Licks sind die Würze eines Solos, aber sicherlich kennt der eine oder andere von euch das Problem, dass man sich ein richtig geil klingendes Lick von einem seiner Idole rausgehört und mühsam eingeübt hat und es zu Hause in den eigenen vier Wänden auch zum Metronom super gut abfeuern kann. Sobald es aber darum geht, die Phrase im Proberaum, auf dem Gig oder auf einer Jamsession einzusetzen, versagt man kläglich und irgendwie gelingt es nicht wirklich, auf das Gelernte zurückzugreifen.
In diesem Workshop möchte ich euch zeigen, wie man den maximalen Nutzen aus einem gelernten Lick gewinnen kann, sein Griffbrett besser kennenlernt, rhythmisch flexibler wird und zeitgleich noch trainiert, sein Vokabular auf die richtige Art aufzubauen.
Das mag jetzt zwar wie ein übertriebenes Heilsversprechen klingen, doch im Lernen und richtigen Üben von Licks kann ein enormes Potential stecken und genau das möchte ich euch am Beispiel eines einzigen Licks aufzeigen. Natürlich könnt ihr das Prinzip auf alle Lieblingslicks übertragen und ich empfehle euch dazu auch, die Übungen in der vorgeschlagenen Reihenfolge zu spielen. Wenn ihr etwas bereits problemlos könnt, umso besser, dann könnt ihr zum nächsten Schritt.
Wir beginnen mit einer ganz einfachen Phrase in Am:
1. Analyse
Um ein Lick flexibel einsetzen zu können, sollte man es zuallererst rein gehörmäßig gut verstehen, es evtl. singen können und definitiv auch auswendig beherrschen. Allerdings spielt auch das rein kognitive Verstehen der Phrase mit all ihren Einzelelementen eine wichtige Rolle, spätestens, wenn es um die Anwendung über andere Akkorde geht. Aus diesem Grund sezieren wir zuallererst die Phrase und analysieren, was hier genau passiert und auf welchem Startton sie beginnt.
Ihr seht in dem Lick ein aufsteigendes Am7-Arpeggio, beginnend mit dem Grundton, dann folgt ein Skalenabgang von der Sexte f# bis zur None b und dann eine Art Umspielung des Schlusstons a:
2. Übertragung auf das gesamte Griffbrett
Kommen wir nun zu einem Aufgabenteil, der unsere Griffbrettkenntnis, aber auch unser Gehör unglaublich gut trainieren kann.
Auf der Gitarre haben wir fast unerschöpfliche Möglichkeiten, ein und dasselbe Lick in der gleichen Tonart zu spielen, nämlich in verschiedenen Oktaven, Lagen, Fingersätzen usw. und das sollten wir uns zunutze machen, denn die Wahrscheinlichkeit, dass wir im Spieleifer das Lick ausgerechnet in der Lage spielen können, in der wir gerade zufällig sind, ist nicht sehr hoch und wir wollen ja schließlich immer und überall Zugriff darauf haben.
Aus diesem Grund schnappen wir uns das Lick, das wir mittlerweile auswendig können sollten, und spielen es rein nach Gehör ab jedem möglichen Startton über das gesamte Griffbrett. Das könnte dann so aussehen:
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3. Transposition in alle Tonarten
Wenn wir das Lick in allen Lagen parat haben, können wir nun dazu übergehen, es in alle Tonarten zu transponieren. Dazu empfiehlt es sich in einer Lage zu bleiben, kurze Wege zu gehen und dann die Phrase z.B. durch den Quintenzirkel zu spielen (d.h. Am, Em, Bm, F#m, C#m, G#m usw….).
Hier ein Beispiel beginnend in Am in der 5. Lage und dann durch die anderen Tonarten:
4. Transposition auf andere Akkordtypen
Wie wir oben gesehen haben, besteht unser Lick aus einem Am7-Arpeggio, und die große (dorische) Sexte sowie die Quarte finden im Skalenabgang Anwendung. Diese Informationen sind sehr wichtig, wollen wir nun unser Lick auf andere Akkordtypen, wie z.B. Amaj7 oder A7 übertragen. Hierzu passe ich einfach die Noten der zugrundeliegenden Tonleiter meiner Phrase an und im Nu bekomme ich vollkommen neue Licks:
5. Rhythmic Displacement
Auch rhythmisch können wir unserem Lick noch so einige Variationen abringen und der Vorteil ist, dass man durch kleine rhythmische Veränderungen manchmal gar nicht mehr die Ursprungsphrase erkennt und somit auch keiner merkt, wo man es geklaut hat.
Bei dieser Übung geht es darum, das Lick auf verschiedene Zählzeiten zu platzieren und dazu schiebe ich das Lick immer um einen Notenwert nach vorne.
Da es sich hier um eine 16tel Quantisierung handelt, bieten sich in diesem Raster vier Möglichkeiten:
Auf die erste 16tel:
Auf die vierte 16tel:
Auf die dritte 16tel:
Auf die zweite 16tel:
Richtig hip wird es, wenn ich nun das Lick auf eine triolische Ebene bringe, die mir dann drei mögliche Startzählzeiten gibt. Das Licktempo wird dadurch natürlich auch etwas langsamer und das ist auch der Vorteil, denn so gewinne ich zwei verschiedene rhythmische Ebenen für unterschiedliche Songtempi.
Auf die erste Triole:
Auf die dritte Triole:
Auf die zweite Triole:
6. Fragmentation
Unter Fragmentation versteht man das “zerbrechen” des Licks, bzw. das Verkürzen.
Diese Übung ist sehr sinnvoll bei technisch komplexen Abläufen, da sie den Focus auf verschiedene Noten des Licks setzt.
Hierzu nehmt ihr die Phrase und entfernt nach und nach die erste Note, schiebt dann aber das Lick wieder auf den Taktanfang. Rein rhythmisch fühlt sich diese Übung dem Rhythmic Displacement sehr ähnlich an, allerdings lehrt sie euch auch, das Lick mal in der Mitte beginnen zu können und nicht nur von Anfang bis zum Ende.
Bezogen auf unser Beispiel sähe das so aus:
7. Übergang in das Lick
Nun geht es darum, das Lick organisch in unser Spiel einfließen zu lassen und aus der Improvisation heraus in die gelernte Phrase zu finden.
Hierzu empfiehlt es sich, in der übergeordneten Tonart nonstop Skalen-“Schlangenlinien” zu spielen und dann an beliebigen Stellen in euer Lick überzuwechseln. Achtet darauf, dass ihr die Finger, Lagen und evtl. auch die Zählzeiten gut durchmischt. So könnte ein Beispiel aussehen:
8. Anwendung über verschiedene Playbacks
Ganz nach dem Motto “Use it or loose it” müssen wir nun versuchen, unser Lick in einen musikalischen Kontext zu betten.
Dazu nehmt ihr euch ein Playback und versucht frei zu improvisieren, aber so oft wie möglich das Lick einzusetzen. Denkt daran, auch das ist noch eine Übung! Ihr müsst kein perfektes, dramaturgisch aufbauendes Solo spielen, sondern es geht darum, wie auch schon bei Übung 7, im Spielgefecht schnell den Übergang in das Lick zu finden.
Hier findet ihr ein Backing-Track in Am zum jammen:
9. Abschließende Bemerkung zum Thema Licks
Licks werden in vielen Kreisen als sehr problematisch betrachtet und der Ausdruck “Lickspieler” ist sicherlich nicht unbedingt als Kompliment zu verstehen, da es dem Bild des kreativen Improvisateurs zu widersprechen scheint.
Nichtsdestotrotz sind sie ein ganz wichtiges Element der Improvisation und des Musikmachens allgemein, denn sie sind Teil der Sprache eines jeweiligen Stils, der nicht so ganz ohne Klischees und Standards auskommt. Man muss sich nicht vormachen, dass ein Solist, der in Lichtgeschwindigkeit über komplexe Akkordfolgen improvisiert, alles gerade erst in diesem Augenblick erfindet. Jeder Musiker setzt Licks und vertraute Elemente und Konzepte ein – wenn man das nicht hört oder merkt, spricht das unter anderem dafür, dass der Solist dies auch gut zu kaschieren versteht oder aber immer wieder neue Kombinationen für Vertrautes findet.
Auch das Argument, dass man durch das Raushören von Licks anderer keine eigene Identität entwickelt trifft nur zu, wenn man nicht lernt mit den Licks kreativ umzugehen. Häufig “morphen” geklaute Licks auch im Laufe der Zeit in etwas anderes, Neues, über, was sie dann zu “euren” Licks macht und ganz abgesehen davon steht es euch auch frei, die obigen Übungen mit selbstkomponierten Phrasen zu spielen.
Auch der Übe-Effekt von Licks ist immens, und betrachtet man den Hergang, begonnen mit dem Raushören bis hin zu allen obigen Schritten, so gibt es wenige Übungen, bei denen man so viele musikalische Aspekte auf einmal abdecken kann. Daher lautet mein Appell: Keine Angst vor Licks, denn Improvisation in einer hundertprozentig reinen Form gibt es wohl kaum.
In diesem Sinne, gutes Gelingen!