Wir schreiben das Jahr 2006: M-Audios DJ-System Torq erfreut sich großer Beliebtheit. Gerade bei Anwendern, die ihren DJ-Alltag mit begrenztem Budget bestreiten müssen, punktet das 300-Euro-Komplettpaket aus Software, Vierkanal-Interface und Kontrollmedien. Es implementiert viele kreative Features und Konkurrenten verlangen teilweise mehr als den doppelten Preis für ein ähnlich ausgestattetes Produkt.
Wir schreiben das Jahr 2011: Nach dem Update 1.5 aus 2009 wurde es leider ziemlich still um Torq – doch damit soll nun Schluss sein. Kein Geringerer als Avid (Pro Tools, Media Composer) hat die Produktsparte aufgekauft, um die Software aus dem Dornröschenschlaf zu wecken. Torq 2 kostet 224 € UVP, liegt also auf einem ähnlichen Preisniveau wie Traktor Pro 2. Es besitzt vier virtuelle Decks, automatische Tempoerkennung und Synchronisation, integrierte Effekte, einen Sampler und einen Performance-Rekorder. Es beherrscht Track-Morphing per Crossfader und unterstützt VST-PlugIns. Und nicht zu vergessen: Torq 2.0 kann ab sofort ohne Dongle-Interface mittels Steuervinyl, CD oder MIDI-Controller dirigiert werden. Die Konkurrenz ist groß, die Erwartungshaltung ebenfalls. Der Kampf gegen Traktor, Serato, VDJ und Mixvibes geht in die nächste Runde.
DETAILS
Der Testkandidat lässt sich per Maus oder Tastatur, aber auch per Controller oder Timecode bedienen. Wer im Club, im Studio oder zuhause zwei Plattenspieler oder CDJs einsetzt, muss auf analoges Feeling daher nicht verzichten und kann seine Tracks nach allen Regeln der Kunst mixen, loopen und „schreddern“. Das sind die Vorzüge des digitalen Zeitalters. Die Software ist als Windows und Mac-Version erhältlich und verlangt unter OSX (ab 10.5.8) nach einem Intel Core-Duo mit 2 GHz Taktung, 2 GB RAM und 1280 x 800 Pixeln Bildschirmauflösung. Für Windows-User sind die Anforderungen an die Hardware identisch. Alle gängigen Versionen werden unterstützt (Windows XP SP3, Vista 32/64 Bit SP2 und Win 7 32/64 Bit). Wir testen mit einem 2,13-GHz-MacBook (OSX 10.7.2, 4 GB RAM) und mit Windows 7 auf einem Q6600 bei ebenfalls 4 GB Arbeitsspeicher.
Die für diesen Artikel nötigen Aktivierungsinformationen in Form einer Seriennummer und einer System-ID kamen per E-Mail ins Haus, was zunächst einen Ausflug zur Avid-Website einforderte. Dort angekommen wurde mir nach Registrierung ein Link zum 320 Megabyte großen Download inklusive der Ordner Torq-Tracks und Torq Loops zugestellt. Erstgenannter beinhaltet zwölf Musikstücke, damit digitale Einsteiger ohne Umschweife zur Sache gehen können. Torq-Loops spendiert 100 MB hochwertige Samples moderner Genres wie Dance, House, Urban, Old-School oder R´n´B, welche bereits mit QSD-Dateien im Gepäck kommen und daher nicht erst einer Analyse unterzogen werden müssen. Die Installation verlief auf beiden Systemen ohne nennenswerte Vorkommnisse.
BedienoberflächeSchaut man sich die Softwareoberfläche zum ersten Mal an, wird man von der visuellen Ausarbeitung etwas überwältigt, denn der Screen wirkt ziemlich voll. Spontan komme ich auf die Idee zu einem anderen grafischen Thema zu wechseln und stelle fest, dass sie sich lediglich in der Farbgebung unterscheiden (aber immerhin gibt es welche!). Ich lasse es daher beim Standard, der mir von allen Ausarbeitungen noch am besten gefällt. Lässt man dann die Augen eine Zeit lang über das teilweise neu gestaltete Benutzer-Interface gleiten und schaut sich die einzelnen Funktionsabteilungen genauer an, entdeckt man viel Bekanntes. Bedeutet von Süd nach Nord einen Track-Browser, darüber sitzt der Sampler, dann folgen zwei Decksektionen an den Außenflanken sowie ein zentraler Mixer. Die Peak-Anzeigen sind wie bei Serato oder VDJ oben platziert. Der Header beinhaltet alle weiteren Funktionsaufrufe.
Für dich ausgesucht
Wer mag, kann nicht benötigte Komponenten ausblenden, sodass nur noch die für ihn relevanten Informationen dargestellt werden. Obwohl sich Torq also grundsätzlich an den „Knigge-für-DJ-GUIs“ hält, wirkt der Aufbau auf mich etwas überladen und was die Darstellung der Peaks und Waveforms angeht, fühle ich mich um einige Jahre zurückversetzt. Man verzeihe mir meine Kritik an dieser Stelle, aber ich finde die Aufarbeitung in Zeiten von hochauflösenden Wellen mit farbcodierten Frequenzspektren einfach antiquiert. Vergessen wir aber nicht, dass auch Serato und Traktor eine Hundertschaft an Bedienelementen ins Interface integrieren. Ein MIDI-Controller ist das adäquate Werkzeug, um optimalen Nutzen aus der Funktionsvielfalt derartig umfangreicher DJ-Softwares zu erzielen. Kümmern wir uns nun um die inneren Werte – denn da haben die Programmierer laut Herstellerangaben kräftig neuen Code eingebettet.
Alles beginnt mit der Dateiauswahl …
Neben gängigen Links auf die Musikbibliothek, die Verzeichnisstruktur, den Desktop und neuerdings auch iTunes, kann der User eigene virtuelle Plattenkisten (Crates) packen. Er kann Playlisten oder komplette Snapshots der Umgebung erstellen und die Torq-Datenbank durchstöbern. Ferner sehe ich einen iPod-Verweis, der jedoch keines der aktuellen iOS-Modelle ausliest. Die Titel-Informationsleiste im Browser zeigt so ziemlich alles an Tags an, was für den DJ von Bedeutung sein könnte. Also Künstler, Song, Album und BPM, aber auch Kommentare, Bitrate, Anmerkungen und die Tonart. Letztgenannte wird leider nicht von der Software selbst analysiert, sondern muss mit einem Tool wie Mixed-in-Key 4.0 oder BeaTunes (Link Harmonic Mixing) ausgewertet werden. Eine Suchfunktion bietet kontextbezogene Search- und Ignore-Filter, sodass man auch in umfangreichen Datenbeständen schnell ans Ziel kommt. Warum sich der Hersteller jedoch gegen eine Cover-Art Anzeige entschieden hat, ist mir ein Rätsel.
Decksektionen im Hochformat
Auf der rechten und linken Außenseite sind die Player arrangiert. Sie spielen Dateien in den Audio-Formaten AAC, AIFF, MP3, M4A, WAV und WMA ab. Videoclips werden nicht unterstützt. Was ein wenig verwundert, schaut man sich das Produktportfolio des Herstellers einmal genauer an und führt sich vor Augen, das Virtual-DJ und Video-SL für Scratch-Live diese Disziplinen schon seit Langem beherrschen. Die Deckbereiche beinhalten transport- und temporelevante Bedienelemente und bieten ausführliche Informationen zu Titeln, Laufzeiten, Geschwindigkeiten und dergleichen. Jeder Player verfügt über einen fünffach skalierbaren Pitch (8,10,20,50,100), Pitchbends, Keylock und Keytranspose. Keylock verhindert Tonhöhenverschiebungen während der Tempoangleichung zweier Tracks. Keytranspose macht das Gegenteil und transponiert die Tonhöhe eines Songs bei gleichbleibender Geschwindigkeit in einem stufenlosen Rahmen von plusminus Zwölf. Eine click-sensitive Wellenformübersicht zeigt Loops und Cue-Punkte an, die eine Zeile tiefer mit den beiden farblich hervorgehobenen Baukästen gesetzt werden. Dazu mehr im Praxisteil.
Sämtliche Softwareplayer können nun sowohl zum Master-Deck als auch zur Master-Clock synchronisiert werden. Der erste Fall ist besonders für Vierdeck-Artisten ein Zugewinn, der Letzte beim Einsatz externer Soft- und Hardware oder auch in der Produktionsumgebung. Ferner lockt Torq damit, die Synchronisations-Entscheidungen autonom durchzuführen – zum Beispiel jenes Deck als Taktgeber zu deklarieren, welches auf den Master-Ausgang geroutet am längstenabgespielt wurde. Autogain gleicht auf Wunsch Lautstärkenunterschiede zwischen den Decks selbständig an.
Vierkanal-Mixer
Je nach gewählter Deck-Anzahl erscheint die Oberfläche des Mixers in einem leicht veränderten Bild. Dies betrifft Preview und Master-Volume, die im Dualbetrieb als Fader, im Quartett als Drehregler dargestellt werden. Beiden ist ein Pegelmeter zur Seite gestellt. Die Vorhörabteilung ist mit stufenlosem Cuemixing und einer Split-Funktion ausgestattet.
Jeder Kanalzug zeigt einen Linefader mit Preview-Button. Daneben (nicht darüber!) sitzt der Dreiband-Equalizer mit einem nominalen Cut/Boost von -26 /+6 dB und Kill-Buttons, gefolgt von einem +/-12 dB-Gain mit Mute-Schaltung. Die Grenzfrequenzen können in den Voreinstellungen angepasst werden. An der Spitze thront ein Knopf zum Einschleifen eines extern anliegenden Signals. Jeder der Kanäle lässt sich frei auf eine der Crossfader-Seiten routen oder von ihm ausschließen. Der Überblendregler kommt mit Curve-Controller und virtuellem Hamster-Switch. Der Hersteller spricht vom Comeback des Crossfaders wegen seiner Track-Morph-Funktionen, also wollen wir diesem Feature direkt auf den Zahn fühlen – wenngleich es eher in den Praxisteil gehört.
Track-Morph
Track-Morph verknüpft Blend- und Mixvorgänge mit Effekten, die abhängig von der Fader-Stellung zum Tragen kommen. Im Volksmund also eine Art von Fader-FX. Insgesamt stehen vier unterschiedliche Modi zur Verfügung, namentlich Cut, Duck, Filter und Morph.
Im Duck-Mode erfolgt die Überblendung durch Frequenz und Lautstärkenabsenkung/-anhebung der beteiligten Tracks. Beim Band-Ducking ermittelt Torq die lauteste Frequenz deseinzublendenden Tracks und verringert dieselbe Frequenz allmählich im laufenden Titel.
Cut verbindet die Lautstärkenabsenkung mit einem Gate, das sich dreistufig regulieren lässt. Die Standardeinstellung ist 1/8-1/8 und der Cut zwischen den beiden Playern erfolgt abwechselnd im Achtelnoten-Rhythmus. In Betriebsart 1/16-3/16 ist das Hauptdeck während der ersten Sechzehntel-Note zu hören, das eingeblendete für die folgenden drei Sechzehntel. Die letzte Einstellung spielt Deck A auf den Sechzehntel-Noten eins und drei aus, Player B fällt auf zwei und vier. Wir haben das für euch nachstehend aufgezeichnet. Torq besitzt zudem einen Triolenmodus, mit dem sich das rhythmische Timing des Cuts abwandeln lässt. So wird aus „1/8 – 1/8“ und „1/16 – 3/16“ „1/16 – 1/16“ durch Aktivierung der Triolenfunktion „1/8T – 1/8T“ „1/16T – 3/16T“und „1/16T – 1/16T“.
Im Filtermodus „MID“ wird ein Bandpassfilter (Mittenband – Frequenz 1 kHz) des einen Decks mit einem Notch (Bandsperrfilter) des anderen kombiniert. Im Modus LOW-HI wird ein Hochpassfilter auf das Quell-Deck und ein Tiefpassfilter auf das Ziel-Deck gelegt. Beide Filter sind auf die gleiche Cutoff-Frequenz eingestellt, welche sich nach der Position des Crossfaders richtet.
Im Morph-Modus „Strong“ wird ein 24 dB steiles Filter für ein Deck eingeschaltet und dann kräftig gemorpht. „Gentle“ wirkt mit weniger Modulierung und Lautstärkenerhöhung etwas gemäßigter. Grundsätzlich lassen sich Track-Morphs über den PFL-Button am Crossfader vorhören, bevor sie auf das Publikum niederprasseln. Sehr sinnvoll.
Würde der DJ solche Kombinationen mit Plattenspielern und Effektgeräten durchziehen wollen, müsste er sich zwei bis vier zusätzliche Arme beim Universum bestellen. Lernfähige DJ-Softwares ermöglichen hingegen, multiple Befehle auf ein Element zu legen, mit Bedingungen zu verknüpfen und die Regel-Attribute einzugrenzen. Und in dieser Hinsicht ist Torq gut situiert, wie wir noch sehen werden.