Praxis
Inbetriebnahme
Der Test startet mit dem beeindruckenden Erstkontakt mit dem Touchscreen: Denn eine so responsive Multitouch-Oberfläche wie die des EssenceFM MKII habe ich noch nie unter den Fingern gehabt (und ich hatte wirklich schon mit vielen Touch-sensitiven Displays zu tun). Das Display reagiert so schnell und so genau auf sämtliche Fingergesten, dass man es schon nach kürzester Zeit nicht mehr als Zwischen-Instanz zwischen Klangerzeugung und Benutzer wahrnimmt – es „ist“ der Synth. Alle Parameter sind dabei so gut skaliert, dass sie sich präzise mit dem Finger anfahren lassen. Fast auf allen Seiten der Benutzer-Oberfläche finden sich – farblich entsprechend der Encoder markiert – Parameter, die sich direkt über die rechts neben dem Display befindlichen Endlos-Encoder bedienen lassen. Warum allerdings Frequenz und Resonanz im Bereich des Filters nicht auf die Encoder gemappt wurden, ist mir ein Rätsel. Bitte noch nachholen, Kodamo. Dass die Potis zwar endlos sind, die Poti-Köpfe aber Markierungen haben, ist eigentlich unsinnig – stört aber nicht. Vielleicht empfand der Designer das als schlüssiger oder es gab einfach keinen Hersteller, der bunte Poti-Köpfe ohne Markierung im Programm hat. Den sehr dezenten Bestätigungs-Klick bei Bildschirmeingaben, der direkt aus dem Gerät kommt, habe ich bei der Arbeit als ausgesprochen angenehm empfunden – er lässt sich aber auch deaktivieren.
Handhabung
Überhaupt gibt sich der EssenceFM MKII – respektive sein Bedienkonzept- sehr viel Mühe, dem Anwender in den Tiefen des Sounddesigns bestmöglich zur Seite zu stehen. Zu nennen wären hier zunächst mal das Undo/Redo-Tasten-Duo, welches an prominenter Stelle sitzt und 1024-Arbeitsschritte wiederholen oder rückgängig machen kann – das sollte reichen, um einen vermurksten Sound wiederherzustellen. Rechts daneben dann ein Duo aus den Rechner-typischen Funktionen Copy/Paste, mit dem sich so ziemlich jedes Element der Klangerzeugung kopieren lässt. Direkt vom Display aus steht an vielen Stellen die so genannte „Swap“-Funktion zur Verfügung, über die sie temporär ein anderes Element (Voice, Patch, Parameter, etc.) zum Vergleichen aufrufen lässt. Hat man kein Keyboard zur Hand, ruft ein Druck auf den Preview-Taster eine frei definierbare Sequenz ab. Eine weitere Spielmöglichkeit ohne externe Hardware hält der Menüpunkt „TouchPiano“ bereit. Hier verwandelt sich das Display in eine chromatische Tastatur, die sechzehn Halbtöne umfasst.
Über den zuschaltbaren Punkt Velocity befehligt man hierüber sogar die Anschlagsstärke (unten = leise, oben = laut) und generiert sogar MIDI-Daten für externe Klangerzeuger. Panic bewirkt ein augenblickliches Ende der Klangwiedergabe inklusive langer Release-Zeiten und Effekt-Nachklänge. Apropos Nachklänge: ich vermerke positiv, dass Klänge beim Soundwechsel nicht abgeschnitten werden, sondern bis zum Ende ausklingen. Einen kleinen Minuspunkt gibt es allerdings für den Umstand, dass – steckt man zunächst mal eine DIN-MIDI-Quelle ein und danach eine USB-MIDI-Quelle – kein Umschalten oder gleichberechtigter Zugriff möglich ist. Ich musste den Synth erst neu starten, um den Port-Wechsel wirksam werden zu lassen. Apropos USB-Port: wer hier hofft, dass sich der EssenceFM MKII gegenüber dem Rechner als Multi-IO-Audioschnittstelle zu erkennen gibt, wird enttäuscht – zum Mixdown muss man über wohl oder übel den Weg über die analogen Einzelausgänge wählen. Einen kleinen Workaround bietet allein die USB Audio Rendering-Funktion. Mit ihr wird das Signal aus einem der Ausgänge (wählbar) mit 16 oder 24 Bit direkt in einer Wav-Datei geschrieben und auf einem angeschlossenen USB-Medium gespeichert.
Insgesamt hat man an vielen Stellen den deutlichen (und guten) Eindruck, dass sich die Entwickler wohl sehr genau die Bedienvorteile von Rechner-basierten Synthesizer-Plug-Ins gegenüber klassischen Hardware-Digitalsynthesizern angeschaut haben, um diese in ihren Synthesizer zu überführen. Zu nennen wäre hier beispielsweise das automatische Adressieren von CC-Werten durch Bewegen am Controller oder das Definieren von Layer-Bereichen via MIDI-Learn, aber auch die vielen – am Touchscreen animiert dargestellten – Bedienfunktionen, wie etwa die Visualisierung des Pegels innerhalb der Operator-Symbole, der animierte Signalfluss in den Effekt-Einheiten oder die Bewegung des Cursors in den Hüllkurven.
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Voices
Wir starten unsere Ersterkundung im Bereich der einfachen Voice. Hier warten sechs Oszillatoren/Operatoren auf ihren Einsatz. Jeder von ihnen kann einfach nur mit einer der 48 editierbaren Wellenformen vor sich hin schwingen oder durch simples Drag’n’Drop am Display mit einem anderen Oszillator verbunden werden, woraufhin sich augenblicklich die namensgebende klangliche Frequenzmodulation zwischen beiden Oszillatoren einstellt. FM-Einsteiger sind an diesem Punkt immer gut beraten, mit zwei Oszillatoren zu starten, von denen einer in einem einfachen Intervall (Quint, Oktave) verstimmt ist. Der EssenceFM MKII unterstützt das durch den Parameter „Frequency Multiplier“. In unter einer Minute hat man so ein einfaches FM-Glöckchen zusammen gewischt. Zur besseren Kontrolle lässt sich jeder Oszillator stumm oder solo schalten. Alte Klang-Hasen, die noch aktive Zeitzeugen der Bedienung von Yamahas DX-FM-Synthesizer-Serie sind, dürften schon an diesem Punkt ein bisschen melancholisch werden. Denn a.) merkt man an dieser sensationell einfachen und effektiven Bedienung in aller Deutlichkeit, dass man mindestens 40 Lebensjahre auf dem Zähler hat und b.) wird einem schmerzlich klar, dass man einen nicht unerheblichen Anteil dieser Jahre mit – im Vergleich zur geradezu spielerischen Interaktivität und Einfachheit des EssenceFM MKII – absolut miserablen Editier-Schnittstellen verbracht hat.
Jeder Operator verfügt über eine eigene Volume- und Pitch-Hüllkurve. Wobei auch hier das Einzeichnen mit den Fingern wunderbar einfach von der Hand geht. Noten anfassen, bewegen, die Hüllkurven-Ansicht mit zwei Fingern zoomen/stauchen, bei Bedarf eine weitere Note mit dem Plus-Symbol ergänzen und gegebenenfalls noch einen Loop zwischen zwei Punkten ergänzen, geht ohne ein Blick in das Handbuch von der Hand. Auch und besonders, da ein kleiner Abspielcursor zweifelsfrei signalisiert, an welcher Stelle des zeitlichen Verlaufs man sich wann gerade befindet. Ebenso simpel modifiziere ich pro Oszillator die Lautstärken-Skalierung, die Anschlagempfindlichkeit und den AM- (Lautstärke) und FM- (Frequenz) Anteil, den der LFO auf den Oszillator hat. Eine Ebene höher liegen dann die Steuer-Parameter der gesamten Voice, wobei ich mir im Zuge eines Updates noch eine deutlichere visuelle Orientierung wünsche (beispielsweise in der Navigations-Leiste, oben links), ob man sich gerade auf Operator- oder Voice-Ebene befindet. In dieser Ebene hat man im Reiter „Base“ Zugriff auf verschiedenste Stimmungen, eine Algorithmen-Bibliothek und einen, selektiv auf verschiedene Parameter adressierbaren Zufallsgenerator.
Im nächsten Reiter folgt der LFO, der wahlweise frei oder MIDI-synchron mit jeder der 48 Wellenformen der Oszillatoren schwingen kann und das mit einstellbarem Attack, Delay, Offset und einem Maskierungs-Parameter, mit dem sich der Schwingungsgraph dramatisch ändern lässt. Danach reiht sich das Filter ein, welches wahlweise als High- oder Lowpass, mit einstellbarer Resonanz und ebenfalls einer dynamischen Hüllkurve auf den Klang einwirkt. Hier fand ich eine der wenigen Stellen, wo mir die grafische Aufbereitung nicht so recht zu gefallen wusste, denn gewohnheitsmäßig rechnet man eigentlich immer mit Frequenz als erstem und Resonanz als zweitem Parameter – hier ist es umgekehrt. Auch würde ich mir irgendeine visuelle Entsprechung für das stufenlose Regeln zwischen High- und Lowpass-Charakteristik wünschen. Schlussendlich wäre da noch mein Wunsch nach unterschiedlichen Filtermodellen, idealerweise sogar mit wählbarer Güte (6,12,18,24 dB).
Vorletzter Reiter ist dann die Modulationsmatrix mit acht frei adressierbaren Verknüpfungen. Als Quellen kommen beispielsweise sämtliche Volume- und Pitch-Hüllkurven, Spielparameter (Anschlags- und Release-Stärke, Anzahl der Noten, Pitchbend etc.), aber auch die komplette Palette externer CC-Kommandos in Betracht. Mehr noch: Der EssenceFM MKII hat eine MIDI-Learn-Funktion und registriert auf Wunsch das von einem Controller gesendete Kommando – toll. Am Schluss wartet noch eine letzte Hüllkurve darauf, das Panning der gesamten Voice dynamisch zu erledigen.
Effekte
Sechs Operatoren/Oszillatoren die sich bei insgesamt 300 Stimmen bedienen können? Das ist weitaus mehr als das, was einem klassischen Analogsynthesizer für sein Klangrepertoire zur Verfügung steht. Entsprechend kann und darf der Anwender – je nach Workflow – auch einfach „nur“ auf der Voice-Ebene bleiben. Das wird man sich auch bei Kodamo gedacht haben und so lassen sich die beiden Effekt-Einheiten auch schon auf der Voice-Ebene applizieren. Geboten wird hier ein reichhaltiges Arsenal von 24 Effekt-Programmen (pro Unit), das von verschiedenen Hallprogrammen über Modulationseffekte und Verzerrer, bis hin zu Bitcrusher, Ringmodulation, Shimmer und einem Phaseshifter reicht. Beide Effekt-Units können parallel oder seriell geschaltet werden, wobei der Effektanteil insgesamt und pro Unit frei einstellbar ist.
Patches
Möchte man den so erstellten Sound noch mit anderen Klängen paaren, genügt ein Druck auf die Schaltfläche „Create Patch From“ und die aktuell ausgewählte Voice wird in einen wählbaren neuen Patch-Speicherplatz geschrieben. Sparsam muss man mit den Speicherplätzen sowohl im Bereich Voice wie auch Patch nicht sein, denn bei beiden stehen jeweils 24 Bänke (A-Z) mit jeweils 128 Einträgen zur Verfügung. 3072 Speicherplätze also – das sollte für die eine oder andere Sounddesign-Session reichen. An Performance-Programmen sind dagegen nur 256 vorgesehen, aber auch damit sollten sich einige Live-Sets und Studio-Sessions bestreiten lassen. Zurück zu unserem Patch: Neue Layer (mit anderen Voice-Programmen) ergänzt man durch Drücken von „Add“. Bis zu 128 Layer sind hier maximal möglich. Auf diese Weise lassen sich mit dem EssenceFM MKII tatsächlich ganze Drum-Kits realisieren.
Was noch dadurch geheckspoilert wird, dass sich beliebig viele Exclusion Groups (beispielsweise um den Nachklang einer offene Hi-Hat von der geschlossenen abzuschneiden) und ein „Round-Robin“-Slot (zur Variation beispielsweise einer Snare) definieren lassen. Jedes Layer kann dabei in Bezug auf seinen Klaviatur- (mit Learn-Funktion) und Anschlagsstärken-Bereich frei konfiguriert werden. Spätestens an diesem Punkt lohnt es sich, den extrem leistungsfähigen Voice-Sequencer ins Spiel zu bringen. Dieser bietet für jede Voice innerhalb eines Patch eine eigene Sequenzer-Spur mit bis zu 128-Events in frei wählbarem metrischen Raster und der Wahlmöglichkeit, ob die Sequenz einmalig oder geloopt laufen soll und ob sie jeweils neu gestartet wird oder im Hintergrund weiterläuft. Für jedes Event lässt sich dann festlegen, ob und wenn ja wie weit es in Bezug zum Grundton transponiert werden soll und wie lang die Note klingen darf.
Performance
Oberste und mächtigste Hierarchie-Ebene ist der Performance-Modus, in dem der EssenceFM MKII über verschiedene MIDI-Kanäle wie ein 16-fach multitimbrales Soundmodul angesprochen werden kann. Auch die globale Adressierung von MPE-Kommandos und die Zuweisung der sechs Encoder auf Controller-Adressen ist von hier aus möglich. Hat man die sechzehn Parts entsprechend bestückt, in der Lautstärke und Panning abgestimmt, verewigt man die Performance in einem von insgesamt 256 Speicherplätzen.
Klang
Was beim Durchhören der reichhaltigen Werks-Presets zunächst einmal auffällt, ist der Umstand, dass der EssenceFM MKII zu einem wirklich breiten Spektrum an Klangepisoden fähig ist und sich gar nicht so recht in die klassische FM-Richtung pressen lassen will. Klar, typische FM-Klassiker wie obertonreiche Plucker-Bässe, glockige E-Pianos und klassische Orgel-Sounds beherrscht er aus dem Effeff. Auch fein texturierte Pads mit organisch mäanderndem Obertonspektrum liegen dem EssenceFM MKII sehr. Er kann aber auch erstaunlich warm, dicht und lyrisch klingen – stellenweise fühlte ich mich hier an Qualitäten eines Prophet VS erinnert. Was er dabei nicht ganz erreicht, ist die geradezu autoritäre Bestimmtheit, mit der das analoge Sequential-Filter durch den Klang schneidet. Hier gibt sich der EssenceFM MKII ein Stück weit zurückhaltender. Insgesamt scheint der Programmierer der Werkspresets hörbar ein bisschen unter Zeitdruck gestanden zu haben, denn in Bezug auf ihre Komplexität ist hier noch einiges mehr drin.
Chris sagt:
#1 - 10.08.2021 um 10:17 Uhr
HAllo
Chris sagt:
#1.1 - 10.08.2021 um 10:18 Uhr
Hallo nochmal
Antwort auf #1 von Chris
Melden Empfehlen Empfehlung entfernenMerlin Erdogmus sagt:
#1.1.1 - 18.03.2023 um 20:51 Uhr
Hallo zurück. :)
Antwort auf #1.1 von Chris
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