Praxis
Der Kustom Sienna Pro 65 kommt ohne Zubehör, lediglich das Netzkabel befindet sich im Lieferumfang. Eine knapp geratene Bedienungsanleitung in Englisch und Französisch vermittelt die elementaren Informationen. Weitere Details findet man auf der Homepage des Herstellers, dort übrigens auch in Deutsch. Das Konzept mit einem übersichtlich gestalteten Bedienfeld ist schnell durchschaut und die meisten Funktionen erschließen sich von selbst. Deshalb kann der Combo auch bedenkenlos ohne Studium der Bedienungshinweise eingeschaltet werden. Den zuständigen Knopf findet man auf der rechten Seite im Paneel. Eine tiefblau leuchtende LED (Jewel Light) an der rechten Seite zeigt an, dass das Gerät aktiv ist. Und das ist auch nötig, denn hören könnte man es wohl kaum: Bemerkenswert ist nämlich, dass der Speaker nicht rauscht, obwohl Gain und Master schon relativ weit aufgezogen wurden und das Klinkenkabel bereits eingesteckt ist. Erst bei jeweils 2-3 Uhr (Gain und Master) vernimmt das Ohr ein sanftes Säuseln, das aber im Live-Betrieb völlig untergeht.
Es soll vorweggenommen werden, dass Stahlsaitengitarren mit piezokeramischem Tonabnehmer realistisch übertragen werden. Man darf hier natürlich nicht mit dem Natursound einer Vollakustikgitarre rechnen, übertragen wird der Sound des entsprechenden Tonabnehmers. Der Klang hängt eben auch von der Qualität des entsprechenden Pickups ab. Viel Zeit braucht es nicht, den besten Ton aus dem Amp herauszukitzeln. Schon die ersten Noten verraten, wohin die Reise geht. Nylonsaiten (s.u.) bringt der Amp leider nicht optimal rüber, schnell gespielte Pickings kommen monoton und matschig. Bei Stahlsaitengitarren zeigt sich grundsätzlich ein klares, transparentes Signal, das zum Spielen einlädt. Die Anlage bringt dann durchaus differenziert die Charakteristika der verschiedenen Tonabnehmersysteme auch auf unterschiedlichen Dynamikstufen zum Ausdruck. Allerdings wird ein leicht komprimierter Sound übertragen, sodass der Dynamikumfang (vergleichsweise) eingeschränkt bleibt. Zum Glück hat der Hersteller keinen 10-Zoller verbaut. Der 12-Zoller bewegt einfach mehr Luft als ein 10-Zoller und reproduziert den Ton satter und lebendiger.
Mit den beiden Potis Low und High kann der Klang weiter an die Umgebung angepasst werden, in einem mittelgroßen Raum bleiben noch reichlich Reserven im Bass- und Diskantbereich. Ein zusätzliches Poti für die Mitten habe ich zunächst nicht vermisst, zumal es ja auch am Vorverstärker der Gitarre selbst eine interne Klangreglung gibt, die bei Bedarf in Anspruch genommen werden kann. Aber auch meine alte Taylor Jumbo 615 ohne interne Klangreglung konnte mit dem Zweiband-EQ leben. Die folgenden Mikrofonaufnahmen wurden mit zwei kleinen Neumännern gemacht.
So klingt eine Taylor Jumbo 615 mit Fishman (Bj. 1996) …
… eine Larrivée Grand Auditorium mit Fishman Infinity (Bj. 2012) …
… eine Ovation S771 Balladeer mit integriertem Pickup (Bj. 2004)…
… eine Godin Nylon (Bj. 2008) …
… eine Ibanez Pro Line Solid Body (Bj. 1985) …
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Die beiden “Fischmänner” werden mit einem angenehmen Klang realistisch verstärkt. Die Solidbody klingt ansprechend knackig, wenn der Singlecoil eingeschaltet wird. Den Humbucker überträgt der Amp eher mit einem dünnen Ton. Auch ein Akustikbass konnte mit einem fetten und runden Ton verstärkt werden, obwohl der Sienna 65 Pro für ihn nicht gerade die erste Wahl wäre.
Die internen Effekte sind ohne Wenn und Aber salonfähig. Der Chorus macht einen guten Eindruck, die Reverbs sind relativ dicht. Einen satten Kathedralhall findet man zwar nicht, aber Bright Hall ist auch nicht von schlechten Eltern. Die Regelmöglichkeiten sind zwar eingeschränkt, aber ein Anfänger wird sich darüber freuen, dass der Sound der Akustikgitarre nicht ganz trocken kommt und dem Band-Musiker sollten die gegebenen Presets genügen. Wer mit der relativ einfachen Ausstattung der Effekt-Sektion nicht auskommt, der kann ein externes Effektgerät einschleifen. Für den Studioeinsatz zeigen sich die internen Effekte auf jeden Fall als etwas zu bescheiden.
Der Gruppenmusiker (z.B. unplugged Duo/Trio mit Gesang und/oder Percussion) ist aber auf einer kleinen Bühne/Proberaum mit dem kleineren System gut beraten. Dort kann der Combo schnell aufgestellt werden und benötigt kaum Platz. Eine Schallquelle reicht in diesem Fall durchaus aus, denn ein Stereobild der Akustikgitarre ist in der Gruppensituation nicht unbedingt erforderlich. Der Sienna 65 Pro bringt im Bandgefüge (ohne Drumset) ausreichend Leistung und gerät nicht an seine Grenzen. Der anspruchsvolle Solomusiker mit zwei, drei Akustikgitarren und Stimme sollte sich allerdings lieber mit einem Mixer und den entsprechenden Accessoires standesgemäß verkabeln und einen großen Raum oder kleinen Saal mit mindestens zwei Fullrange-Boxen beschallen. Die Stimme wird mit einem TLM 103 ebenfalls sauber übertragen, wobei mit der Dreiband-Klangreglung ein differenziertes Klangbild erstellt werden kann. Allerdings koppelt das System auch relativ früh, da hilft auch der Phase-Schalter nicht weiter. Mit der Gitarre in der Hand kann sich der Sänger ja auch nicht mehr “verkriechen” und sollte in der Nähe des Amps bleiben. Reserven wären jedenfalls noch reichlich vorhanden. Für eine kleine Band (unplugged) sollte die Lautstärke aber reichen. Eine Gitarre und eine Stimme überträgt er gleichzeitig ohne Interferenzen.
Hier habe ich den Line-Out auf die Probe gestellt. Bei der Aufnahme sind nur die internen Effekte Mellow Hall und Chorus eingeschaltet.
Das Line-Out-Signal macht im Vergleich zu den Mikrofonaufnahmen nicht den allerbesten Eindruck. Das Signal kommt vergleichsweise dumpf über die Studioboxen. Einige Geräusche im Hintergrund (Knarzen, Schmatzen etc. ) werden zwar vom Piezo erzeugt, aber die Rauschanteile kommen aus dem Amp. Außerdem zeigt sich das Signal leicht verzerrt. Es besteht aber kein Grund, in Panik zu verfallen, da es auch andere Möglichkeiten gibt, eine Akustikgitarre über eine PA zu schicken. Einen Aux-In (für Audioquellen) hat man dem Amp nicht spendiert, auch fehlt ein Kopfhöreranschluss und den Flansch, um ihn per Boxenstativ auf Ohrhöhe zu bringen, sucht man auch vergeblich, aber ein Ampständer tut es zur Not auch. Außerdem sollte man das Lautsprechersystem mit Verzerren, Boostern oder ähnlichen Effekten nicht ärgern, da solche Geräte im oberen Frequenzbereich unschöne Klänge produzieren und den Hochtöner überfordern.