Praxis
Partitureinrichtung und Noteneingabe
Finale begrüßt uns mit einem Startfenster, in dem wir aus verschiedenen Optionen für die Erstellung eines Dokuments auswählen können. Zur Einrichtung einer Partitur steht der aus den Vorversionen bekannte Assistent zur Verfügung, der bei der Auswahl von Notationsstil, Instrumenten und Ton- und Taktart hilft. Auch Informationen wie Titel, Komponist und ähnliche Angaben können hier eingegeben werden und werden dann automatisch ins Dokument eingefügt.
Alternativ ist es auch möglich, Daten in ein neues Dokument zu importieren. Finale kann MIDI- und MusicXML-Dateien verarbeiten. Um Chaos beim Import einer MIDI-Datei zu vermeiden, sorgt ein Dialogfenster für die richtigen Einstellungen hinsichtlich des Umgangs mit mehreren Spuren und der Quantisierung. Auch wenn die Importfunktion einige Möglichkeiten zur “intelligenten” Interpretation von MIDI-Daten bietet, ist es allerdings immer noch ratsam, die Daten bereits vor dem Import zu “glätten”, d.h. zu quantisieren und auch die Notenlängen möglichst exakt einzustellen. Bei unbearbeiteten MIDI-Daten treten sonst häufig unnötige Bindebögen, Sechzehntelpausen und ähnliches Kleinholz auf.
Möchte man einer Partitur nachträglich Instrumente hinzufügen, kommt die neue Partiturverwaltung ins Spiel. Dieses Fenster ist die herausragendste Neuerung der Version 2012 und bewährt sich in der Praxis absolut. Wo man früher zunächst Notenzeilen hinzufügen und Schlüssel sowie Transposition manuell konfigurieren musste, um dann in einem weiteren Dialogfeld mühsam den passenden Abspielsound auszuwählen, genügt jetzt die Auswahl des gewünschten Instruments aus der praktisch sortierten Liste. Der Rest passiert automatisch. Die Notenzeile wird mit den korrekten Einstellungen hinzugefügt und lässt sich – falls gewünscht – an einer beliebigen Position zwischen den anderen Instrumenten platzieren. Gleichzeitig wird automatisch der richtige Klang geladen. Natürlich ist es aber auch möglich, alternative Abspielsounds zu wählen. Mit der Zuweisung der MIDI-Kanäle und derartigen Details müssen wir uns im Normalfall nicht mehr aufhalten. Sehr praktisch!
Zur Eingabe von Noten stehen die bereits aus den Vorversionen bekannten Verfahren zur Verfügung. Noten und Pausen lassen sich per Mausklick einfügen oder – deutlich komfortabler – mit einer Kombination aus Tastatur und MIDI-Keyboard. Dazu wird zunächst der gewünschte Notenwert per Maus oder Ziffernblock aus der Palette ausgewählt und dann die einzufügende Note auf dem Keyboard gespielt. Diese Vorgehensweise beherrscht man in kürzester Zeit blind und kann dann sehr flüssig damit arbeiten.
Für dich ausgesucht
Finale bietet aber auch eine Möglichkeit zur Live-Einspielung über ein MIDI-Keyboard. Die “Hyperscribe” genannte Funktion ermöglicht auch die automatische Aufteilung einer Klavieraufnahme auf zwei Notensysteme anhand eines einstellbaren Splitpunkts. Bei der Aufnahme kann man entweder dem internen Metronom folgen oder das Aufnahmetempo durch Klopfen des Takts – etwa auf dem Sustainpedal – in Echtzeit steuern. Auch die Synchronisation zu einer externen MIDI-Clock ist möglich. Ähnlich wie beim Import einer MIDI-Datei lassen sich mit Hyperscribe aufgenommene Noten nach einstellbaren Kriterien bereinigen. So werden die unbeabsichtigten Zweiunddreißigstelnoten, Triolen und Pausen vermieden, die bei einer maschinellen Interpretation einer Live-Aufnahme entstehen würden. Das funktioniert in der Praxis recht gut. Trotzdem sollte man selbstredend auf eine möglichst exakte Performance achten, um die Automatik nicht zu überfordern.
Zum Hinzufügen von Vortragszeichen, Artikulationen und sonstigen Notationselementen stehen zahlreiche Werkzeuge zur Verfügung. Dabei lassen sich Erscheinungsbild und Verhalten dieser Zeichen bis ins kleinste Detail einstellen – so ist es zum Beispiel möglich, bestimmte Artikulationen stets ober- und außerhalb des Notensystems zu platzieren, während andere ihre angestammte Position beim Notenkopf beibehalten. Das Hinzufügen solcher Zeichen lässt sich erheblich beschleunigen, wenn man die entsprechenden Tastaturbefehle verinnerlicht: Zum Beispiel erzeugt ein Klick auf eine Note bei gleichzeitig gedrückter Taste “S” einen Staccatopunkt. Auf diese Weise kann man sehr schnell arbeiten. Bögen, Linien und andere Notationselemente, die sich dynamisch an die Notation und das Layout anpassen müssen, werden mit der Palette “Intelligente Zeichen” hinzugefügt. Auch hierfür stehen Tastatur-Shortcuts zur Verfügung.
Akkordsymbole und Liedtext lassen sich mit den entsprechenden Werkzeugen hinzufügen. Finale verfügt über eine umfassende Datenbank von Akkordtypen, die sich auch um eigene Kreationen erweitern lässt. Die Software beherrscht auch Besonderheiten wie etwa die deutsche Schreibweise (H statt B), sodass sich der persönlich bevorzugte Stil für Akkordsymbole problemlos umsetzen lässt. Auch die automatische Analyse der Noten im Hinblick auf die gespielten Akkorde ist möglich – falls gewünscht über die gesamte Partitur hinweg. Dies funktioniert aber leider nicht so gut wie bei der Konkurrenz.
Liedtexte können entweder direkt in die Partitur getippt oder in das Text-Fenster kopiert und dann per Klick eingefügt werden. Auf den direkten Import aus einer Textdatei, wie ihn der Konkurrent Sibelius bietet, müssen Finale-Anwender leider verzichten. Auch bei der Silbentrennung muss man noch selbst Hand anlegen – hierfür bietet Sibelius ebenfalls eine recht gut funktionierende Automatik.
Finale verfügt über eine sehr flexible Filterfunktion, die es zum Beispiel ermöglicht, nur die Artikulationen oder nur die Akkordsymbole einer Passage auf eine andere zu übertragen. Auch beliebige Kombinationen sind möglich. Ein bewusster Einsatz des Filters kann bei der Erstellung einer komplexen Partitur enorm viel Zeit und Nerven sparen!
Eine weitere große Hilfe bei der Notation sind die zahlreichen PlugIns, die sich um diverse Spezialaufgaben kümmern. Hier gibt es einfache Lösungen für vielfältige Probleme, die von der Auswechslung von Notenköpfen über das Durchstreichen von Vorschlagsnoten bis hin zum kompletten Klavierauszug reichen. Die Fähigkeiten der Finale-PlugIns werden häufig übersehen und sind in vielen Situationen eine große Hilfe.
Makeup und Layout
Wenn alle Noten, Texte, Zeichen und Bögen eingegeben sind, folgt die Layoutphase, in der wir der Partitur ein optisch ansprechendes Äußeres verpassen. Es empfiehlt sich ausdrücklich, mit diesem Schritt bis ganz zum Schluss zu warten. Macht man das Seitenlayout vorzeitig fertig und fügt dann nachträglich irgendwo ein paar Takte oder eine Notenzeile ein, kann man nicht selten von vorn beginnen, die Systeme hübsch zu machen. Bei allem Wohlwollen: Im direkten Vergleich mit Sibelius treibt mich Finales Seitenlayout auch in der neuen Version immer noch zur Verzweiflung. Zwar gibt es zahlreiche Funktionen, die die Systeme automatisch ausrichten und Abstände einheitlich regulieren können, aber das Zusammenspiel dieser Einstellungen ist komplex und schwer zu handhaben. Zudem verbergen sich die entsprechenden Schalter zum Teil in den Dokument-Optionen und zum Teil im Layout-Menü. Ein Anfänger wird eine Weile brauchen, bis es gelingt, ein Finale-Dokument nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten.
Allerdings muss man der Software zugute halten, dass es auf diese Weise möglich ist, wirklich jedes Detail individuell zu gestalten. Nicht nur die Positionierung von Zeichen, Akkorden und Text lässt sich millimetergenau justieren, sondern auch die Platzierung von Noten relativ zum Zeitraster innerhalb eines Takts. Notensysteme lassen sich einzeln verkürzen, verlängern, verschieben und positionieren, letzteres auf Wunsch auch automatisch. Das sind natürlich genau die Fähigkeiten, die bei der Erstellung von Partituren für die gedruckte Veröffentlichung gefragt sind. Wer sich nicht um solche Details kümmern und lieber schnell zu ansehnlichen Ergebnissen kommen möchte, ist meines Erachtens bei der Konkurrenz besser aufgehoben. Finales Bedienung wirkt vor allem in Sachen Layout etwas betagt und unnötig kompliziert. Man merkt der Software an, dass sie einen langen Weg hinter sich hat und immer wieder um zusätzliche Funktionen erweitert wurde, ohne dass die Bedienung Schritt gehalten hat. So ist Finale in Sachen Benutzerfreundlichkeit mittlerweile weit zurückgefallen. Vielleicht wäre eine von Grund auf neu gestaltete Benutzeroberfläche für die nächste Version eine gute Idee.
Stimmenauszüge und Export
Wenn die Partitur fertig ist und das Layout sitzt, ist es Zeit, die Einzelstimmen für jedes Instrument zu exportieren. Die Auszüge lassen sich dynamisch mit der Partitur verknüpfen, sodass sich Änderungen in der Partitur sofort in den Einzelstimmen wiederfinden und umgekehrt. Wenn die Partitur sorgfältig angelegt und die verschiedenen Zeichen nicht allzu wirr positioniert sind, funktioniert der Stimmenauszug in der Regel so gut, dass man bei den Einzelstimmen kaum noch Hand anlegen muss.
Das fertige Produkt lässt sich in verschiedene Formate exportieren. Erstmals bietet Finale auf allen Plattformen eine integrierte Funktion zur Erzeugung von PDF-Dateien. Alternativ dazu stehen verschiedene Grafikformate zur Auswahl (TIFF, JPEG, PICT, PNG). Auch ein Export ins EPS-Format (Encapsulated PostScript) ist möglich. Dabei können wahlweise alle oder nur bestimmte Seiten exportiert werden, oder auch nur ein gesondert markierter Bereich.
Sound-Library
Die mit Finale ausgelieferte Sound-Bibliothek wird von Garritan beigesteuert. MakeMusic hat die Firma, die sich unter anderem mit dem Personal Orchestra einen Namen gemacht hat, mittlerweile übernommen. Die etwa 2 GB große Library umfasst mehr als 400 Sounds. Darunter sind neben sämtlichen Orchesterinstrumenten, einem Konzertflügel, Orgeln und Chören auch Gitarren, Bässe, Drums und einige Klänge aus dem Weltmusik-Kosmos. Die wichtigsten Orchesterinstrumente liegen als Ensembleklänge und Solo-Sounds vor, wobei viele Instrumente sogar mit zwei bis drei verschiedenen Einzelspielern aufwarten können, um einen realistischeren Ensembleklang zu realisieren. Einige Sounds verfügen darüberhinaus über mehrere Spielweisen (sustain, tremolo, pizzicato, etc.), die bei korrekter Notation automatisch an den betreffenden Stellen verwendet werden. Auch andere notierte Anweisungen wie Dynamikzeichen werden interpretiert. Die Sounds laufen in Garritans hauseigenem ARIA-Player. Wenn man nicht möchte, muss man sich mit dem Player aber gar nicht beschäftigen, denn Finales Partiturverwaltung übernimmt die Zuordnung und Ansteuerung der Klänge vollautomatisch. Das Endergebnis lässt sich auch als Audio-File exportieren.
Für die vergleichsweise geringe Größe der Library geht die Qualität der Sounds in Ordnung, erst recht als Beigabe zu einem Notationsprogramm. Vom Hocker hauen mich die Klänge allerdings nicht. Während die Streicher noch warm und angenehm klingen, können die Bläser, vor allem die aus Blech und die Saxophone, eher weniger überzeugen. Mit den aktuellen Highend-Sample-Librarys, die für sich genommen ein Vielfaches von Finale kosten, können die Klänge nicht mithalten, und auch nicht mit dem Angebot der direkten Konkurrenz. Zum Vergleich: Mit rund 40 GB ist Sibelius’ Klangbibliothek in der aktuellen Version um das 20-fache größer! Dafür halten sich die Ladezeiten auch bei umfangreichen Partituren erfreulich in Grenzen. Mit dem richtigen Feintuning kann man mit den Finale-Sounds auch recht anständig klingende Demos kreieren.
Die exakte Steuerung der Klänge nur mit den Mitteln der Notation erweist sich in der Praxis als nicht ganz einfach. Die Sounds reagieren zum Teil recht unterschiedlich auf dynamische Anweisungen, sodass man nicht um chirurgische Eingriffe auf der MIDI-Controller-Ebene herumkommt, wenn man ein wirklich gut klingendes Ergebnis erzielen möchte.