“Deine Augen sind so blau wie der Himmel!”, Jacks Hände konnten kaum noch an sich halten, doch er war ein Charmeur, der zur Kategorie ‘einfühlsamer Musiker’ gehören wollte.
Stattdessen stellte er sich an wie ein 16-Jähriger, der kaum noch aufs erste Mal warten konnte. Jills Lächeln erstarrte. Fast schon flehend ihr hilfloser Blick zu mir herüber: ‘Was geht denn hier gerade ab?!’. Doch auch ich konnte nur hilflos mit den Schultern zucken, wie er sich hier gerade zum Vollhorst machte. Jill nahm Jacks Kopf in ihre Hände, schaute ihm tief in die Augen und fragte nur: “Sag mal, fi#§*t du mich gleich endlich???”
Groupies, oh ja, es gibt sie immer noch. Sie sind keine längst verlorene Legende der 80er, auch wenn die Damen der professionellen Backstagezunft in den Jahren der Dauerwelle und Schulterpolster ganz klar ihre Hochzeit hatten. Das Phänomen ist keinesfalls von der Bildfläche verschwunden, sondern auf Tournee so präsent wie eh und je. Es gibt sie in groß und klein, dick und dünn, hübsch und weniger hübsch – doch gerade die ‘Normalos’ unter den zumeist weiblichen Fans machen hier das Gros der Szene aus: “Aber nicht dass du glaubst, ich bin ein Groupie. Ich mach so was eigentlich nicht!” Ein Satz, der garantiert auf dem Weg ins Hotelzimmer fallen wird. Worauhin der geneigte Musiker gerne mal antwortet: “… ich auch nicht, wirklich. Aber du bist irgendwie was Besonderes”. Ich frag’ mich, ob sie es selbst glauben… Einige von ihnen bestimmt, zumindest für den Moment.
Ich habe in den letzten 15 Jahren einen großen Teil meiner Arbeitszeit als Tourleiter auf Tour verbracht, und bin so zumeist “König der Backstage-Pässe”. Im Endeffekt entscheide ich, wer die Band in ihrem natürlichen Umfeld kennenlernen darf, und wer es “nur” zum Autogramm holen an den Backstageausgang schafft. Bei einigen Tourneen gehört es auch zum guten Ton, und quasi zur Jobbeschreibung, dass der Tourleiter für eine entspannende Atmosphäre hinter der Bühne sorgt: Man kümmert sich um Getränke, Handtücher, die Abrechnung, lernt aber auch schnell die Vorlieben seiner Musiker kennen – und läuft dann recht gezielt auf die Eine oder Andere zu, um zu fragen: “Hey, hast du Lust mit der Band noch was zu trinken?” Und schon hat man Feierabend.
“What happens on the road, stays on the road”, lautet das stille Abkommen der Musiker auf Tour. Es versteht sich von selbst, dass ich mich nach über 15 Jahren “on the road” auch in dieser Kolumne an diese oberste Tourregel halte und mich nur schemenhaft an Namen erinnere. Die Musiker werden daher mal generell “Jack” und die Damen “Jill” genannt. Das macht die Sache auch für mich einfacher…
Ich saß am Tisch neben Jill, die es sich schon auf dem Bett gemütlich gemacht hatte. Ich erklärte ihr noch schnell, wie das Licht im Zimmer angeht – sie hatte anscheinend noch nie in einem Hotelzimmer mit Keycard übernachtet. Doch nun wollte sie noch ein wenig quatschen. Oder sollte ich sagen, sie wollte mich noch ein wenig zu Jack ausquetschen. Jack hatte Jill am Nachmittag angeboten, sie könne später mit bei ihm im Hotel pennen. Doch mitten in der Nacht hatte Jill sich plötzlich umentschieden und wollte doch nach Hause. Sie hatte schon getrunken und schien auch sonst leicht außer sich zu sein. Wir hatten ein Zimmer übrig, da unser Sänger Jack2 noch mit zu einer Frau namens Jill2 gegangen war. Jill war ein echt süßes, fast schon unschuldig anmutendes Mädchen, und ich hatte doch arge Probleme sie mitten in der Nacht auf die Straße zu setzen. Also warum nicht nett sein, und sie im sowieso freien Zimmer pennen lassen?
Jill sagte: “Es ist toll, dass du mich hier im Zimmer pennen lässt. Bei Jack weiß ich nicht, ob er sich nicht was Falsches gedacht hätte, wenn ich bei ihm geblieben wäre. Aber so eine bin ich nicht…” Diesen Satz hatte ich irgendwie schon mal gehört. Sie schien auch wirklich überzeugt, dass ich ihr den abnehmen würde. “Mir ehrlich gesagt egal”, antwortete ich. “Du bist erwachsen und kannst selbst entscheiden, was du tun willst und was nicht!” “Ich will nur nicht, das morgen einer denkt, da wäre was gelaufen!”, betonte Jill nochmals ihre Unschuld. “Ehrlich, mach dir keine Gedanken”, sagte ich. “Niemand würde was Falsches von dir denken!”, denn Jill hatte sich auf dieser Tour bereits zwei Mal zum Tagesthema gemacht: “Sie hat mich förmlich angebettelt. Und als wir es dann machten, hat sie fast geheult und gesagt, davon hätte sie schon ihr ganzes Leben geträumt”, erzählt Jack schon am zweiten Tourtag im Bus. Nur 2 Wochen später brachte Jill eine Freundin mit zum Konzert, was später dann zu einem gemischten Doppel führen sollte. Ich wusste genau, dass heute nur deshalb nix passiert war, weil Jack bereits mit einer anderen Jill aktiv war. Und wenn es etwas gibt das Jills nicht mögen, dann, dass sie nicht die einzigen sind …
Den Frauen ist zumeist eines Gleich: Die wenigsten finden am nächsten Morgen den Weg zum Frühstückstisch. Wenn sie dies tun, sind aus ihnen zumeist tatsächliche Freunde geworden, und es heißt Abstand halten – oder sie sind selbst Vollprofis! Ich habe mich immer gefragt, was Jills dazu treibt, auf diese unkomplizierte Art Dampf abzulassen. Ist es die Faszination mit einem Herren Bett / Klo / Pritsche zu teilen, den zuvor viele auf der Bühne angehimmelt haben – oder ist es gar das Wissen, dass dieser Typ morgen bestimmt nicht wieder nervt? Wer ist eigentlich der Aufreißer, die leichte Beute in diesem Spiel? Die Grenzen scheinen zu verschwimmen, und in Wahrheit haben meiner Meinung nach stets beide was davon. “Sie” wird sich fühlen wie die Auserwählte und “Er” ist am Abend nach dem Gig nicht so allein.
“Übrigens, dies ist dein Sohn”, stellt Jill den Kleinen bei Jack vor. Jack ist ein toller Kerl, er ist mit seiner Band gerade das große neue Ding in der amerikanischen Metalszene. Jack weiß, dass ihm ein Treffen mit Jill bevorsteht, und sie etwas “Ernstes” mit ihm besprechen will. Es stellt sich betretenes Schweigen ein. Ich glaube Jack hatte sich das Wiedersehen irgendwie anders vorgestellt. Jill geht mit der Nummer hingegen total cool um. Sie war in den letzten Jahren zu einer Art Freundin für alle geworden – aber dass sie ein Kind von Jack bekommen hatte, wusste bis eben niemand. “Ich werde selbstverständlich für den Kleinen aufkommen – und wir werden uns regelmäßig sehen, wenn es OK für dich ist. Ich will den Kleinen aufwachsen sehen!” Jack ist hin und her gerissen zwischen Vaterfreuden und offensichtlicher, panischer Angst. Mir ist die Sache ebenfalls sehr unangenehm, erinnere ich mich doch noch ziemlich genau an den Tag, an dem es passiert sein muss: Ich verließ die Halle um noch ein paar Unterlagen aus dem Bus zu holen, als ich das Auto von Jill vor der Tür entdeckte. Mist – die Scheiben waren beschlagen – so konnte ich nicht mal genau sehen, wer nun gerade ihren Wagen in heftigste Schaukelbewegungen versetzte. “Du musst dich nicht um den Kleinen kümmern. Ich fand es nur fair, dass du weißt, das es ihn gibt – ich erwarte nichts, aber du kannst ihn natürlich besuchen, so oft du willst”, sagt Jill vor uns allen im Catering. Dabei vermeidet sie es aber mich anzusehen, schließlich hatte ich Jill damals auf dem Weg zurück in die Halle getroffen. Arm in Arm mit einem extremst entspannt dreinschauenden Bassisten der deutschen Vorband. Kuckuckskind oder doch “nur” doppelte Action? Ich werde es wohl nie erfahren…
Groupies treten nicht immer allein auf. Oft werden sie geradezu “feilgeboten” – sogar vom eigenen Freund à la “Hey, meine Freundin steht auf dich. Meinst du, du könntest sie heute Nacht mit ins Hotel nehmen?” Oder auch von Geschwistern: “Meine Schwester muss heute Nacht von einem von Euch genagelt werden – es ist auch egal von wem, Hauptsache berühmt.” (Kein Witz!) Oder von der Mutter, die gerne das “erste Mal” ihrer Tochter zu einem unvergesslichen Erlebnis machen möchte: “Hey Daniel, meinst du, du kannst Jills Mutter nachher ein wenig ablenken?”, fragt Jack, der schon seit Stunden dabei ist, die kleine Jill auf ihre große Nacht vorzubereiten. “Was meinst denn du damit?”, frage ich durchaus besorgt – nicht, dass ich hier als nächstes an Mutti vercheckt werden soll. “Na, keine Ahnung. Zeig ihr, wie man Gitarren stimmt – oder quatsch mit ihr. Ich brauch’ nicht lange!” (Ja Jack, das hatte ich mittlerweile auch schon mitbekommen…) Der Abend endet im Hotel, und ich habe nun die ehrenvolle Aufgabe Mutti “derweil” zu unterhalten. Wir sprechen über die Arbeit, das Leben “On the Road”, und wie es so ist, täglich mit Stars abzuhängen. “Du, die sind ehrlich gesagt genauso normal, wie alle Anderen”, sage ich zu Jills Mum, die geschickt ignoriert, dass ihre Tochter auf dem Nebenbett gerade heftigst mit Jack zugange ist. ‘Das ist hier doch gerade voll die Twillight Zone’, denk ich so in mich hinein. ‘Das muss Mutti doch irgendwie unangenehm sein, was hier gerade passiert’. Oder zumindest Jill müsste es stören, dass Mama gerade daneben sitzt, während sie Jack an die Pasta geht. Aber nix da. Nicht mal als Jill und Jack sich aufmachen gemeinsam das Klo zu entern, macht Mama Anstalten das zu verhindern. Sie erzählt ohne eine Miene zu verziehen von ihrem Job als Fotografin. Es wird heftig, und zwar heftig laut. Jill bollert gegen Wände und läßt auch schon den einen oder anderen kleinen Schrei ab, während Mutti seelenruhig weiter erzählt. Nach gefühlten zwei Stunden (meine Ohren bluten schon, und mein Gehirn hat längst den Bereich des noch Fassbaren verlassen), eine erste Regung. Mutti stockt – mitten im Satz nach einem etwas heftigeren Schrei: “Also irgendwie ist das schon komisch sich hier zu unterhalten, während nebenan gerade das mit Jill passiert. Aber na ja – es war halt ihr Traum!”, sagt Mama und erzählt weiter von ihrer Jugend, als wäre nichts passiert.
Ich möchte hier nicht den Eindruck entstehen lassen, alle Frauen wären leicht zu haben und alle Typen seien nur auf das Eine aus. Es gibt Ausnahmen, und sogar Bands bei denen wochenlang überhaupt nix passiert. Nicht wegen mangelnder Angebote, sondern weil es einfach nicht (Achtung: Kalaueralarm) “Jedermanns Ding” ist. Doch auf Tour sind nun mal Alkohol, Drogen – oder eben andere Dinge des Lotterlebens stets zum Greifen nahe. Man brezelt sich auf, fühlt sich wie im Urlaub und vergisst unterwegs auch sonst gerne mal die Sorgen des Alltags. Kein Wunder, dass hier Dinge passieren, die sonst niemals möglich wären.
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Übrigens, wer von euch schon am Anfang der Kolumne gedacht hat: “Ach, der alte Chauvi wieder! Wieso haben die Musiker einen Männernamen und die Groupies einen Frauennamen. Gibt’s doch bestimmt auch anders herum?” Den muss ich enttäuschen. Ich bin zwar schon mit vielen Frauen auf Tour gewesen, doch bis auf die Damen von Rockbitch (siehe andere Kolumne), habe ich noch nix – aber auch wirklich gar nix – aus Richtung der weiblichen Mitmusiker erlebt. Einige stecken in Beziehungen und haben irgendwie einen anderen Bezug zum Begriff “Treue” – andere scheinen einfach schlichtweg nicht interessiert.
Zum krönenden Abschluss hätte ich noch ein recht beeindruckendes Patentrezept für euch, welches mein Freund Jack entwickelt hat und zum Nachmachen einlädt: “Mist, ich habe meine Gitarre auf dem Zimmer vergessen, kommst du kurz mit?”, beginnt taktisch der ersehnte Stressabbau. Die Neugier, wie das Zimmer eines Rockstars wohl aussieht, läßt schnell den Freund vergessen, der vielleicht sogar schon vor der Halle wartet. “Wenn wir dann oben sind, sag’ ich, ich müsse nochmals kurz auf Klo. Die Girls sind dann für so drei Minuten allein und sehen natürlich den Teddybären, den ich immer bei der Ankunft auf meinem Bett platziert habe. Meistens finden die das so süß, daß ich nicht mal mehr was sagen muss.” Genial.
barbara gessner sagt:
#1 - 31.08.2011 um 00:53 Uhr
"Junge Frauen" gesucht....jaaaaaa, is klar...!
Trotzdem: Daniel - you're the best!!! Happy to know you