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Können Demos das Tonstudio ablösen?

Wer kennt es nicht: Man schreibt eigene Songs und nimmt diese (zu Hause) roh und unbefangen als Demo auf – mit der Intention, sie später in einem Tonstudio mit Band und Produzent/in „professionell“ aufzunehmen. Schließlich vergleicht man das Profi-Produkt mit dem ursprünglichen Demo und merkt: Irgendetwas fehlt. Die Emotion und Stimmung des unbefangenen Demos ist stärker und überzeugender als auf der aufwendigen Studio-Aufnahme. Woran liegt das? Wie lässt sich bei der Musikproduktion der Spirit des Demos erhalten? Oder kann das Demo auch das finale Studio-Produkt ersetzen? Zu diesen und weiteren Fragen haben wir uns für euch Gedanken gemacht.

(Bild: © Shutterstock, Foto von VGstockstudio)
(Bild: © Shutterstock, Foto von VGstockstudio)
Inhalte
  1. Der Reiz des Demos
  2. Das Demo als Endprodukt
  3. The Modern Way: Building from the Demo
  4. Die Vorzüge der Tradition
  5. Den Vibe des Demos erhalten: Geht das?

Der Reiz des Demos

Die Aufnahme einer musikalischen Performance beinhaltet immer auch die Dokumentation eines bestimmten Momentes. Der Charakter der Aufnahme ist unweigerlich gebunden an den Gemütszustand von Performer/in oder Band in ebendiesem Moment. Ob wir gerade traurig, wütend, hoffnungslos, euphorisch sind … all diese Emotionen fließen auf direktem Wege in das Recording – der Moment wird für immer festgehalten, wie eine Art Foto. Er ist niemals in der identischen Form rekonstruierbar. Diese Emotionen, die mitunter den Kern des Songs ausmachen können, nehmen wir später als Hörer/innen einer Aufnahme wahr.
Wenn wir einen Song schreiben, schneiden wir zunächst eine Rohversion davon mit, um uns später an unsere Idee erinnern zu können. Dieses „Demo“ ist oft die ehrlichste und direkteste Version eines Songs, bevor er äußerem Feedback und einer womöglich aufwendigen Produktion unterzogen wird. Und genau das macht das Demo so reizvoll: Es ist die Momentaufnahme unserer unverbrauchten, puren Emotion, die wir als Instrumentalist/innen und Künstler/innen mit einem Song verbinden. Diese Emotion erzeugt wiederum die Energie und Magie, nach der wir als Musiker/innen streben.
Dennoch sind wir im Allgemeinen der Meinung, die Demoversion sei noch unfertig in Sachen Arrangement und Produktion, und die Performance vielleicht noch nicht „perfekt genug“. Vielleicht wurde das Demo zudem auch nur recht „LoFi“ mit einem Handy-Mikrofon aufgenommen. Deshalb tendieren wir dazu, die Songs neu und professionell aufzunehmen und produzieren zu wollen/müssen. In diesem Graben zwischen roher Demo-Performance und hochqualitativer, ausgeklügelter StudiopProduktion bleiben oft genau die Emotionen zurück, die den Drive und die Basis des Songs ausmachen.

Das Demo als Endprodukt

„(…)After many experiments we (…) decided that we liked the acoustic stuff—those first demos—better than any of the other experiments we tried. So we decided that’s what the first album should be.“
Rick Rubin, Interview mit „Performing Songwriter“ Ausgabe 79, Juli/August 2004
Der Star-Produzent Rick Rubin beginnt Mitte der 90er Jahre eine Zusammenarbeit mit Country-Legende Johnny Cash. Trotz hohem Budget und knapp zwei Jahre andauernder Produktionsexperimente werden schließlich die ungeschliffenen Akustik-Demos aus Rubins Wohnzimmer veröffentlicht und ein großer Erfolg für Cashs Comeback. Etwa zehn Jahre später schließt sich ein deprimierter, perspektivloser Justin Vernon in die Jagdhütte seines Vaters ein und nimmt dort allein und mit nur einem Mikrofon rohe Versionen seiner melancholischen Songs auf, die er kurz darauf auf MySpace hochlädt. Das Album „For Emma, Forever Ago“ wird kurze Zeit später über ein Label re-released und ein Riesenerfolg, der Justin Vernons Projekt „Bon Iver“ den Weg zu einem der etabliertesten und angesehensten Indie-Acts der 2010er Jahre ebnet.
Es gibt diverse solcher Erfolgsgeschichten, die zeigen: Es existiert bei einer Aufnahme oder Produktion keine allgemeingültige Unterscheidung zwischen „Demo“ und „fertiger Produktion“. Mittelmäßig klingende Demo-Aufnahmen können erfolgreicher sein als polierte, durchdachte Studioproduktionen – und umgekehrt. In der Popmusik geht es nun mal öfter um den „Vibe“ als um das technisch perfekte Spiel oder Arrangement.
Jedoch habt ihr schon Recht, wenn ihr nun denkt: „Aber ich kann doch nicht mein Smartphone-Memo veröffentlichen“. Das mag tatsächlich nicht immer die beste Idee sein, aber zum Glück haben wir heutzutage Zugriff auf hochwertiges und trotzdem bezahlbares Studio-Equipment. Diesen Umstand können wir uns zunutze machen. Ich stelle jetzt mal die steile These auf: Je nach Genre und Anspruch brauchen wir heutzutage nicht mehr zwingend große Tonstudios, um unsere Songs in guter Qualität aufzunehmen.
Mit einem kleinen Homestudio-Setup können wir bereits unser Demo-Recording als Basis für eine ganze Produktion nutzen. So lässt sich die ursprüngliche Begeisterung der Künstler/innen vom Demo-Stadium bis zum Endprodukt erhalten. Die Prozesse des Writing und Recordings müssen nicht mehr getrennt werden, sondern können heutzutage unkompliziert verbunden werden. Tatsächlich ist diese Arbeitsweise im Zeitalter digitaler Musikproduktion sehr verbreitet und beliebt, denn sie ist intuitiver – und günstiger als eine aufwendige Produktion in einem großen Tonstudio.

The Modern Way: Building from the Demo

Pro
Selbst im professionellen Umfeld vermischen sich die Prozesse vom Writing bis zum Produkt immer häufiger. Der Künstler kommt mit einer frischen Song-Idee direkt zur Produzentin. Zusammen wird der Song weiterentwickelt und zeitgleich ein Beat bzw. ein Playback dazu gebaut. Im Handumdrehen ist die grundlegende Produktion parallel zum Songwriting entstanden – samt der bereits angesprochenen Naivität und Begeisterung des Künstlers. Durch die modernen Produktionsmöglichkeiten klingt dieser erste ‚Beat‘ meist schon sehr gültig. So kann er als Grundlage für alle weiteren Produktionsschritte dienen und hat sein Herz ebenfalls im Moment des Demos. Immer öfter produzieren die Künstler/innen ihre Songs auch selbst, da ihnen durch preiswerte, hochwertige Produktionssoftware nicht mehr der Weg zu gültig klingenden Sounds und Effekten versperrt.
Kontra
Dieser „Modern Way“ wird natürlich aufwendiger und lähmend, wenn man mit der ganzen Band seine Songs erarbeiten und produzieren will. Ein echtes Schlagzeug lässt sich nämlich nicht so einfach aufnehmen wie etwa eine Gesangs-Performance oder Keyboard-Sounds. An dieser Stelle muss man sich also doch wieder für die guten alten Tonstudios aussprechen, deren Technik und Akustik perfekte Bedingungen für gute Aufnahmen bieten.

Die Vorzüge der Tradition

Hochwertige Studios empfehlen sich weiterhin beispielsweise für Instrumental-Jazz, wo der detailreiche Klang der Instrumente oft eine wesentliche Rolle in der Aufnahme spielt. Jegliche Form von Drums/Percussion und Streichern wie Bläsern sind in ihrem Klang stark raumabhängig. Ein für Musikaufnahmen akustisch bearbeiteter Studioraum liefert hier unter Umständen deutlich bessere Ergebnisse als der kalte Probebunker. Und trotzdem ist es nicht ausgeschlossen, dass man nach einigen Tagen im Studio zugeben muss: Der Song hat im Studio seine Emotion und Einzigartigkeit “verloren”, das Demo überzeugt mehr.

Den Vibe des Demos erhalten: Geht das?

Da stellt sich die Frage, wie man den Vibe des Demos auch im Studioprozess erhalten kann. Es gibt einige Tricks und Ansätze, die wir euch jetzt vorstellen möchten:
1. No Distractions!
Um bei einer Aufnahme die Magie des Momentes festzuhalten, muss diese Magie erst einmal entstehen können. Das wird schwierig, wenn ihr euch als Künstler/in im Studio um etwas anderes kümmern müsst als um eure Performance!
Kaffee kochen, am Smartphone den Sommerurlaub organisieren, technische Probleme lösen … es gibt viele Möglichkeiten, sich vom eigentlichen Kern der Sache, dem Moment der Performance, ablenken zu lassen. Deshalb solltet ihr die Aufgaben und Rollen im Studio möglichst so aufteilen, dass niemand überarbeitet ist und vor allem der/die Sänger/in nicht unnötig von seiner/ihrer Aufgabe abgelenkt wird: Dem Abliefern einer emotional überzeugenden Performance. Nur so kann man sich in die „Zone“ begeben und möglicherweise den Vibe wiederherstellen, der schon beim Entstehen des Songs da war.
Et voilà, zurück ist die Magie!
2. Das Proberaum-Studio
Wie bereits erwähnt arbeiten Produzent/innen und Solo-Künstler/innen heutzutage immer häufiger mit ihrem Homestudio-Setup im Schlafzimmer. Also die Band ins Schlafzimmer stellen? Die Lösung ist so naheliegend wie einfach: Das Home-Studio zieht mit in den Proberaum! Ihr findet in unserem Recording-Ressort verschiedene Ansätze und Workshops, wie sich bereits mit günstigen Mikrofonen und Preamps hochwertige Aufnahmen erzielen lassen. Mit ein wenig technischer Vorarbeit könnt ihr euch ein Recording-Setup im Proberaum installieren, mit dem ihr frisch erarbeitete Songs auf mehreren Spuren direkt mitschneiden könnt. Oft kommt es vor, dass diese Aufnahmen später die Basis für die finale Produktion liefern. Dieses Prinzip kann noch weiter gedacht werden, indem ihr beispielsweise in einem Ferienhaus ein komplettes Studio installiert und euch ungestört vom Arbeitsalltag gänzlich und allein den eigenen Songs widmet.

3. Meditation
Ein letztes und sehr effektives Mittel, sich voll und ganz auf den Song und seine Emotionen zu konzentrieren, ist jegliche Form von Meditation. Sie sensibilisiert euch dafür, im Moment zu bleiben, eure Gedanken zu sortieren und euch so voll und ganz auf den Song und seine Performance zu konzentrieren. Viele Musiker/innen nutzen Meditation vor Konzerten oder Studioaufnahmen, um sich zu „nullen“ und die gesamte Energie für diesen einen Moment zu bündeln. Und das bewährt sich oft. Natürlich ist dieses Prinzip nicht jedermanns Sache, aber in jedem Fall einen Versuch wert.
4. Ein langer Weg
Von Zeit zu Zeit kann der Prozess, zum Vibe des Demos zurückzufinden, auch einige Umwege und frustrierende Monate mit sich bringen. Wenn bereits alle oben beschriebenen Tricks vergeblich ausprobiert wurden und auch das Demo selbst sich nicht zur Veröffentlichung eignet, ist damit nicht gesagt, dass es nicht noch andere Möglichkeiten gibt. Manche Songs und Produktionen erstrecken sich über Monate oder sogar Jahre, bis das Gefühl eintritt, dass sie fertig sind. Produzent/innen versuchen sich an verschiedensten Versionen mit unterschiedlichen Musiker/innen wie beispielsweise beim jüngsten Chart-Hit „The Middle“ von Zedd/Grey, bei dem sage und schreibe 14 verschiedene Sängerinnen ausprobiert wurden, bis das Produktionsteam bei Maren Morris endlich das Gefühl hatte: „That’s it“.
Video: Zedd, Maren Morris, Grey – The Middle

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Fazit

Schlussendlich lässt sich nie genau sagen, welche Form von Aufnahmeprozess einem Song am ehesten gerecht wird. Dazu gibt es zu viele unterschiedliche Arten von Musik und jeder Song hat sein ganz eigenes Gerüst, auf dem er funktioniert. Manche brauchen akustische und technische Perfektion, andere leben von Diktiergerät-Qualität. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass der emotionale Moment bei einer Performance meist ausschlaggebend für ihre Überzeugungskraft ist – das solltet ihr stets beherzigen. Wie und wo eine solche Magie erzeugt wird, das variiert je nach Song, Künstler/in oder auch Produzent/in. Letztendlich geht es darum, herauszufinden, ob ihr besser im Tonstudio oder in der heimischen Küche performt und davon ausgehend Entscheidungen über die Form der Aufnahme trefft. Es lohnt sich dabei, konventionelle Produktionsmethoden zu hinterfragen und zu überprüfen, ob es nicht Wege gibt, die für euch besser funktionieren. Das ist manchmal ein langer Prozess – der sich aber immer lohnt. Und jetzt: RECORD ON!

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von Tom Gatza

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