Praxis
Beim Start der App wird einem gleich ein schönes Foto des originalen Polysix präsentiert. Das sieht wertig aus und bringt einen auch sofort in die richtige analoge Stimmung für die folgenden Schraubexperimente, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Programmstart doch mit über 9 Sekunden auf meinem iPad 2 etwas behäbig ist.
Um es vorweg zu sagen: Ich halte es für unsinnig, iPolysix klanglich mit dem echten Polysix zu vergleichen. Schon theoretisch ist schwer vorstellbar, dass die App dem Synth das Wasser reichen kann, wenn man bedenkt, wie ressourcenhungrig etwa u-hes Versuch geraten ist, mit „Diva“ dem echten Analogsound nahe zu kommen – was auf einem iPad schlicht unmöglich wäre. Wen die Theorie nicht überzeugt, der möge einfach mal den Sägezahn-Sound des Oszillators ohne weitere Bearbeitung mit dem eines Analogsynths vergleichen. Ich habe, da ich leider keinen Polysix besitze, meinen geliebten JX-3P von Roland herangezogen. Bereits bei diesem einfachen Shootout ist der Unterschied so deutlich, dass das von der App im weiteren Verlauf der subtraktiven Synthese wirklich nicht mehr aufzuholen ist. Insofern darf man durchaus schmunzeln über Korgs Versuch, das Gegenteil in ihrem Werbevideo zu suggerieren. Ganz deutlich: Die App kann keinesfalls so klingen wie das Original. Aber wie klingt sie?
Ordentlich. Wenn man die Presets so durchschaltet, kommt schon Freude auf. Mal drückt es im Bassbereich ganz schön, mal sorgen die guten Modulationseffekte oder der sehr gelungene Unison-Mode für Freude, bei dem aus dem Polysix ein monophoner Synth mit allerdings bis zu 6 Oszillatoren wird. Im Gegensatz zum Original lassen sich in der App hierbei die Anzahl der Oszillatoren, die Stärke der Verstimmung zwischen diesen und die Stereobreite regeln. Da wird es dann schon mal schön fett.
So richtig überzeugen kann mich der Sound des iPolysix allerdings nicht. Dabei geht es – wie ausgeführt – gar nicht um den Vergleich zu echten Analogen, sondern zu Seinesgleichen, also anderen Apps. Hier liefern für meinen Geschmack Konkurrenten wie der „Animoog“, „NLog PRO“ oder der „Sunrizer“ einen eigenständigeren, runderen, inspirierenderen Sound als der iPolysix, auch wenn die jeweiligen Instrumente rsp. Vorbilder überhaupt nicht zu vergleichen sind. Der iPolysix wirkt im Kontrast etwas schmalllippig. Außerdem ist seine Spielbarkeit merklich schlechter als beispielsweise beim „Animoog“. Zwar lässt sich die Latenz zwischen normal und niedrig umschalten, aber auch bei der niedrigen Variante bleibt sie spürbar und sorgt für ein leicht träges Spielgefühl. Vermutlich verbessert sich das bei neueren iPads als meinem, aber es bleibt die schlechtere Performance im Vergleich zu anderen Apps.
Im Gegensatz zum Ur-Polysix, der mit Chorus, Phaser und Ensemble auskommen musste, verfügt der iPolysix über die recht stattliche Anzahl von 28 Effekten. Diese haben zwar in aller Regel nichts mit professionellem Sound zu tun, sind aber brauchbar. Die Modulationseffekte wie Ensemble, Chorus oder Phaser wissen sogar richtig zu gefallen, während die Reverbs ziemlich grauenhaft sind.
Die Gestaltung der Oberfläche ist liebevoll gemacht, sieht super aus und vermittelt überall das Gefühl von Polysix-Romantik, die sich im Schoß hypermoderner iPad-Ästhetik niedergelassen hat. Allerdings verlangt das Gesamtkonzept etwas Einarbeitungszeit. Wenn man es einmal durchdrungen hat, wundert man sich über die eigene anfängliche Begriffsstutzigkeit, aber das System mit zwei Synths, der Drummachine und den jeweils dahinterhängenden Sequencern lässt sich schlecht intuitiv erfassen. Da hilft ein Blick ins Handbuch, das dankenswerterweise recht elegant in die App integriert ist, auch wenn es recht lange braucht, um sich endlich aufzutun. Übrigens hat Korg hier zusätzlich zum App-Handbuch auch einen Scan des Originalmanuals digital beigelegt, was mir sehr gefallen hat. Außerdem ist das alte Handbuch nicht ganz so wortkarg, so dass man hier zu den einzelnen Synthsektionen etwas mehr Infos findet.
Die Taster und Regler des iPolysix lassen sich vernünftig bedienen, auch wenn schlanke Finger sehr von Vorteil sind. Auf einem iPad mini möchte ich mir das nicht vorstellen. Glücklicherweise lässt sich die Bedienung der Drehregler umschalten. Ich hatte mit der realistischen, rotierenden Variante ziemliche Probleme, die vertikale Version – wie von Plug-ins bekannt – funktionierte für mich geschmeidig.
Nicht unwichtig bei iPad-Apps ist natürlich deren Vernetzung mit anderen Apps. Korg hat hier bei der ersten Version zunächst gepatzt, dann aber nach Beschwerden der Anwender lobenswert schnell nachgebessert und in der aktuellen Version auf breiter Front nachgelegt. Jetzt beherrscht iPolysix Background Audio, Virtual MIDI, unterstützt die Vernetzung über „Audiobus“ und verbindet sich außerdem über WIST mit anderen iPads oder iPhones. Damit bleibt theoretisch nichts zu wünschen übrig. Allerdings ist es mir nicht gelungen, iPolysix über Virtual MIDI anzusprechen. Das Handbuch schweigt sich darüber leider aus. Hier muss Korg auf jeden Fall nachlegen. Als Verlgeich: In „Animoog“ ist die Implementierung von Virtual MIDI völlig einleuchtend und ohne Handbuch sofort nutzbar.
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Schön gelungen und ein gutes Feature ist die Anbindung an Soundcloud. Diese besteht in einer im Stil der App designten Spezialversion der Plattform, auf der die User ihre Kreationen hochladen und jene der anderen anhören können. Voraussetzung für das Hochladen ist natürlich ein Soundcloud-Account. Ein Bonbon ist hierbei der „Remix me“-Button. Mit diesem lässt sich der Song eines anderen Users in die App herunterladen, so dass er eben nicht als Soundfile, sondern mit allen Details in iPolysix zur Verfügung steht – ganz so, als hätte man den Song selbst geschraubt. Auf dieser Basis lässt sich hervorragend selber weiterbasteln oder auch nur lernen, wie andere die App genutzt haben.