Tim Neuhaus ist weit mehr als „nur“ der Schlagzeuger von Clueso. Neben seinem energetischen Drumming steuert er viel zum Songwriting des Erfurter Sängers bei und ist mit seinen drei Alben als Solokünstler mittlerweile selbst in der deutschen Singer-Songwriter Szene angekommen. Wir haben mit dem sympathischen Multiinstrumentalisten über seine Arbeit mit Clueso, die Herangehensweise an Songs und seine Karriere als Solokünstler gesprochen.
Tim, du bist Clueso während der Zeit deines Jazz-Studiums in Weimar begegnet und lebst heute in Berlin. Wo kommst du ursprünglich her und wann begann für dich das Musikmachen?
Ich bin in Schwelm im Ruhrgebiet geboren und in Hagen groß geworden. Zum Schlagzeug bin ich mit ungefähr elfeinhalb Jahren gekommen, als mich mein Klavierlehrer in den Keller der Musikschule mitnahm und ich da auf einen Typen mit einer Gitarre traf, der später mein Schlagzeuglehrer wurde. Ab diesem Zeitpunkt habe ich mich total in das Schlagzeugspielen verliebt und mir immer ein Drumset gewünscht, bekam aber erstmal nur ein Becken und eine Snare. Den Rest des Sets musste ich mir in der ersten Zeit noch mit Kissen und Polstern auf dem Bett nachbauen, aber mit 14 schenkten mir meine Eltern dann endlich mein erstes eigenes Schlagzeug, das ich heute immer noch im Keller stehen habe und einfach nicht weggeben kann.
Ziemlich zeitgleich zum Schlagzeug habe ich dann auch angefangen, Gitarre zu spielen, weil ich es so beeindruckend fand, wie mein Lehrer mich beim Spielen immer begleitet hat. Das Interesse für Musik wuchs einfach ins Unermessliche und beschränkte sich nicht alleine auf das Drumset.
Du bist heute eher in der Popmusik unterwegs, aber du hattest doch sicher auch eine intensive Jazz-Phase?
Während meines Studiums auf jeden Fall! Ich finde es auch eigentlich ziemlich schade, dass ich das momentan in den Projekten, in denen ich spiele, nicht mehr so ausleben kann. Bei der Clueso-Band war das freiere Spielen anfangs ein großer Teil der musikalischen Identität, und es haben sich mit einzelnen Mitgliedern auch immer wieder Projekte ergeben, in denen man so etwas machen konnte. Mit dem Gitarristen Christoph Bernewitz habe ich zum Beispiel bei den „New Telepathics“ gespielt. Diese Band war regelrecht tollwütig. In den letzten Jahren ist das aber eher in den Hintergrund getreten, weil sowohl mein Solo-Projekt, das auch eher im Indie-Pop angesiedelt ist, als auch Clueso sehr zeitintensiv sind. Es würde mich aber wirklich sehr freuen, wenn sich dazu wieder mehr Möglichkeiten bieten würden. Gerade nehme ich viel für mein neues Soloalbum auf und merke beim Experimentieren mit beispielsweise Saxophon und Vibraphon, dass man eigentlich viel öfter einfach drauflos spielen muss. Es ist so schade, dass die Zeiten, in denen man sechs Stunden am Tag üben konnte, vorbei sind. Heute muss man sechs Stunden am Tag für seine Unkosten arbeiten, und dann bleibt wenig Zeit, um sich musikalisch wirklich mal wieder auszutoben.
Wie begann damals deine Zusammenarbeit mit Clueso?
Wie schon erwähnt, habe ich die Jungs aus der damaligen Band während meines Studiums kennengelernt. Clueso war in Erfurt und damit nur 20 Minuten entfernt. Irgendwann haben wir dann zusammen Musik gemacht und auch das Album „Gute Musik“ eingespielt, auf dem ich im späteren Verlauf der Platte auch Co-Produzent wurde. Danach bin ich aber erstmal ausgestiegen.
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Was waren die Gründe dafür? Immerhin stand doch das erste Band-Album in den Startlöchern.
Es gab mehrere Gründe. Zum einen ging mir das alles nicht schnell genug. Natürlich war da Clueso noch nicht im Ansatz an dem Punkt, an dem er heute ist, aber es wurde einfach so viel vertagt. Ich habe damals zum ersten Mal miterlebt, wie ein Künstler immer wieder seine Abgaben verschieben musste, und spätestens seit meinem Soloprojekt kann ich das total nachvollziehen. Die Musik braucht eben Zeit, um sich zu entfalten, aber ich wollte damals einfach raus auf die Bühne. Dann ging mein Studium zu Ende, ich musste Geld verdienen und wollte mich nicht von diesem doch recht jungen Projekt abhängig machen. Schließlich kam das Angebot, bei der Blue Men Group in Berlin zu spielen, was ich mit kurzen Unterbrechungen seit mittlerweile zwölf Jahren mache. Ich bin damit auch sehr glücklich, weil aus den ganzen Kollegen über die Jahre enge Freunde geworden sind.
Mit deinem Soloprojekt bist du als Sänger schon länger aktiv, hast drei Alben veröffentlicht und bist bereits in der Produktion für das nächste. Seit wann verfolgst du diesen Teil deiner Musik intensiver?
Ich habe neben dem Trommeln eigentlich schon immer geschrieben und versucht, das zu vereinen. Irgendwann hatte ich dann wirklich Lust darauf, etwas zu machen, was ich noch nicht gut konnte oder wo ich mich noch nicht so sicher wie am Schlagzeug fühlte. Damals habe ich gemerkt, dass das Singen und Gitarre spielen sich noch längst nicht wirklich routiniert anfühlte, aber ich wusste, dass ich mich intensiver damit auseinandersetzen wollte, und irgendwann haben mich die Leute als Sänger und Gitarrist wahrgenommen. Ich habe zwar die allererste Platte noch selbst eingespielt, aber beim Album „The Cabinet“, das über Grand Hotel van Cleef veröffentlicht wurde, hatte ich dann eine feste Band, die das Album mit eingespielt hat und mit der ich auch auf Tour war. Das Album „Now“ ist ebenfalls noch mit dieser Band entstanden, aber nachdem wir uns getrennt haben, arbeite ich jetzt wieder alleine an den Songs und spiele alle Instrumente selbst ein, was mir großen Spaß macht.
Wie entstehen bei dir die Songs? Passiert das ausschließlich an Gitarre und Klavier oder entwickeln sich auch Stücke auf Basis eines Drumgrooves?
Das ist auch schon passiert, allerdings seltener. Für mich ist die Kraft eines Songs oder einer Melodie genauso faszinierend wie ein cooler Drumbeat. Wenn ich einen Song schreibe, schaltet sich das Nervensystem der rhythmischen, trommlerischen Seite sozusagen aus. Das eine hat bei dem anderen nichts zu suchen. Das passiert aber eher unbewusst, und ich finde die Momente spannend, in denen sich dann Melodie und Rhythmus vereinen. Wenn ich einen Song schreibe, habe ich aber meistens nicht unbedingt einen Groove, sondern ein Feeling im Kopf.
Wie dieses Feel dann nachher übersetzt wird, ist nochmal eine ganz andere Geschichte. Die konkrete Annäherung durch einen Groove an ein Feel ist ja flexibel. Deswegen fällt es mir auch leicht, mit anderen Schlagzeugern zusammen zu spielen, weil die sich oft dem Feel verbunden fühlen und das auf ihre Art umsetzen.
Unterscheiden sich die Grooves im Live-Kontext von denen auf der Platte?
Auf meinen bisherigen Platten war das nicht so. Wir haben dort einen Bandsound im Studio kreiert, und Florian Holoubek hat das am Schlagzeug toll umgesetzt. Ich finde aber auch, dass Studio und Konzerte zwei verschiedene Dinge sind. Deshalb wollte ich bei der Produktion meiner jetzt kommenden Platte auch unbedingt mehr im Studio am Drumset ausprobieren. Mir ist bewusst, dass ich wahrscheinlich oft zum selben Ergebnis kommen werde, aber ich wollte es einfach anfassen und probieren. Deshalb spiele ich auch so viele Instrumente wie möglich selbst ein. Das wird nicht umwerfend virtuos sein, aber wenn ich Bass auf meine Drumgrooves spiele, klingt das natürlich nochmal organischer, weil es ja ein und dieselbe Person gespielt hat. Aufregend wird es auch dann nochmal, wenn man diese Songs freier mit einer Band umsetzt. Und ich möchte live dann bewusst auch nicht eins zu eins den Studiosound reproduzieren, sondern einfach loslassen.
Arbeitest du neben Clueso noch mit weiteren Künstlern zusammen?
In der Vergangenheit gab es immer wieder verschiedene Projekte. Eine Zeit lang habe ich bei „Hundreds“ live gespielt und war auch mit Konstantin Wecker unterwegs. Ein Highlight gab es auf einer Veranstaltung von Amnesty International, auf der ich mit Clueso zu Gast war, als ich mit Glen Hansard und Joan Baez spielen durfte. Durch mein Soloprojekt als Singer-Songwriter habe ich auch mit vielen Leuten kollaboriert, die bei TV Noir aufgetreten sind. Für Max Prosa zum Beispiel habe ich damals auch Songs für seine Platte eingespielt. Außerdem habe ich hin und wieder mit Kat Frankie und Marcus Wiebusch Musik gemacht. Besonders toll fand ich es, dass ich in dieser speziellen Szene sowohl als Schlagzeuger, als auch als Gitarrist und Songwriter gesehen wurde. Ich wollte ja eine Zeit lang mal der typische „Drummer’s Drummer“ sein, aber dann war mir Songwriting, Gitarre spielen und Singen eben auch wichtig. Irgendwann muss man aber wirklich darauf hören, was man eigentlich will und darauf achten, dass man das auch an seine Mitmusiker aussendet. Es ist wichtig, sich zu positionieren und seinen Weg zu gehen.
Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit Clueso heute? Du bist ja sicherlich als trommelnder Songwriter nicht einfach nur sein Schlagzeuger.
Ja, wir schreiben hin und wieder zusammen und arbeiten an Ideen gemeinsam weiter. Ich glaube, er hat schon früh gespürt, dass ich als Schlagzeuger schon immer ein wenig über den Tellerrand gucken wollte und dass mich Songwriting interessiert hat. Er selbst kommt ja aus dem Hip-Hop und war mit Beats und Texten auch auf der Suche nach „dem Song“. Wir schwimmen also dahingehend auf einer Wellenlänge. Ich liebe es zum Beispiel, wenn er mir einen programmierten Beat einer Skizze vorspielt und ich mich da dann „draufsetzen“ und dem Ganzen noch eine Portion Punch verpassen kann. Nachdem ich mir beim Album „Standrandlichter“ noch mit Paul Tetzlaff Song für Song die Klinke in die Hand gegeben habe, gab es vor der Produktion des neuen Albums die Auflösung der bisherigen Band. Das Album „Neuanfang“ ist dann aus der Perspektive des Schlagzeugers ziemlich schnell entstanden. Wir haben innerhalb einer Woche alle Drumtracks aufgenommen. Das lag aber auch daran, dass die Produktionsweise diesmal eine andere war. Früher ging alles immer durch Cluesos Hand, der gleichzeitig auch Engineer des Albums war. Diesmal hat er sich im Studio hingesetzt und an seinen Texten gefeilt, während Tobias Kuhn, der Produzent des Albums, an den Songs und Arrangements gearbeitet hat. Tobi hat sich durch 60-70 Skizzen und Demos aus den vergangenen Jahren gehört und mit Clueso die Songs weiter ausgearbeitet. Dabei sind neue Songs teilweise aus Strophenideen entstanden, die vielleicht schon fünf Jahre alt waren. Innerhalb eines Jahres ist das Album dann entstanden und in einem Studio in der Toskana fertig produziert worden. Ich habe dazu drei Songs mit ihm geschrieben, von denen einer auf dem Album gelandet ist.
Hat die neue Live-Band das Album auch im Studio eingespielt?
Nein. Im Studio waren nur der Produzent Tobias Kuhn, der Gitarren und Bässe gespielt hat, Simon Frontzek, der neben dem Engineering auch hin und wieder Klavier gespielt hat, Clueso und ich. Zusätzlich wurden dann später noch ein paar Bläser eingeladen. Außerdem gibt es noch ein Duett mit Kat Frankie auf dem Album.
Hast du für die Aufnahmen deine Drums im Studio benutzt?
Das Studio in der Toskana gehört einem Drummer und ist so gut ausgestattet, dass ich eigentlich nichts mitnehmen musste. Ich habe dann aber Tobias Kuhn doch noch eine Ludwig und eine Masshoff Snare mitgegeben, was aber wahrscheinlich gar nicht nötig war. Wir haben bei den Aufnahmen von Song zu Song Drumsets, Snares und Becken gewechselt, um den perfekten Sound zu finden. Es ging dabei auch weniger um den Drumsound im Raum, sondern eher um den Sound, der am Ende durch die Kette von Mikrofon und Studioequipment aus den Boxen kam. Das konnte sich dann teilweise zu einer ziemlichen Suche entwickeln. Irgendwann bin ich bei einem Song ins komplette Gegenteil gegangen und habe, statt die Snare immer tiefer zu stimmen, sie so hoch getuned, wie es nur ging. So sind wir teilweise auch zum Ziel gekommen. Vielleicht sollte man also, wenn man eine besonders fette, tiefe Snare im Studio braucht, ab und zu auch mal eine leise gespielte, ganz hoch gestimmte Snare probieren. (lacht) Wir haben aber so viel experimentiert, dass ich heute kaum noch sagen kann, welche Trommel ich bei welchem Song benutzt habe. Wir haben teilweise auch die Resonanzfelle abgenommen und verschiedene Sticks und Schlägel ausprobiert oder mal ein Geldstück an das Schlagfell der Bassdrum geklebt, um besonders viel Attack zu bekommen. Einen Song habe ich auch nur mit den Fingern gespielt. Es war eine unglaubliche Kluft zwischen dem Drumsound im Aufnahmeraum und dem Sound, der durch das Studio-Equipment am Ende aus den Boxen kam. Das war auch eigenartig für das Spielgefühl. Außerdem haben wir uns oft von den typischen Spielweisen verabschiedet. Der Titelsong „Neuanfang“ entstand aus einem Shuffle Loop. (Die Demo-Version des Songs ist auf der Deluxe Edition des Albums „Neuanfang“ zu hören. Anmerkung d. Redaktion) Ich sollte ihn aber extra so spielen, als könnte ich keinen richtigen Shuffle spielen. Daraus ist diese roughe Attitüde entstanden.
Wird mit der neuen Band ein anderer Livesound zu erwarten sein?
Nun, was man zumindest sagen kann, ist, dass es sich merkwürdig angefühlt hat, mit der neuen Band die Live-Versionen der früheren Band zu spielen. Also nehmen wir diese Versionen nur, damit wir die Akkorde checken können. Der Spirit der neuen Band muss natürlich aus den Mitgliedern entstehen. Gerade beginnen die Proben und natürlich sollen auch alte Hits gespielt werden. Aus diesen werden dann teilweise neue Versionen erarbeitet, was es für alle Beteiligten spannend macht.
Wie sieht es mit Samples und Backing Tracks aus?
Es gibt in manchen Songs Chöre oder Dopplungen aus der Produktion, die früher sonst wahrscheinlich DJ Malik abgefeuert hätte, auf die wir nicht verzichten wollen. Es wäre nicht zwingend notwendig, aber es wird deshalb sowohl Samples vom Pad als auch Backing Tracks für den Livesound geben.
Lass uns über den Equipment reden, welche Drums nutzt du live?
Ich habe mir vom Berliner Trommelbauer Udo Masshoff zu meiner Snare ein Set bauen lassen, das komplett aus Edelstahl gefertigt ist. Ich habe seine Trommeln damals erstmals auf der „Stadtrandlichter“-Tour nutzen dürfen und war sehr angetan. Die Metallkessel haben mehr Wucht als Holz und von den Obertönen noch einmal eine ganz andere Facette, was mir sehr gefällt. Die Trommeln sind alle mit Evans Fellen bezogen und die Becken kommen von Zildjian.
Vielen Dank für’s Gespräch!
Equipment Tim Neuhaus:- Masshoff Drums
- 24“ x 14“ Bassdrum
- 13“ x 9“ Tom
- 16“ x 14“ Tom
- Snares:
- 14“ x 6,5“ Masshoff Snare
- 14“ x 6,5“ Ludwig Supraphonic Snare
- 14“ x 5“ Ludwig Breakbeats Snare
- Becken: Zildjian
- 16″ A Avedis Hihat
- 18″ A Avedis Crash
- 18″ K – EFX Crash
- 21″ Special Dry Ride
- Stacks: 16″ Session Crash / 17“ Special Dry Crash
- 12″ Spiral Stacker auf kaputtem 18″ K – Session Crash auf kaputtem 18″ K – EFX Crash
- Weitere Endorsements:
- Evans Heads
- Zildjian Cymbals
- Nord
- Native Instruments
- D’addario strings
Weiterführende Links:
Tim Neuhaus Website: tim-neuhaus.de
Klaus sagt:
#1 - 04.12.2016 um 19:37 Uhr
Hallo Alex Höffken,
vielen Dank für dieses coole Interview, weiter so!
Tom Wun sagt:
#2 - 18.01.2017 um 20:53 Uhr
Sehr interessantes und aufschlussreiches Interview! Coole Sache, Alex!
Viele Grüße aus Berlin
Tom
bonedo Chris sagt:
#2.1 - 25.01.2017 um 18:16 Uhr
Hi Klaus und Tom, vielen Dank für das nette Feedback. Die nächsten Drummer-Interviews sind schon in der Pipeline. :-)
Antwort auf #2 von Tom Wun
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