Praxis
Rein optisch setzt sich die neue Astoria Serie deutlich von den klassischen schwarzen Boliden des Marshall-Universums ab. Gleichzeitig bewegt sich das Traditionsunternehmen hier klanglich eher ein wenig in Richtung eines amerikanisch geprägten Ideals und produziert einen saftigen Vintage-Sound, aber durchaus gepaart mit einem anständigen Schuss marshalltypischer Brachialität. Alleine schon wegen seiner Verarbeitung spielt der Amp in der obersten Liga, wobei die frei verdrahteten Signalwege bei Röhrenamps ohnehin zur Königsdisziplin gehören. Wie so oft im Leben muss man auch hier für die hohe Fertigungs- und Klangqualität etwas tiefer in die Tasche greifen als für automatisch bestückte Platinenverstärker, die an Fließbandstrecken in Fernost zusammengeschraubt werden. So lautet die unverbindliche Preisempfehlung alleine für das Topteil 3272 Euro, während die Box mit 832 Euro zu Buche schlägt.
Der cleane Kanal bietet einen stabilen, straffen Sound, den man nicht ohne Weiteres zum Zerren bekommt. Aber obwohl ich weiter oben schon die amerikanischen Tendenzen erwähnt habe, liefert er keinesfalls einen kompromisslosen Fenderton, sondern ist gerade im oberen Frequenzbereich weicher abgefedert. Selbst beim Solieren mit dem Stegpickup der Stratocaster bewegt sich der Amp nicht in der Nähe des berüchtigten “Eierschneider”-Sounds. Bei meinem ersten Soundbeispiel stehen sowohl Clean-Volume wie auch der Master-Regler auf 12 Uhr, was bereits mit einer erheblichen Lautstärke einhergeht. Eine Anzerrung ist jedoch nicht auszumachen. Ich habe hier, wie ich das jedem empfehlen kann, der mit dem Steg-Singlecoil solieren möchte, das Tonepoti einen kleinen Tacken zurückgenommen.
Auch wenn man den cleanen Kanal noch weiter aufreißt, bleibt der Ton nahezu unverzerrt. Im folgenden Beispiel steht der Masterregler schon weit über der 12-Uhr-Marke und reichert den Ton fast unmerklich mit harmonischen, silbrigen Obertönen an, ohne zu viel Kompression an den Tag zu legen. Der Sound ist sehr lebendig, fett und dreidimensional.
Jetzt habe ich sowohl den Master- als auch den Clean-Volume-Regler auf 15 Uhr gedreht. Was im Studio kein großes Ding ist, kann im Proberaum und bei Gigs wegen der enormen Lautstärke schnell problematisch werden. Der Ton ist tatsächlich immer noch stabil, mit vielen süßen Obertönen angereichert und beginnt leicht zu pumpen. Die verwendete Gitarre ist übrigens eine 77er Stratocaster mit Kloppmann-Pickups, die hier mit dem mittleren Tonabnehmer aktiv ist.
Kommen wir zum Overdrive-Kanal des Astoria Dual. Er beginnt in etwa da, wo der cleane Kanal aufhört. Sein Sound hat jedoch einen aufgeräumteren Tiefbass-Bereich, der dafür sorgt, dass sich der Ton weder verschluckt noch Anstalten macht, fuzzig zu klingen. Einen derart ausgeschlafenen Overdrive-Kanal habe ich selten gehört und gespielt. Allerdings muss man einen gewissen Ton in den Fingern haben, denn von Schönfärberei hat dieser Amp noch nie etwas gehört und spielerische Unzulänglichkeiten werden gnadenlos aufgedeckt. Im nächsten Beispiel stehen Gain- und Master-Regler in der 11-Uhr-Position, Treble und Middle auf 13, der Bassregler auf 15 und der Edge-Regler auf 14 Uhr.
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Mit einem weiteren Schuss Gain singt die Gitarre, dass es eine Wonne ist. Die Verzerrung und die weiche Kompression verleihen dem Ton ein exzellentes Sustainverhalten. Bröselige Artefakte oder klangliche Unzulänglichkeiten bei angezerrten Sounds existieren in der Welt des Astoria Dual nicht. Nur mit einer Gitarre und einem Kabel bewaffnet lassen sich hier unglaublich perfekte Sounds abrufen, bei denen waschechte Blueser weiche Knie bekommen.
Der Amp reagiert nicht nur äußerst sensibel auf den jeweiligen Spieler und dessen Spielweise, sondern auch auf den Gitarrentypus. Für die beiden folgenden Beispiele habe ich die Stratocaster beiseite gelegt und andere klassische E-Gitarren angeschlossen. Mit meiner alten Rickenbacker 330 kommt man sehr schnell in Beatles-Regionen. Der einzigartige Twäng dieser Gitarre kommt hier besonders gut und dreidimensional zur Geltung.
Ohne die Einstellungen am Amp zu verändern habe ich für das folgende Soundbeispiel meine Gibson SG angeschlossen und war über das Ergebnis wirklich erstaunt. Der Sound ist komplett anders, so als hätte ich die Einstellung der Verstärkers stark verändert oder einen Booster verwendet. Ich kenne kaum einen Gitarrenamp, der so extrem auf die verwendete Gitarre reagiert, wie das Schlachtschiff der Astoria-Serie das tut. Der schmatzige und leicht holzige Primärklang der SG ist präsent, aber verzerrungstechnisch ist hier das Ende der Fahnenstange erreicht.
Wer mehr Gain möchte, muss zusätzlich mit Pedalen arbeiten. Klassische Amps sind ja dafür bekannt, das sie mit Pedalen gut harmonieren, aber wie ist das mit dem Astoria Dual? Zu diesem Zweck habe ich zwei würdige Mitstreiter aus dem Hause Fulltone vor den Amp geschaltet. Erster im Bunde ist das Fuzzpedal 69, das mit Germanium-Transistoren arbeitet. Diese Kombination funktionierte auf Anhieb perfekt, so als hätten sich zwei alte Kumpel wieder getroffen. Die Einstellung am Pedal ist folgendermaßen: Vol 13 Uhr, Bias & Contour 12 Uhr, Fuzz auf Maximum. Die verwendete Gitarre ist wieder meine Strat mit dem Stegpickup. Zuerst hört man das Lick ohne Pedal und in der zweiten Hälften dann mit aktiviertem Fuzzpedal. Steht man auf Sounds a la Eric Johnson oder Joe Bonamassa, ist man hier mit einem zusätzlichen Germanium-Fuzzpedal auf dem richtigen Weg.
Mit dem Fulltone B2 Booster bekommt der Amp, im Gegensatz zu einem vorgeschalteten Fuzz-Pedal, eine offenere Färbung. Je nachdem, mit welchem Pegel der Booster drückt, erhält man eine zusätzliche Kompression. Ich hatte das beeindruckende Pedal erst kürzlich im Test und mir persönlich hat die Soundfärbung sehr gut gefallen. Im ersten Drittel hört man das Lick ohne Pedal, dann mit dem Booster in der 12-Uhr- und zum Schluss in der 15-Uhr-Position. Damit die Höhen nicht zu glasig werden, habe ich den Dynamics-Regler auf 13 Uhr gestellt.
Zum Schluss habe ich noch einen kurzen Song eingespielt, um den Amp im Bandkontext zu demonstrieren. Der Gainregler steht auf Maximum, also so, wie bei meinem entsprechenden Soundbeispiel mit der Gibson SG. Hier kommt kein Pedal zum Einsatz. In der ersten Hälfte soliere ich mit der Gibson SG und in der zweiten Hälfte mit dem Stegpickup meiner Stratocaster.
Im Gegensatz zur SG habe ich für das zweite Solo mit der Stratocaster das OD Gain-Poti herausgezogen, um die sogenannte Body-Funktion zu aktivieren, die den scharfen Singlecoilsound unterfüttert. Gleichzeitig kamen etwas mehr Mitten hinzu. Ohne den Einsatz eines EQs konnten beide Soli im Mix perfekt platziert werden. Ich habe außer einer leichten Kompression und etwas Delay und Raum nichts weiter am Sound drehen müssen.
SteveFromBerlin sagt:
#1 - 21.11.2015 um 12:29 Uhr
Exzellenter Test mit tollen Hörbeispielen!