Auch ich habe mal als Musiker in einer Band begonnen. Eine zeitlang funktionierte das sogar ziemlich gut – wir tourten mit ein paar dicken Namen, hatten den Major Deal in der Tasche und zerbrachen doch, wie die meisten Bands der Welt, an der größten Krankheit der Musikwelt: an unserem Sänger…
Als es so richtig los gehen sollte, war unser Sänger bereits „Rockstar“! Zu einem Zeitpunkt, wo es sinnvoller gewesen wäre, dem Produzenten den Aschenbecher zu leeren und den Kaffee warm zu rubbeln, kam der Gute einfach mal 3 Tage nicht ins Studio oder brachte Koks-Kollegen zum gemütlich „chillen“ ins Studio mit – statt seine Vocals weiter aufzunehmen. Allein die Aufnahmen unseres „Debüts“ verschlangen so 13 Monate, weil immer wieder mal 4 Wochen gar nichts ging. Wir brachen dann irgendwann ab, mit gerade mal der Hälfte der Songs „on Tape“. Das verband uns mit den Beatles und Modern Talking: Auch unseren Sänger gab es meist nur im Doppelpack! Nur dass unsere „Nebenwirkung“ weder Yoko noch Nora hieß, sondern auf den Namen Sandra hörte.
Doch zurück in die 90er, wo alles begann …
“Der Hansemann”, wie sich unser Sänger selbst die meisten Jahre seines Lebens nannte, verließ Mitte der Neunziger Jahre Hengelo in Holland um als Lichttechniker für Metalbands quer durch Europa zu tingeln. In der Schweiz verknallte er sich in ein Groupie, und da das Mädel aus Hamburg kam, entschloss sich Hans in die Hansestadt an der Elbe auszuwandern. Ich lernte Hans irgendwann – wie sollte es anders sein – Backstage bei einem Konzert kennen. Ich quatschte ihn dort ca. 2 Stunden im Pernod-Taumel auf englisch voll, bis er irgendwann trocken zu mir sagte: ” Ich spreche übrigens auch Deutsch!” Alle lachten – und ich quatschte einfach weiter mein bestes Kaudawenglisch.
Zwei Jahre später stieg der Hansemann in die Band ein, allerdings erstmal als Trommler. Seine erste und einzige Show als unser Drummer fand in der Nähe von Graz, auf dem Festival „Monsters Of Metal“ statt. Headliner waren an diesem Tag Saxon und Manowar, die wie die besengten Säue Backstage auf ihren Harleys rumheizten. Man lockte uns mit der Aussicht vor 20.000 Leuten zu spielen … es kamen leider nur vier. Wir fühlten uns trotzdem wie die Kings!!!
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Leider verhaute Hans die Show komplett und kam danach einfach nicht mehr zur Probe. Eine Woche vor der nächsten Show wurde er kommentarlos gegen Mario ersetzt. Der hatte zuvor schon u.a. für so illustre „Ösis“ wie Reinhard Fendrich, Falco oder Brunner & Brunner getrommelt. Metal, Alter!
Ein Jahr später lernten sich Mario und Hans per Zufall im „Skiurlaub“ auf dem Klo des Hamburger Grünspan Clubs kennen – passender Weise mitten im Konzert der Band „Methods Of Mayhem“ von Tommy Lee. Spontan wurde entschieden: Hans singt jetzt bei uns! Da ich mit der Koordination meiner Finger auf dem Griffbrett ohnehin schon genug gefordert war, freute ich mich, das Mikro endlich abgeben zu können. Als erste Amtshandlung schmissen die beiden dann gleich unseren zweiten Gitarristen Asgard, mit den Worten „Du solltest umgehend Deinen Verstärker aus dem Proberaum abholen, wir brauchen den ja jetzt nicht mehr, wo Du raus bist!“, aus der Band.
Nun ein Fast Forward zum 21.September 2001: Aufgrund der Anschläge des 11.Septembers sagten „Pantera“ und „Static-X“ ihre Teilnahme an der „Tattoo The Planet“ Festival Tour mit Headliner „Slayer“ ab. Unser Trommler Mario rief mich morgens an und fragte: “Sag mal Daniel – Du kennst doch die Jungs, die diese Tour veranstalten. Meinst Du, wir können mal anfragen ob wir bei der Hamburg-Show als lokaler Support mitspielen können?” Gesagt, getan. Ich rief den Promoter an, wollte gerade zur Betteltour ansetzen, als dieser fragte: “Sach‘ mal – könnt ihr nicht morgen um 11Uhr in Stuttgart sein? Dann könnt ihr auch gerne gleich die ganze Tour mitspielen…”
Im Tourbusiness geht es oft Schlag auf Schlag – da springt ein Support kurzfristig ab, und der Ersatz muss sich durch Spontaneität und Verlässlichkeit auszeichnen – doch einen Tag vor Tourbeginn ist schon extrem: kein Transporter, keinen Urlaub vom Job genommen – und noch keinen in der Band gefragt: “Klar!”, sagte ich ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. „Und wenn ich da alleine auftrete – wir sind am Start!“
12 Stunden später standen wir vor dem Proberaum und wollten einladen um der Welt unseren Metal zu bringen. Der Hansemann und seine Anstandsdame kamen, wie immer, pünktlich zwei Stunden zu spät. Was aber diesmal kein Problem darstellte, da wir ohnehin noch nicht los konnten: Mario hatte am Abend noch ein Mädel im „Goldie’s“ kennen gelernt und wollte im Proberaum noch auf die Tour, na ja, „anstoßen“: So was will schließlich gefeiert werden! (Laut Legende soll er die ersten Tage dieser Tour konsequent ihren Tangaslip getragen haben. Habe ich zwar nicht überprüft, doch niemand der ihn kennt, wird das auch nur eine Sekunde ernsthaft bezweifeln.)
Nach dem Beladen unseres Wohnmobils Modell „Container“ (Nightliner Deluxe) ging der Wahnsinn los. Sandra meldete sich das erste Mal zu Wort: “Ich will nicht, dass Du mitfährst auf die Tour. Du machst auf Tour bestimmt mit JEDER rum…Wenn Du in diesen Bus steigst, mache ich Schluss!”. Hans und Sandra waren mal wieder komplett voll irgendwelcher synthetischer Drogen und Alkohol – eine explosive Mischung, die dem Hansemann schon so manche unschöne Situation eingebracht hatte. So bemühten wir uns, die Sache schnell zu beruhigen: „Keine Angst, wir passen auf den Hansemann auf… der hat überhaupt keine Zeit Mist zu machen… wer interessiert sich denn schon für eine Vorband…“ waren unsere Argumente – leider wirkungslos. Sandra glaubte weder uns noch ihrem Freund. Und wer will ihr schon böse sein, schließlich hatte sie Hans ja genau so kennen gelernt…
Nach 1000 Liebesschwüren, wildem Angeschrei und dem Versprechen alle 2 Stunden anzurufen, stieg Hans endlich in den Bus und es ging doch noch los. Wir machten uns auf den Weg nach Böblingen, zur ersten Show. Während Mario, unser Roady Marc und ich wild headbangend zu den Klängen diverser Metal-Klassiker durch die Walachei düsten, Basser Thomas riss noch schnell eine Nachtschicht im Krankenhaus ab und sollte per Flugzeug nachkommen, verbrachte Hans seine 8 Stunden Fahrt am Handy mit Sandra. So langsam aber sicher schienen beide wieder runter zu kommen, denn der Ton beruhigte sich merklich. Ich schöpfte Hoffnung….
Da wir schon ein Jahr zuvor eine Tour mit Slayer gespielt hatten, gab es ein nettes Wiedersehen – und ehrlich, Backstage sind das richtig nette Jungs! Alle freuten sich auf die erste gemeinsame Show. Die Halle, die Bühne, der Backstagebereich, alles war irgendwie ein paar Nummern zu groß für uns… Um 18 Uhr sollte es losgehen. Gerade waren wir mit dem Change-Over fertig und standen quasi schon mit Klampfen um den Hals hinter der Bühne, als das Handy vom Hansemann klingelte …
„Das war’s, es ist aus – over-aus-und-vorbei! Ich habe Dich gewarnt. Und du hast mir nicht geglaubt!“, Sandras Worte trafen den Hansemann wie ein Dampfhammer. Er sagte zunächst nichts, aber wir alle bemerkten sofort an seinem entglittenen Gesichtsausdruck, dass die Sache hier ernst war. Hans war wie die meisten Sänger ein Sensibelchen und brach, noch mit dem Telefon in der Hand, heulend zusammen. Die „Bitch“ hatte genau den richtigen Zeitpunkt gewählt, um uns den größten Gig unserer bisherigen Bandgeschichte zu versauen – und es schien zunächst auch zu funktionieren: Tische und Stühle flogen im Backstagebereich durch die Luft und Hans wollte die Show platzen lassen. Thomas und ich redeten beschwörend auf ihn ein, als er plötzlich schrie: „Scheiß auf die Fo…, ich spiele den Gig für uns, Jungs!“, und wir spielten. Irgendwie.
Das härteste Metalpublikum der Welt vor der Bühne und der Sänger der verkackten Vorband heult sich die ganze Show über die Augen aus dem Kopf. Doch Hans zog die Nummer so gut es ging durch. Beim vorletzten Songs des Sets, dessen Text sich übrigens um gescheiterte Beziehungen drehte, verließ der Gute spontan die Bühne. Zum Glück waren wir an diesem Abend ohnehin so scheiße, dass es wirklich niemanden mehr störte …
Am Ende dieses unvergesslichen Konzertes mit einer wahren „Achterbahnfahrt der Emotionen“ fielen wir uns in die Arme. Wir schworen uns, dass uns Nichts und Niemand JEMALS würde trennen können. Wie falsch wir doch lagen: Wie es sich für schräge Situationen gehört, nehmen sie zum Ende hin immer noch groteskere Formen an. Als Hans im Backstage auf sein Handy sah, hatte Sandra ihm eine SMS geschrieben mit den Worten: „Ich liebe dich doch, will noch mit Dir zusammen sein. Alles gut!“
„Alle Bands enden in Wutanfällen, Tränen und Bitterkeit. Der Mythos, dass eine Band aus echten Kumpels besteht, die ausziehen gemeinsam die Welt zu erobern, ist reines Wunschdenken, damit wir weiterhin Schallplatten kaufen und Magazine lesen. Ein Mythos, den Bandmitglieder zu gern selbst glauben.“ Auch diese Worte aus THE MANUAL sollten für uns prophetisch sein.
Bis zum nächsten Mal auf der Welle Wahnsinn …
Daniel.
Bernd sagt:
#1 - 05.09.2011 um 14:07 Uhr
Wie wahr, wie wahr...
Ich bin auch vor vielen Jahren in meine (heute noch aktive) Band eingestiegen, eigentlich nur als Basser.
Kurz davor war auch der amerikanische Sänger nach seiner Zeit in der Army zurück in die USA gegangen und der Gitarrist wollte seinen Posten übernehmen, bis wir einen Sänger gefunden haben.
Ende vom Lied: ich habe ihn kurz singen hören, und nach einer ebenso kurzen Aussprache aller Mitglieder wurde beschlossen, dass ich der am wenigsten schlechte Sänger sei.
Also trällerte ich ab da meine Liedchen zum Bass, natürlich nur, bis wir einen richtigen Sänger gefunden haben!Was soll ich sagen...das ist jetzt 19 Jahre her...wir haben so manchen Sänger getestet.
Irgendwie scheint es da nur 3 Kategorien zu geben:- die, die singen können, aber menschliche Vollversager sind
- die, die menschlich ok sind, aber sowas von überhaupt nicht singen können, das aber nicht wissen, und
- die menschlichen Vollpfosten, die noch nichtmal gar nicht singen können, sich aber für die Allergrößten halten.Ich singe immer noch.
Nach 19 Jahren.
Dabei wollte ich doch nur Bass spielen...*heul*