Nachdem wir uns in den vorangegangenen beiden Folgen dieses Workshops mit II-V-I Verbindungen in Dur und Moll beschäftigt haben und mit den in diesem Zusammenhang besprochenen Akkordvoicings schon viele Jazzstandards meistern können, möchte ich euch nun noch weitere Harmonietypen vorstellen, die bis jetzt noch nicht vorkamen – hauptsächlich verschiedene spezielle Varianten von Dominantseptakkorden.
Wie schon in den letzten beiden Folgen spielen wir die Akkorde auch dieses Mal mit einer Hand. So bleibt die andere Hand für ein Solo, eine Melodie oder für die Basstöne frei. In einer Band lässt man die Grundtöne meist weg, weil sie vom Bassisten kommen, und wir können die Voicings mit der linken Hand greifen. Wenn kein Bassist dabei ist, kann man die gleichen Voicings mit rechts spielen und hat die linke Hand für eine Basslinie frei.
Alterierter Dominantseptakkord
(X7alt, X7+, X7#5#9, X7b5b9, X7#5b9, X7#5b9)
Hierbei handelt es sich um eine Abwandlung des V7 Dominantseptakkords, den wir als Teil der II-V-I schon kennengelernt haben. Er kann sowohl in der Dur- als auch in der Moll II-V-I vorkommen.
Beispiele:
Dm7 | G7alt | Cmaj7
Dm7b5 | G7alt | Cm7
Alteriert bedeutet, dass sowohl die 5 (Quinte) als auch die 9 (None) verändert sind, und zwar entweder einen Halbton nach unten (b5 bzw b9) oder nach oben (#5 bzw #9). Die natürliche (reine) Quinte und die normale (große) None kommen nicht vor. Alle Kombinationen von alterierter 5 und 9 sind möglich, also #5#9, #5b9, b5#9 und b5b9. Für die entsprechenden Voicings zeige ich euch wieder jeweils einen Typ A und einen Typ B. Je nachdem, in welcher Tonart man sich befindet, benutzt man den einen oder den anderen Typ, um in der jeweiligen Lage das am besten klingende Voicing zu erreichen.
Dem Typ X7#5b9 sind wir in der Moll II-V-I schon begegnet – da hieß er aber X7b9b13. Die #5 wird oft auch als b13 bezeichnet, denn es ist der gleiche Ton. Strenggenommen ist aber ein X7#5 Akkord nicht dasselbe wie ein X7b13, denn der X7b13 enthält auch die natürliche Quinte, der X7#5 nicht. Genauso wie ein X7#11 Akkord nicht dasselbe ist wie ein X7b5. Beim X7b5 handelt es sich in der Regel um einen alterierten Akkord mit ebenso alterierter 9. Der X7#11 enthält aber sowohl natürliche 5 als auch normale 9. Schauen wir ihn uns mal an.
X7#11
(X7/9/#11, X7/11+)
Diesen Typ finden wir häufig in II-V-I Verbindungen, bei denen die Dominante durch einen anderen Septakkord ersetzt wird, dessen Grundton einen Tritonus entfernt liegt („Tritonussubstitution“). So wäre z.B. in der Verbindung Dm7 | G7 | Cmaj7 das G7 durch einen Db7 substituiert. Dieser Db7 ist eigentlich ein G7alt, bei dem der Grundton ausgetauscht wurde. Das G ist nun im Db7 nicht mehr Grundton sondern #11. Ansonsten enthält der Db7 die Terz F (war im G7alt die 7), die natürliche Quinte Ab (war vorher die b9), die Septime H (ehemalige Terz) und die None Eb (war die #5). Dass eine solche Tritonussubstitution funktioniert, liegt insbesondere and der Übereinstimmung der beiden Funktionstöne Terz und Septime (3 wird zur 7 und umgekehrt).
Zwei brauchbare Voicings für den X7#11-Akkord sind diese:
Für dich ausgesucht
(Anmerkung: Eine II-V-I mit Tritonussubstitution findet man z.B. im Bossa Nova Standard „A Girl from Ipanema“ am Ende des A-Teils.)
X7b9/13
Dieser Typ ist eine weitere Sonderform des Dominantseptakkords, denn er enthält eine b9, aber trotzdem die normale 13. Er ist strenggenommen weder Teil der II-V-I in Dur noch der in Moll, und er ist auch nicht alteriert. Die Skala, die diesem Akkord zugrunde liegt heißt „Halbton-Ganzton“. Es ist also ein eher exotischer Vertreter, aber dennoch möchte ich hier die passenden Voicings nicht auslassen.
Xsus13
(X7sus, X4/7, Xsus4)
Beim sus-Akkord fehlt die Terz. Sie ist „suspendiert“, daher die Bezeichnung „sus“. Stattdessen gibt es die 4. Sie kann sich zur 3 auflösen wie beim klassischen Quartvorhalt, muss es aber nicht. Sus-Septakkorde sind immer dominantisch, d.h. sie enthalten die kleine Septime. None und Dreizehn passen auch gut, daher werden oft diese Voicings benutzt:
Dieses Voicing kann man sich auch so merken: man nehme den Grundton und dazu einen Major7-Akkord auf der siebten Stufe, also einen Ganzton tiefer als der Grundton. Zum Beispiel kann man sich einen Dsus13 als Cmaj7 mit D im Bass vorstellen. Ein Beispiel für einen Jazzstandard mit vielen sus-Akkorden ist „Maiden Voyage“ von Herbie Hancock.
Xdim7
(X°)
Beim verminderten Septkkord haben wir es mit einer kleinen Terz, einer b5 und einer verminderten Septime zu tun. Im modernen Jazz kommt dieser Typ nicht mehr oft vor, aber im traditionellen Swing und noch älteren Jazz-Stilen wie Dixieland findet man ihn häufig. Dort wird er meist ohne zusätzliche Optionstöne ganz simpel gevoict. Dieser Akkord lässt sich in jeder Umkehrung spielen, daher entfällt an dieser Stelle die Unterscheidung zwischen Typ A und Typ B.
Um einen verminderten Akkord etwas aufzupeppen, kann man einen zusätzlichen Ton hinzufügen. Dieser muss einen Ganzton über einem der Akkordtöne liegen. Demnach gibt es bei vier Akkordtönen vier Möglichkeiten. Welche man im Einzelfall nimmt, ist Geschmackssache und hängt auch davon ab, in welchem Zusammenhang der Akkord steht und wohin er sich auflöst. Den Akkordton, der direkt unter der hinzugefügten Option liegt, lässt man am besten weg. Hier die möglichen Voicings:
Damit kennen wir jetzt Voicings für fast alle Akkordtypen, die bei Jazzstandards normalerweise vorkommen. Ein paar Exoten habe ich für den Anfang noch ausgelassen (z.B. Maj7#5, sus b9, Slashchords). Und z.B. einen Maj7#11 greift man besser mit zwei Händen. Dazu dann mehr im nächsten Workshopteil, in dem es um beidhändige Voicings gehen wird.