Heute zeige ich euch mal, wie man aus 3.500 Mark Gage im Handumdrehen 13.000 Mark Schulden macht:
Mein Freund Timo war Cover-Mucker – das heißt er spielte die Songs von anderen Bands. Er lernte aber nicht nur deren Songs, sondern versuchte dem Original so nah wie möglich zu kommen. Er kaufte die Originalinstrumente, oder ließ sie nachbauen. Er kopierte Klamottenstil und Gestiken seines Vorbildes bis ins Detail – bis hin zur gleichen Unterhosenmarke. Timos Band war “Metallica” und er war Kirk Hammett.
Eigentlich ist Timo ein Sprücheklopfer, der immer alles doppelt so groß machte wie es war. Doch wenn es mal ans Eingemachte ging, wurden die Gespräche meist sehr tiefgründig. Eines Tages stellte er etwas sehr trauriges fest: “Wenn ich auf der Bühne bin, feiern mich die Leute wie das Original. Ich werde angehimmelt und sie strecken ihre Hände nach mir aus. Aber sobald ich die Gitarre wegstelle und von der Bühne komme, erkennt mich niemand mehr. Es ist, als würde ich vom Scheinwerferlicht in den Schatten treten. Für 90 min. bin ich der Star, doch danach bin ich wieder ein Niemand. Ein Halfstar!”
Ich lernte Timo 1997 kennen. Er war der Booker im “Jugenzentrum Scheune” in Ibbenbühren. Und ich versuchte ihm am Telefon die Kiss Tribute-Band “Love Gun” meines damaligen Chefs anzudrehen. Wir quatschten zwei oder drei Stunden am Telefon – über Musik, Bands und das Leben als Booker – und stellten schnell fest, dass wir so einiges gemeinsam hatten: “Ich habe übrigens auch eine Tributeband!”, gab Timo an, “wir spielen Metallica und haben einfach den besten James Hetfield überhaupt!” “Das trifft sich gut – ich bin nämlich der größte Metallica Fan überhaupt.”, antwortete ich. “Ja, wenn du Bock hast, kannst du gerne auch mal ein paar Gigs für unsere Band buchen!”, sagte er. “Habt ihr denn ein paar Demos für mich, mit denen ich arbeiten kann?”, fragte ich nach. “Wir arbeiten gerade an dem Demo für “Fade To Black” – schicke ich dir demnächst vorbei.”
Was Timo damals beim Gespräch verschwieg, war die Kleinigkeit, dass er weder eine Metallica Tribute Band hatte – noch einen Sänger. Er hatte lediglich mit ein paar Freunden mal einen Spaß-Gig in der Scheune gemacht, und der Sänger klang nicht wie James Hetflied von Metallica, sondern wie der Sänger von den Donots. Genauer gesagt, war der Sänger Ingo von den Donots. Aber weder Ingo, noch Bassist Jan-Dirk Poggemann hatten auch nur die geringsten Ambitionen in einer Metallica Tribute Band zu spielen.
Schon wenige Tage später hatte die imaginäre Band “Nutellica” (deren Name sich aus einer wundervollen Mischung aus Nutella und Metallica zusammensetzte), bereits erste Gigs in Aussicht. Timo rekrutierte schnell ein paar Freunde aus vielversprechenden Lokalbands und musste selbst an der Gitarre noch ordentlich reinkloppen – wollte er als Kirk Hammett nicht total versagen. Die Band war gut – und auch der Sänger lieferte einen hervorragenden James ab. Es folgten viele, viele Shows die ich mit der Band zusammen veranstaltete und viele tolle Abende, bei denen wir auf Kosten der Promoter so richtig die Sau raus ließen…
Doch wo viel gehobelt wird, da fallen bekanntermaßen auch immer viele Späne… Im April 2000 rief Timo mich mit einer etwas ungewöhnlichen Frage an: “Sag mal Daniel, würdest du mir bei deiner Band eine Emailadresse einrichten?” (Man darf nicht vergessen, im Jahr 2000 war das alles noch nicht so selbstverständlich wie heute mit dem Internet…) “Klar Alter – was brauchst du denn? ’timo@risingdown.de’ oder was?” “Nee, eher was Passenderes für mich. Wie wärs mit ‘dreilochschlampe@risingdown.de’ ?” (Genau Timos Humor, der sich auch heute noch gerne am Telefon mit den Satz “Wenner – so wie Penner, nur mit “W” wie Wichser!” meldet.) “Ich will bei Viva Zwei an einem Wettbewerb in der Sendung Kamikaze mitmachen. Die suchen das möglichst geschmackloseste Geburtstagsgeschenk für Niels Ruf – und du weißt ja, wie cool ich den Typen finde. Vielleicht lernt man sich dann mal kennen. Ich hab da schon was im Kopf …”
Ich musste Timo den Namen einrichten – nicht nur weil es irgendwie witzig war, sondern weil Timo sich ohnehin nicht mit einem “Nein” abspeisen lassen würde. Ich hielt in den folgenden Wochen Ausschau nach dem Gewinner des Wettbewerbs – und, oh Gott – schon wenige Wochen später stand der Gewinner fest und wurde feierlich von Niels Ruf mit den Worten verkündet: “Das Geschenk des Gewinners ist so dermaßen geschmacklos, dass sogar ich lange schlucken musste.” “Der Gewinner stand schon fest, als ich seine Emailadresse sah …” (Nein, der wird jetzt doch wohl nicht den Namen meiner Band dort nennen!!!)
“…der Gewinner ist unter der Emailadresse…”
(Nein, nein, nein…Bitte nicht….) “… unter der Emailadresse:…”
(Fette Einblendung – die Emailadresse steht riesig auf dem Bildschirm)“dreilochschlampe@-ppppiiiiiiiieeeeeeppp.de”
(Aaaaaahhhrrrrggggg – Glück gehabt – sie haben den Bandnamen weggepiepst.)
Doch womit hatte Timo eigentlich gewonnen? Die Antwort wurde den Zuschauern schon kurze Zeit später unter die Augen gerieben… “Eine Barbiepuppe? Ist das dein Ernst????”, fragte ich Timo lachend am Telefon.
“Ja Mann! Und hast du den geilen Sarg gesehen, den ich ihr gebaut habe?” Timo hatte seiner Schwester ‘ne Barbiepuppe geklaut und diese mit Tischtennisball-Möpsen nachgerüstete Schönheit in einem selbstgebastelten Sarg mit der Aufschrift “Lolo” verschickt.
Pornodarstellerin und Viva Zwei Kamikaze-Trailer-Modell Lolo Ferrari war nur leider wenige Wochen zuvor am Gewicht ihres getunes Vorbaus im Schlaf erstickt, so zumindest die offizielle Todesursache. Timo hatte es also geschafft nicht nur einen Bezug zur Sendung zu schaffen, sondern hatte seinem eigenen Geschmack folgend bei Niels Ruf total ins Schwarze getroffen.
“Niels hat Bock uns kennen zu lernen. Der Typ ist total riesiger Metallica Fan und hätte Bock ma zu uns auf die Bühne zu kommen!”, Timo war ganz aufgeregt am Telefon. “Ja geil – dann muss ich euch wohl mal einen Gig buchen.”, antwortete ich Timo. “Eh, jetzt wo du fragst – ich hätte da auch schon eine Idee. Kannst du uns nicht am 02.September was in Hamburg klar machen? Da ist Niels irgendwie auf so einer Veranstaltung und könnte hinterher zu uns stoßen. Aber es muss was Großes sein – ich hab keinen Bock mich mit solch einem Star zu treffen, und dann spielen wir im Headbangers. Wie wäre denn Markthalle oder die Freiheit?” schlug Timo vor.
“Timo, ich will dir ja nicht zu nahe treten – aber glaubst du ehrlich, dass ihr einen dieser Clubs voll bekommt?”, bohrte ich nach.
“Nur mit der Band nicht – aber wie wäre es, wenn ich eine Metallica Convention drum herum aufbauen würde… Ich kenne doch die Leute vom Fanclub alle. Da könnte man bestimmt ne kleine Messe drum herum basteln. Und abends spielen Nutellica dann als Headliner!.” Das könnte tatsächlich klappen. Und es sollte klappen. Genau den von uns gewünschten Tag hatte die Große Freiheit 36 (ein absoluter Topclub auf der Reeperbahn) noch frei und bot uns sogar eine fette Gage an. Die Arbeitsteilung war klar: Ich würde mich um den Club, die Werbung und die Organisation des Konzertes kümmern – Timo um die Messe! Ich ging ans Werk, ließ Flyer und Plakate drucken … und Timo? Timo fuhr in den Urlaub!
“Daniel, wie kannst du hier eigentlich so ruhig bleiben?”, schrie mich Barbara, die Bookerin der Freiheit am Handy an. “In 30 min. gehen hier die Türen auf, und es ist noch kein einziger Aussteller vor Ort.” “Barbara, es bringt doch nix, wenn ich hier jetzt auch noch ausflippe. Lass mich doch wenigstens mal mit meiner Band telefonieren!”, versuchte ich Barbara zu beruhigen. “Ich schwör dir, wenn die Nummer mit Niels Ruf auch nicht stimmt, dann wird das rechtliche Konsequenzen für dich haben!”, Barbara stand eindeutig unter Strom, doch ich konnte nicht so richtig frei reden, da Niels Ruf gerade neben mir im Auto saß. “Nun mach dir mal keine Sorgen, dass wird schon!”, sagte ich voller Überzeugung. Aber es wurde nichts.
Für dich ausgesucht
“Alle Leute haben mir kurzfristig abgesagt!”, versuchte Timo sich rauszureden. “Ich habe alleine auf dem Weg hierher mit 14 Ausstellern gesprochen, die wieder umgedreht sind, weil die Autobahnen total verstopft sind.”, versuchte Timo sich aus der Affäre zu ziehen, als wir eine Stunde später gemeinsam vor Barbara und Freiheit-Chef Amir saßen. Der Termin hätte nicht viel schlechter gewählt worden sein: Es war ein Bombenwetter, die Fußballnationalmannschaft spielte im Hamburger Volksparkstadion gegen Griechenland, es war Alstervergnügen (sprich Hamburgs größtes Stadtfest mit diversen Bühnen für Coverbands) und zu allem Überfluss spielten auch noch Bon Jovi in der Nähe ein ausverkauftes Konzert im Bremer Weserstadion. Welchen bierbäuchigen Metallica-Fan aus dem hohen Norden sollten wir denn da noch abgreifen können?
“Das ist ein klarer Vertragsbruch und ich werde so die Türen nicht aufmachen lassen!”, sagte Amir kühl. Timo realisierte, dass sein Traum heute mit Niels Ruf aufzutreten, zerplatzen würde. Und ich hielt lieber gleich komplett den Mund. “Aber da muss sich doch was machen lassen?”, fragte er nach. “Alter – hier werden keine 100 Leute kommen später, begreift das doch mal!”, sagte Barbara. “Ich kann euch nur vorschlagen, dass ihr den Laden von uns mietet!”, schlug Amir vor, “Sonst lasse ich den Laden zu, und wir sehen uns später die Konventionalstrafe an.” Amir ist eine knüppelharte Sau! “Machen wir!”, schrie Timo fast frenetisch.
“Alles egal – ich will jetzt nicht allen Scheiß hier hingekarrt haben und dann nicht auftreten. Außerdem ist der Kühlschrank voll mit Kaviar und Lachs für Niels. Wie peinlich wäre das denn jetzt abzusagen!”, sagte Timo mir in unserem 4-Augen-Gespräch vor der Tür. “Ey Timo, das kannst du nicht bringen! Das kostet dich bestimmt 20.000 Mark, wenn du den Laden mietest!”, versuchte ich Timo eines Besseren zu belehren, aber Timo hatte seinen Entschluss gefasst. “Das ist mir egal – ich will mich jetzt hier nicht vor allen zum Deppen machen, indem wir nicht spielen – und dann hängen die uns ohnehin die scheiss Kosten an. Wir machen das jetzt!”
“Ey, sei mir nicht böse – aber dann musst du den Mietvertrag unterschreiben. Ich mach das nicht…”, ich kackte mir fast ins Hemd bei der Vorstellung auf diesem Berg Kosten sitzen zu bleiben. Aber Timo hielt Wort. Er unterschrieb den Mietvertrag für „nur 18.000 Mark” – die in der Abrechnung sogar nochmals auf 13.0000 gesenkt werden konnten, weil Barbara uns ordentlich entgegen kam, soweit sie eben konnte. Doch der Abend endete wie er begann: im Desaster! Da brachte es auch nichts, dass wir komplett auf den Eintritt verzichteten und in bester Hamburger Koberer-Manier offensiv versuchten, die Leute rein zu locken. 80 Leute hatten wir (wenn es hoch kam) – in einem 2000er Club…
Niels Ruf war schon um 20h so besoffen, dass er den Gig der Band kurzerhand im Backstage verschlief. Und mir war die Sache mittlerweile so peinlich, dass ich zur Hälfte der Show gehen musste – das Elend konnte ich mir nicht mehr mit ansehen. Letztens erst hat mich Timo mal wieder in Hamburg besucht – und als ich ihm erzählte, dass ich ihm jetzt seine Halfstar-Kolumne widmen würde, ergänzte er noch: “Sag deinen Lesern aber unbedingt, dass wir hinterher 4x bei Niels in der Fernsehsendung aufgetreten sind. Das hat unseren Gagenwert locker vervierfacht. Wir hatte die Scheiss-Kohle in nicht mal einem halben Jahr wieder drin.” Na – dann ist ja am Ende doch noch alles gut geworden. Und was lernen wir mal wieder daraus??? Nix! Wie immer…