Die Situation kennt jeder: Man hat ein Audiofile, dass zum Beispiel als Tempo- und Groove-Vorlage für eine neue Songidee dienen soll oder ein anderes Sample. Wie man ein solches Sample am besten in Pro Tools integriert, zeige ich Euch in dieser Folge unseres Pro Tools 2020 Workshops.
Lade ich beispielweise einen Drumloop oder einen Vorlage-Song in Pro Tools, wird er in aller Regel nicht zum eingestellten Tempo laufen und nicht „im Grid“ also im Taktraster liegen. Um dieses Problem zu lösen, gibt es in Pro Tools einige sehr hilfreiche Tools, in unserem Beispiel dieser Folge heißt die Funktion in Pro Tools „Identify Beat“ und auf Deutsch ein bisschen holprig „Takt-/Schlag-Marker hinzufügen“. Bis ich zu dieser Funktion komme, ist noch ein bisschen Vorarbeit nötig.
Zunächst lade ich das Audiofile. Das geht entweder über die Funktion „Import Audio File“ aus dem File-Menü oder aber per drag & drop aus dem Apple Finder oder Windows Explorer in die Spurleiste, die sich jeweils am linken Rand des Edit- und des Mix-Fensters befindet. Optimal funktioniert das, wenn Ihr in den Preferences (Voreinstellungen) ein Häkchen bei „Copy files on import“ gesetzt habt. Dann wird jedes Audiofile beim Import automatisch in den Ordner Audio Files der Session kopiert. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Import über das Menü oder drag & drop erfolgt.
Kleiner Tipp am Rande: Seit Version 10 kann Pro Tools auch Interleaved Stereo Files verwalten, wenn man diese Möglichkeit beim Anlegen der Session auswählt.
Für dich ausgesucht
Beim Import der Datei über das Menü fragt Pro Tools, ob das Audio File auf einer neuen Spur angelegt werden soll und an welcher Position. Beim Import per drag & drop wird automatisch eine neue Spur erzeugt und das File am Session Start angelegt. Das ist für unsere Zwecke auch völlig in Ordnung.Ich gehe davon aus, dass Ihr einen Vorlage-Song importiert habt, dessen Tempo und Groove ermittelt werden soll. Solltet Ihr einen schon korrekt geschnittenen Drumloop anlegen wollen, könnt Ihr den folgenden Abschnitt überspringen und erst bei Identify Beat wieder einsteigen.
Den richtigen Ausschnitt wählen
Unser Vorlage-Song fängt mit einem Beat-freien Intro an und nimmt erst im Laufe der ersten Strophe so richtig Fahrt auf. Wir müssen uns nun einen gut loopbaren Abschnitt suchen und freistellen, sprich links und rechts schneiden. Für Schnitte und andere sich ständig wiederholende Aufgaben ist es sinnvoll, den Command Keyboard Focus einzuschalten und eine englische Tastatur zu benutzen, bei der die Tasten zum Teil etwas anders angeordnet sind. Der Command-Modus legt viele wichtige Pro Tools-Funktionen direkt auf einzelne Tasten. Damit sind arbeitet es sich unglaublich schnell. Der Befehl zum Schneiden eines Clips an der Cursor-Position ist die Taste „B“.
Bevor wir schneiden, wählen wir einen passenden Abschnitt, zum Beispiel zwei oder vier Takte, aus und lassen diesen Bereich per Loop-Play wiederholt abspielen. Erst wenn die Grenzen so gut gesetzt sind, dass der Abschnitt rund läuft, drücke ich die Taste „B“, um diesen Abschnitt freizustellen. By the way: Alle diese Arbeiten führe ich natürlich im Slip-Modus aus, keiner der anderen Edit-Modi würde an dieser Stelle Sinn machen.
Identify Beat (Takt-/Schlag-Marker hinzufügen)
Die Funktion „Identify Beat“ befindet sich im Event-Menü und kann auch über das Tastaturkommando Command I aufgerufen werden. Bevor ich die Funktion aufrufe, muss der Abschnitt dessen Tempo berechnet werden soll, selektiert sein. Das geht in unserem Fall besonders einfach, weil wir den Bereich ja zu einem eigenen Clip gemacht haben. Außerdem ist es wichtig, dass der Conductor Track (die Dirigentenspur) eingeschaltet ist, Pro Tools also Tempowechsel in die Tempo-Zeitleiste schreiben kann.
Wenn sich das Identify Beat-Fenster öffnet, ist die Startposition des Clips schon richtig gesetzt. Am einfachsten geht das natürlich, wenn ich den freigestellten Clip gleich auf einen Taktanfang setze. Der wichtigste Schritt ist der folgende: Gebt in das Ende-Feld die Taktposition ein, an der das Audiofile nach der Beat-Erkennung enden soll. Ein Beispiel verdeutlicht das: Startet meine Abschnitt bei Takt 7 und ich habe einen zweitaktigen Abschnitt ausgewählt, muss ich als Ende-Position Takt 9 eintragen. Anschließend müsst Ihr nur noch auf OK klicken und schon setzt Pro Tools in meinem eben gewählten Beispiel an Takt 7 einen Tempowechsel, der das Tempo des selektierten Abschnitts hat, so das der Clip bei Takt 9 endet. Am besten überprüft Ihr das mit dem Click Track. Falls Ihr in der Session noch keinen angelegt habt, geht es am schnellsten über die Funktion „Create Click Track“ im Menü Track. Wenn Ihr alles wie oben beschrieben gemacht habt, sollte der Click synchron zum betreffenden Audio File tickern.
Weitere Schritte
Wer nur einen zweitaktigen Drumloop am Session-Start angelegt hat, ist nach diesem Schritt schon so gut wie fertig. Zumindest mit dem Raster, die Song-Produktion geht dann ja erst meist los. Wer, wie in meinem Beispiel geschildert, mitten im Titel geschnitten hat und jetzt den Clip nach links und rechts aufziehen will, muss noch zwei Details beachten: Identify Beat hat an der Startposition des Songausschnitts einen Tempowechsel erzeugt. Wenn ich den Clip nach links aufziehe, liegt dieser Bereich nicht im Grid, weil Pro Tools dort noch ein anderes Tempo hat. Man könnte vermuten, dass sich das Problem erledigt, wenn man einfach am Session-Anfang einen Tempo-Marker mit dem gleichen Tempo erzeugt. Das Gegenteil ist der Fall. Wenn ich so vorginge, würde Pro Tools zwar ein einheitliches Tempo über die gesamte Songlänge haben, das Taktraster würde sich aber unter dem Audio Clip verschieben.
Um in meinem Beispiel zu bleiben: Der ursprünglich auf Takt 7 startende Clip beginnt dann etwa auf Position 5.4.673 oder einer anderen kryptischen Position. In Pro Tools liegen Audio Clips nämlich Standard-mäßig auf einer starren Zeitachse, den Samples. In der Pro Tools-Sprache sagt man, Audiotracks sind Sample-based. Für viele Anwendungen ist das auch richtig und wichtig. In diesem Fall, in dem ich in einem Sequencer-Raster arbeiten will, schalte ich die betreffende Spur einfach auf Tick-based um, bevor ich das Tempo am Session-Anfang ändere. Jetzt klebt der Clip am Raster und verändert seine Position entsprechend mit.Identify Beat lässt sich natürlich auch benutzen, um einer Aufnahme ein Raster zu verpassen, die ohne Click aufgezeichnet wurde. Vermutlich muss man zwar alle zwei bis vier Takte einen neu Tempo-Marker setzen, aber es ist immerhin möglich. Liegen alle Files erst einmal im Taktraster ist anschließend das Schneiden, Kopieren und Verschieben umso einfacher. Und das Programmieren von Software-Instrumenten über MIDI geht ebenfalls viel zügiger.