Praxis
Den Praxisteil möchte ich in zwei Abschnitte gliedern, denn im Grunde gibt es zwei Ebenen mit dem Gerät umzugehen: Die eine ist, Sounds auszuwählen und sie entsprechend der gewünschten Sound-Performance anzupassen und zu spielen. Sprich: Splitten, Layern, im internen Mischpult ausbalancieren und mit Effekten auszustatten. Die andere – weitaus komplexere – Ebene ist die Soundprogrammierung am Gerät oder unter Zuhilfenahme eines externen Editors. Hier wird es dann deutlich komplizierter und entsprechend fällt mein Urteil für diesen Bereich auch anders aus. Wer also absehen kann, das PC4 vornehmlich als Performance-Keyboard unter Einsatz der Preset-Sounds zu nutzen, dürfte sich mit einer zwar immer noch steilen, aber nicht ganz so vertikal ansteigenden Lernkurve wie im Bereich des Sounddesigns konfrontiert sehen.
Program Mode
Das PC4 startet nach dem Einschalten und Hochfahren (nach ca. 20 Sek.) automatisch im „Programm Mode“. Hier agiert es wie ein typisches 16-fach multitimbrales Instrument: Mit den Channel-Tastern wechsle ich zwischen den 16 Parts, die werksseitig den 16 MIDI-Kanälen zugeordnet sind. Zum Auswählen von Klängen kurbelt man sich wahlweise mit Alpha-Dial oder den Previous-/Next-Tastern durch die Listen oder wählt die praktische Abkürzung über die Kategorie-Taster. Hier kann bereits ein Einzelklang ein monströses Stück Programmierarbeit beinhalten, denn es sind bis zu 32 Layer möglich, die aus insgesamt 3.651 sogenannten Key-Mappings gebildet werden können.
Erfreulicherweise haben sich die Werksprogrammierer bei allen Programmen um eine weitgehend konsistente Zuweisung von Klangparametern auf die Controller-Sektion gekümmert. Allerdings auch nicht durchgängig und so gibt es immer wieder Fälle, wo man tentativ ausprobieren muss, welchen Parameter man durch welchen Controller steuert. Entsprechend habe ich eine Ansicht im Display vermisst, in der man eine Übersicht der zugewiesenen Mappings sieht. Wechselt man in den Editier-Modus, fällt auf, dass das im unteren Bereich des Displays platzierte Menü nicht begrenzt ist. Man skippt sich also mit den Soft-Buttons durch die Einträge ohne genau zu wissen, wie viele Seiten man noch vor (oder hinter) sich hat.
Ein simpler Zähler (Seite X von Y) sollte hier Abhilfe schaffen und wird in einem künftigen Update hoffentlich noch nachgereicht. Überhaupt wirkt die Bedienung über Cursor, Plus/Minus und Alpha-Dial etwas anachronistisch – ein Touch-Display wäre nicht nur zeitgemäß, sondern hätte den Workflow deutlich vereinfacht. Insbesondere bei so mächtigen Funktionen wie beispielsweise dem CC-Sequenzer der – wahlweise definiert oder anteilig randomisiert mit 18 verschiedenen Modi und mit bis zu 64-Steps – einen beliebigen CC-Wert automatisiert moduliert und das wahlweise autonom oder synchron zum globalen Tempo.
Grundsätzlich befindet sich das PC4 im Programm-Modus auch gleichzeitig im 16-kanaligen Multimode. Zum Umschalten zwischen den Parts betätigt man einfach die Layer-Up und Down-Taster. Möchte man die Lautstärke-Verhältnisse ändern, führt der Weg über den Global-Taster in die Mixer-Ansicht. Wenn man schon im Global-Menü stöbert, führt einen das Soft-Touch-Menü auch zum Master-EQ und Kompressor. Genau jener Schaltung also, die am Kurzweil Forte mit leicht zugänglichen Hardware-Controllern umgesetzt wurde, was weitaus praxisgerechter ist, als sie im Menü zu verstecken. Denn gerade beim Livespiel geht es ja darum, schnell und unkompliziert den Gesamtklang an die Beschallungssituation anzupassen. Was einem allerdings nach kurzer Zeit ebenfalls auffällt ist die Tatsache, dass es keine einfache Instanz zur Speicherung einer kompletten Multimode-Zusammenstellung gibt. Möchte man Zusammenstellungen erneut aufrufen, muss man sich also mit dem Umweg über einen Song behelfen. Ein Tastendruck auf den Split- oder Layer-Softkey im Programm-Modus befördert einen unter Beibehaltung des aktuellen Klangs automatisch in den:
Multi Mode
Hier können bis zu sechzehn verschiedene Programme wahlweise über (Layer) oder nebeneinander (Split) organisiert werden. Dabei sind auch Mischformen möglich (Zone- in Verbindung mit Velocity-Layern). Die hier vorhandenen 4.000 Speicherplätze für Eigenkreationen sollten mehr als genug sein, um sich für so ziemlich jede Bühnen-Show vorbereiten zu können. Ein weiteres Performance-Feature ist die so genannte Riff-Funktion. Das können so ziemlich alle Formen von MIDI-Daten sein: Angefangen bei einer einfachen Sequenz bis zum kompletten Song, was sich natürlich besonders im Live-Geschäft als mächtige Waffe erweist, um beispielsweise wiederkehrende Motive oder Läufe, die noch nicht sicher sitzen elegant mit einem einzigen Tastendruck abzufeuern.
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Song Mode
Mit einem Druck auf den Taster „Song“ wechselt das PC4 in den Sequenzer-Betrieb, wo insgesamt 16 MIDI-Spuren auf die Entgegennahme von Noten-Informationen warten. Der Funktionsumfang entspricht hier einem ausgewachsenem Hardware-Sequenzer. Das Einspielen von Spuren erfolgt dabei wahlweise in Echtzeit (inklusive u. a.: Loop-Record, Punch-In/Out und Overdub) oder via Eingabe in eine Event-Liste. Zudem stehen unterschiedlichste Bearbeitungsfunktionen wie beispielsweise Copy/Paste (bei Kurzweil: Grab), Transposition, Skalenkorrektur, Velocity-Operationen und Quantisierung zur Verfügung. Trotz oder gerade wegen der sehr leistungsfähigen Aufnahme- und Bearbeitungsmöglichkeiten, zeigen sich hier – wie auch in vielen anderen Bereichen, wie beispielsweise der Klangprogrammierung – die Grenzen der Cursor/Alpha-Dial-Bedienung. Irgendwie fühlt es sich im Jahr 2021 wo sich auf iOS-Geräten bequem ganze Akkordstrukturen mit dem Finger markieren und verschieben lassen, von der Mausbedienung im Grid-Editor moderner DAWs ganz zu schweigen, nicht mehr zeitgemäß an, mit einem Cursor durch Listeneinträge zu navigieren, dann die Edit-Taste zu drücken, um danach an einem Rad zu drehen, bis der gewünschte Parameterwert erreicht ist (ausgenommen sind natürlich Bedienkonzepte, die wirklich kompromisslos und mit einem innovativen Ansatz den Weg der Tasteneingabe gehen, wie beispielsweise der Tracker von Polyend
Effekte
Jedes Programm kann mit bis zu 16 Insert-Effekten in beliebiger Reihenfolge ausgestattet werden. Jede der sogenannten Effekt-Boxen kann dabei mit einem von insgesamt 500 Effekt-Programmen bestückt werden. Das Arsenal ist wirklich gewaltig und deckt so ziemlich alles ab, was die Studiotechnik an Hall-, Modulations-, Delay- und Verzerrungsalgorithmen kennt. Hinzu kommen noch zwei globale Aux-Effektwege, die sämtlichen Layern innerhalb eines Programms zur Verfügung stehen.
Sound
Wie schon bei der Klangarchitektur, handelt es sich auch beim Soundvorrat des PC4 um eine historisch gewachsene Library. Die beiden Flügel-Sounds – einer stammt von einem deutschen Konzertflügel mit einem „D“ im Namen, der andere von einem japanischen C7-Modell, die man in Keyboarder-Kreisen regelmäßig mit den Namen „Steinway“ und „Yamaha“ in Verbindung bringt – haben ihren Ursprung in der Forte-Serie, ein weiterer gewichtiger Teil stammt aus dem Vorrat des PC3 und der Kore 64-Erweiterung. Bestehende Kurzweil-Anwender werden sich also beim Blättern in den Klangkategorien auf Anhieb zu Hause fühlen.
Geboten wird hier die klangliche Vollausstattung mit allem, was das moderne Popmusik-Instrumentarium so hergibt und das in überwiegend guter Qualität. Herausstechend sind die beiden Pianos und natürlich die Orgel-Sounds, die sich über die Zugriegel-Simulation im Controller-Bereich schnell und intuitiv an die eigene Klangvorstellung annähern lassen. Ausgesprochene Highlights finden sich auch im Bereich der synthetischen Klänge und dort vornehmlich im Bereich der dynamischen Flächen und organisch morphender Sounds – hier hört man die Anwesenheit einer vollwertigen FM-Synthese und die immensen Möglichkeiten der V.A.S.T.-Synthese. Freunde narrativer Klänge kommen hier auf jeden Fall auf ihre Kosten, denn viele der cineastischen Pads laden augenblicklich dazu ein, mit ihnen den Score für eine Polardokumentation, ein Fantasy-Abenteuer oder einen Science-Fiction zu komponieren.
Hier macht sich an vielen Stellen auch die automatische CC-Modulation sehr positiv bemerkbar, sodass die Klänge – synchronisiert via MIDI-Clock – auch im Umfeld elektronischer Tanzmusik gut zum Einsatz gebracht werden können. Deutlich schwächer geht es im Bereich der Naturinstrumente zu. Besonders die Bereiche Bläser und Streicher können nicht wirklich überzeugen. Schön sind dagegen die gezupften Gitarren. Ihnen kommt entgegen, dass die Klangcharakteristik der Ausgangsüberträger zu einer leichten Betonung der Mitten neigen. Noch nicht ganz im Griff haben Kurzweil offenbar das schon vom „Forte“ bekannte Problem der FlashPlay-Engine, das bewirkt, dass der neue Klang bei einem Soundwechsel gelegentlich mit einer gewissen Latenz startet.
Audiobeispiele zu Kurzweil PC4-7
Boris Lau sagt:
#1 - 20.09.2021 um 09:04 Uhr
Vielen Dank für den Review! Was bedeutet denn "Im Gegensatz zur Artis/Forte-Serie ist beim PC4 allerdings die gesamte Klangerzeugung zugänglich"? Gibt es beim PC4 mehr Editiermöglichkeiten als beim Forte? Mich interessiert vor allem die Möglichkeit, eigene Samples zu verwenden.