Praxis
Tastatur
Achtung! Schnittgefahr! Die halb gewichtete Tastatur mag zwar zunächst zu Glissandi-Läufen mit Orgel-Sounds einladen, erweist sich allerdings als besonders scharfkantig, sodass ich fast ein wenig Angst hatte, mich ernsthaft an ihr zu verletzen. Ich erwarte bei einemStagepiano natürlich keine Waterfall-Tastatur, aber leicht abgerundete 76 Tasten wären schon wünschenswert, gerade weil sich das Keyboard durch die leichte Gewichtung auch für den Einsatz als Orgelersatz anbietet. Abgesehen davon ist die Tastatur angenehm weich gebettet und mithilfe der „leicht“ gewichteten Tasten lassen sich durchaus Piano-Einlagen realisieren. Lediglich bei feinem dynamischen Spiel muss das SP6-7 leider passen. Insgesamt ist die Tastatur für mich ein guter Kompromiss aus Mobilität und gutem Spielgefühl, wenn ich für einen Moment mal die kantigen Tasten außen vorlasse.
Workflow
Das Bedienkonzept des SP6-7 braucht durch einige Sub-Menüs und Doppel-Belegungen einen Moment, bis es mich überzeugen kann. Sobald ich es einmal verstanden habe, empfinde ich es aber als intuitiv und simpel. Das SP6-7 setzt eher auf wohlklingende Presets mit limitierter, aber effektiver Effekt-Manipulation. So kommt man auch als Einsteiger schnell zu schicken Sounds und Klangwelten, ohne unbedingt das Einmaleins des Sound Designs vollends durchdrungen zu haben.
Klang
Eines muss man dem SP6-7 lassen: In Sachen Klangvielfalt hat sich das Stagepiano gemessen an seiner Preisklasse erstaunlich breit aufgestellt. In seinem großen Fuhrpark an Preset-Sounds fehlt kaum ein Instrument, welches hiesige Keyboarder*innen für Live-Gigs benötigen dürften. An erster Stelle stehen in traditioneller Kurzweil-Manier natürlich die vielen Piano/E.Piano-Sounds, die in Sachen Spielgefühl gut an die halb gewichtete Tastatur angepasst wurden und für die Preisklasse angenehm warm und ausgewogen klingen. Bei den Grand Pianos ist der „Dyn 9ft“ mein Favorit, während der „Rich Grand 7ft“ ein wenig Tiefe und Dynamik vermissen lässt und das „Punchy Edge“-Piano sich gerade im Bandgefüge gut durchsetzen sollte.
Neben klassischen Flügel-Sounds sind auch experimentellere und zeitgemäße, etwas dunklere Piano-Klänge am Start, wie etwa „Dark & Distant“ oder „Film Piano“. Trotz des 2000er Workstation-Looks präsentiert sich das SP6-7 hier erstaunlich nah am Zahn der Zeit, da derartige Sounds gerade sehr gefragt sind. Das i-Tüpfelchen wäre noch ein Felt Piano mit Moderator-Sound gewesen, aber dank des Filters lassen sich schon schön dumpfe Piano-Sounds realisieren.
Die E.Pianos sind relativ mittenbetont und dünn im Bass-Bereich, was aber gerade im Band-Kontext gar nicht so verkehrt ist. Beim DX7-Sound hätte ich mir etwas mehr Präzision gewünscht, der wirkt doch sehr breitbandig und pauschal. Erfreulich finde ich, dass Kurzweil im Vintage-Geiste auch Sounds wie den Yamaha CP-70 mit ins Gerät gebracht hat. Die Effekte wie Tremolo oder AutoWah machen ihren Job solide und fallen nicht negativ auf.
Für dich ausgesucht
Beim Browsen durch die PROGRAM-Sounds stolpere ich allerdings auch immer wieder über Klänge, die kaum Dynamik bieten, eine gewisse Wertigkeit vermissen lassen und mit stark betonten Mitten relativ nasal an den externen Lautsprechern kleben. Die detaillierte Drawbar-Kontrolle und der Rotary-Effekt sind bei den Orgel-Sounds zwar tolle Feature, aber insgesamt fehlt mir hier ein wenig Tiefe und Luftigkeit, die ich von anderen Orgel-Emulationen wie beispielsweise Clavia oder Korg gewohnt bin. Der Sound wirkt etwas künstlich und versprüht nicht gerade Vintage-Vibes. Dieses Gefühl kommt habe ich jedoch nur bei einigen Orgeln und E.Pianos, insgesamt kann der Sound des Kurzweils mich mit seinen warmen, tiefen Mitten und der hohen Auflösung durchaus überzeugen.
Wenn ich mich so durch die Presets klicke, fällt mir insgesamt auf, dass sich das SP6-7 klanglich vorwiegend im Bereich der 1970er/80er Jahre und im aktuellen Hype der LoFi/Film-Sounds aufhält. Zu nennen wären da etwa das DX7-Piano oder die vielen Synthesizer-Sounds im VintageMoog/Prophet-Gewand. Moderne EDM-Sounds kommen hier nur vereinzelt zum Vorschein. Da gerade im Pop-Bereich die Nachfrage nach dunklen, warmen und windschiefen Vintage-Sounds aktuell extrem groß ist, macht Kurzweils Ansatz für mich sehr viel Sinn und setzt das Piano von vielen Konkurrenz-Geräten hab, die häufig versuchen, alle erdenklichen Klang-Facetten abzudecken, anstatt sich wenigstens grob zu fokussieren. Auch wenn ihre Auswahl und Bearbeitung nur bedingt intuitiv ist, klingen die Effekte allesamt brauchbar. Lediglich für die Reverbs hätte ich mir eine Art Tone-Parameter gewünscht, um die oft schneidenden Höhen etwas zu entschärfen. Die Synths klingen für ein Stagepiano mit breitem Klangfokus ziemlich realistisch und brauchbar.
Eindeutig in der zeitgenössischen Filmmusik-Welt unterwegs sind Sounds wie „5th Scape“ oder „Ancient Calling“. Die vereinzelt auftauchenden Mellotron-Sounds sind schon sehr scharf in den Mitten, aber so war das damals auch und trägt abermals zum Vintage-Beigeschmack des Kurzweils bei.
Die Simulation von Bass- und Gitarren-Sounds in elektronischen Tasteninstrumenten ist ja immer so eine Sache. Diese Presets wirken auch beim SP6-7 etwas unrealistisch und künstlich, sollten aber in Notfällen definitiv ihre Dienste erfüllen. Die Strings und Bläser wirken hingegen auffällig punchy und gerade im Band-Gefüge absolut einsetzbar.
Gerade bei den Multi-Sounds kommt große Spielfreude und Inspiration auf. Die Kombinationen sind hier teilweise sehr originell und mit Sounds wie „City Reich“ abermals mit einem deutlichen filmischen (Vintage)-Einschlag bedeckt. Bei den Hörbeispielen lege ich meistens nur Akkorde, den Rest übernehmen die internen Arpeggiatoren und Effekte.