Schon seit den frühen Tagen von Klassikern wie K2000 und PC88 gliedert sich das Produktsortiment von Kurzweil in zwei Linien: Auf der einen Seite die K-Serie, die sich als Sampler/Synthesizer-Workstation-Line eher an Sounddesigner und Studiomusiker richtet und die PC’X‘-Serie auf der anderen. Sie adressiert eher Keyboarder und Live-Musiker, verzichtet dabei auf Sampling-Möglichkeiten und stellt eher den Performance-Aspekt in den Mittelpunkt der Konzeption. Das Kurzweil PC4 ist das aktuelle Modell dieser Serie, das als „PC4“ mit einer 88 Tasten Hammermechanik-Tastatur ausgestattet ist, wohingegen die hier zum Test antretende „PC4-7“-Version zwar über die gleiche Klangerzeugung verfügt, dabei aber deutlich leichter und lediglich mit 76 leichtgewichteten, anschlagdynamischen Tasten ausgestattet ist. Wo die Stärken und Schwächen liegen klärt dieser Testbericht.
Details
Was wird geboten?
Mit dem PC4-7 (76 Tasten) bringen Kurzweil eine kompakte Variante ihrer PC4-Workstation (88 Tasten) heraus. Wobei Workstation die Sache auch, aber nicht ganz trifft, denn vornehmlich versteht sich das PC4-7 als Performance-Instrument – ein Keyboard also, das man auf die Bühne nimmt und spielt. Und das sollte mit der 7er Version ein bisschen leichter fallen als mit der 88-Tasten Variante, denn sie ist rund drei Kilo leichter, was wohl hauptsächlich auf das Weglassen der Hammermechanik zurückzuführen ist. Ansonsten kann das PC4-7 auf die bewährten Qualitäten des Schwestermodells zurückgreifen (entsprechend gilt alles, was dieser Test in Bezug auf die Klangerzeugung herausfindet auch für das große PC4): Allen voran eine 256-stimmige Polyphonie, die sich auf 16 Parts und 16 Tastaturzonen/Layer verteilen lässt. Die Klänge stammen dabei wahlweise aus Kurzweils V.A.S.T.-Engine (Variable Architecture Synthesis Technology), die auf zwei Gigabyte Rom-Samples zurückgreifen kann oder entstammen der 6-Operator-FM-Engine, der „KB3 ToneReal“ Orgel-Simulation oder der „K.S.R.“ (Kurzweil String Resonance).
Das ist ganz schön viel Synthese-Power, die von den Sounddesignern bei Kurzweil in über 1.000 (!) Presets, übersichtlich in 13 Kategorien geordnet, zur Anwendung gebracht wird, womit sich live, wie auch im Studio so ziemlich jeder Soundwunsch schnell realisieren lassen sollte. Auch und besonders, da weitere zwei Gigabyte Speicher für den Benutzer reserviert sind und beliebig mit WAV/AIFF-Samples oder P3K/K-Serien-Patches befüllt werden können. Unterstützend stehen 32 Effekt-Einheiten, ein 16-Spur Sequenzer, 16 Arpeggiatoren und RIFF-Generatoren (dazu später mehr) bereit. Dynamische Interaktionsmöglichkeiten bietet zudem eine frontseitige, frei programmierbare Controller-Sektion mit neun Fadern, Potis und Tastern. Um die Vielzahl der Möglichkeiten im Griff halten zu können, bieten Kurzweil – neben der Bedienung am Gerät – eine Editor-Software für alle gängigen Plattformen (WIN, OSX, IOS) zum Download an.
Familienbande
Kurz zur Einordnung des PC4: Urvater (respektive Mutter) aller Entwicklungen bei Kurzweil ist die K-Synthesizer-Serie, in der auch sämtliche Synthese-Algorithmen (auch und besonders die V.A.S.T., die Variable Architecture Synthesis Technology) und darauf aufbauend auch „Flash Play“ (direktes Sample-Streaming aus dem Speicher) sowie die Tonewheel-Simulation ihren Ursprung haben. Die PC’X‘-Serie dagegen versteht sich eher als Performance-Instrument und weniger als Synthesizer/Sampler zum Sounddesign, wohingegen die Artis/Forte-Serie vornehmlich Gebrauch von der Kurzweil Flash-Play-Technologie machen, um als Digitalpianos agieren zu können. Im Gegensatz zur Artis/Forte-Serie ist beim PC4 allerdings die gesamte Klangerzeugung zugänglich – man hat es hier also gewissermaßen mit einem etwas abgespeckten K2700 zu tun, dem neuen Flaggschiff-Synthesizer von Kurzweil (Test folgt in Kürze).
Auspacken
In einem großen Standard-Industriekarton kuschelt sich das PC4-7 eng in drei Styropor-Formteile, die einen sicheren Transport gewährleisten sollten. Das weitere Durchstöbern der Verpackung fördert ans Licht: Ein Netzteil, eine Kurzanleitung (vollständiges Manual als Download), ein Sustainpedal, ein USB-Kabel, sowie zwei symmetrische Klinken-Kabel. Das nenne ich eine vorbildliche Zubehörausstattung, wobei mir insbesondere das mitgelieferte Sustainpedal gut gefällt, da es bei vielen anderen Herstellern oft als separater Zubehör-Artikel erworben werden muss.
Erster Eindruck
Mit seinen knapp neun Kilo lässt sich das PC4-7 relativ gut alleine durch die Gegend manövrieren und sollte sich so auch gut auf die Bühnen der Welt bringen lassen. Hat das Keyboard auf dem Ständer Platz genommen, vermittelt es optisch einen recht sachlichen Eindruck. Das hat eine gewisse (gute) Tradition, denn die Design-Sprache von Kurzweil-Keyboards ist schon seit den frühen Tagen der K-Serie eher eine nüchtern-technische. Dennoch leistet sich das PC4-7 einige – zugegeben eher dezente – optische Raffinessen: So werden die Flanken durch etwas „Stealth“-mäßig wirkende Seitenteile abgeschlossen, Potis und Fadern wurden metallisch-blau schimmernde Beschläge spendiert, zusätzlich sind sämtliche Bedienelemente mit einer farblich korrespondierenden, blauen Hintergrundbeleuchtung ausgestattet. In Verbindung mit der leicht pultförmig, zum Anwender hin geneigten Frontplatte wirkt das PC4-7 durchaus einladend und aufgeräumt. Positiv nehme ich zu Protokoll, dass das Kunststoffmaterial der Frontseite mit einer gebürsteten Micro-Textur versehen wurde und damit – im Gegensatz zu den glatten und entsprechend stark spiegelnden Hochglanz-Oberflächen bei anderen Herstellern – angenehm reflexionsfrei ist.
Der Griff zur halb-gewichteten 76-Tasten-Klaviatur mit Anschlagdynamik und Aftertouch liefert dagegen einen eher ungewohnten Eindruck. Zugegebenermaßen ist sie leichtgängig und die Tasten fühlen sich hochwertig an. Das Anschlagverhalten dagegen ist irgendwie seltsam „flubberig“ – man verzeihe mir an dieser Stelle das recht untechnische Attribut, aber es beschreibt tatsächlich am besten den Umstand, dass die Tasten ein – gefühlt – exponentielles Rebound-Verhalten haben: Im ersten Drittel des Rückwegs sehr weich, dann druckvoll und im letzten Drittel wieder sanfter. Man hat hier also durchgängig eine Art Trampolin-Effekt unter den Fingern, der bei Rhodes- und Clavinet-Sounds zwar durchaus Spaß macht, beim expressiven Pianospiel dagegen nur schlecht funktioniert. Zudem neigt der Keyboard-Rahmen im Gerät offenbar dazu, sich bei kräftigem Spiel aufzuschwingen, was zu einer hörbaren tonalen Resonanz führt. Kurzweil waren hier offenkundig nicht gut beraten, vom bisherigen Hersteller Fatar abzuweichen und eine Young Chang-Eigenentwicklung zu verbauen.
Anschlüsse
Die Rückseite bietet ein ziemlich voll ausgestattetes Bild. Es finden sich hier – von links nach rechts: Zunächst der Einschaltknopf, dann eine Strombuchse, ein MIDI-In/Out-Duo gefolgt von einem Mini-Poti zum Regeln der Display-Helligkeit, eine USB-A-Buchse zum Anschluss eines Datenträgers, dann eine USB-B-Buchse für den Computer-Verbund. Danach folgen vier Klinken-Buchsen zum Anschluss von Fußpedalen: SW1 (Sustain), SW2 (Sostenuto), CC1 (Volume) und CC2, wobei es sich bei den genannten Zuweisungen natürlich um die Default-Einstellung handelt, die vom Anwender frei modifizierbar ist und sich so auch Programm-Changes oder andere CC-Werte steuern lassen. Die darauffolgende Cat-45-Buchse dient nicht etwa der Integration ins Netzwerk, sondern wartet auf den Anschluss von Kurzweils Ribbon-Controller, der sich für effektvolle Bühnen-Performances anbietet. Rechts daneben dann ein regelbarer Stereo-Eingang (Klinke und Miniklinke) zur Entgegennahme von Line-Signalen, vier Klinkenbuchsen zur Ausgabe von zwei Summen-Signalen (A/B) sowie abschließend ein Stereo-Kopfhörerausgang.
Klang-Architektur
Das PC4 beherbergt das gesamte Arsenal des Kurzweil-Synthese-Frameworks, das in den zurückliegenden 30 Jahre (seit der Markteinführung des K2000 im Jahr 1991) immer weitergewachsen ist und sich zu einer ganz eigenständigen Klangentwicklungsumgebung entwickelt hat. Stellenweise fühlt man sich hier ein bisschen an das Betriebssystem Windows erinnert, das – auch wenn man eine brandneue Version 11 installiert hat – im Kern immer noch Komponenten der ersten 95er-Versionen mit an Bord hat, was den Vorteil bietet, dass sich auch noch Programme aus dem letzten Jahrhundert in Betrieb nehmen lassen, auf der anderen Seite aber den Nachteil hat, dass man eine ganze Menge Ballast mit an Bord hat. Sprich: Wir haben es hier im Grunde mit nicht weniger als fünf verschiedenen Synthese-Konzepten zu tun (V.A.S.T. – Sample Playback, KB3 – Tonwheel Simulation, FM – 6-Operator FM-Synthese, KSR – Kurzweil String Resonance, KVA – Anti-aliased Synthesizer Oszillatoren), die zudem noch in einer semi-modularen DSP-Matrix (es gibt 178 DSP-Verschaltungsalgorithmen) miteinander verschaltet werden können.
Spätestens hier beginnt man zu verstehen, dass der gedankliche Vater der Synthese – der Futurologe Raymond Kurzweil – heute Leiter der technischen Entwicklung bei Google ist. Positiv gesprochen, ist die Klangerzeugung also unfassbar „deep“, negativ gesehen, hat sie eine Komplexität erreicht, die sie eher zur Entwicklungsumgebung für Sounddesigner macht – Spezialisten, also, deren täglicher Job das Programmieren von Klängen mit der V.A.S.T.-Synthese ist. Hobbymusiker dürften hier erst nach erheblicher Einarbeitung dazu in der Lage sein, zielgerichtet Klänge zu programmieren. Nicht ohne Grund hat das vollständige Download-Handbuch einen Umfang von 356 Seiten – es gibt abgeschlossene Historien-Romane, die kommen mit deutlich weniger aus.
Um nur ein paar Schlaglichter auf die Tiefen dieses Synthese-Kosmos zu werfen: Es stehen innerhalb eines Programms beispielsweise nicht weniger als drei Hüllkurven mit jeweils sieben Segmenten (A1/A2/A3/D1/R1/R2/R3) bereit. Reicht einem diese Komplexität nicht, kann man auch zur so genannten „Natural Amplitude Envelope“ greifen. Dabei wird das Lautstärkeverhalten der Samples innerhalb einer Keymap als Grundlage der Oszillator-Hüllkurve gemappt – ich kenne keinen Soft- oder Hardwaresampler, der das kann. Weitere Komplexität im Klangverhalten lässt sich mit den Möglichkeiten von „Funktions“ erzielen: Mit ihnen können zwei beliebige Parameter der Klangerzeugung über eine mathematische Formel miteinander verknüpft und als neuer Parameter ausgegeben werden. Macht man Gebrauch vom DSP-Synthese-Teil kommt man unweigerlich in Kontakt mit dem Block-Konzept der V.A.S.T.-Synthese, acht Blocks pro Sound. Während sich also ein einfaches Pitch oder Amp-Modul mit einem Block bescheidet, knappst sich ein zweipoliges Lowpass-Filter schon zwei, ein ausgewachsener „FM Saw Operator“ volle vier Blöcke Synthese-Power ab.
Und, um den Betriebssystem-Gedanken noch mal aufzugreifen, sei lobend erwähnt, dass das PC4 ein gehöriges Stück Rückwärtskompatibilität liefert. Denn es ist nicht nur der Import von von WAV- und AIF-Samples (16 Bit / max. 96kHz), sondern auch von Kurzweil-Formaten (u. a.: .P3K, .KRZ, .K25, .K26) und FM-Sysex-Dateien möglich.
Boris Lau sagt:
#1 - 20.09.2021 um 09:04 Uhr
Vielen Dank für den Review! Was bedeutet denn "Im Gegensatz zur Artis/Forte-Serie ist beim PC4 allerdings die gesamte Klangerzeugung zugänglich"? Gibt es beim PC4 mehr Editiermöglichkeiten als beim Forte? Mich interessiert vor allem die Möglichkeit, eigene Samples zu verwenden.