Jordan Rudess tourt mit Dream Theater Jahr für Jahr durch die größten Hallen und gilt vielen als einer der besten Keyboarder der Welt. Als Endorser und Botschafter von Herstellern wie Korg und CME ist er zudem Dauergast bei Produktvorstellungen, Musikmessen und anderen Branchen-Events. Der omnipräsente Tasten-Virtuose ist aber auch immer vorne mit dabei, wenn es um neue technische Ansätze geht, die die Grenzen des klassischen Tastenspiels überwinden, und hat eine Firma für iOS-Apps gegründet. Im bonedo-Interview spricht Jordan Rudess über sein Setup und seine Visionen für zukünftige Instrumente und Controller.
bonedo: Aus welchen Instrumenten besteht dein Live-Setup zur Zeit? Nachdem du viele Jahre Kurzweil-Keyboards benutzt hast, sieht man dich momentan hauptsächlich mit dem Korg KRONOS. Was verwendest du sonst noch?
Jordan Rudess: Stimmt. Damals habe ich die Kurzweil-Sachen geliebt. Ich habe sogar eine Weile für Kurzweil gearbeitet, es war eine tolle Firma. Ich habe zum Beispiel den K2500 und K2600 benutzt und die waren wirklich großartig. Aber dann machte Kurzweil viele Veränderungen durch und hörte auf, den K2600 zu produzieren. Und ich dachte mir, ich kann nicht auf Instrumenten spielen, die sich noch in der Entwicklung befinden, ich möchte Support auf jeder Ebene. Deshalb beschloss ich, dass es Zeit war mich nach etwas Neuem umzusehen.
Ungefähr zu der Zeit brachte Korg ein Monster-Keyboard heraus, den OASYS. Der hatte mächtig Power, man konnte sehr komplexe Kombinationen mit vielen Splits und Layers erstellen. Mein Live-Setup basiert auf einem zentralen, leistungsfähigen Keyboard und ich benutze ein Pedal, um durch die Settings zu schalten. Manchmal sind es 50 verschiedene Settings für einen einzigen Song. Dafür war der OASYS toll. Aber dann kam ich damit an den gleichen Punkt und fragte mich: Bauen sie den OASYS überhaupt noch, soll ich jetzt 10 davon kaufen und einlagern? Was wird als nächstes passieren?
Dann kam der KRONOS, den ich jetzt schon auf vielen Touren benutzt habe. Für Dream Theater ist er ideal. Wenn alle Sounds vorbereitet und sortiert sind und ich auf der Bühne stehe und mit dem Pedal durch meine Setups schalte, geht einfach alles nahtlos ineinander über. Es gibt keine Effekt-Hänger, keine abreißenden Noten, es funktioniert absolut reibungslos. Überhaupt ist das Effekt-System einer der Hauptgründe, weshalb ich den KRONOS so mag. Ich kann eine Orgel durch einen Leslie-Effekt schicken und durch einen eigenen Hall, während etwas anderes gleichzeitig durch einen Flanger oder einen Chorus oder Distortion geht – es ist sehr gut strukturiert.
Außerdem habe ich noch den Roland V-Synth XT, den ich über den Haken Continuum Controller spiele oder über eine speziell angefertigte Keytar von Zen Riffer. Auf die letzte Tour habe ich das ROLI Seaboard mitgenommen, das gerade herausgekommen war. Es steht in meinen Augen für die nächste Generation von Keyboards. Das einzige, was ich sonst noch verwende, ist mein iPad. Mit meiner Firma Wizdom Music habe ich ja einige Apps herausgebracht – auf der letzten Tour habe ich Morph Wiz und Sample Wiz benutzt.
bonedo: Was hältst du davon, Software-Instrumente auf der Bühne einzusetzen? Viele Keyboarder machen sich ja immer noch Sorgen, dass ein Computer-gestütztes System nicht zuverlässig genug für die Bühne sein könnte.
Jordan Rudess: Naja, viele Systeme laufen heute schon ziemlich stabil. Aber wenn ich live spiele, möchte ich fast mit dem Instrument verschmelzen, es wird ein Teil von mir. Ich mag es, wenn die Sounds aus dem Instrument kommen, das ich spiele. Vielleicht ist es Einbildung, vielleicht bin ich auch einfach altmodisch. Im Studio spielt das keine Rolle und ich benutze alles – ich liebe all mein Zeug. Aber wenn es ums Live-Spielen geht, brauche ich einfach ein Instrument, das von Grund auf als Performance-Instrument gebaut wurde.
bonedo: Mit dem Haken Continuum und dem ROLI Seaboard setzt du Instrumente und Controller ein, die die Grenzen der traditionellen Tastatur zu überwinden versuchen. Was glaubst du, wird die nächste entscheidende Entwicklung auf dem Gebiet der Controller sein?
Jordan Rudess: Wir leben in einer sehr interessanten Zeit – jeden Morgen, wenn ich aufwache, frage ich mich, was wohl technisch als nächstes passieren wird. Das begann, als Lippold Haken 2000 das Continuum vorstellte – das erste Instrument, das diese neuen Ausdrucksmöglichkeiten bot. Es ist eine flüssige Bewegung, man bleibt die ganze Zeit mit dem Sound in Kontakt während er klingt – eine Art dreidimensionales, taktiles Erlebnis. Beim Seaboard ist es ganz ähnlich: Man spielt eine Note und bleibt mit ihr verbunden, solange sie klingt. Aber obwohl schon einige Jahre vergangen sind, seit diese Instrumente herauskamen, haben sie sich noch nicht wirklich durchsetzen können. Hauptsächlich liegt das an der Einbindung in die Soft- und Hardware. Das Hauptproblem ist, dass diese Controller normalerweise auf mehreren MIDI-Kanälen gleichzeitig senden – auch für einen einzelnen Sound. Und Software ist für gewöhnlich darauf eingerichtet, auf einem MIDI-Kanal zu empfangen. Deshalb liefert ROLI das Seaboard mit einer Software aus, die mehrere Stimmen verarbeiten kann.
In der iOS-Community gibt es einige Leute, die sich intensiv damit beschäftigen, zum Beispiel mein Freund Jesse Chappell, der die App Thumb Jam entwickelt hat. Damit klappt es, meine App Sample Wiz kann das auch. Auch Arctic Keys vom australischen Programmierer Peter Johnson kann unabhängige Stimmen empfangen. Wir denken darüber nach, wie man diese Controller besser einbinden kann. ROLI arbeitet zur Zeit an einem System, das all das zusammenführen soll, und sie sprechen mit Apple und Steinberg und den anderen großen Firmen. Also werden wir in Zukunft wohl mehr solcher Instrumente sehen und die, die es schon gibt, werden leichter zu benutzen sein.
Für dich ausgesucht
bonedo: Auf der iOS-Plattform passiert ja momentan eine Menge. Was sind deine nächsten Projekte?
Jordan Rudess: Ich arbeite gerade mit ein paar Leuten von der Stanford University zusammen, die damals das Modelling erfunden haben. Gemeinsam basteln wir an einer sehr coolen neuen App namens Geo Shred, die auf einem Gitarren-Modell basiert. Darin stecken bewährte Modelling-Techniken, aber auch ein paar Sachen, die bisher noch nicht gemacht wurden. Hinzu kommen meine Konzepte für Spieloberflächen, wie man sie aus der App Geo Synthesizer kennt. Meiner Meinung nach ist es die „spielbarste“ Musik-App auf der iOS-Plattform. Das wird das nächste sein, was wir herausbringen – hoffentlich bald!
bonedo: In den letzten Jahren sind wieder viele neue analoge Synthesizer erschienen. Interessiert dich diese Retro-Welle?
Jordan Rudess: Ich bin ja mit analogen Synthesizern groß geworden. Ich schaue mir die neuen Sachen an und denke mir, wow, das ist crazy, aber wirklich beschäftigt habe ich mich damit nicht. Ich interessiere mich eher für die Musik der Zukunft und für neue Steuerungsmöglichkeiten, neue Instrumente wie das Continuum oder das Seaboard. Und klanglich bin ich daran interessiert, wie man Sounds auf neue Arten und Weisen manipulieren kann. Außerdem haben mich die ganzen Stecker immer genervt – ich versuche eher, die Kabel loszuwerden. Das Letzte was ich brauche sind mehr Kabel. Ich mag zwar Knöpfe und Regler, aber in erster Linie interessieren mich inzwischen flexible, kontinuierliche Dinge. Ich versuche wegzukommen von festen Strukturen und der Umschalterei. Natürlich klingen die analogen Sachen toll, keine Frage. Aber ich persönlich mag einfach das ganze Umstecken nicht. Dafür muss man gemacht sein, und das bin ich wohl nicht so sehr.
bonedo: Wie bereitest du die Sounds einer Studioproduktion für die Bühne vor? Ich habe zum Beispiel oft festgestellt, dass die riesige Piano-Library, die im Studio toll klingt, nicht unbedingt der ideale Sound für den Live-Einsatz ist.
Jordan Rudess: Das stimmt absolut. Weil ich live den KRONOS benutze und im Studio jede Menge andere Sachen, muss ich viele Entscheidungen treffen. Bei vielen Sounds ist es aber nicht so problematisch. Sagen wir, ich habe im Studio den weltbesten French-Horn-Sound benutzt – im KRONOS gibt es auch ein paar sehr gute! Oft verwende ich die Synthese-Engines des KRONOS, um einen Sound aus dem Studio nachzubauen. Und wenn es wirklich genau der Sound aus dem Studio sein muss, dann sampele ich ihn in dem Register, in dem ich ihn verwende, und packe ihn in den KRONOS.
bonedo: Benutzt du Factory-Presets?
Jordan Rudess: Natürlich! Meistens findet man unter den ganzen Presets schon etwas, das den eigenen Vorstellungen nahe kommt. Oft tweake ich dann aber noch ein bisschen daran herum und justiere zum Beispiel den Attack.
bonedo: Du hast klassisch Klavier spielen gelernt, bevor du mit Rockmusik angefangen hast. Wie hat deine klassische Ausbildung deinen musikalischen und spielerischen Ansatz beeinflusst?
Jordan Rudess: Ich würde das niemals missen wollen. Ein Instrument zu spielen bedeutet, meine Gedanken und musikalischen Ideen an meine Hände weiterzugeben, um sie zu verwirklichen. Diese Verbindung, diese Fähigkeit kommt aus der klassischen Ausbildung. Weil ich ein Instrument erlernt und geübt habe und meine Finger dabei auf alle möglichen ungewöhnlichen Weisen bewegen musste, kann ich mit den Fingern umsetzen, was ich im Kopf habe, und an dieser Verbindung arbeite ich immer weiter. Es hat mir auch geholfen, mich wirklich zu fokussieren. Als Kind habe ich mehrere Stunden am Tag geübt, ich habe meine Energie und meine Konzentration hineingesteckt und gelernt geduldig zu sein und auf ein Ziel hinzuarbeiten. Ohne die klassische Ausbildung wäre ich nie da angekommen, wo ich heute bin.
bonedo: Du hattest also auch als Kind keine Schwierigkeiten, dich zum Üben zu motivieren?
Jordan Rudess: Nicht wirklich. Manchmal vielleicht ein bisschen – dann sagte meine Mutter, hey, du hast eine Stunde, du musst üben! (lacht) Aber insgesamt war es einfach mein Ding.
bonedo: Jordan, vielen Dank für das Gespräch!