Ihr müsst für eure Coverband eine Menge neue Songs lernen oder wollt Songs, die ihr lange nicht geprobt habt, in übersichtlicher Form am Start haben? Dann wird es euch mit Sicherheit weiterhelfen, wenn ihr in der Lage seid, ein Leadsheet zu schreiben. Im ersten der beiden Workshop-Teile beschäftigen wir uns mit den Grundlagen des Schreibens eines Leadsheets, die wir mit euch gemeinsam Schritt für Schritt am Beispiel eines realen Songs durchgehen.
Wie beim Schlagzeugspielen selbst, gibt es auch beim Schreiben von Leadsheets streng genommen keine wirklichen Regeln. Es gilt meist das Motto: „Richtig ist, was funktioniert!“. Dennoch macht es Sinn, sich ein paar Skills anzueignen, um nicht nur die eigenen Leadsheets in übersichtlicher Form, sondern auch den damit verbundenen Schreibprozess zeitsparend zu gestalten. Dadurch hat man am Schluss mehr Zeit und Konzentration für das Trommeln selbst übrig – und darum geht’s doch, oder?!
Wie sieht ein gutes Leadsheet aus?
Im Gegensatz zur ausgeschriebenen Partitur oder Einzelstimme, wie sie für klassische Stücke üblich ist, ist ein Leadsheet streng genommen nichts anderes als ein Notiz- oder Spickzettel, der nur diejenigen Informationen des jeweiligen Songs beinhaltet, die nötig sind, um diesen im Idealfall mit den entsprechenden Fähigkeiten am Drum Set aus dem Stegreif spielen zu können. Man könnte also sagen: Je konkreter und komplexer das Arrangement des Songs ist, umso informationsreicher muss das Leadsheet sein. Ein gutes Leadsheet lässt einerseits keine Fragen offen, andererseits sollte es dem Drummer aber auch nicht allzu viel Aufmerksamkeit beim Spielen abverlangen. Dennoch ist hier die Definition von „gut“ nicht eindeutig, denn Leadsheets sind eine sehr individuelle Angelegenheit. So würden fünf Drummer denselben Song sicherlich auf fünf unterschiedliche Arten aufschreiben. Während sich der eine vielleicht nur grobe Notizen macht oder sich den Songablauf lediglich in Farben oder Zahlen merkt (wie etwa der Studiodrummer Aaron Sterling einmal in einem Interview erzählte), braucht ein anderer wiederum jedes Fill-In und jeden Groove exakt aufgeschrieben.
Hier seht ihr Beispiele unterschiedlichster Leadsheet-Variationen:
Natürlich hat jedes der obigen Leadsheets sicherlich einmal seinen Zweck erfüllt, jedoch stellen lediglich die Beispiele Nr. 2 und 4 einen Konsens dar, auf den sich die meisten Trommler einigen würden. Beispiel Nr. 2 ist ein Leadsheet zum R&B-Klassiker „Higher And Higher“ von Jackie Wilson, der stilbedingt einem festgelegten Arrangement aus verschiedenen Songteilen, unterschiedlichen Grooves und Stops folgt. Genau so richtig, jedoch wesentlich minimalistischer sieht Beispiel Nr. 4 aus. Hierbei handelt es sich um ein Leadsheet eines Jazz-Standards, der einer 16-taktigen AABA-Form folgt. Da über die genaue Umsetzung eines Jazz-Standards oftmals erst vor dem Konzert oder teilweise sogar erst während des Spielens entschieden wird, lässt das entsprechende Leadsheet häufig folgende Fragen offen: In welchem Feel und Tempo wird das Stück gespielt? Gibt es ein Intro oder geht es gleich mit dem Thema los? Wer spielt ein Solo und über wie viele Formen? Deshalb reicht dem erfahrenen Jazzdrummer im Falle eines Jazz-Standards auch eine grobe Übersicht über die Form, wenn nicht sogar lediglich die Ansage „16-taktige AABA-Form, Medium Swing“, kurz vor dem Einzählen.
Für dich ausgesucht
In diesem Workshop geht es in erster Linie um Leadsheets für möglichst durcharrangierte Songs, wie sie in populärer Musik üblich sind (siehe Beispiel Nr. 2).
Wenn ihr noch keine oder erst wenig Erfahrungen mit Rhythmus-Notation habt, hilft euch ein Blick auf unser kleines Leadsheet-Wiki auf der zweiten Seite dieses Workshops.
Drei Schritte zum eigenen Leadsheet
Jetzt geht es ans Eingemachte! Wir werden im Folgenden Schritt für Schritt ein Leadsheet erstellen. Der Kollege Thomas Dill hat netterweise zu diesem Zweck einen Song komponiert, der uns hierbei als Grundlage dient:
Schritt 1: Song erstmalig hören und die Form aufschreiben
Zunächst setzen wir uns mit Zettel und Stift oder etwa mit einem Schreibprogramm am Computer hin. Wir notieren uns den Songtitel sowie den Interpreten/Komponisten und hören uns den Song einmal gründlich von vorne bis hinten an. Dabei konzentrieren wir uns zuerst vorrangig auf den Ablauf des Songs und schreiben die einzelnen Songparts untereinander. Wer sich schwer damit tut, die einzelnen Parts sofort in „Strophe“, „Refrain“ usw. zu unterteilen, der kann zunächst mit den Bezeichnungen „Teil A“ und „Teil B“ usw. arbeiten. Wer gleich beim ersten Mal schon die entsprechenden Längen der einzelnen Songteile in Takten notiert, hat zudem viel Zeit gespart. Wem das nicht gelingt, der nimmt sich eben die fünf Minuten mehr und hört sich den Song erneut an. Vor allem bei schnelleren Songs kann es sehr hilfreich sein, den Song langsamer abzuspielen, was mit Programmen wie Transcribe, VLC Player, djay oder auch mittlerweile mit YouTube sehr einfach umzusetzen ist.
Nach dem ersten Hördurchlauf sollten unsere Notizen in etwa so aussehen:
Schritt 2: Song erneut hören und weitere Notizen machen
Jetzt hören wir uns den ganzen Song oder einzelne Stellen so oft erneut an, bis wir alle restlichen Informationen des Songs erfasst haben, die wir jeweils hinter die einzelnen Songparts notieren:
- Wann spiele ich welchen Groove?
- Wo spiele ich (welche) Fill-Ins?
- Wo habe ich Pausen?
- Gibt es Besonderheiten?
- Gibt es dynamische Details?
Auch wenn das Prozedere jetzt erstmal nach einem großen Stück Arbeit klingt, werdet ihr merken, dass es mit zunehmender Zeit und Übung immer leichter fällt, sich auf mehrere Aspekte eines Songs gleichzeitig zu konzentrieren. So ist es einem geübten Leadsheet-Schreiber oft möglich, bei einem nicht allzu komplizierten Song Schritt 1 und Schritt 2 gleich beim allerersten Hördurchlauf abzuhaken. Was uns jetzt noch fehlt, sind folgende wichtige Informationen:
- Welches Tempo (BPM) hat der Song?
- Folgt der Song einer bestimmten Stilistik oder einer bestimmen Groove-Ästhetik?
Für das genaue Ermitteln der BPM-Zahl eines Songs gibt es mittlerweile verschiedenste Möglichkeiten. Die einfachste und mobilste Lösung ist jedoch immer noch ein digitales Metronom mit Tap-Funktion, wie etwa die Tama Rhythm Watch oder Handy-Apps wie Pro Metronome oder Tempo. Mit dem Tap-Button lässt sich nämlich der Viertelpuls des jeweiligen Songs ganz einfach mittippen, woraufhin das Metronom das Tempo erkennt. Je genauer und gleichmäßiger man tippt, desto akkurater fällt hierbei das Ergebnis aus.
Die Angabe einer bestimmten Stilistik oder Groove-Ästhetik vermittelt dem Drummer eine kurze Assoziation, um sich in die richtige „Haltung“ für den Song zu bringen. Dabei kann man nüchtern rangehen, indem man die genaue Stilistik definiert (z.B. „Funk Rock“ oder „Slow Blues“), oder man beschreibt die Art und Weise, wie man den Song interpretieren sollte, durch Begriffe wie zum Beispiel „laid back“, „federnd“ oder „Police-mäßig“. Im besten Falle notiert man eine Kombination aus beidem.
Ist man mit den drei Schritten durch und hat alle Notizen ordentlich aufgeschrieben, so ist man nun stolzer Besitzer eines einfachen Leadsheets, wie es bei vielen Trommlern zum Einsatz kommt, häufig auch „Drum Chart“ genannt:
Schritt 3: Vom Drum Chart zum Leadsheet
Die klassische, etwas edlere Variante des Leadsheets geht gegenüber dem oben beschriebenen Drum Chart noch einen Schritt weiter. Das klassische Leadsheet zeigt den Songablauf auf Notenzeilen ausgeschrieben. Der große Unterschied zum Drum Chart ist, dass wir nicht mehr die einzelnen Songteile mit der jeweiligen Taktanzahl auf der linken Seite stehen haben, was uns etwas mehr Platz für die Notation der Takte beschert. Das ist vor allem dann nützlich, wenn wir viele unterschiedliche Grooves und Fill-Ins notieren müssen.
Einige Tipps für das klassische Leadsheet mit Notenzeilen:
1. Wenn möglich, sollte eine gleichbleibende Anzahl an Takten beibehalten werden (z.B. zwei oder vier Takte, bei einem geraden Taktmaß).
2. Wenn möglich, sollte das Leadsheet auf eine, maximal zwei Seite(n) passen.
3. Faulenzer und Wiederholungsklammern benutzen! Nur neue Parts müssen ausnotiert werden. (siehe Leadsheet-Wiki auf der Seite zwei dieses Workshops)
4. Fill-Ins müssen nur ausnotiert werden, wenn nötig. Ansonsten reicht eine kleine Notiz „FILL“.
So sieht unser obiges Drum Chart nun als klassisches Leadsheet aus:
Song auf die Ohren und Action!
Am Ende geht es natürlich um das Musik machen! Wenn ihr also den „bonedo Leadsheet Song No.1“ mithilfe des Leadsheets spielen wollt, könnt ihr euch hier die Noten und die Version ohne Schlagzeug als Play-along downloaden:
Das war der erste Teil des „Leadsheet für Drummer“ Workshops. Ich hoffe, ich konnte euch einen guten Einstieg in die Welt der Leadsheets geben. Im zweiten Workshop-Teil gehen wir am Beispiel eines weiteren Songs näher auf fortgeschrittene Themen, wie etwa das Notieren und Interpretieren von Kicks und Unisono-Fill-Ins, ein.
Viel Spaß,
Jonas
Oli Rubow sagt:
#1 - 22.03.2017 um 10:35 Uhr
Super Artikel, Jonas! Ich hätte dazu noch zwei Anregungen für die fortgeschrittenen Anwender:
https://87bpm.wordpress.com...
https://87bpm.wordpress.com...
LG aus F!