, und seitdem hat dieses Feuer nie aufgehört zu brennen.
Welche Musik hat dich damals besonders beeinflusst?
Die Grunge-Phase hat mich damals vollkommen erwischt und mein Leben ziemlich bestimmt. Es war total klar, dass ich so klingen, so aussehen und so leben wollte wie die Typen aus Seattle. Das war so meine Sturm-und-Drang-Zeit.
Dann war Dave Grohl sicherlich ein großer Einfluss für dich…
Auf jeden Fall! Ich war aber zeitgleich auch immer ein großer Fan von David Bowie und Michael Jackson. Das war sowas wie mein heimlicher Ausgleich zum Grunge, genauso wie U2.
Haben die Platten von damals auch heute noch Einfluss auf dich?
Ja und nein. Auf die Gefahr hin, jetzt philosophisch hochtrabend zu klingen, glaube ich schon, dass alles, was wir sind, immer damit zu tun hat, wo wir herkommen und welche Einflüsse wir genossen haben. Die Energie, die damals Grunge bei mir freigesetzt hat, ist bis heute geblieben. Nachdem Chris Cornell letztes Jahr gestorben ist, habe ich mir eine Platte von Soundgarden nochmal angehört und musste feststellen, dass ich mittlerweile einfach woanders bin. Heute bin ich mehr so Flummi-mäßig unterwegs und ditsche gern mal hier und da an. Wenn zum Beispiel jemand von einer Platte erzählt, die ich noch nicht kenne, dann notiere ich mir das gerne und höre sie mir dann zuhause an. Man lernt dabei immer dazu, auch wenn einem natürlich nicht alle Platten gefallen. Zur Zeit reizen mich zum Beispiel keine Rock-Platten, vielleicht mit Ausnahme von ein paar Indie-Platten. Ich habe wahrscheinlich jedes aufgenommenen Rockriff gehört und diverse Rockgroove x-Mal gespielt, deshalb packt mich das heute nicht mehr so doll wie damals noch. Das Bild des Rucksacks, in dem man all seine Erfahrungen und Einflüsse aufbewahrt und immer dabei hat, während man aber immer weitergeht, mag ich sehr.
Welche Platten hörst du denn aktuell?
Vorhin habe ich noch die „To Pimp A Butterfly“ von Kendrick Lamar gehört. Es hat mir gerade total Spaß gemacht, diese Platte zu hören und auf meinem Übungsset mitzuspielen. Heute bestimmen nicht mehr die musikalischen Genres, ob mich Musik energetisch anzieht oder nicht, sondern die Energie des Songs und des Textes, unabhängig von der Stilrichtung. Grundsätzlich finde ich Energie beim Musikmachen wahnsinnig wichtig. Es geht mir dabei nicht um Lautstärke, sondern um diese gewisse Leidenschaft, das Ganze zu tun und diese in die Musik einfließen zu lassen.
Seit vielen Jahren bist du hierzulande einer der gefragtesten Schlagzeuger überhaupt. Gönnst du dir eigentlich auch mal Pausen?
Natürlich freue ich mich heutzutage über jede Pause, die ich habe, um zum Beispiel mal Urlaub zu machen, und da nehme ich auch eigentlich nie meine Sticks mit. Das mache ich dann aber auch nur, weil ich weiß, dass es danach wieder weitergeht. Schlagzeugspielen hat für mich nach wie vor eine große magische Anziehungskraft. Oft bleibe ich nach dem Soundcheck noch ewig im Club oder in der Halle und schaue mir die fertige Bühne an, sodass meine Kollegen mich oft buchstäblich in den Backstage zerren müssen. Daniel Nitt, der Keyboarder und Musical Director von Mark Forster, ist genauso drauf, denn er bleibt nach dem Soundcheck auch gern am Platz und feilt ewig an Details. Da setze ich mich dann oft dazu, und dann entsteht dadurch so ein gewisser „hier und jetzt“ -Vibe, den ich vor dem Konzert gerne mitnehme. Mir ist es total wichtig, dass ich mich grundsätzlich wohl fühle, mit der Location, mit meinem Drumset und mit meinem Monitorsound. Ich habe das Gefühl, dass es dem Konzert immer guttut, wenn ich mich vorher in die richtige Stimmung bringe. Nach dem Konzert lasse ich auch ungern los und bin oft der Letzte, der schlafen geht. Wenn der Abend gut gelaufen ist, freue ich mich immer, und falls nicht, dann versuche ich, für den nächsten Tag zu schauen, was man besser machen kann.
Hörst du dir oft Live-Mitschnitte an?
Ja, das mache ich sehr oft und wann immer es möglich ist. Allerdings ist das von Band zu Band unterschiedlich. Mit Pohlmann spielen wir zum Beispiel eher frei und ohne Click, und da reichen mir oft kleine Videos im Netz von Konzertbesuchern, um zu sehen, wie das Ganze wirkt. Bei Pohlmann gestaltet sich sowieso jeder Abend immer wieder neu und da wollen wir als seine Musiker deshalb auch gerne sehr intuitiv bleiben. Bei Mark Forster ist es so, dass wir von jedem Konzert einen Pultmitschnitt machen. Vor allem zu Beginn einer Tour nehme ich mir immer Zeit im Nightliner, um mir das Ganze anzuhören. Es gibt mir immer ein gutes Gefühl, nochmal das Konzert auf mich wirken zu lassen. So einen Mitschnitt zu hören, ist für mich immer ein bisschen wie in einen Spiegel zu gucken, und im besten Falle siehst du ziemlich ok aus und kannst ohne Bedenken am nächsten Tag wieder auf die Bühne. (lacht) Ab dem Zeitpunkt finde ich es großartig, wirklich loszulassen.
Wie hat deine Karriere als Studioschlagzeuger begonnen?
Das war sowas wie ein glücklicher Unfall, denn ich habe das eigentlich alles so nicht geplant. (lacht) Als ich damals entschieden habe, Profi-Schlagzeuger zu werden, hatte ich ehrlich gesagt überhaupt keinen Masterplan oder sowas. Zu der Zeit gab es auch noch nicht dieses breite Angebot an Studiengängen, so wie das heute der Fall ist. Vor allem konnte ich meinen Eltern damals nicht wirklich erklären, wie ich es anstellen werde, aber mir war einfach klar, dass ich dieser Leidenschaft folgen muss. Ich habe dann in kleinen Bands gespielt, oft für etwas Spritgeld, das wir uns dann zu fünft geteilt haben. Zeitweise musste ich dann sogar wieder bei meinen Eltern wohnen, weil ich einfach pleite war. In dieser ganzen Zeit gab es eigentlich nur den Weg für mich, mit meiner Band einen Plattenvertrag zu bekommen, denn ich dachte, dass ich es dann geschafft hätte, so nach dem Motto „Jetzt geht’s los!“. Als wir dann zum Beispiel mit der Band „Pornomat“ tatsächlich einen Plattenvertrag unterzeichnet hatten, musste ich allerdings feststellen, dass so gar nichts losging, denn dann standen erstmal viele Support-Shows auf dem Plan. Wir haben damals unzählige Konzerte gespielt, aber das Ganze wollte irgendwie nicht so richtig zünden. Ich habe mich dann irgendwann in neue Sachen gestürzt und kam bald darauf zur Band „Kungfu“. Mit „Kungfu“ ging das Ganze dann wieder von vorne los, aber wir hatten eine großartige Zeit miteinander. In der ganzen Zeit war für mich klar, dass ich Schlagzeuger in einer festen Band sein will, in die ich hundert Prozent meiner Energie stecke. Da gab es auch keine Subs oder so, die einen vertreten hätten. Den Begriff „Sub“ habe ich ehrlich gesagt erst viel später kennengelernt. Nachdem sich auch „Kungfu“ aufgelöst hatte, ging es so langsam damit los, dass mich Produzenten angerufen haben, um mich als Studioschlagzeuger zu buchen. Das war für mich damals erstmal eine total komische Vorstellung, mit jemandem zu spielen, mit dem man nicht vorher im Proberaum war. Das wurde dann glücklicherweise immer mehr, weil ich dauernd weiterempfohlen wurde. Plötzlich hatte ich mit verschiedensten Produzenten zu tun und habe sogar kurzzeitig überhaupt nicht mehr live gespielt. Mir selbst ist das eigentlich gar nicht so bewusst, aber irgendwann wurde ich mal für einen Artikel gebeten, eine Credit-Liste zusammenzustellen, und da war ich dann selbst doch ein wenig überrascht, wie viele Songs und Produktionen das mittlerweile doch sind. Heute spiele ich wieder viel live, aber bin im Augenblick auch glücklich darüber, dass ich mich nur noch um die Musik kümmern kann und nicht mehr bei der Plattenfirma im Büro sitzen muss, um die nächste Fotosession für die nächste CD zu besprechen. Mark Forster, Cäthe und Pohlmann sind ja quasi Einzelkünstler, aber wenn wir unterwegs sind, kommt trotzdem dieses Bandgefühl von damals auf. Das liebe ich!
Was schätzen Produzenten deiner Meinung nach besonders an dir?
Eine Studioproduktion bringt für mich viel Verantwortung mit. Da gibt jemand Geld aus, um seine Songs aufzunehmen, und ich sage dann „Wie kann ich dir dabei helfen? Wie kann ich deine Musik bereichern?“. Diese Einstellung hat bislang immer Sinn gemacht, und Produzenten haben mir immer wieder gesagt, dass sie sehr schätzen, dass ich offen für’s Ausprobieren, gut vorbereitet und ergebnisorientiert bin und mir dabei irgendwie eine unbedarfte und ganz ursprüngliche Euphorie für die Musik bewahrt habe. Man muss bei jedem Song immer wieder neu entscheiden: Wollen wir einen kreativen Sound? Wollen wir einen Vintage Sound? Wollen wir einen modernen Sound? Soll‘s programmiert klingen, oder eher freier und handgemacht? Ich versuche, jede Studiosession und jedes Konzert voll und ganz auszukosten, nach dem Motto „Es gibt heute nur diese Session oder diesen Gig und nur diese Handvoll Songs“. Wenn einem der eine oder andere Song eventuell mal nicht 100% zusagt, kann man am Tag der Aufnahme oder des Konzerts voraussichtlich eh nicht mehr Entscheidendes daran ändern. Dieses Lied wird aufgenommen, und es ist bestimmt nicht meine Aufgabe, es nach meinen Wünschen umzukrempeln oder es gar abzuwählen. Die Aufgabe eines Studiomusikers liegt meiner Meinung nach darin, am Tag der Session einem Song die bestmögliche Performance an seinem Instrument mitzugeben. Ich versuche also, jede Session und jeden Song sehr ernst zu nehmen, die Produktion mit allem, was ich kann, zu bereichern, und ich denke, dass Produzenten schnell merken würden, wenn das mal nicht der Fall wäre.
War das schon immer deine Einstellung, oder hat sich das über die Jahre entwickelt?
Meiner Mutter habe ich zu verdanken, dass ich grundsätzlich eine große Euphorie in mir trage. Musikmachen macht mir einfach unglaublich Spaß und ich bin sehr dankbar dafür, dass ich davon auch leben kann und das alles erleben darf. Und ehrlich gesagt habe ich bei meinen ersten „Auftrags-Sessions“ nicht einen Moment darüber nachgedacht, ob sich das jetzt zu 100% mit meinem Musikgeschmack deckt. Ich habe mich in dem Moment einfach nur total darüber gefreut, dass mich jemand anruft und fragt, ob ich für seine Songs Schlagzeug einspielen würde. Natürlich sind mir in den letzten Jahren auch mal Songs begegnet, die nicht unbedingt meinen persönlichen Geschmack getroffen haben. Es gibt manchmal auch Platten, die höre ich mir vielleicht einmal an, wenn sie veröffentlicht werden, um zu gucken, wie es geworden ist, aber danach nicht wieder. Jedoch verbinde ich im gleichen Moment so viel mit der Session, den Musikern und dem Produzenten, die dabei involviert waren, dass ich dankbar bin, Teil davon zu sein.
“… Das ist auch ein Grund dafür, dass ich nicht bei Facebook oder Instagram bin, denn das würde mich zu viel Freizeit kosten. Eine Studiosession geht ja auch gern mal bis tief in die Nacht, und dann bin ich anschließend froh, nicht mehr das lustigste Foto des Tages posten zu müssen.”
Als Team muss man den Kern in einem Song erkennen und versuchen, diesen so gut es geht auf den Punkt zu bringen, denn sonst kann so ein Studiotag ganz schön hart werden. Ein Produzent hat mal gesagt, dass ich mich nie über ein Lied stellen würde. Für solche Komplimente bin ich natürlich total dankbar, weil ich immer in der Musik sein möchte und niemals darüber. Wenn man als gebuchter Session-Schlagzeuger gleich reinkommt und sagt „Der Song ist aber langweilig“, dann stellt man sich in dem Moment über die Musik, und das ist eine Haltung, die für mich nicht funktioniert. Ich sehe es dann eher als Herausforderung und versuche einen Song, der vielleicht anfangs wirklich etwas müde klingt, mit meinen Möglichkeiten spannender zu machen. Clueso meinte zum Beispiel mal „Der Song ist Chef“, und das trifft’s eigentlich auf den Punkt. Wenn ein Song zum Beispiel ohne Schlagzeug auskommt, dann würde ich ihm auch niemals einen Schlagzeugpart aufzwingen. Unter einem Song sein, also zu demütig zu sein, bringt aber wiederum auch nichts. Wir haben neulich zum Beispiel über Demut gesprochen, als wir mit Mark Forster die Single „Kogong“ im legendären Abbey Road aufgenommen haben. Für mich als großer Beatles-Fan war das natürlich absoluter Wahnsinn! Da bist du erstmal so demütig, dass du dich kaum richtig bewegen kannst. Daniel Nitt, unser Musical Director, hat später gesagt, dass er es toll fand, dass wir dieses Studio irgendwann zu unserem Proberaum gemacht haben, und letztendlich geht es eben auch darum, den Raum mit der eigenen Musik zu füllen, denn man kann nicht die ganze Zeit nur demütig sein. Zu demütig einem Song gegenüber zu stehen, kann zum Beispiel bewirken, dass man a) zu vorsichtig ist, oder b) ihn kaputt produziert, weil man einfach zuviel will, da er ja vielleicht der nächste große Hit sein könnte. Ich finde es dann besser, den Song erstmal aufzunehmen und nicht so lange zu zögern. Diese Einstellung hat mich sicherlich in viele neue Sessions gebracht. Immer offen sein, für neue Musik, für neue Aufgaben, das ist sehr wichtig.
Hältst du dich bewusst „up to date“, was neue Platten und Künstler betrifft?
Vielleicht nicht bewusst, aber auch hier bin ich immer total offen für Empfehlungen. Flume ist zum Beispiel ein Künstler, den ich neuerdings sehr mag. Bei dem ist nichts gespielt, sondern alles programmiert, es reizt mich aber, wie dieser junge Typ Beats programmiert, die man so niemals am Schlagzeug spielen würde. So ging es mir damals schon mit The Streets. Diese Eckigkeit von Beats finde ich sehr spannend als Kontrast zu all den warmen, runden Grooves die ich so gerne mag. Heutzutage sind die Typen, die trommelmäßig richtig was bewegen oder Neues anstoßen, oftmals nicht diejenigen, die am Schlagzeug sitzen. Das reizt mich total, und ich versuche, etwas von dieser neuartigen Auffassung von Beats auf’s akustische Drumset zu übertragen. Egal, wie stark man aus irgendeiner bestimmten Richtung kommt, ich finde es wichtig, dass man auch immer wieder neue Einflüsse zulässt.
Sitzt du auch mal selbst am Rechner und programmierst Beats?
Selten und nicht besonders gut aus meiner Sicht. Hätte ich mehr Zeit, wäre das sicherlich meine ganz große Leidenschaft und das wird noch passieren. Ich führe ziemlich lange To-Do-Listen, für die mich meine Freunde oft auslachen. Da stehen dann auch so Sachen drauf, wie „den Jakobsweg gehen“. (lacht) Aber ich nehme mir gerne viel vor, weil ich so mehr schaffe. Zum Bespiel habe ich mir schon sehr lange vorgenommen, mal wieder intensiv Schlagzeug zu üben, und das habe ich Anfang des Jahres auch richtig fleißig getan, was mich echt glücklich gemacht hat.
Du übst bei dir daheim an einem Übe-Set mit Mesh-Fellen. Hast du auch einen Proberaum?
Ich habe mal einen Proberaum angemietet, den ich aber schnell wieder abgegeben habe. Da ich normalerweise viel unterwegs bin, lohnt es sich für mich einfach nicht, eine monatliche Miete zu zahlen. In unserer Wohnung geht es nur mit Mesh-heads – wegen der Nachbarn! Darüber hinaus bin ich dann auch einfach gern zuhause bei meiner Familie, wenn ich grad mal nicht unterwegs bin. Meiner Tochter hilft es bei den Mathe-Hausaufgaben nicht, wenn Papa im Nebenzimmer zeitgleich 7/4 übt. Das ist auch ein Grund dafür, dass ich nicht bei Facebook oder Instagram bin, denn das würde mich zu viel Freizeit kosten. Eine Studiosession geht ja auch gern mal bis tief in die Nacht, und dann bin ich anschließend froh, nicht mehr das lustigste Foto des Tages posten zu müssen.
Ich höre bei dir immer so einen „Dreierflow“ raus, vor allem bei Fill-ins. Ist dir sowas bewusst?
Tatsächlich ja! Mein Spitzname „Kallas“ kommt ja eigentlich durch meine Farbenblindheit, also von „Colours“, aber mir hat auch mal jemand gesagt, dass mir der Name gut stünde, weil ich meine eigene Farbe hätte und oft rauszuhören sei. Über so ein tolles Kompliment freue ich mich natürlich wahnsinnig, auf der anderen Seite bin ich dann aber auch skeptisch und stelle mir gerne Aufgaben, wie zum Beispiel in der nächsten Session zu versuchen, nicht eine einzige Dreiergruppe zu spielen. Das klingt jetzt vielleicht etwas kopfig, und eigentlich bin ich ein absoluter Gefühlsmensch, aber ich kann nur jedem empfehlen, bestimmte Lieblingssachen auch mal bewusst wegzulassen, denn dadurch entstehen zwangsläufig immer wieder tolle neue Sachen. Je mehr eigene Farbe man hat, desto wichtiger finde ich es, auch wieder mit neuen Ideen zu überraschen, mit einem anderen Sound, mit einer anderen Haltung. Warum ich so gerne Dreiergruppen spiele, kann ich mir nur so erklären, dass ich immer wieder positives Feedback auf solche Fills bekomme und natürlich weil ich sie gerne mag.
Kallas in seinem Element:
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Mehr InformationenWas übt denn jemand wie du, der seit Jahren ununterbrochen hinterm Schlagzeug sitzt?
Mir macht es grad total Bock, an meiner Technik zu arbeiten. Mir sind Sachen aufgefallen, die mir immer wieder Schwierigkeiten machen und die immer etwas unbequem zu spielen waren. Ich habe damals zu Schulzeiten noch viel gemalt, und als ich angefangen habe, Schlagzeug zu spielen, ist mir aufgefallen, dass ich beim Malen nicht das umgesetzt kriege, was ich mir vorstelle, beim Schlagzeugspielen aber schon. Das geht mir genauso mit Fußball. Ich liebe Fußballgucken, aber ich kann den Ball nicht hochhalten. (lacht) Ich suche immer nach Übungen, die mir helfen, Sachen flüssiger und besser spielen zu können. Mir war klar, dass das mit ein paar wenigen Übesessions nicht getan ist, und deshalb habe ich mir jetzt mal richtig Zeit dafür genommen und jeden Tag zum Teil sechs Stunden lang größtenteils wirklich trockene Übungen durchgezogen. Wenn ich mir jetzt zwei Gospelchops draufschaffe, dann kann ich eben nur zwei Gospelchops. Wenn ich mir aber eine technische Grundlage für meine eigenen Ideen lege, dann ist das aus meiner Sicht irgendwie langfristiger gedacht. Pure Technikübungen sind für mich alles andere als die dunkle Seite der Macht. Im Gegenteil, denn sie helfen mir eher dabei, mich bei Sessions oder Konzerten voll der Musik hinzugeben und so zu klingen, wie ich möchte. Ich empfinde Musik als eine Sprache und all deine Erfahrungen, deine Farbe, auch deine Technik sind Teile deines Vokabulars. Welche Worte du wählst und was du wirklich ausdrücken möchtest, entscheidest du selber in der Situation: „Ich schätze dich sehr als Person“ oder „Ich liebe dich!“. Zum Glück bin ich aber seit einigen Wochen auch wieder etwas runter von diesem krassen Übepensum, weil ich dazu neige, etwas zu blass zu sein! (lacht)
Auch was den Sound betrifft, bist du für deine eigene Farbe bekannt. Ein Produzent hat zum Beispiel einmal in meiner Anwesenheit von dem typischen „Kallas-Snaresound“ gesprochen…
So sehr es mich freut, das zu hören, so wichtig ist es mir aber auch, klarzustellen, dass ich nicht nur tiefe Snares, sondern auch absolut hochgetunte Snares, sowie alles dazwischen spiele. Ich gehe nicht in eine Session und versuche, möglichst tiefe Snares unterzubringen, sondern es ist so, dass dieser tiefe Snaresound eben sehr oft von den Produzenten gewünscht wird. Wenn ich ins Studio gehe, versuche ich eigentlich immer, zunächst ein relativ „mitteleuropäisches“ Tuning anzubieten, das mir sowohl Luft nach oben als auch nach unten lässt, was Tonhöhe und Dämpfung angeht. Erfahrungsgemäß kommt sowieso immer irgendwer und fragt, ob man mit dem Tuning nicht noch tiefer oder höher gehen kann. Dann ist es natürlich super, wenn man da noch etwas Luft nach unten oder oben hat. Ich gehe nie ins Studio und „mache einen auf Kallas“, sondern versuche erstmal, so wenig wie möglich vorweg zu nehmen. Natürlich habe ich dann auch meine Lieblingssnares dabei, und die werden auch gern immer wieder genommen. Dadurch entsteht dann schnell der Eindruck, dass das so „mein Ding“ wäre. Es ist aber nicht so, dass ich bewusst dafür kämpfe und sage „Das ist mein Sound!“. Ich mache das auch immer wieder an den Demos fest. Wenn in den Demos überwiegend tiefe Snares zu hören sind, dann nehme ich natürlich auch alle meine tiefen Snares mit. Aber die zwei oder drei hohen Snares habe ich dann eben auch dabei.
Kannst du eine Snare nennen, die besonders oft zum Einsatz kommt?
Ja schon, aber das ändert sich auch ständig. Eine Snare, die ich immer dabei habe, weil sie immer wieder gern genommen wird, ist eine Yamaha Elvin Jones Signature Snare mit Woodhoops – ich nenne sie „Goldesel“, weil sie so ein goldenes Sparkle-Finish hat. Die Snare habe ich immer relativ tief gestimmt, ordentlich gedämpft, und die kommt eben oft zum Einsatz, wenn ein trockener, tiefer Snaresound gefragt ist. Mein Freund Alex Grube, der Bassist mit dem ich schon am längsten zusammen spiele, feiert es immer so herrlich, wenn ich diese Snare benutze. Das Pendant dazu ist für mich zum Beispiel die Yamaha David Garibaldi Signature Snare, die ich häufig wähle, sobald ein sehr hoher und tonaler Snaresound gefragt ist. Ich finde Piccolo-Snares an sich relativ hässlich, aber diese Snare macht für hohe, offene Geschichten einfach total Sinn. Die neuen Recording Custom Snare Modelle von Yamaha benutze ich grad auch sehr viel. Vielleicht sehe ich das alles aber in zwei Jahren schon wieder total anders! (lacht) Mit Instrumenten geht es mir so wie mit CD’s, sie verlieren für mich oft irgendwann ihren Reiz, und dann brauche ich was Neues. Deshalb liegen auf dem Dachboden meiner Eltern auch mittlerweile sehr viele Trommeln und LP’s rum. Als ich erstmals mit Ralf Christian Meyer, der unter anderem Mark Forster und Clueso produziert hat, eine Session gemacht habe, meinte er abends noch „Mann, wir haben einen fantastischen Schlagzeugsound hingekriegt!“. Ich habe viele Produzenten erlebt, die an solchen Erfahrungswerten festhalten und versuchen, dieselben Dinge in der nächsten Session zu wiederholen. Ralf hat mich daraufhin umso mehr erstaunt, als er bei der nächsten Session ein komplett anderes Mikrofon-Setup benutzt hat. Er meinte nur dazu „das andere Setup hat doch beim letzten Mal super funktioniert, deshalb müssen wir es ja nicht nochmal so machen“. (lacht) Das ist bei Ralf das Besondere, dass er gern Dinge komplett über Bord schmeißt und wieder bei Null beginnt. Ich bin in dieser Hinsicht zwar längst nicht so extrem, aber diesen Ansatz, immer wieder offen für Neues zu sein, finde ich total reizvoll. Musik braucht auch Veränderung!
Erlebst du im Studio oft, dass sich Hörgewohnheiten und Anforderungen seitens der Produzenten verändern?
Ja, definitiv. Veränderungen in der Hinsicht habe ich schon oft erlebt. Das passiert aber immer fließend und auch nicht bei allen Produzenten gleichzeitig. Aber Veränderungen müssen sein. Wir wollen ja Musik machen, die wir hören mögen UND die die Leute hören wollen. Ich wünsche mir sogar, dass sich auch meine Hörgewohnheiten immer wieder verändern und dadurch in Bewegung bleiben. Die Musik wird es einfordern.
Wirkt sich das dann auch speziell auf deine Art zu spielen oder zu tunen aus?
Na klar, das wirkt sich im Prinzip auf’s gesamte Schlagzeug aus. Da obendrein auch immer weniger Platten verkauft und die Budgets immer kleiner werden, hat sich auch die Arbeitsweise bei Sessions verändert. Ich erinnere mich an Plattenaufnahmen, für die wir drei Monate lang ein Studio inklusive Koch gebucht haben, dann gab‘s noch für das Mixen vier Wochen on top, im Nachhinein wurden noch mal ein paar Extrasongs aufgenommen, und dann war am Ende sogar noch Geld über. Mittlerweile kann es passieren, dass ich auch mal zehn Songs an einem einzigen Tag aufnehmen muss, um mal das krasseste Beispiel zu nennen. Das kommt zum Glück nicht so häufig vor, sonst läge ich sicherlich schon längst im Krankenhaus. (lacht) Stilistisch hat sich aber auch viel getan. Damals waren geöffnete Hi-Hats total angesagt, genauso wie möglichst viele Fills, am liebsten mit vielen Rolls dazwischen. Mittlerweile versuche ich im Normalfall, bei Sessions alle Ghostings innerhalb eines Fills wegzulassen. Live spiele ich sie zwar immer noch, weil es mir einfach Spaß macht, aber im Studio ist das grad überhaupt nicht gefragt. Ich kann da nur für mich sprechen, aber ich habe das Gefühl, dass Fills in der Popmusik mittlerweile nur dann gefragt sind, wenn sie eine konkrete Funktion im Song haben und möglichst nicht zu lang sind. Geöffnete Hi-Hats sind überhaupt nicht mehr gefragt – eigentlich überhaupt keine Hi-Hats mehr, wenn ich ehrlich bin. Eine Zeit lang habe ich oft Ansagen bekommen wie „Spiel mal so Stewart Copeland-mäßig“ oder „Mach mal den Bonham“. Sowas höre ich mittlerweile aber extrem wenig. Im Moment werden die Vorproduktionen immer stärker, ausformulierter und konkreter. Es gibt immer mal wieder auch Livesessions, aber vor ein paar Jahren gab es noch viel mehr Situationen, in denen es hieß „Spiel einfach“, und dann wurden erstmal Takes gesammelt. Inzwischen verbringe ich 80 Prozent meiner Zeit im Studio damit, die Beats aus der Vorproduktion so konkret wie möglich nachzuspielen und mit kleinen Veränderungen anzureichern. Ich habe ja „damals“ sogar noch den Umstieg von Bandmaschine auf digital mitgekriegt, und bei einer Session mit Bandmaschine wurden immer ganze Takes gespielt. Das passiert heute seltener.
Hat sich für dich neben dem Aspekt der Performance im Studio auch in Bezug auf Sound etwas drastisch verändert?
Damals kam es mir so vor, dass sich viel Mühe damit gemacht wurde, die Räume groß und weit klingen zu lassen. Da waren oft so viele Raummikros aufgebaut, und der Drumsound wurde so groß gemacht, dass John Bonham sich wahrscheinlich wahnsinnig wohl gefühlt hätte. Diese Klangästhetik ist heutzutage oft überhaupt nicht mehr gefragt. Es sind viel mehr trockene Sounds, gerne ohne Hi-Hats, angesagt, und Programmings sind wesentlich wichtiger geworden.
Spielst du deshalb heute weniger Ghostings? Lässt du also bewusst mehr Platz für Overdubs?
Ich höre auf jeden Fall immer häufiger den Satz „…damit wir am Ende noch ein paar Optionen haben“. Eine Zeit lang war es mehr so, dass die Entscheidung wie der Beat final klingen soll im Moment der Aufnahme getroffen wurden.
Hast du eigentlich einen Lieblings-Clicksound?
Wie auf die Frage nach meiner Lieblingssnare würde ich auch hier sagen: „Kommt drauf an“. (lacht) Mich hat mal jemand gefragt, was ich für Musik hören würde, und da habe ich zurückgefragt: „Wann denn? Abends beim Einschlafen? Auf einer Party? Mit meiner Tochter?“ So geht es mir auch mit dem Click, denn das verändert sich von Situation zu Situation. Ich habe zum Beispiel bei Mark Forster einen Click, den ansonsten keiner meiner Mitmusiker hören will, weil der so derbe mittig und fies ist! (lacht) Das habe ich in der Situation aber ganz gerne, da ich ihn so einfach nicht so laut machen muss, um ihn zu hören. Ich haue bei Mark live schon ganz schön rein, weil er und die Band das mögen. Juchuu! Mark ist in der Regel 10 Meter von mir entfernt, und da muss ich mir keine Sorgen machen, dass meine Snare zu laut auf dem Gesangsmikro ist. Da kann ich mit sehr viel Energie spielen, und da brauche ich dann eben einen relativ fiesen Click, den ich dafür aber leise machen kann. Wenn ich jetzt einen schönen Click benutzen würde, müsste ich diesen wahrscheinlich im Umkehrschluss viel zu laut drehen. Bei anderen Sachen wiederum, im Studio zum Beispiel, wenn es darum geht, einen weichen, gefühlvollen Groove aufzunehmen, dann lasse ich mir einen deutlich angenehmeren Click geben, den ich mir dann auch nicht laut mache, sondern kaum höre. In dem Moment ist der Click eher sowas wie eine Tempoempfehlung, die mich auch mal nach vorne oder nach hinten ziehen lässt. Falls Loops mitlaufen, muss man natürlich wieder gut mit dem Click zusammen sein, aber manchmal wird auch von mir verlangt, freier zu spielen und etwas zu schwanken, und dann wäre ich ja schön doof, das nicht zu tun! (lacht) Dann ziehe ich zum Beispiel auch gerne mal bewusst im Refrain das Tempo etwas an.
Spielst du manchmal auch mal bewusst vor oder hinter dem Click, oder immer genau drauf?
Man sollte in der Lage sein, so gut es geht, genau drauf zu spielen und auch gleichlaute Schläge zu spielen, aber ich finde den Ansatz total super, immer auf dem Gefühl des Songs zu spielen, wie es glaube ich Steve Gadd mal formuliert hat. Für mich machen Begriffe wie „davor“ oder „dahinter“, „nach vorne“ oder „laid back“ erst Sinn, sobald Musik dazukommt. Wenn du und der Bassist beide vorm Click spielen, dann kann das trotzdem laid back klingen, solange man hinter dem Bass spielt. Der Click ist also keinesfalls das Maß aller Dinge. Das kann andersrum genau so passieren. Ihr beiden spielt hinterm Click, der Bassist ist aber noch ein Stück hinter den Drums. Das kann dann ziemlich eilig klingen, sobald der Click weg ist. Wenn man zum Loop spielt, sollte man auf jeden Fall schauen, so exakt wie möglich drauf zu spielen. Besonders Bassdrums sollten aufeinander liegen, bei Snares kann es wiederum manchmal auch charmant sein, wenn sie flammen. Am liebsten vergesse ich das beim Spielen aber alles völlig und versuche so intensiv wie möglich das Lied zu fühlen und zu spielen. Es geht ja schließlich um Musik!
Wie gehst du mit Stresssituationen um, und wie vermeidest du Stress bei einer Session?
Wenn du in deiner gewohnten Umgebung, also mit deiner Band im Studio bist und der Produzent sagt „Die Drums sind untight!“, dann hast du immer noch deine Bandkollegen im Rücken, und die schmeißen dich deshalb sicherlich nicht sofort raus. Wenn du aber als gebuchter Studiomusiker bei einer Session bist und der Produzent sagt „Das klingt nicht!“, dann kommt wirklich Erfahrung ins Spiel, denn das kann dich natürlich sehr verunsichern und stressen. Ich sage zum Beispiel oft vor meinem ersten Take: „Fight for your right to play scheiße!“. Damit entstresse ich in erster Linie mich selbst, aber auch die Leute in der Regie und verschaffe mir das Recht, beim ersten Take nicht sofort die richtigen Parts, das richtige Equipment und den richtigen Sound am Start haben zu müssen. Das bringt insgesamt erstmal Entspannung in die Situation. Natürlich versuche ich, auch den ersten Take schon so gut wie möglich zu spielen, um eine gute Arbeitsgrundlage zu haben. Wie beim Tuning auch, versuche ich in dem Moment erstmal, nicht zu extrem vorzugehen, sondern einen Take anzubieten, der den Kern der Sache trifft, aber noch Raum für weitere Ideen lässt. Wenn man gleich im ersten Take zu viel anbietet, kann das schnell verwirren. Manchmal ist dieser erste Take dann auch schon gut und manchmal sogar der finale Take.
Wie beim Polaroid kann dieser erste Schnappschuß eine gewisse Magie ablichten, die manchmal so nicht wieder kommt. Deshalb spiele ich den ersten Take sehr gerne bis zum Ende, selbst wenn Fehler passieren. Es ist grundsätzlich total wichtig, dass man sich eine stressfreie Atmosphäre schafft. Man muss sich als Team vorher so gut es geht kennenlernen, deshalb telefoniere ich auch gern im Vorfeld mit dem Produzenten und frage ihn, wo die Platte hingehen soll und versuche rauszuhören, welche Soundästhetik ihm vorschwebt, welche Platten er grad gerne hört, und da höre ich dann natürlich auch gern mal rein. Das schafft eine gemeinsame Ebene, und im Studio sitze ich dann am Set und weiß schon in etwa, welche Art von Fills oder Beats der Produzent sowieso nicht hören will. Wenn der Produzent etwa keine Toms mag, dann möchte ich das möglichst vor der Session wissen und nicht nach dem dritten Song! (lacht) Das alles grenzt natürlich auch den Handlungsspielraum ein. Das kann jedoch dann dabei helfen, seine Rolle innerhalb der Produktion konkreter zu finden. Es funktioniert einfach nicht, ins Studio zu kommen, sein Schlagzeug aufzubauen und kurz durch die Scheibe zu winken. Ich habe mal über Peter Weihe (Anm. d. Red.: Peter Weihe ist ein bekannter deutscher Studiogitarrist) gehört, dass er ihm unbekannte Songs im Studio manchmal lieber einmal häufiger hört und seinen Sound daraufhin so bewusst einstellt, bis er wirklich glücklich damit ist und erst dann den ersten Take spielt. Den Ansatz finde ich super!
Du hast mal erzählt, dass du dir beim Soundcheck gerne viel Kompression auf den Monitorweg geben lässt. Was hat es damit auf sich?
Das funktioniert sowohl im Studio als auch live sehr gut. Auch hier ist Teamarbeit total wichtig. Man muss sich mit dem Engineer oder dem FoH (Anm. d. Red.: „Front of House“ nennt man bei Konzerten den Mann hinterm Mischpult) einfach gut verstehen, weil man zusammen arbeitet. Wenn ich viele Obertöne in den Toms habe und der Produzent das nicht mag, dann kommt der Engineer und versucht sie zu gaten oder die Töne zu EQ-en. Dann ist es kontraproduktiv, wenn ich das zeitgleich auch noch versuche. Deshalb muss man sich darauf einigen, wer sich drum kümmert, und da hebe ich gern die Hand und lasse mir ein paar Minuten geben, um die Obertöne rauszunehmen. Ich lasse mir dann auf dem Kopfhörer die Tom-Mikros oder die Overheads mit viel Kompression geben, denn wenn ich dann in die Bassdrum trete, kann ich genau hören, ob die Toms viel mitschwingen oder nicht. Damit nehme ich dem Produzenten und dem Engineer viel Arbeit ab. Ansonsten möchte ich das Schlagzeug am liebsten so hören, wie es auch in der Regie klingt, also eher ganzheitlich. Live funktioniert das übrigens auch gut. Ich freue mich immer, wenn keine Gates benötigt werden. Gates sind ja dazu da, Dinge platt zu machen, die man meistens auch durch Tuning wegkriegt. Warum sollte ich das dann nicht auch versuchen?! Bei einem Soundcheck auf der Bühne frage ich, ob der FoH die Toms im Raum mal richtig laut machen kann, und dann trete ich in die Bassdrum und nehme das störenden Sustain raus. Und plötzlich ist der FOH total glücklich, weil er nicht mehr gaten muss. Manchmal macht er das dann aber trotzdem, um das Ganze noch fetter zu machen. Wenn das dann eine zusätzliche soundästhetische Entscheidung ist, dann ist das für mich völlig in Ordnung!
Stimmst du dein Set auch manchmal auf bestimmte Tonhöhen?
Ja, das ist manchmal notwendig, vor allem, wenn man ein offenes Tuning benutzt. Wenn die Snare richtig singen soll, dann muss sie tonal zum Song passen, sonst wird’s stressig. Ich benutze dann oft einfach eine Tuning-App oder lasse mir den jeweiligen Ton geben. Manchmal hat man allerdings das Problem, dass man zwar den richtigen Ton erreicht hat, dann aber die Snare plötzlich nicht mehr gut klingt. Dann muss man halt eine andere nehmen, weshalb es immer wichtig ist, ein paar Alternativen dabei zu haben. Es ist auch immer gut, sich das Tuning, das gut funktioniert hat, ungefähr zu merken. Wenn ich das Tuning spontan verändern muss, nehme ich den Ton oft einmal kurz auf. Es kommt nämlich häufig vor, dass nach zehn Minuten der Kommentar aus der Regie kommt „Mist, eigentlich war es eben doch geiler“. Wenn ich eine Trommel aufbaue, schaue ich erstmal, wo sie sich wohl fühlt und was sie besonders gut kann.
Hast du konkrete Tuning-Konzepte, nach denen du immer wieder vorgehst?
Natürlich habe ich ein Konzept. Ich höre mir aber auch liebend gern andere Tunings an und setze mich total gerne an andere Sets. Es ist immer eine totale Bereicherung, zum Beispiel bei einem Festival die Trommeln eines Kollegen anzuspielen und sie abends dann über die PA zu hören. Dabei lernt man total viel! Daraus hat sich irgendwie ein Konzept für mich entwickelt, das ich aber gar nicht so richtig erklären kann. Man muss sich immer wieder recorden, mit Leuten drüber sprechen und sich Meinungen einholen. Als ich 18 war, meinte jemand, dass meine Bassdrum nicht gut klingen würde, und dann habe ich gefragt, was für ihn eine gut klingende Bassdrum ist. Er meinte dann „im Proberaum nebenan, da steht ‘ne geile Bassdrum“, und dann bin ich rüber und habe sie angespielt und versucht, meine genau so zu stimmen.
Hast du bestimmte Lieblingsfelle?
Normalerweise spiele ich Remo Ambassador coated oder Emperor coated, aber dann nehme ich auch mal Emperor Clear für die Toms, wenn ich mehr Attack und mehr Größe haben möchte. Wenn ich ins Studio gehe, nehme ich oft zwei verschiedene Bassdrums, gute Toms und verschiedene Snares und Becken mit, aber eben auch verschiedene Felle und zwar extreme Felle, mit denen ich sehr jazzig, sehr hip-hoppig, aber auch sehr rockig sein kann.
Mir ist aufgefallen, dass du bei deinen Snares das Resonanzfell oft relativ tief stimmst…
Ja, das mache ich häufig, aber auch nicht immer. Ich arbeite sehr viel mit dem Snare Strainer, um die Länge des Teppichs auf das Tempo des Songs anzupassen. Wenn das Resonanzfell etwas lockerer ist, dann habe ich das Gefühl, mit dem Strainer krassere Veränderungen erreichen zu können. Live stimme ich das Resonanzfell allerdings generell höher, weil ich da gar nicht die Zeit habe, viel mit dem Strainer zu arbeiten, und da biete ich dem FoH lieber eine konkrete Snare an, mit der er gut arbeiten kann.
Wie steht’s mit Rimshots?
Das kommt auch wieder total drauf an. Tilman Hopf, der FoH von Mark Forster möchte zum Beispiel den Anschlag vom Rim haben, vor allem in den Stücken, in denen es zur Sache geht. Genauso sind Rimshots in manchen Situationen auch im Studio gefragt, wenn es darum geht, dieses Knacken zu haben. In anderen Sessions will man das wiederum gar nicht haben. Ob ich einen Rimshot spiele oder nicht, bestimmt eigentlich, wie so oft, der Song selbst, aber auch das jeweilige Snaretuning. Bestenfalls fühlt man sich mit beiden Varianten wohl. Das Gleiche gilt übrigens auch für die Bassdrum. Manchen Produzenten gefällt es besser, wenn man den Beater am Fell lässt, was bei geschlossenen Bassdrums aber wiederum überhaupt nicht funktioniert. Die Situation zeigt eigentlich immer, was zu tun ist.
Einige bekannte Studiodrummer wie Matt Chamberlain, Aaron Sterling oder Ash Soan spielen mittlerweile viele Produktionen vom Homestudio aus ein. Könntest du dir das auch vorstellen?
Wenn man Bock drauf hat, ist das sicherlich total sinnvoll. Ich fühle mich im Studio-Sandkasten allerdings immer sehr wohl, wenn da auch noch andere Kinder drin sind, mit denen ich zusammen an der Sandburg arbeiten kann. (lacht) Dann werden Förmchen ausgetauscht und zusammen Ideen entwickelt und ausdiskutiert. Es gibt aber eben auch Kinder, die können total gut diese Sandburg für sich alleine bauen und präsentieren die dann, wenn sie fertig ist. Das funktioniert auch fantastisch! Das sind halt zwei verschiedene Wege, die zum Ziel führen können. Ich brauche einfach diese kollektive Komponente, denn das ist die Richtung, aus der für mich Musik kommt und wo sie auch hoffentlich noch lange bleiben wird. Ich bin total dankbar, keine Soloplatten mit mir selbst machen zu müssen, das wäre nur schwer auszuhalten und wahnsinnig langweilig und anstrengend zugleich für mich. Im Kollektiv lernt man so viel dazu, egal ob es um neue Musik, neue Mikros oder was auch immer geht. Ich bin so dankbar mit so tollen Menschen in einem Raum Musik machen zu dürfen. Spätestens seitdem ich Vater bin, weiß ich, dass meine große Leidenschaft auch ein Beruf ist, weil ich nicht nur alleine davon leben muss. Ich glaube, es ist in letzter Zeit nicht unbedingt leichter geworden, in die Studioszene zu kommen. Es gibt immer weniger Studios, und die Budgets werden auch immer kleiner. Vielleicht ärgere ich mich auch irgendwann, dass ich mir kein eigenes kleines Studio aufgebaut habe, aber momentan würde es sich nicht richtig anfühlen.
Hast du Tipps für Schlagzeuger, die in die Studioszene eintauchen wollen?
Schwer zu sagen, denn bei mir war es ja auch irgendwie ein Unfall. Ich glaube, das funktioniert nicht zwangsläufig über einen Hochschulabschluss oder ein Hochglanzfoto auf einer Website, sondern du musst dich zeigen, am besten mit deiner eigenen Band, in der du so gut bist, dass Produzenten auf dich aufmerksam werden und dich vielleicht auch für andere Sachen anrufen. Du musst generell sehr flexibel und offen für neue Ideen sein. Studio-Sessions sind wie Tischtennis, mit der Zeit lernst du immer besser, den Ball zu nehmen, wie er kommt.
Die beste Vorbereitung ist also, erstmal sein eigenes Ding zu machen…
Auf jeden Fall! Am besten spielt man so viele Konzerte wie möglich oder bucht sich mit seiner Band in ein Studio ein und fragt mal einen Produzenten an. So flexibel ich in meinem Job sein muss, so wichtig ist es auch, etwas Eigenes zu haben, auf das Menschen aufmerksam werden. Deshalb muss man sich zeigen mit all seiner Hingabe zur Musik.
Wie hörst du heute frühere Platten, die du eingespielt hast?
Man muss Sessions wie Polaroids sehen. Das Gruppenfoto wird nicht besser, wenn man versucht, die perfekte Frisur und das tollste Outfit zu haben. Manchmal muss man halt einfach auf den Auslöser drücken, und dann ist das Foto eben fertig. So höre ich oft alte Aufnahmen. Auf alten Bildern achtet man ja sowieso immer auf andere Sachen, als man es im Moment der Aufnahme getan hat. „Gestern war gestern, morgen ist übermorgen… nicht immer alles gut, aber all good“ sage ich gerne. Ich versuche eigentlich genauso aufgeregt und unbedarft zu bleiben, denn ich habe keinen Bock auf Gemütlichkeit. Um in Bewegung zu bleiben, muss man immer mal wieder Sachen verändern. Ich find es immer ganz gefährlich, wenn es im Studio heißt „Ey komm, das spielen wir eben mal kurz ein und fertig“. Daran glaube ich nicht, denn in dem Moment ist man dann wieder über der Musik. Komischerweise sind scheinbar komplizierte Sachen oft schneller im Kasten als ein supereinfacher Beat, denn der muss meistens umso besser sitzen und interessant sein. Wenn man von Anfang bis Ende die Snare auf „2“ und „4“ hört, dann sollte sie eben möglichst spannend klingen und passend sein.
Hast du so etwas wie einen festen Tagessatz?
Nein, sowas habe ich nicht, und das ist auch generell eine schwierige Kiste. In einer Band teilt sich alles irgendwie auf, aber als Studiomusiker ist alles frei verhandelbar, und man hat auch keine Gewerkschaft oder sowas im Rücken. Außerdem sind die Gesamtbudgets für Produktionen so wahnsinnig unterschiedlich und ich möchte auch immer noch sehr gerne für Künstler spielen, die erst am Anfang stehen! Es ist wichtig dafür ein Gefühl zu entwickeln und für sich z.B eine klare finanzielle „Unterkante“ zu definieren oder klar festzulegen was in dem Moment passiert, wenn etwas sehr erfolgreich werden sollte. Wir alle müssen davon leben können, wir leisten unseren Beitrag mit all unserer Hingabe, Musikalität, Erfahrung, Euphorie, mit unserer Zeit und ich finde es wichtig, dass das mit Respekt behandelt wird. Ich habe auch schon eine außergewöhnlich erfolgreiche Produktion, die außergewöhnlich gering bezahlt werden sollte, abgelehnt, nachdem mir niemand den Grund für die Höhe der sogenannten „Freundschaftsgage“ erklären konnte. Es gibt da immer zwei Seiten und ich versuche so gut es geht beide zu erkennen und eine gemeinsame Mitte zu suchen. Als jemand, der viel im Studio spielt, spüre ich da mittlerweile eine gewisse Verantwortung. Ich habe aber auch schon für Künstler Produktionen gespielt, die überhaupt kein Budget hatten, und da hat man sich dann irgendwie anders geeinigt. Ich musste mir früher auch anhören, dass ich bei dieser und jener Session mehr Geld hätte verlangen sollen. Aus heutiger Sicht denke ich auch, dass es hier und da vielleicht zu wenig war, aber damals fühlte sich das in dem Moment richtig an. Da bewegt man sich aber als junger Musiker auf sehr dünnem Eis, vor allem, wenn man beispielsweise einen Kollegen vertritt, der durch Familie oder so ganz andere Fixkosten hat. Mein Tipp wäre, niemals in eine Session zu gehen, ohne im Vorfeld das Thema Gage oder Beteiligung eindeutig abgeklärt zu haben. Sowas nach der Session zu besprechen, ist oft unangenehm für alle Beteiligten. Egal wie die Gage aussieht, sie muss sich für beide Seiten gut und fair anfühlen, damit wir das aus dem Kopf streichen können und uns auf das wesentliche konzentrieren: auf die Musik!
Spielst du im Studio bewusst anders als live?
Auf jeden Fall, allerdings spiele ich sehr viele Produktion nur im Studio, das heißt, ich habe da den Vergleich gar nicht. Auf der Bühne gehört für mich eine gewisse Körperlichkeit und Performance dazu. Bei einer Session muss ich außer für den Produzenten und den Bassisten für niemanden gut aussehen. (lacht) Im Studio zeigt sich auch, dass Energie und Lautstärke nicht zwangsläufig zusammenhängen. Oft hilft es sogar, den Beat zu reduzieren, ihn vielleicht leiser oder mit weniger Ghostings zu spielen, um ihn dann durch Kompression und Räumlichkeit fetter zu machen. So kann dich ein Groove, den man ultraleise einspielt, mit der nötigen Portion an Kompression am Ende nahezu erschlagen! Um denselben Effekt auf der Bühne zu erzeugen, musst du interpretieren und Spielweisen, Sounds oder auch Effekte suchen, die die Energie genauso darstellen. Man sollte immer prüfen und im Team besprechen, wo die Reise hingehen soll, denn sonst wird man schnell zum „Drummer at the wrong gig“. (lacht) Manchmal rücken die beiden Welten aber auch näher zusammen, je nachdem, welche Vision der Produzent, der Sänger oder der Musical Director hat. Ich schaue, egal ob im Studio oder auf der Bühne, immer, welche Sounds gefragt sind und baue mir daraufhin mein Set zusammen. Brauche ich einen oder mehrere Snaresounds? Benutze ich Trigger? Benutze ich Pads? Oder brauchen wir nichts, außer ein gutes Drumset?
Wie sehen deine Drumsets denn aktuell für die verschiedenen Live-Produktionen aus?
Bei Pohlmann haben wir bei den Unplugged-Konzerten keinen Bass, sondern nur eine Gitarre, den wundervollen Hagen Kuhr am Cello und ein Schlagzeug dabei. Würde ich da ein „normales“ Drumset aufbauen, dann würde ein Bassist fehlen. Also musste ich mir irgendwas bauen, das ein Stück weit vom normalen Setup weggeht und den Bedarf an Bassfundament entweder ausgleicht oder nicht so sehr einfordert. Ich habe anfangs als Bassdrum eine Kombination aus einem 18“ Floortom mit geschlossenem Resonanzfell und einem stark gedämpften Cajon, die so 808-mäßig klang, gespielt und je nach Song hin und her gewechselt. Dann habe ich mir aber eine 24“ Bassdrum genommen und den Kessel zersägt, sodass ich jetzt sowas wie eine Pancake-Bassdrum habe, die ich geschlossenen spiele. Eine bestimmte Art von Snaresound kann auch schonmal einen Bassisten einfordern, weshalb ich hier auch ein bisschen perkussiver denke, ohne dabei zu Weltmusik-mäßig zu werden. Ich möchte an diesem Schlagzeug immer noch loslegen, aber auch so ein bisschen schöngeistiger agieren können. Ich setze mich dann gerne einfach hin und überlege, fange an zu suchen und zu basteln und schaue auch mal im Netz nach Setups von tollen Kollegen. Bei den Fullband-Shows mit Pohlmann spiele ich ein relativ „herkömmliches“ Setup, und bei Mark Forster benutze ich ein Hybrid-Setup aus einem akustischen Drumset und viel Elektronik.
Wie kam dir die Idee zu der Pancake-Bassdrum?
Ich habe schon immer mal von einer Bassdrum mit geschlossenen Fellen geträumt. Durch die geringe Kesseltiefe ist die Laufzeit im Kessel kleiner und der Ton wird etwas „unaufgeblasener“. Der Engineer von Mark Forster hat mir dann noch ein Mikro in den Kessel installiert. Ich habe diese Trommel auch bei Mark Forster für einen speziellen Teil des Konzerts im Einsatz. Da gehen wir alle nach vorne zum Bühnenrand, und ich habe die Bassdrum dann wie eine Spielmannszugpauke umgeschnallt.
Du spielst live immer relativ aktuelle Yamaha Sets. Gilt das auch für Sessions?
Yamaha lässt mich oft die neuen Sets ausprobieren und wenn ich das dann super und passend für die Session finde, dann benutze ich auch gerne das neueste Set. Manchmal ist es dann aber auch das Club Custom, dass es schon länger nicht mehr gibt. Ich habe zuhause schon auch eine kleine geheime Ecke mit alten Trommeln, die ich gesammelt habe und die ich auch mal mit zu Sessions nehme. Ich bin sehr, sehr dankbar, für die Unterstützung der Hersteller, deren Instrumente ich sehr gerne mag. Das ist eine riesige Hilfe! Wenn man das Gefühl hat, dass einem das Setup irgendwie im Weg ist, dann muss man etwas ändern. Mir ist generell nicht wichtig, wie alt ein Instrument ist oder wie viel Sammlerwert es hat. Für mich zählt nur, ob es für mich wirklich gut klingt und dass ich das, was ich will, auf dem Instrument umsetzen kann. Das habe ich zu jeder Zeit mit meinen Instrumenten!
Da du ständig unterwegs bist, springst du oft ohne Pause von einer Produktion in die andere. Fällt dir der schnelle Wechsel eigentlich immer leicht?
Zunächst setzt Musik eigentlich so viel gutes Körpergefühl frei, dass ich auch mal mit wenig Schlaf hinkomme. (lacht) Was natürlich auch mal anstrengend sein kann, ist der ständige Wechsel von immer wieder unterschiedlichen Menschen, egal wie toll und entspannt sie auch sind. Jede neue Konstellation hat ihren eigenen Umgangston, ihre eigenen Gepflogenheiten und ihre eigene Energie. Das genieße ich sehr, aber ich sitze auch gern nachts mal alleine für mich im Hotelzimmer. Musikalisch gesehen müssen die Wechsel von Produktion zu Produktion manchmal sehr schnell stattfinden, das empfinde ich aber nicht als problematisch. Mir fällt es eigentlich immer leicht, mit Energie auf der Bühne zu stehen. Im Studio mag ich es auch, wenn das rote Lämpchen angeht und das Adrenalin etwas steigt. Als ich im Frühjahr erstmals für Tim Lorenz bei Michael Patrick Kelly ausgeholfen habe, fragte mich einer seiner Musiker vor dem Konzert, ob ich überhaupt noch aufgeregt sei? Das war wie gesagt am ersten Abend mit den Jungs, und wir hatten im Vorfeld nur einen Durchlauf geprobt. Natürlich war ich da total aufgeregt, und ich war auch vor dem 400. Mark Forster Konzert immer noch aufgeregt. Solange die Vorfreude stärker ist als die Aufregung ist alles gut!
Ich brauche diesen gewissen Adrenalinschub vor einem Konzert, den ich vermissen würde, wäre er nicht da. Allerdings muss man sich immer wieder klarmachen, dass es nur Musik ist und wir nicht am offenen Herzen operieren!
Ist es auch mal vorgekommen, dass deine Performance unter der Aufregung gelitten hat?
Nein, das ist auch kein schöner Zustand. Ich hab auch schon im Studio Situationen erlebt, in denen ich gesagt habe „Warte mal, hier herrscht grad eine Spannung, die wir nicht gelöst kriegen, wenn wir nicht drüber reden.“ Es ist für mich zum Beispiel total schwer, über Kopfhörer verschiedene Stimmen zu orten. Der Produzent sagt „Der Take war super“, der Gitarrist sagt „Ah, findest du die Snare wirklich gut?“, und der Bassist sagt „Ich würde das ja ohne Becken spielen!“. In dem Moment kriege ich das nicht zusammen. Dann setze ich den Kopfhörer ab und sage „Leute, wir müssen mal sprechen“. Es ist wichtig, dass man sowas gemeinsam bespricht und Meinungsverschiedenheiten nicht einfach stehen gelassen werden, egal ob am Ende die Lösung ist, sich für einen Kompromiss zu entscheiden oder sogar alle drei Varianten aufzunehmen. Ich glaube generell an Streit. Wie in einer Beziehung, muss man sich auch als Band mal fetzen, um einen Schritt weiterzukommen. Live ist es ähnlich. Da muss man hinter und auf der Bühne eine gute Energie reingeben und versuchen, jegliche negative Energie rauszufiltern.
Was machst du denn, wenn du nicht unterwegs bist? Hast du ein bestimmtes Hobby als Ausgleich zum Musikmachen?
Den Ausgleich habe ich auf Tour sowieso, denn da hat man ja auch viel Zeit zwischen Soundcheck und Konzert. Das sieht im Studio anders aus, denn da musst du von morgens bis abends am Start sein. Wenn ich von einer Tour nach Hause komme, höre ich meistens erstmal am ersten Tag gar keine Musik. Das finde ich auch mal wichtig und erholsam. Ich mache zuhause gerne Sachen, die noch wichtiger sind als Musik, zum Beispiel Zeit mit meiner Familie verbringen. Ansonsten finde ich es auch super, mit Holz zu arbeiten. Unterm Strich mache ich diesen „Job“, aber einfach auch unfassbar gerne. Für Außenstehende ist es sicherlich manchmal etwas unverständlich, wenn ich mal wieder mit vollgepacktem Auto nach Berlin fahre und dort zwanzig Trommeln in den vierten Stock schleppe, weil das Studio keinen Fahrstuhl hat. Mir persönlich fällt sowas aber viel leichter, als mit nur einer Snare hinzufahren, denn dann könnte ich mich vielleicht musikalisch nicht so ausdrücken, wie ich es gern wollte. Gäbe es die Musik nicht mehr, dann müsste ich einen anderen Job suchen, den ich mit derselben Leidenschaft mache. Vielleicht wäre das dann Tischlern.
Hast du nach der Schule irgendeine Ausbildung gemacht?
Ich war für Sozialpädagogik eingeschrieben, aber ich war so viel unterwegs, dass ich nur ganz selten da war. Das wollte ich ja auch gar nicht sein! Ich habe den Kontaktstudiengang Popularmusik in Hamburg gemacht und das empfand ich als meinen eigentlichen Startschuss. Diese Institution hat bei mir so unglaublich viel freigesetzt und viele Steine ins Rollen gebracht, die bis heute nicht zur Ruhe kommen. Ich bin sehr dankbar, dass es diesen Kurs gibt, den kann ich jedem jungen Musiker nur ans Herz legen!
Du gibst neuerdings auch Workshops. Könntest du dir vorstellen, mal ein Buch zu schreiben oder ein Lehrvideo zu produzieren?
Absolut, wenn ich das Gefühl hätte, dass ich den Inhalt dafür habe und ich diesen mit anderen teilen möchte. Ich habe durchaus ein paar Konzepte für mich gefunden, die mir immer wieder helfen und sehe auch bei den Workshops, dass ich anderen Schlagzeugern damit weiterhelfen kann. Das war mir vorher eigentlich nie so klar.
Was steht für dich dieses Jahr noch konkret an?
Ich spiele derzeit als Aushilfe für den großartigen Tim Lorenz im Sommer einige Konzerte und Festivals mit Michael Patrick Kelly. Paddy ist so ein unglaublicher energetischer Musiker. Darauf freue ich mich sehr! In dem Rahmen werden wir auch eine Live-DVD aufnehmen, die im Herbst erscheint. Mit Pohlmann stehen Konzerte an, und ein paar Workshops werde ich auch noch geben. Dann spiele ich auf den Alben von Max Giesinger und L.I.N.A., und im Herbst steht noch eine U.K.-Tour mit Clare Bowen an. Danach beginnen dann schon wieder die intensiven ersten Vorbereitungen für die Mark Forster-Tourneen im kommenden Jahr, und im Dezember gehe ich noch mit Pohlmann auf Tour. Und dann ist auch schon wieder Weihnachten.
Wo siehst du dich in zehn Jahren?
Ich bin total dankbar dafür, dass ich Musiker sein darf und einen Beruf habe, der mich mit Freude erfüllt. Die vielen tollen Mitmusiker und Künstler mit denen ich spielen darf möchte ich nicht mehr missen. Das darf in den nächsten zehn Jahren gerne so bleiben. Natürlich weiß niemand, wie sich die Musikbranche entwickeln wird und mit was für Aufgaben man zukünftig als Musiker konfrontiert werden wird. Es macht aber auch keinen Sinn, sich darüber heute schon den Kopf zu zerbrechen, denn es kommt sowieso anders, als man denkt. Natürlich sehe ich mich nicht mit 78 noch meine Hardware-Kiste nachts um vier aus dem Auto holen, aber vielleicht habe ich dann auch immer noch Bock drauf, solang der Rücken noch mitmacht. (lacht)
Danke für das nette Gespräch und die vielen Infos!
Anspieltipps mit Kommentaren von Kallas
Niels Frevert – Glückskeks („Vor 16 Jahren aufgenommen. Im Prinzip mein erster Studiojob. Danke Niels!“)
Mark Forster – Kogong („Mit Mark und den Jungs ins legendäre Londoner Abbey Road- Studio gefahren und bei der Ankunft dort tatsächlich Tränen in den Augen gehabt. Das Studio ist beeindruckend, und ich habe zum ersten Mal Chor gesungen.“)
Laith al Deen – Der Letzte Deiner Art („Mit der Band von Laith und dem großartigen Lillo Scrimali am Flügel haben wir diesen Titel alle zusammen live eingespielt, inklusive Crosstalk!“)
Lena – Stardust („Für den Beat hat uns die Tiefe meines Floortoms nicht gereicht. Ich habe dann zwei Ambassador Coated Felle auf eine 22“ Bassdrum gezogen, sie zusätzlich in mein Setup integriert und darauf dann den Tom-Groove gespielt.“)
Pohlmann – Im Wald nebenan („Pohlmann hat den Titel ohne Click und ohne Drums zunächst alleine eingespielt. Die Drums haben wir dann nachträglich aufgenommen. Ich mag Pohlmann, diesen Song, die Ruhe darin und meine Snare, die Yamaha Elvin Jones Signature.“)
Cäthe – Unter meiner Haut; Ding; Senorita
Clueso – Ey der Regen; Müsste gehen; Dreh dich; Erklär mir
Credits
Studio-Aufnahmen (insgesamt über 3000 Titel): Mark Forster, Clueso, Sarah Connor, Nena, Lena, Sarah Brightman, Ronan Keating, Michael Patrick Kelly (Live-CD / DVD), Johannes Oerding, Tim Bendzko, Gregor Meyle, Max Giesinger, Tokio Hotel, Pohlmann, Rosenstolz, Roger Cicero, Laith al Deen, Gentleman (Mark Forster, Michael Patrick Kelly-DVD), Cäthe, Jan Plewka, Howard Carpendale, Elif, Madelaine Juno, Max Mutzke, Patrick Nuo, Silly, Nena & Heppner, David Bispal, Unheilig, Joel Brandenstein, Ferris MC, LINA, Extrabreit, Milliarden, Balbina, Kim Frank, Sandra Nasic, Thomas Godoij,Truck Stop, Femme Schmidt, Mimi Westernhagen, Anna Depenbusch, Matthias Schweighöfer, Chris Thomson (Sarah Brightman-DVD), Marta Jandová, Oliver Pocher, Niels Frevert, Kungfu, Julia Engelmann, Gregorian, Antje Schomaker, Alexander Knappe, Nevio, Lions Head, Madita, Jennifer Kae, Nikko Weidemann, Graziella Schazad, Mia Diekow, Redweik, Jan Smit, Baschi, Felix Meyer, Jeanette Biedermann, Max Buskohl, Conrad Wissmann, Ashley Hicklin, Berge, Tommy Reeve, Joachim Deutschland, dZhihan&Kamian, Matthias Reim, Michelle Leonard, Kate Hall, Amaree, Shine, Wolfgang Michels, Fortenbacher, Samuel Harfst, The Tim, Kati Karrenbauer, Pornomat, Sandro Giampietro, Lea Finn, Konrad Wissmann, Jonathan Walter, Ole Soul, Malte (Ex-Deichkind), Daniel Wellbat, Julian Smith, Hands on the wheel, Caroline Harrison, Big Soul, Daniel Hall, Laura Lato, Shary Osman, Elias, Gary Krosnoff, The Good Morning Diary, Alan Wörner, Sebastian Korn, Zombie Joe, Soundtracks für „Keinohrhasen“, „Zweiohrküken“, „About a Girl“, „Baal“, „Liebeslied“ und viele weitere
Tourneen und Konzerte: Mark Forster, Sarah Brightman (Symphony World Tour 2008/2009), Pohlmann, Michael Patrick Kelly, Lena, Cäthe, Clare Bowen („Nashville“), Kim Frank, Kungfu, Jennifer Page, Selig, Helene Fischer + Michael Bolton, Gregorian, Tommy Reeve, Mimi Westernhagen, Antje Schomaker, Max Buskohl, Pornomat, u.v.m.
Produzenten: Ralf Christian Mayer, Franz Plasa, Swen Mayer, Thorsten Brötzmann, Roland Spremberg, Daniel Nitt, Mirko Schaffer, Wolfgang Stach, Moses Schneider, Peter Schmidt, Olaf Opal, Uwe Fahrenkrog-Petersen, Frank Petersen, Peter Hofmann, Philipp Schwär, David Bonk (Ludi Boberg), Christian Neander und Michael Tibes, Kiko Maßbaum, David Jürgens, Jens Schneider, Jens Eckhoff, Udo Rinklin, David Jost, Dave Roth, Pat Benzner, Frank Ramond, Chris von Rautenkranz, Benjamin Bistram, Schumann&Bach, Dirk Reichardt (Jam X Music), Stephan Gade, Sven Bünger, Mark Smith, Hit Bay, Kilian Reischl, Paul Grau, Jörn Heilbutt, Timo Dorsch, Manfred Faust, Jan Eric Kohrs, u.v.m.
Festes Bandmitglied bei Mark Forster, Pohlmann und Cäthe.
Live-Equipment
Mit Mark Forster:
Yamaha Absolute Hybrid Maple (Gold Champagne Sparkle): 22“x16“ Bassdrum, 13×10“ Tom, 18“x 16“Floor-Tom. Yamaha 14“ x 6,5“ Manu Katché Signature Snare, Yamaha 14“ x 5,5“ Sensitive Snare, Yamaha 12“ Hip Gig Snare, Latin Percussion 14“ Trash Snare. Paiste 2002 Big Beat Serie: 16“ Hi-Hat, 18“ Crash, 20“ Crash, 22“ Crash. Yamaha DTX Multi 12 Electronic Percussion Pad, Yamaha DTX 900-Module
Mit Michael Patrick Kelly:
Yamaha Club Custom: 22“x15“ Bassdrum, 13“ Tom, 16“ Floortom. Paiste Masters Becken.
Mit Pohlmann:
Yamaha Tour Custom: 22“ Bassdrum, 13“ Tom, 16“ Floortom. Yamaha Recording Custom Snares. Paiste Masters Becken.
Studio-Equipment
Yamaha Drums (auch oft zu verschiedenen Session-Sets gemischt): Absolute Hybrid Maple, Club Custom, Absolute Maple Custom, Tour Custom, u.v.m.
Snare Drums (Yamaha): Elvin Jones Signature, Recording Custom Aluminium, Recording Custom Steel, David Garibaldi Signature, u.v.m.
Becken (Paiste): Masters, Signature Traditionals, Giant Beat, 2002 Big Beat, Signature Dark Energy, Formula 602 Modern & Classic, 2002, u.v.m.
Endorsements: Yamaha, Paiste, GEWA, Remo, ICE Stix