Rick Rubin ist einer der erfolg- und einflussreichsten Musikproduzenten der Welt und hat in vielen Subgenres der populären Musik – von Hip-Hop und Rock über Metal und Pop bis hin zu Country und Folk – seine Spuren hinterlassen, die nicht selten wegweisend waren. Er selbst hält sich für keinen besonders talentierten Musiker oder Audio Engineer, sondern sieht seine Fähigkeiten vor allem darin, zu wissen, was ihm gefällt und dies äußern zu können. Sein Mindset und seine Empathie machen ihn zu einem solch hilfreichen Kollaborationspartner, der Künstlerinnen und Künstler zu erfolgreichen und ausdrucksstarken Werken verhilft. Nun hat er ein Buch geschrieben, in dem er seine Auffassung von Kreativität aufschlüsselt. Basierend auf einer ganzheitlichen und spirituell geprägten Welt- und Kunstanschauung leitet Rubin mit ‚Kreativ. Die Kunst zu sein‘ eine sehr detaillierte Anleitung zum kreativen Arbeiten, Leben und zur künstlerischen Identitätsfindung ab.
Achtsamkeit & Inspiration
Rick Rubin definiert das Dasein als Künstler nicht unbedingt als Tätigkeit, sondern als eine Art zu Leben und die Welt zu betrachten. Darin, sich mit offenen Sinnen durch die Welt zu bewegen, kognitiver Kontrolle zu entsagen und sich von den Eindrücken, die einem im alltäglichen Leben begegnen inspirieren zu lassen – ein zufällig aufgeschnappter Satz, ein Graffiti an einer Wand oder ein scheinbar belangloser Gedanke bei einem Spaziergang können zu musikalischen Ideen inspirieren. Wenn die Inspiration dann kommt, ist Commitment gefragt. Egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit – solange die Ideen fließen gilt es, diese Welle so lange zu reiten, bis sie bricht. Alles sollte eingefangen werden, was einem der Ideenstrom anbietet.
Naivität & Spaß – Spiel dich an den Regeln vorbei!
Man stelle sich den gesamten Kreativprozess mal nicht als Arbeit vor, sondern als Spiel mit den Ideen. Beim Spielen geht es nicht um das Ergebnis, sondern um den Spaß, die Emotion und die Freude an der Tätigkeit an sich, die letztendlich zum authentischsten und ausdrucksstärksten Ergebnis führt. Das Spiel ist das Ziel! Wie viele Künstler/innen, die die Welt verändert haben, haben sich nach den bestehenden Regeln gerichtet? Und hätten sie es getan, hätten sie dann die Welt verändert? Regeln sind Limitationen, Annahmen über den besten Weg zu einem bestimmten Ergebnis, aber sie gehören getestet und überprüft und nur so lange zu befolgen, wie sie hilfreich sind. Wenn sie den möglichst authentischen künstlerischen Ausdruck einschränken, dann sind sie nicht mehr zielführend, sondern führen einen in Richtung Durchschnitt.
Jede Regel, die man im Kopf hat, bevor oder während man damit anfängt, etwas zu kreieren, hat laut Rubin das Potenzial, mehr Schaden anzurichten als Hilfestellung zu sein, denn sie lenken ab vom reinen, naiven Spaß am „Spiel“ des Prozesses und damit vom ungezügelt authentischen Ausdruck. Solche Annahmen könnten wie folgt lauten:
„Drum Machines und Synthesizer gehören nicht in handgemachte Rockmusik”
„Der Refrain muss spätestens bei Sekunde 30 starten”
„Je komplexer der Song, desto besser”
„Nur laute Röhrenverstärker klingen gut”
„Der Song muss auf einer akustischen Gitarre funktionieren, sonst ist er nicht gut”
„Simpel ist poppig und poppig ist nicht kredibil und deshalb kann ich das nicht bringen”
Alle Ideen festgehalten und nach Gefühl ausarbeiten
Rubin vertritt den Ansatz, dass man jede Idee zunächst passieren lassen und festhalten sollte, ohne den Wert einer solchen rohen Idee direkt zu bemessen. Es gilt, zunächst völlig vorurteilsfrei so viele Ansätze wie möglich zu sammeln, um dann später diejenigen, die einen auch mit ein wenig Abstand am meisten inspirieren oder anregen, auszuarbeiten. Und je mehr Ansätze zur Verfügung stehen, desto leichter ist es im Nachhinein, zu beurteilen, welche davon im Kontext der gesamten Ideensammlung besonders herausstechen und zu entscheiden, welche davon ausgearbeitet werden.
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Doch selbst mit achtsamem Mindset müssen Entscheidungen getroffen werden. Welcher meiner Ansätze ist der „richtige”? In welcher Richtung lasse ich meine Ideen aufblühen? Welcher Sound ist der richtige? Die hierbei zentrale Instanz ist laut Rubin nicht mehr oder weniger als ein deutlich spürbares Glücksgefühl. Rubin bezeichnet es sogar als das Herz der Kreativität. Wenn wir eine Veränderung tätigen, ein Element hinzufügen oder eines wegnehmen und unser Gefühl ganz klar sagt: Das ist das Richtige, dann ist es das auch – egal wie viele Regeln, Dogmen oder bestehende Annahmen (siehe oben) das Gegenteil suggerieren mögen.
Express, don’t impress!
Nicht wenige Künstler/innen kriegen sprichwörtliche kalte Füße, wenn es darum geht, ihre Kunst tatsächlich fertigzustellen und in die Welt zu entlassen. Selbstzweifel, das Bedürfnis nach zusätzlicher Bestätigung von außen oder übertriebene Fehlersuche stellen sich ein und man sucht nach Ausreden, die Arbeit fertig zu stellen. Doch es wird einfacher, sich mit dem Ergebnis abzufinden, wenn man daran nicht den Anspruch hat, dass die Kunst die ultimative Reflexion der gesamten kreativen Persönlichkeit sein muss. Sie muss, so Rubin, lediglich ein Ausdruck der Innen- und Außenwelt des/der Künstler/in zum jeweiligen Zeitpunkt der Entstehung sein. Frei nach dem Motto: Mach deine Kunst für dich, nicht für das Publikum! In solchen Phasen hilft es, die Perspektive auf das Produkt verändern, den Druck zu verringern. Der Beginn einer Arbeit ist erstmal bloß eine Idee. Eine Sammlung an Werken, zum Beispiel ein Album, ist bloß ein Trittstein zum nächsten Werk, alles ist work in progress. Der spielerische und experimentierfreudige Approach an die kreative Arbeit bis zur nächsten zufälligen positiven Überraschung bleibt stets der beste Weg zum besten Produkt.
Erfolg definieren & Leistungsdruck identifizieren
Was ist Erfolg? Für Rick Rubin sind es nicht Popularität, Geld oder gute Kritiken. Öffentliche Popularität ist ein Maß für Arbeit und Wert in einem bestimmten geschäftlichen und kulturellen Kontext, trifft jedoch keine veritable Aussage über den Wert des Produkts. Die einzige kontrollierbare Variable ist, die bestmögliche kreative Arbeit zu leisten, sie zu veröffentlichen und weiterzumachen. Jedes Gefühl von Leistungsdruck, egal wo der Ursprung dafür liegt, sollte genauestens untersucht werden, um sich stets so frei wie möglich zu machen von allem, das einen vom befreiten kreativen Ausdruck abbringt – sei es geschäftlich oder persönlich.
Paradoxerweise ist das am Ende mit großer Wahrscheinlichkeit eine der entscheidendsten Stellschrauben für das Auftauchen eines Popularitätserfolgs – ein echter Erfolg wird sich nur dann einstellen, wenn die Substanz, das Produkt an sich, das bestmögliche, also in Rubins Sinne das authentischste ist.
Loslassen
Der Großteil der Arbeit eines/r Künstler/in liegt, wenn man Rick Rubin glauben mag, außerhalb der kognitiven Kontrolle. Man kann kreative Großtaten nicht erzwingen. Man kann mit dem richtigen Mindset möglichst förderliche Umstände schaffen, um sich nicht selbst im Weg zu stehen und zu verhindern, dass es die Außenwelt tut. Außerdem kann man die eigenen Fähigkeiten schärfen und den Prozess hinterfragen und optimieren. Dann führt das Loslassen dazu, dass man die guten Ideen, Songs und Alben überhaupt erst zu fassen kriegt.
Zum Schluss möchte ich euch aufrichtig dieses Buch empfehlen. Jede Seite dieses Buchs ist in meinen Augen pures Gold für alle Kreativschaffenden. Von grundsätzlicher Lebensphilosophie über kreative Prozesse bis hin zur so schwierig zu handhabenden Selbstwahrnehmung – mit „The Creative Act” hat uns Rick Rubin ein von Klugheit strotzendes Werk geschenkt.
Living as an artist is a practice
You are either engaging in the practice
or you’re not
It makes no sense to say you’re not good at it.
It’s like saying, „I’m not good at being a monk.
You are either living as a monk or you’re not.
We tend to think of the artist’s work as the output.
The real work of the artist
is a way of being in the world.
Rick Rubin
kreativ. Die Kunst zu sein.
Droemer Knaur
Hardcover
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Fehler sind kein Tabu, sondern liefern euch Inspiration und Kreativität. Wir haben die Magie von Fehlern genauer untersucht.
Das richtige Mindset fürs Songwriting
Die Zeit drängt, aber der Kopf ist blockiert? Dann probiert mal die Notfallübung unserer Vocalredakteurin Catharina.
Popsongs und ihren Texten wird gerne eine gewisse Grundbanalität zugeschrieben, selbst wenn sie intelligent sein wollen. Was macht also einen guten Text aus? Literaturwissenschaftler Till Huber versucht der Pop-Lyrik auf die Spur zu kommen.
Sebastian aus Berlin sagt:
#1 - 30.11.2023 um 16:48 Uhr
Hallo Herr Kaack, tolle Zusammenfassung! Ich habe das Buch vor einigen Monaten gelesen und fühlte mich tief berührt. Es ist ein großartiger Einblick und auch eine wunderbare Anleitung, den Fokus zu finden. - Und Ihr Text ist eine ebenso großartige Zusammenfassung! Ich muss es gleich nochmal lesen. Also Buch und Artikel :-). Gern mehr davon. Alles Gute, Sebastian aus Berlin
Wellenstrom sagt:
#2 - 06.05.2024 um 18:33 Uhr
Bin zwar kein ausgewiesener Rick Rubin Fan. Doch, was er da von sich gibt, kann ich weitestgehend unterstreichen. Diesen oben aufgeführten falschen Annahmen begegnet man in Foren und in Studios, im Gespräch mit anderen Musikern immer wieder und sie werden sich auch noch in 100 Jahren halten. Und das meist von Leuten, die bestenfalls musikhandwerklich irgendwie im Bandkontext funktionieren, aber kreativ und konstruktiv kaum etwas gebacken kriegen. Diese Leute bewegen sich auch nur innerhalb ihrer Echokammer und kommen da auch nicht mehr raus. Ein Sozialisationsproblem. Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht. Ich kann über diese Aussagen mittlerweile auch nur noch müde schmunzeln, halte mich mit diesen fachidiotisch eingengten Pseudoweisheiten nicht (mehr) auf und bin stattdessen kreativ. Kenne das Buch zwar nicht, mache aber seit jeher Musik so, wie dort angedeutet wird. Aus eigener Erfahrung kann ich also dem dort Geäußerten nur zustimmen.
Knecht ruprecht sagt:
#3 - 08.05.2024 um 06:55 Uhr
👍👍👍!