Praxis
Es gibt sehr, sehr viele verschiedene Mikrofone. Der Kaotica Eyeball passt aber selbstredend nicht auf alle, es muss schon eine Standardgröße sein. Ein MG UM 92.1S ist ein wenig zu dünn, um den Ball selbst halten zu können. Damit dies möglich ist, sollten es mindestens vier Zentimeter sein, sind es weniger, muss der Ball eben irgendwo aufliegen. In einigen Beispielvideos zum Kaotica ruht der Ball auf den Armen einer Mikrofonspinne (die ja im Übrigen fest mit dem Ständer verbunden sind, nicht mit dem Mikrofon…).
Ein CAD E 200 oder ein M 149 Tube wären deutlich zu dick und würden den Ball beschädigen. Die typische, konische U-67-Form ist gut geeignet, durch das flexible Material lässt sich die Höhe recht gut einrichten. Kleine Mikros, wie etwa das TLM 103, sind jedoch nicht hoch genug, auch “Front-Address”-Mikrofone, solche mit besonderer Bauform, ich denke da an Blue und einige Bändchen sowie natürlich fast alle Kleinmembraner – aber im Regelfall werden bekanntlich Großmembran-Kondensatormikrofone benutzt. Ich installiere den Eyeball auf einem solchen und vergleiche die Signale des Sängers.
Ich stelle fest: Veränderung: Ja. Verbesserung: Eigentlich nicht. Natürlich verringert die Konstruktion die Reflexionen im Höhenbereich, aber das in den wenigsten Fällen wirklich gut. Und um ausschließlich ein Direktsignal zu erhalten, was je nach Situation teilweise durchaus gewünscht sein kann, kann man auch zu anderen Mitteln greifen, die der Studiobetrieb oder sogar eine Durchschnittswohnung bereithalten. Ich habe schon Mikrofon und Sängerin unter eine Daunendecke gesteckt, um einen nahen und geradezu klaustrophobischen Sound zu erlangen.
Aber ganz im Ernst: Wäre eine derartige Konstruktion akustisch überwiegend sinnvoll und der resultierende Sound das Ziel tontechnischen Bestrebens, dann würden Mikrofone genau so aussehen. Das tun sie aber nicht. Denn: Ist der von Kaotica propagierte “pure vocal tone” überhaupt wünschenswert? Diesem Ziel näher kommen würde man vermutlich, wenn man Kontaktmikrofone (wie die von Barcus Berry) an Hals, Stirn und Brustkorb eines Vokalisten befestigen würde. Ich weiss, dass ich mich wiederhole: Es ist in den meisten Fällen nicht erstrebenswert – und nebenbei gesagt: durch den Eyeball alleine konzeptionell auch nicht möglich, ein Signal einiger seiner wichtigen Bestandteile zu berauben. Wer schon mal den Fehler begangen hat, ein Streich- oder Holzblasinstrument zu nah zu mikrofonieren, der weiss, wovon ich rede – und künstlicher Nachhall kann auch nicht alles wieder gutmachen, sollte man wissen.
Mikrofone unterscheiden sich nicht zuletzt durch die Art und Weise, mit der Signale aufgezeichnet werden, die eben nicht frontal einfallen. Es wird oft viel Mühe seitens der Hersteller darauf verwendet, Polardiagramme möglichst breitbandig und mit sanften Verläufen zu gestalten, da ist es kaum hilfreich, mit dem Eyeball die Richtcharakteristik frequenzabhängig zu verändern. Denn dass die Schaumstoffkugel nicht linear sein kann, ist ein physikalischer Grundsatz und lässt sich mit den Audiobeispielen ordentlich nachvollziehen. Doch auch der Direktschall leidet, denn das Objekt formt zu einem gewissen Grad einen Resonanzraum, denn die innere Kugelform ist ein idealer Ort für Moden genau einer bestimmten halben Wellenlänge und ihrer Vielfachen – mit dieser Problematik haben übrigens auch die beliebten Reflexionsfilter wie jene von sE Electronics zu kämpfen. Überdies entsteht durch den Verschluss der eigentlich offenen Bereiche um die Mikrofonkapsel ein Druckstau. Bedenkt man zudem, dass der rückwärtige Schall essentiell für die Richtcharakteristik ist, kann man sich sicherlich denken, dass dies zumindest nicht von den Herstellern intendiert ist.
Nun gut, ich bin nun wirklich nicht der strikt nach Vorschriftenheft handelnde Ingnieur im weißen Kittel, der niemals unorthodoxe Wege gehen würde – dafür habe ich schon die krudesten Mikrofonierungen gemacht. “Resonanzen? Veränderungen des Frequenzgangs und der Richtwirkung? Her damit!”, könnte als Ausruf von mir selbst stammen. Und ja: Der Kaotica ist irgendwie eine Art Effektgerät. Und es gibt keine “schlechten” Effekte. Aber es gibt viel zu teure Effekte, und zu dieser Gattung gehört das runde Ding zweifelsohne. Ein Softball aus dem Sport oder ein Schaumstoffball aus dem Kinderspielzeuggeschäft kostet irgendwas zwischen zwei und zehn Euro. Mit einem Taschenmesser bewaffnet, kann man dann hingehen und Löcher reinschneiden, wie man lustig ist.
In gewisser Hinsicht mag der Eyeball helfen, Umgebungsgeräusche zu verringern, etwa bei Aufnahmen im Freien (Ich habe auf einer der ersten Aufnahmen, die ich beim Aufkommen der ersten bus-powered USB-Audiointerfaces gemacht habe, im Hintergrund eine ferne Landstraße, Blätterrascheln und den sauerländischen Traktorfahrer mit seinem Mähgeschirr. Aber mich hat ja niemand gezwungen, irgendwo auf dem Acker aufzunehmen.). Allerdings wird man gegen viele Signalanteile auch mit dem Eyeball nicht viel ausrichten können. Die Funktion eines Windjammers kann bei gestecktem Poppschutz-Einsatz durchaus funktionieren, allerdings sind einfache Windschutze deutlich billiger (und oft genug im Lieferumfang eines Mikrofons) und richtig gute Windschutze deutlich besser – etwa solche von Rycote. Gut: Ein normaler Windschutz hat auch keine Öffnung für den ungehinderten Eintritt von Direktschall, allerdings werden Verwirbelungen die Effektivität deutlich verringern. Nicht umsonst ist ein normaler Windschutz geschlossen.
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Der blaue Poppschutz, welcher in die vordere Öffnung eingesetzt wird, funktioniert nach dem bekannten Prinzip zweier Stoffe, die sich dem Schallwellen-Tsunami, der bei Plosivlauten wie dem “P” entstehen, entgegenstellen. Dies tut er ordentlich und verändert die Höhen auch nicht stärker als ein normaler Poppschutz.
Meine Meinung zum Eyeball scheint deutlich, dies liegt einerseits an den vielen negativen Aspekten des Kaotica-Tools selbst, andererseits am grotesken Preis. Wer weiß: Vielleicht ist der Eyeball ja die Fingerübung eines Marketing-Studenten – oder schlimmer noch ein Testobjekt, um herauszufinden, in welchen Branchen sich irrsinnige Margen erzielen lassen, wenn man nur geschickt die Werbetrommel rührt.
Gregor Marini sagt:
#1 - 30.06.2014 um 18:32 Uhr
Hab das Teil testen können u. kam zum selben Ergebnis wie Nick Mavridis. Wenn man sich allerdings im Internet umschaut wie dieses Produkt allgemein beurteilt wird, wird man sich bewußt wie viele inkompetente Leute im Musikbusiness arbeiten! - Hier noch ein interessanter Beitrag von Sengpiel Audio: http://www.sengpielaudio.co...