Musiker/innen machen miteinander Musik. Interagieren. Kreieren während eines Konzerts einen magischen Raum. Sind als Band eine Einheit, die die Emotionen des Publikums aufnimmt und daraus einen Klangkörper erschafft. So sieht zumindest mein Oldschool-Bild eines Livekonzerts aus.
In letzter Zeit habe ich aber immer mehr Shows gesehen, bei der nur zwei Personen auf der Bühne standen. Einmal Gesang und einmal Laptop. Perfekter Sound, aber irgendwie total steril. Die Bühne … leer. Ich bin frustriert. Sieht so das neue Normal für Liveshows aus? Karaoke im Club. Echt jetzt? Ist handgemachte Musik ein Auslaufmodell? Sind Laptop-Bands wirklich die neue Form der Livemusik?
Showcase-Festivals zahlen keine Gagen
Ich hatte das Vergnügen dieses Jahr schon auf einigen internationalen Showcase-Festivals gewesen zu sein. Dort präsentieren sich sowohl junge und unbekannte Künstler/innen als auch einige bekannte Headliner-Acts dem Musikbusiness. So verschieden die Events auch waren, eine Gemeinsamkeit gab es – vom Westway Lab in Portugal über das Eurosonic in Holland bis zum Future Echoes Festival in Schweden: Bei vielen der Showcases stand nur noch der Sänger oder die Sängerin mit einem Laptop-Artist auf der Bühne. Und das unabhängig von Genre und Bekanntheitsgrad.
In guten Fällen war der Mensch hinter dem Laptop wirklich ein elektronischer Musiker oder eine Musikerin, die Sounds live gefahren und gemischt haben. In schlechten Fällen waren es Menschen, die nur als stylische, cool mit dem Kopf nickende Deko für das Ein- und Ausschalten der Playbacks herhalten mussten. Manchmal performten die Sänger/innen richtig gut und versuchten damit die menschliche Leere auf der Bühne aufzufangen, manchmal war es wie Karaoke 2.0 – nur eben mit eigenen Songs.
Seitdem frage ich mich, warum das so ist. Weil für Showcase-Auftritte meistens nur Aufwandsentschädigungen gezahlt werden, da die Promotion für die eigene Sache im Vordergrund steht? Weil es auch bei normalen Konzerten immer kleinere Gagen gibt? Mit digitalem Besteck sind geringe Gagen natürlich leichter zu wuppen als mit einer vollständigen Band. Zudem braucht ein Laptop kaum Platz und kann kostensparender transportiert werden als Menschen, Gitarren oder Kontrabässe. Aber was ist dann mit Stars wie Billie Eilish oder The Weeknd, die ich übrigens großartig finde, denen Transportkosten und Gagen egal sein können?
Lollapalooza Brazil Billie Eilish
Lollapalooza The Weekend
Ich schaue mir das Trettmann-Konzert und das von Paula Hartmann auf dem Splash Festival an: Leere Bühne. Laptop-Artists. Passt zwar auch (zugegebenermaßen) zum Genre, langweilt mich aber schnell.
Elektronische Musik übernimmt die Mainstream-Bühne
Mir wird klar, dass sich in den letzten Jahren einfach stark verändert hat, wie populäre Musik live dargebracht wird. Durch Corona gab es einen Bruch und nun poppt eine neue Livekultur auf. Was sprunghaft erscheint, ist es aber wahrscheinlich gar nicht.
Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig: Seien es zum Beispiel die wachsenden digitalen Möglichkeiten, Musik am Laptop vollständig zu produzieren, das Schrumpfen der Produktionsbudgets, geringere Einnahmen aus dem Musik-Streaming samt Option des sofortigen Uploads von neuer Musik in die Streamingdienste für alle, oder eben kleine Live-Gagen. Oder einfach der Zeitgeist. Rock ist tot. Hip-Hop und elektronische Musik sind angesagt. Analog gespielte Musik tritt mehr in den Hintergrund. Der musikalische Geschmack des Publikums hat sich geändert.
Echte Liveversionen mit Human Touch
Der neue Sound wird am Computer komponiert und soll wohl so klingen. Wenn schon beim Songwriting und im Studio niemand fehlt, warum sollte dieser Sound auf einer Bühne von Menschen gespielt werden, die bei der Entstehung gar nicht nötig waren?
Vielleicht gehöre ich mittlerweile aber auch einer vergangenen Generation an, die mit Proberäumen, analogen Instrumenten und einem anderen Verständnis davon, wie Livemusik funktioniert, groß geworden ist. Ich gehe auf Konzerte und ich mache Musik auf einer Bühne, weil für mich der emotionale Austausch mit dem Publikum, mit dem oder der Sänger/in, mit der ganzen Band essentiell ist, um an einem wirklich einmaligen Erlebnis teilzuhaben. Ich brauche den ‚Human touch‘.
Bei vom Laptop dargebotener Musik kann die Stimmung im Raum zwar den Sänger oder die Sängerin, aber nicht die Musik, beeinflussen. Musik wird zur reinen Begleitung des Gesangs. Immer stabil, immer gleich. Für mich ist das, wie schon oben geschrieben, eine elegante Form von Playbacksingen. Es kann gar keine wirklich unterschiedlichen Liveversionen mehr geben. Das ist anscheinend fein für das heutige Publikum, das nichts zu vermissen scheint, aber frustrierend für eine Musikerin, die von der handgemachten Musik kommt und diese dann auch live so darbieten und genießen möchte.
Das Auge hört beim Livekonzert mit
Klar darf die Performance der Sänger/innen und die gesamte Show rund um die Musik nicht vergessen werden. Sie bildet einen wichtigen Teil des Gesamterlebnisses. Ich finde die Kombination von audiovisuellen Medien und Musik spannend und großartig. Und das Auge hört auch bei einem klassischen Bandkonzert mit. Aber da sind die gerade immer angesagteren Visuals bei einer Liveshow für mich das Add-On zur menschlichen Präsenz und Wucht der Musiker/innen. Sie müssen nichts füllen und keine Bewegungslosigkeit überspielen. Sind kein Ersatz, sondern ein Multiplikationsfaktor für die Bühnen-Performance.
Elektronische Musik mit Live-Band
Weil ich mich einfach nicht geschlagen geben will, forsche ich weiter. Es muss doch Artists geben, deren Musik traditionell am Laptop, mit digitalen Mitteln produziert wird, die sich aber dagegen entscheiden, ein Laptop-Konzert zu spielen. Ich finde Little Simz aus London. Rapperin, Musikerin, Schauspielerin, die auch vor ihrem Durchbruch immer mit mindestens Drums, Bass und Tasten/Laptop live aufgetreten ist. Die ihr 2021 erschienenes Album ‚Sometimes I Might Be Introvert‘ mit einem Orchester eingespielt hat. Die sich nicht vor richtigen Liveversionen und menschlichem Wums auf der Bühne scheut. Mein Highlight ist ihr Tiny Desk Home Konzert. Mit neunköpfiger (!) Band.
Tiny Desk Home Concert / NPR Music:
Vorteile von mit dem Laptop gemachter Musik
Und so schließe ich meine Reise einigermaßen versöhnlich ab. Es gibt einen Weg zwischen beiden Welten. Der digitalen und der analogen, ohne rückwärtsgewandt „Früher war alles besser“ zu rufen oder in einem alten Soundbild hängen zu bleiben. Und einen Vorteil hat die neue Art der Musikrezeption für ihre Bands bezahlende Soloartists auch. Ohne auf das vollständige Soundbild ihrer Produktion verzichten zu müssen, können sie mit wenig Kostenaufwand touren und neue Städte und Menschen erreichen. Zu zweit. Mit Laptop und Gesang. Im Gegensatz zu früher akzeptiert das Publikum diese Form von Konzert ja jetzt.
Live-Playbacks statt Band? Gern, aber bitte ohne Laptop! Wir stellen euch ein paar gängige Alternativen vor.
Neben dem Gesang spielen auch andere Faktoren eine wichtige Rolle, um auf der Bühne einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen.
Musik machen 2.0 – wir zeigen dir, wie man online Konzerte geben kann.
Amos omb sagt:
#1 - 21.10.2023 um 13:31 Uhr
Ein nicht ganz leichtes Thema. Ich bin mit über 70 nicht mehr der Jüngste. Habe bis vor ca. 10 Jahre immer in Bands gespielt. Aber dann fing es mich an zu nerven das die Besetzungen ständig wechselten, klar ältere Musiker werden vielleicht doch des Öfteren krank oder hören dann doch auf Musik im Übungskeller zu machen und durch die Gegend zu reisen, um dann für Lifeauftritte schlecht bezahlt zu werden. Darum mache ich jetzt seit vielen Jahren alleine mit Laptop Musik. Allerdings so das ich Spaß dran habe, also sehr aufwendig. Es gibt keinen Moment in dem ich nicht Life Musik mache. Meine Teilplaybacks sind generell komplett alleine erstellt und das mit Instrumenten. Also Keyboard, Gitarre, Bassgitarre, Piano, Schlagzeug, Gesang. Lediglich Frauenstimmen sind von meiner Tochter eingesungen. Und ausser Schlagzeug und grosses Piano, kommt auch alles mit auf die Bühne. Das ist allerdings das Problem, ein riesiger Transport für mich alleine und recht lange Auf-Abbau Zeiten. Daher mache ich auch nur noch wenige ausgesuchte Veranstaltungen für Stammkunden. Aber ohne Musik, grad Life, kann ich mir, auch als alter Sack, nicht vorstellen.
Bernd mueller sagt:
#1.1 - 22.10.2023 um 17:49 Uhr
mir gehen diese sich ewig wiederholenden 0815-Fragmente nach kurzer Zeit auf den Zünder.
Antwort auf #1 von Amos omb
Melden Empfehlen Empfehlung entfernenAmos omb sagt:
#1.1.1 - 23.10.2023 um 18:31 Uhr
Nicht jeder der mit Laptop auftritt benutzt dafür sich ständig wiederholende 0815-Fragmente. Sei sicher, daß langweilt mich auch.
Antwort auf #1.1 von Bernd mueller
Melden Empfehlen Empfehlung entfernenKarl-Heinz Kunicki sagt:
#1.2 - 11.11.2023 um 10:48 Uhr
Wahre Worte!!!! Bin Ende 50 und mache zu 100% das selbe! Allerdings aus Zeitgründen viel mit gekauften und von mur im Studio bearbeiteten Midi Files… Ich betrachte es als grosses Glück mit Computern endlich meine Ideen umsetzten zu können… 😀
Antwort auf #1 von Amos omb
Melden Empfehlen Empfehlung entfernenNils Schroeder sagt:
#2 - 08.11.2023 um 14:47 Uhr
Bei den Sleaford Mods fand ich das Konzept cool. Als generelle Marschrichtung eher nicht. Ich höre allerdings auch keine Musik, die nur von und mit Computern gemacht wurde, mir ist wichtig, dass mehrere Menschen gleichzeitig und gemeinsam etwas erschaffen, das größer ist als die Summe der Teile und was zwischen diesen Menschen passiert, das ist wichtig. Was Maschinen tun, erlebe ich schon den ganzen Tag auf der Arbeit.
Don Promilo sagt:
#3 - 08.11.2023 um 17:44 Uhr
Ich kenne jemanden der tritt schon seit Jahren alleine auf. Halb Playback, Cover Songs. Er singt und spiel Gitarre. Auch spielt er zwischendurch Saxophon. Für kleine Events so um 50-100 Leute ist das eine gute Sache. Er kommt auch gut bei den Leuten an. Es hat vieles seinen Platz. Ok, wenn jemand vor 1000 Leuten auftritt wird es sicher etwas befremdlich wirken.
Catharina sagt:
#4 - 13.11.2023 um 09:33 Uhr
Vielen Dank für den regen Input. Ich wollte mit dem Artikel auch nur ein Gedankenfeld aufmachen. Live mit anderen Musiker*innen zu spielen hat genau so Vorteile, wie allein mit einem Computer die eigenen Ideen umsetzen zu können und unabhängig und flexibel zu sein. Gut gemacht sein, muss der Computertrack auf jeden Fall.
Danilo Wertenauer sagt:
#5 - 02.12.2023 um 20:16 Uhr
Ich finde es gut, im Sinne einer konstruktiven Kulturkritik die innere Zerrissenheit eines Live-Auftritts, der dann doch nur Singen zu Halbplayback ist, so deutlich beim Namen zu nennen. Es soll ja niemandem verboten werden, so aufzutreten. Aber man bräuchte vielleicht einen klaren Begriff dafür. Denn ein Konzert ist es im Grunde nicht. Nun geht der englischsprachige Raum ja schon länger dazu über, den Auftritt einer Band nur noch als "Show" und eben nicht als "Concert" zu bezeichnen. Ich würde mir wünschen, es gäbe wieder mehr richtige Konzerte und dafür auch die Rahmenbedingungen, die es Bands überhaupt ermöglicht, einen echten Konzert-Aufwand zu treiben.
Don Promillo sagt:
#6 - 03.12.2023 um 13:01 Uhr
Klar, es geht auch ohne Laptop und das auch alleine. Ich denke aber ein Laptop mit Ableton Live und ein paar Plugins würden das Equipment reduzieren. Z.B. das hier. https://www.youtube.com/watch?v=UMvntKc27QI Es gibt da auch andere. Da werden Wettbewerbe abgehalten. 10 Jahre her, Ich fand das faszinierend. Ich mache sowas an und zu mit Ableton Live. Sehr Lehrreich und man kann alleine einen Jam Session machen. https://www.youtube.com/watch?v=EkKryVQXXHY Für kleinere Events ist sowas eine super Sache. Es gibt da auch welche die mit eigenen Songs auftreten. Und ich denke wenn jemand auf großer Bühne auftritt und entsprechende Gagen rüberkommen wird es sicher auch möglich sein Musiker zu Engagieren. Eine übliche Sache. Die Technischen Möglichkeiten heutzutage sind immens. Warum nicht nutzen. Ich finde es klasse. In der Wohnung kannst du spielen. Kopfhörer auf und los geht es. Aber ich kann auch die Puristen verstehen, die irgendwann gesagt haben das reicht für mich und mehr möchte ich nicht. Die werden auch ihr Publikum finden und wenn die Marschall Türme schleppen wollen sei es denen gegönnt. Hält sicher fit.