Vocal Assistant in der Praxis
Ein großes Highlight aus dem Update ist natürlich die erweiterte KI aka der Vocal Assistant. Dieser analysiert eure Vocals und baut eine dazu passende Effektkette, bestehend aus den verfügbaren Effektprozessoren. Das Vorgehen kennt man bereits in ähnlicher Form von Neutron und Ozone: Ihr ladet Nectar 4 Advanced einfach in den Effekt-Slot einer Vocal-Spur und wählt anschließend den Vocal Assistant, der sich die Aufnahme dann „anhört“.
Die KI berechnet dann, welche Effektmodule zu euren Vocals passen, lädt diese in die Effekt-Slots und stellt EQ, Kompressor und Weiteres für euch ein. Wirklich neu ist hier die Vocal Assistant Page, mit der ihr die von der KI eingestellten Effekte mit jeweils einem Regler pro Modul, bedienen könnt.
Das spart Zeit und ist vor allem für Einsteiger eine gute Möglichkeit, um den Sound schnell noch etwas zu justieren, ohne die Effekte im Einzelnen verstehen zu müssen. Sprich: Möchtet ihr mehr Komprimierung, dreht ihr einfach den Makroregler für die Dynamic auf. Die Ergebnisse fügen sich gut in den Beat ein. Die Vocal klingt bereits nach den Settings der KI frischer und zugleich druckvoller, ohne dabei „platt“ zu wirken.
Für wen eignet sich der Nectar 4 Vocal Assistant?
Die KI arbeitet auch in Version 4 beeindruckend zuverlässig und kann zwischen Gesang, Rap und Sprache unterscheiden. Sollte sie eine Rapaufnahme doch mal versehentlich als Gesang erkennen (was im Test nicht vorkam), kann man das unter Targets auf der Vocal Assistant Page korrigieren.
Durch die Makroregler der Assistant Page gehen kleine Tweaks noch schneller von der Hand. Wer es sich also noch nicht selbst zutraut, Effekte einzustellen, oder wer einfach schnell ans Ziel kommen möchte, dem hilft die neu hinzugekommene Vocal Assistant Page.
Für dich ausgesucht
Hier kann man im Grunde nichts falsch machen. Fortgeschrittene springen besser direkt in die einzelnen Module und passen den Sound selbst präzise an ihre Vorstellungen an. Wer die KI gar nicht nutzen möchte, kann natürlich komplett auf den Assistant verzichten und schraubt den Sound von Grund auf selbst. Praktisch ist der Vocal Assistant beispielsweise dann, wenn man einen Rough Mix direkt nach der Recording Session mal schnell fetter klingen lassen möchte.
Audiolens
Die Varianten Nectar 4 Elements, Standard und Advanced kommen mit der kostenlosen Desktop App namens Audiolens. Mit ihr könnt ihr sämtliches Audiomaterial, das ihr von eurem Rechner abspielt, zum Beispiel von einer Streamingplattform, als Referenz für eure Produktionen verwenden.
Dieses Referenzmaterial kann man anschließend mit iZotope Plugins connecten und als Target auswählen. Dadurch verwandelt sich sämtliches, auf dem Computer hörbares Audiomaterial in einen Referenzwert. Analysiert werden Loudness, EQ-Kurve, Dynamik und Stereobreite.
Ein Analyse-Tool für Match-EQ-Fans
Audiolens zeichnet also nicht das Audio auf, sondern nur seinen Klangcharakter, den man auch Metadaten nennt. Diesen Referenzwert könnt ihr dann in Nectar, Ozone oder Neutron als Referenz auswählen, von wo aus er auch zukünftig immer wieder abrufbar ist. Die KI des jeweiligen Plugins stellt daraufhin die entsprechenden Effektprozessoren so ein, dass das zu bearbeitende Audio dem Referenztrack gleichkommt.
Noch besser: Für Nectar benötigt ihr nicht mal ein A-capella. Audiolens analysiert für Nectar nur den Vocalsound eines gesamten Songs, was im Test wirklich hervorragend funktioniert. Das Ganze ist besonders für Einsteiger geeignet, die nicht wissen, wie sie einen bestimmten Sound schrauben können. Und natürlich auch für all diejenigen, die keine Scheu vor Match-EQs haben.
Auto Level Mode
Auch der in Nectar 3 eingeführte Auto Level Mode (ALM) wurde mit KI erweitert. Dieser soll euch Lautstärkeautomationen von ungewollt lauten Passagen ersparen. Bricht das Gesangsorgan eines Sängers also an manchen Stellen mal mehr aus als gewollt, könnt ihr diese Passagen mit der KI des überarbeiteten Auto Level Mode anpassen lassen, bevor ihr die Vocals in einen Kompressor schickt.
Die KI analysiert eure Vocals und regelt anschließend dynamisch die Lautstärke, so als ob ihr per Hand den Volume Fader eines Mischpultes an zu lauten Stellen leiser dreht und anschließend wieder lauter macht. Und das Ergebnis kann sich wirklich hören lassen.
Die Lautstärkeverläufe der Aufnahmen klingen ausgewogener. Setzt man anschließend noch einen Kompressor ein, hat dieser weniger Arbeit und das Ergebnis klingt natürlich, sprich weniger plattgedrückt oder pumpend. Sehr praktisch: Der Vocal Assistant stellt nicht nur Kompressor, sondern auch das ALM-Modul automatisch ein.
Backer, Backer, Kuchen
Neu im Bunde ist das Backer-Modul, das man zur künstlichen Generierung von Backing-Vocals ins Leben hat. Backer basiert auf Pitch- und Formant-Shifting und verwandelt eure Stimme etwa in moderne, gepitchte Vocals. Das Tool sieht schön aus, klanglich haut es mich aber nicht um.
Im Grunde ist es nur ein gewöhnliches Formant- und Pitch-Shifting-Tool, das es so ähnlich auch schon im Pitch Modul der Vorgängerversionen gab. Zudem ist es sicher nicht für alle Genres brauchbar. Wer aber mal „instant“ eine Formant-Vocal generieren möchte, kommt hiermit schnell ans Ziel und hat zudem noch ein modern gestaltetes GUI.
Voices
Das Harmony-Tool hat man nun in Voices umgetauft und ihm auch gleich noch eine neue Bedienoberfläche spendiert. Mit Voices könnt ihr aus einer Vocal Harmonien erzeugen: entweder automatisch zu einem selbst definierbaren Key oder via MIDI. Das GUI sieht aber nicht nur hübscher als früher aus: Ihr könnt es fortan auch genauer einstellen und so authentischere Ergebnisse erzielen.
Neben der Mixer-Ansicht gibt es nun auch eine Harmonieansicht, in der ihr nach Belieben 3th, 5th, 7th Unisono-Dopplungen sowie oktavierte Stimmen hinzufügen könnt. Via Presets könnt ihr auch verschiedene Harmonien aus einer Vocal zaubern, die ihr frei anpassen könnt – darunter Parallels, Happy, Sad etc.
Die neuen Presets haben eine inspirierende Wirkung, wodurch man mit wenigen Klicks zu harmonischen Backings gelangt. Wer es genauer haben möchte, programmiert die Harmonien ganz einfach via MIDI.
Die alte Oberfläche war deutlich übersichtlicher – das neue GUI wirkt krampfhaft auf Anfänger zugeschnitten. Nichtsdestotrotz ist Voices nach wie vor ein wirklich brauchbares Tool, um Harmonien zu erzeugen. Wenn man Voices nur punktuell einsetzt, um zum Beispiel vereinzelte Wörter oder Passagen harmonischer klingen zu lassen, kommen wirklich brauchbare Ergebnisse herum.
Nectar 4 Ressourcenverbrauch
iZotope-Produkte klingen wirklich allesamt hervorragend, gehören aber leider auch zu den rechenintensivsten auf dem Markt. Auf meinem MacBook mit einem 2,4 GHz 8-Core Intel i9 und mit 64 GB DDR4 RAM brauche ich nur eine Nectar-Instanz aufmachen, ein paar Effektmodule aktivieren und schon springt der Lüfter meines MacBooks auf ein deutlich hörbares Level an. Die CPU-Auslastung in Logic geht indessen mal eben auf 25% in einem Thread hoch.
Was im Workflow noch mehr stört, ist die Tatsache, dass eine hohe Latenz entsteht, wenn man das Plugin mal kurz auf Bypass und wieder aktiv schaltet. Das Gleiche passiert, wenn man nur mal kurz das Tuning-Modul aus- und wieder einschaltet, um die Vocals automatisch zu tunen: Die Vocals laufen nicht mehr synchron zum Beat. Anschließend muss man immer erst Stopp und dann wieder Play drücken. Von anderen Herstellern kenne ich so extreme CPU-Auslastung nicht – bekommt iZotope das irgendwann in den Griff?!